Protokoll der Sitzung vom 04.07.2007

Das ist mandatsrelevant und election.de, aber auch wahlrecht.de haben sehr genau nachgewiesen, dass diese Möglichkeit nicht eintritt. Natürlich haben die Leute die theoretische Möglichkeit, aber es geht auch darum, faktisch etwas zu bewirken. Deshalb sollten Sie nicht immer herumtheoretisieren, sondern sehen, was für den Wähler dabei herauskommt und das ist bei Ihnen verdammt wenig, Herr Voet van Vormizeele.

(Beifall bei der SPD)

Genau deshalb haben wir - es ist für die Vielfalt der Debatte durchaus gut, wenn wir drei Vorschläge haben - das bremische Wahlrecht vorgeschlagen, das auf dem niedersächsischen basiert. Es ist insgesamt ein System, das sich in der Praxis durchaus bewährt hat. Aber an dem entscheidenden Punkt, um den es hier geht, welche Auswahl wir den Wählerinnen und Wählern ermöglichen, bewirkt es mehr Demokratie. Es ist übrigens von "Mehr Demokratie" in Bremen selbst eingebracht worden und Ihre bremischen Kollegen in der Bremischen Bürgerschaft haben dieses Wahlrecht auch unterstützt und übernommen; das ist dort auch Gesetz geworden. Das zeigt, dass es an der Stelle die Möglichkeit gibt, einen besseren Kompromiss zwischen der Listenwahl, die auch wir als SPD–Fraktion weiterhin wollen, und dem Persönlichkeitselement zu erreichen. Dieser Kompromiss bildet es wesentlich besser ab. Alle Berechnungen im Verfassungsausschuss haben gezeigt,

(Kai Voet van Vormizeele CDU: Es gab nur eine!)

dass eine deutlich stärkere Veränderung möglich ist. Deshalb treten wir für diesen Kompromiss ein und glauben, dass wir einen guten Vorschlag vorgelegt haben.

Eines zum Schluss: Egal, wie heute die Entscheidung fällt - Ihr Gesetz wird vermutlich die Mehrheit bekommen -, aber glauben Sie nicht, dass dieses Kapitel, Ihr Umgang mit der direkten Demokratie, heute zugeschlagen wird. Dass Sie ein gestörtes Verhältnis zur Demokratie dieser Stadt haben, wird im Herbst beim Volksentscheid und bis zur Wahl ein entscheidender Punkt der Auseinandersetzung in diesem Wahlkampf sein.

(Kai Voet van Vormizeele CDU: Das ist echt eine Frechheit!)

Bis dahin haben wir einen Punkt, bei dem wir vielleicht einmal staatspolitisch zusammenstehen können, nämlich, wie erklären wir dieses Wahlrecht, das aus unterschiedlichen Zutaten zusammengesetzt ist, den Bürgerinnen und Bürgern dieser Stadt.

(Bernd Reinert CDU: Das macht Herr Naumann!)

Hier haben wir alle gemeinsam eine Aufklärungsarbeit zu leisten und das wird eine schwierige Arbeit, der wir uns aber gemeinsam stellen müssen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Das Wort hat Herr Dr. Steffen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Herr Voet van Vormizeele, Sie haben eben kritisiert, dass das Wahlrecht, das wir im Endeffekt haben, in der Tat sehr kompliziert sei, das aber auf den Volksentscheid zurückzuführen sei, der ein solches kompliziertes Wahlrecht eingeführt habe. Natürlich war das bisherige Wahlrecht, das wir bis zur letzten Bürgerschaftswahl hatten, das einfachste Wahlrecht. Aber von diesem Wahlrecht wollte das Volk, das mit Mehrheit in diesem Volksentscheid für dieses neue Wahlrecht gestimmt hat, bewusst weg. Es war bewusst so angelegt, dass es mehr Gestaltungsmöglichkeiten gibt und das bedeutet notwendigerweise, dass ein Wahlrecht komplizierter werden muss.

Ich sage deswegen, so ungern ich meinen Kollegen Farid Müller korrigiere, in der Tat ist vielleicht "Wahlrechtsmonster" nicht der treffendste Begriff als Kritik an dem, was Sie hier vorlegen.

(Bernd Reinert CDU: Ne, nicht?)

Der treffendere Begriff für das, was Sie heute beschließen, ist doch wohl "Wahlrechtszombie".

(Beifall bei der GAL und Unmutsäußerungen bei der CDU)

Wir haben nach wie vor ein Wahlrecht, das in der Anwendung weiterhin ähnlich kompliziert ist, wie es das vom Volk mit guten Gründen beschlossene Wahlrecht ist, ohne dass es vergleichbare Effekte hätte. Es ist also ein Untoter der Demokratie, den Sie heute auf den Weg schicken, man kann nicht einmal sagen, ins Leben rufen.

