Protokoll der Sitzung vom 20.06.2007

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! In diesen Tagen und Wochen sind viele Jugendliche nur mit einem beschäftigt. Sie schreiben Bewerbungen, um einen der begehrten Ausbildungsplätze in Hamburg zu bekommen. Im September, wenn das neue Ausbildungsjahr beginnt, entscheidet sich dann für viele dieser Menschen, ob ihnen der Start in ein Berufsleben nach der Schule durch eine gute Ausbildung gelingt und ob sie damit die Grundlage auch dafür legen, ihr Leben selbstverantwortlich gestalten zu können. Für die, denen es nicht gelingt, gibt es wie in jedem Jahr eine Galgenfrist. Bis zum Ende des Jahres, manchmal auch bis zum Anfang des nächsten Jahres, werden mit Unterstützung der Kammern, einzelner Unternehmen aber auch der Medien weitere Ausbildungsplätze vermittelt. Die gute Konjunktur gibt jetzt dem Ausbildungsmarkt Schwung und wir haben in Hamburg eine leichte Steigerung bei den Ausbildungsplätzen erreicht. Darüber freuen wir uns auch.

Diese gute Entwicklung darf aber nicht den Blick darauf verstellen, dass wir es mit tiefen strukturellen Problemen auf dem Hamburger Ausbildungsmarkt zu tun haben. Der erste Punkt: Seit Mitte der Neunzigerjahre übersteigt die Anfrage nach Ausbildungsplätzen erheblich das vorhandene Angebot. Das hat dazu geführt, dass viele Jugendliche nach der Schule eben nicht diesen Übergang in eine Ausbildung geschafft haben. Diese Jugendlichen werden in den Statistiken der Bundesagentur als Altbewerber bezeichnet und es wird teilweise auch schon der etwas unschöne Begriff der Bugwelle benutzt. In Hamburg sind es rund 10.000 Jugendliche, denen in den letzten Jahren dieser Übergang nicht gelungen ist und die in Wartemaßnahmen auf diese Chance warten.

Eine Zahl, um die Dramatik zu verdeutlichen: In der gesamten Bundesstatistik der Bundesagentur für Arbeit ist es das erste Mal so, dass mehr als die Hälfte sogenannte Altbewerber sind, die ihren Schulabschluss schon viel früher gemacht haben. Das heißt, wir haben es mit einem ernsten Problem zu tun. Wir merken es auch beim gestiegenen Durchschnittsalter der Jugendlichen. Inzwischen sind Hamburgs Jugendliche über 20 Jahre alt, wenn sie eine Ausbildung beginnen. Ich glaube, das zeigt auch die dramatischen Veränderungen und es zeigt, dass zwischen Schulabschluss und Ausbildungsbeginn doch eine erheblich lange Zeit liegt.

(Beifall bei der SPD)

Der zweite Punkt, der benannt werden muss und besonders für die Hamburger Jugendlichen so schwierig ist, ist die hohe Konkurrenz aus dem Umland. Im Jahr 2006 wurde erstmals jeder zweite Ausbildungsplatz in Hamburg an jemanden vergeben, der nicht in Hamburg aufgewachsen ist. Das sehen wir Hamburger Politikerinnen und Politiker sicherlich mit sehr ambivalenten Gefühlen. Wir freuen uns zum einen, dass junge Leute aus Mecklenburg-Vorpommern sich aufmachen und ihre Heimat und ihren Wohnort verlassen, um nach Hamburg zu kommen. Aber wir sehen mit großer Sorge den hohen Druck, dem die Hamburger Jugendlichen durch die starke

Konkurrenz aus dem Umland ausgesetzt sind. Es ist eben so, dass die Abiturienten die Realschüler und die Realschüler die Hamburger Hauptschüler verdrängen. Die Schlussfolgerung ist deutlich: Hamburgs Jugendliche müssen heute viel mehr leisten, um mit diesem Konkurrenzdruck klarzukommen. Sie müssen auch viel mehr leisten, als ihre Eltern und Großeltern es haben tun müssen.

Der dritte Punkt, den wir auch schon oft angesprochen haben und bei dem ich mich darüber ärgere, dass die Hamburger Wirtschaft das nicht wirklich zugibt: Die Anforderungen in der Ausbildung sind unglaublich gestiegen. Wer sich anschaut, in welchen Ausbildungsberufen ein Hauptschulabschluss ausreicht, der sieht, dass diese immer geringer werden. Wir haben viel zu viele Jugendliche, die nicht ausreichend hohe Schulabschlüsse haben, um eine Chance zu haben. Die Zahl ist klar: Ein Drittel hat in Hamburg einen Hauptschulabschluss oder keinen Abschluss. Wer weiß, wie Arbeitsplätze in der Dienstleistungsmetropole aussehen, weiß, dass wir hier nicht genug Tätigkeiten haben, in denen man mit diesen guten schulischen Abschlüssen etwas schaffen kann - so wie es früher war. Das sind Strukturumbrüche, die uns ernsthaft beschäftigen müssen.