Es ist tatsächlich ein Trauerspiel, das wir hier erleben. Wir haben dieses an Beispielen im Verfassungsausschuss vorgerechnet bekommen und die Prognosen sind eben nicht total aus der Luft gegriffen, sondern basieren auf Erfahrungswerten in anderen Bundesländern. Diejenigen, die diese Prognosen aufgestellt haben, sagen auch nicht, die Hamburger Wählerinnen und Wähler wären dumm oder irgendwie weniger intelligent; die Verteilung der Intelligenz ist über die Bundesländer relativ gleich verteilt.

(Bernd Reinert CDU: Nein!)

Und warum aus Erfahrung die Wählerinnen und Wähler der Person auf Platz eins die meisten Stimmen geben, ist letztlich dahingestellt. Es mag sein, dass ein Teil das nicht so weit durchschaut und sich nicht die Mühe macht, sich die weiteren hinteren Kandidaten auch noch anzuschauen. Es mag sein, dass tatsächlich erfahrungsgemäß die Parteien diejenigen Kandidatinnen oder Kandidaten nach vorne setzen, die ohnehin schon am bekanntesten sind; so machen das üblicherweise Parteien. Es mag auch sein, dass Parteien im Wahlkampf - so wird es wahrscheinlich auch im Hamburger Wahlkampf sein - die Nummer eins auf der Wahlkreisliste am meisten bewerben; das hat alles seine Effekte. Aber man darf doch nicht die Augen davor verschließen, dass es diese soliden Erfahrungswerte gibt, die auf einer ganzen Menge von

Daten beruhen und diese Erfahrungswerte führen nun einmal zu einem bestimmten Wahlverhalten, das in aller Regel und nicht in jedem Falle bedeutet, dass tatsächlich Platz eins die meisten Stimmen bekommt.

(Kai Voet van Vormizeele CDU: Also keine Verän- derung!)

Nichtsdestotrotz hätte sogar - das hat eine Hochrechnung ergeben - das Volkswahlrecht, das im Rahmen des Volksentscheids beschlossen wurde, bei den Parteien, die nur jeweils einen Kandidaten aus einem Wahlkreis hätten entsenden können, zu einer erheblichen Zahl von Veränderungen geführt, immerhin in 21,4 Prozent der Fälle.

(Bernd Reinert CDU: Die verfassungswidrig gewe- sen wären!)

- Richtig, Herr Reinert.

Aber das Motiv des Volkswahlrechts war eindeutig: Es auch bei diesen Konstellationen zu einer Veränderung zu führen. Wir mussten uns in der Tat umgucken, wie man sich neu orientieren kann.

Unser Gestaltungsspielraum ist natürlich auf der einen wie auf der anderen Seite etwas eingeengt worden, sodass es in der Tat gegenwärtig kein Modell gibt, das es überhaupt möglich macht, bei der Konstellation, dass von einer Partei eine Person aus dem Wahlkreis gewählt wird, zu relevanten Veränderungen zu kommen. Deswegen stellt sich natürlich die spannende Frage, wie es denn bei den anderen Konstellationen aussieht. Da gibt es den statistisch durchaus häufigen Fall, dass in einem Wahlkreis eine Partei zwei Mandate erringt. Nummer eins bekommt die meisten Stimmen, Nummer drei die zweitmeisten Stimmen und gewählt sind Nummer eins und zwei nach dem Wahlrecht, das Sie heute beschließen wollen. Dieses Ergebnis ist absurd und damit legen Sie die Axt an das letzte Stückchen Wurzel, das vom Wahlrecht überhaupt noch zu sehen ist.

(Beifall bei der GAL)

Wir haben uns dagegen bemüht, mit unserem Gesetzentwurf einen Entwurf vorzulegen, der dem Gedanken, dass die Auswahlentscheidung der Wählerinnen und Wähler zwischen den einzelnen Kandidatinnen und Kandidaten im Wahlkreis entscheidend sein soll, noch am meisten Rechnung trägt, soweit das innerhalb des Gestaltungsspielraums möglich ist, den uns das Verfassungsgericht gesetzt hat. Wir haben ganz klar gesagt, wir sehen das auch als eine Kompensation zu der Veränderung, die Sie bei der Landesliste gemacht haben, wo es gar keine personelle Auswahlmöglichkeit mehr geben soll. Wir haben gesagt, dann machen wir es doch einfach so, dass im Wahlkreis die persönliche Wahl stattfindet, wenn auf der Landesliste nur die Parteienauswahl stattfinden kann. Es ist für uns ein wichtiges Ziel, dass dort die persönliche Auswahl stattfindet und dann werden natürlich die Leute auch veranlasst, eine persönliche Auswahl zu treffen und sich mit dem Angebot, das die Parteien jetzt machen müssen, mehr auseinanderzusetzen. Das fänden wir sinnvoll und deswegen haben wir diesen Vorschlag vorgelegt.