Ich will noch etwas deutlich machen: Die gestiegenen Anforderungen der Arbeitgeber zeigen sich auch daran, dass immer mehr Abiturienten eingestellt werden. Gerade in Hamburg ist diese Situation extrem. Während bundesweit von einem Ausbildungsjahrgang 35 Prozent einen Hauptschulabschluss haben und rund 17 Prozent Abitur, ist es in Hamburg umgekehrt. Hier haben rund 20 Prozent nur einen Hauptschulabschluss und fast 35 Prozent Aller haben das Abitur. Das zeigt noch einmal die dramatische Lage vieler Jugendlicher.

Die SPD schlägt deshalb heute mit diesem Antrag vor, dass wir uns mit dem Thema befassen, und wir machen eine Reihe von Vorschlägen. Der erste Punkt ist ganz klar. Wir brauchen mehr Ausbildungsplätze im dualen System. Wir fordern den Senat auf, in Gesprächen mit der Wirtschaft noch einmal darauf zu drängen, hierbei zu einer Steigerung zu kommen. Wir schlagen 10 Prozent vor. 900 Plätze mehr im dualen System wären eine spürbare Entlastung und würden vielen Jugendlichen helfen.

(Beifall bei der SPD und bei Gudrun Köncke GAL)

Die weiteren Vorschläge, die wir machen, beziehen sich aber auf die Gruppe, die nicht auf Anhieb ins duale System kommt. Ich habe Ihnen die Größenordnung genannt, es sind rund 10.000 Jugendliche in Hamburg, die auf eine Chance warten. Wir fordern den Senat auf, sein 1.000Ausbildungsplatz-Programm zu verlängern und nicht als Eintagsfliege verenden zu lassen. Dieses Programm ist wichtig, vor allen Dingen, weil es im Wesentlichen außerbetriebliche staatliche Ausbildung ersetzt hat, die es früher schon gab. Es ist unverzichtbar, wenn man erreichen will, dass alle Hamburger Jugendlichen ein Angebot bekommen. Daher muss dieses Programm dringend fortgesetzt werden.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Der zweite Punkt, bei dem wir uns mehr Nachdruck wünschen, ist, sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass Mittel aus dem Sozialgesetzbuch der Bundesagentur für Arbeit auch für Jugendliche eingesetzt werden können. Die SPD in Hamburg ist sehr aktiv und spricht auch mit den Parteimitgliedern auf Bundesebene. Wir erwarten

von der Hamburger CDU, dass sie das auch tut, damit wir auf Bundesebene endlich einen Durchbruch erreichen, um Arbeitsmarktpolitik auch präventiv in der Schule beginnen zu können.

(Beifall bei der SPD)

Der dritte Punkt, bei dem wir leider in Hamburg einen totalen Stillstand haben, ist, dass endlich das Berufsbildungsgesetz umgesetzt werden muss. Wir - SPD, CDU und Grüne - haben auf Bundesebene große Einigkeit, dass wir außerschulische Maßnahmen haben wollen und dass wir dort eine Kammerprüfung einführen wollen, um allen Jugendlichen ein Angebot zu machen. In Hamburg mauert die Wirtschaft, das wissen wir. Aber wir können überhaupt nicht erkennen, dass der Senat hier tätig wird. Das ist völlig unverständlich. Andere Bundesländer gehen längst diesen Weg. Hier in Hamburg, wo solch ein großer Druck herrscht, wird diesen Jugendlichen einfach die Möglichkeit genommen, eine ordentliche Ausbildung zu machen und mit einer Kammerprüfung auch einen besseren Start ins Berufsleben zu haben.

(Beifall bei der SPD und bei Christa Goetsch GAL)

Ein weiterer Punkt: Selbstverständlich bauen Sie die Verbundausbildung weiter aus. Auch das kann man gar nicht oft genug sagen. Wer mit Kleinunternehmen spricht, weiß, dass häufig die Bereitschaft zur Ausbildung existiert, bürokratische Hürden übersprungen werden müssen und häufig einzelne Unternehmen sich nicht trauen, die Bandbreite an Ausbildung anzubieten. Aber die grundsätzliche Bereitschaft ist vorhanden. Auch hier gibt es weitere Potenziale.

Ein weiterer Punkt, den wir neulich den Medien entnahmen: Der Landkreis Harburg macht uns das vor. An den Schulen dort bekommen Jugendliche einen Coach, der den Übergang in Ausbildung und Arbeit begleitet. Wir haben uns in der Enquete-Kommission dafür ausgesprochen, weil wir möchten, dass Jugendliche schon in der Schule eine feste Person haben, die sie begleitet, um diesen schwierigen Weg zu gehen und sich nicht im Maßnahmendschungel zu verirren. Wir erwarten, dass die Enquete-Empfehlungen in diesem Punkt auch umgesetzt werden.

Also, lehnen Sie sich angesichts der positiven wirtschaftlichen Entwicklung, die auch ein bisschen Entspannung schafft, nicht zurück. Wir haben hier ein Strukturproblem. Wir haben viele Jugendliche, die darauf warten, eine Chance zu bekommen. Unser Antrag zeigt, welche Schritte man gehen kann. Stimmen Sie ihm zu. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der GAL)

Das Wort erhält der Abgeordnete von Frankenberg.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Liebe SPD-Schulpolitiker, Sie schreiben im ersten Satz Ihres Antrages:

"In der Vergangenheit wurde die Situation auf dem Hamburger Ausbildungsmarkt vom Hamburger Senat schöngeredet."

Ich will nur sagen: Gut erkannt. Nur, diese Vergangenheit ist seit 2001 beendet.

(Beifall bei der CDU)

Hamburg ist jetzt auf Wachstumskurs.

(Ingo Egloff SPD: Tosender Applaus bei der Regierungsfraktion!)

Sie beschreiben sehr präzise die SPD-geführten Senate vorher. Das Thema Schönreden: Wir haben ja ein sehr gutes Parlamentsarchiv.

(Doris Mandel SPD: Was für ein Unsinn!)

Ich habe hier zum Beispiel die Drs. 16/5636, Senatsmitteilung vom 20. Februar 2001 - man achte auf das Datum, es handelt sich noch um einen SPD-geführten Senat. Dort steht:

"Die Lage auf dem Ausbildungsmarkt (…) hat sich (…) weiter entspannt."

Oder man findet dort so etwas:

"Die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge ist im Vergleich zum Vorjahr um 32 (…) gestiegen."

Das ist natürlich ganz gut. Aber wenn man das heute betrachtet, haben wir eine Steigerung um fast 250 Plätze. Das ist meines Erachtens etwas besser.

(Beifall bei der CDU)

Die SPD behauptet dann, es gäbe einen Wegfall von Ausbildungsplätzen, und suggeriert Abnahme. Das ist falsch. Seit 2003 gibt es mittlerweile einen gegenteiligen Trend.

Wir haben eindeutig eine Zunahme an Ausbildungsplätzen. Sie kritisieren in Ihrem Antrag, dass 50 Prozent der Ausbildungsplätze an Jugendliche aus dem Umland gehen. Mir erscheint die Zahl etwas hoch gegriffen. Aber wie dem auch sei. Man muss dann nur in Ihre alte Senatsmitteilung hineinsehen. Auch damals war das so. Das ist keine neue Entwicklung, die sich irgendwie ergeben hat, sondern auch damals ist schon zu lesen:

"(…), dass der Zuwachs an Ausbildungsstellen in den vergangenen sechs Jahren rechnerisch nahezu vollständig auf Jugendliche aus dem Hamburger Umland entfällt."

Aber dort steht auch:

"Um den Bedarf an qualifizierten (…) Bewerbern zu erfüllen, (…)"

Das heißt, das Problem ist nicht neu. Was Sie beschreiben, ist also in der Tat nicht neu. Was aber passiert, woran liegt es? - Hamburg ist ein attraktiver Wirtschaftsstandort und das hat sich in den letzten Jahren sogar noch gesteigert. Die Wirtschaft wächst, die Beschäftigung wächst, die Arbeitslosigkeit sinkt. Hamburg ist die Wachstumslokomotive Norddeutschlands.

(Michael Neumann SPD: Das ist Ihre Rede aus der Aktuellen Stunde!)

Hamburg ist zum Ausbildungsmagnet geworden.

(Beifall bei der CDU)

Das ist kein Zufall, sondern das ist die Qualität solider Wirtschaftspolitik in Hamburg, sodass Hamburg endlich wieder auf Wachstumskurs ist. Das macht sich auf dem Arbeitsmarkt und auf dem Ausbildungsmarkt bemerkbar.

Sie bemängeln im vorliegenden Antrag, dass zu wenig ausländische Jugendliche einen Ausbildungsplatz fänden. Man muss allerdings feststellen, wenn man in die Statistik schaut, dass der Knick in der Kurve in den Neunzigerjahren eintrat. Das will ich jetzt gar nicht irgendwie SPDgeführten Senaten zuschreiben.

(Michael Neumann SPD: Sie wollten alles besser machen!)

Das ist ein bundesweiter Trend und es liegt auch an Zahlen, die nicht vergleichbar sind. Insofern ist es durchaus schwierig, das so zu bewerten. Wir reden ja heute in der Schulpolitik auch eher von Migrationshintergrund. Insofern muss man schauen, wie sich das wirklich verhält.