(Ekkehart Wersich CDU: Jubel! - Kai Voet van Vormizeele CDU: Standing Ovations!)

Sie haben sehr stark darauf abgestellt, dass Ihr Entwurf von keinem Experten in der Expertenanhörung mit dem

Verdikt der Verfassungswidrigkeit versehen worden sei. Wie das Verfassungsgericht tatsächlich entscheiden würde, weiß keiner und die Neigung, es kurz vor einer Wahl noch einmal auf eine Entscheidung ankommen zu lassen, ist verständlicherweise bei allen Beteiligten begrenzt. Davon hätten auch die Wählerinnen und Wähler wenig.

Deswegen kommt es nicht unbedingt auf die Frage an, wie das Verfassungsgericht entscheiden würde, wenn es irgendwann vielleicht doch noch zu einer Entscheidung kommt, sondern es kommt auf die politische Frage an. Man fragt sich, warum die CDU diese Gelegenheit nicht nutzt, nachdem ihr gesagt worden ist, dass sie mit ihrem radikalen Kurs der Beschneidung der Möglichkeiten der Wählerinnen und Wähler im Wahlrecht in einem zentralen Punkt gescheitert ist, innezuhalten und zumindest ein Stück weit umzukehren. Es sind Modelle vorgelegt worden, es gibt das bremische Modell, es gibt unser Modell. Das bremische Modell ist in der praktischen Anwendung genau das gleiche wie das niedersächsische, nur im Auszählmodus anders. Warum nutzen Sie diese Gelegenheit nicht, ein Signal zu setzen und zu sagen, wir haben verstanden, wir wollen auf die Wählerinnen und Wähler zugehen, wir wollen diesen Gestaltungsspielraum, der ist uns wichtig, das ist uns ein Anliegen. Aber so, wie Sie sich hier verhalten, liefern Sie noch den letzten Beweis, dass Sie das ganze Anliegen des Volksentscheids für übel halten und genau das werden die Hamburgerinnen und Hamburger nicht vergessen.

(Beifall bei der GAL)

Herr Dr. Jäger hat das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU hatte vor allem drei Gründe, das Wahlrecht zu ändern.

(Michael Neumann SPD: Erstens Macht, zweitens Macht, drittens Macht!)

Zum einen war es zu kompliziert, zum anderen war es - das ist mir besonders wichtig - ungerecht, denn die Wählerinnen und Wähler, die die Listenstimmen sowohl im Wahlkreis als auch auf der Landesliste gewählt hätten, hätten keinen Einfluss auf die personelle Zusammensetzung des Parlaments gehabt. Diesen Wählern zum Recht zu verhelfen - das ist immerhin die Mehrheit, wie wir aus den Erfahrungen wissen -, war eines unserer Hauptanliegen.

(Beifall bei der CDU)

Der dritte Grund - der ist fast entscheidend - ist ein Punkt, den sowohl Herr Dressel als auch Herr Müller immer gern verschweigen und auch in dieser Debatte wieder verschwiegen haben. Das vom Volk beschlossene Wahlrecht war in vielen Teilbereichen verfassungswidrig.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Das stimmt nicht!)

Auf diesen Punkt, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, haben die CDU–Abgeordneten in jeder der vielen Debatten, die wir zum Wahlrecht geführt haben, hingewiesen. Die neunmalklugen Experten der Opposition haben nichts unversucht gelassen, uns glauben zu machen, verfassungsrechtlich sei alles in Ordnung. So sagt der Kollege Müller am 11. Oktober 2006, verfassungsrechtliche Bedenken gebe es nicht und der Kollege Dressel führte gebetsmühlenartig am 28. Sep

tember 2005, am 10. Mai 2006 und am 27. September 2006 aus, das Gesetz habe keine verfassungsrechtlichen Fragezeichen oder die CDU spreche von herbeigesuchten verfassungsrechtlichen Bedenken.

Was hat nun das Hamburgische Verfassungsgericht zu diesem Thema gesagt.

(Bernd Reinert CDU: Oh ja!)

"Das Gericht weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Paragraf 4 Absatz 3 des Wahlgesetzes in der Fassung des Volkswahlgesetzes die Anforderungen der Normenklarheit ebenfalls verfehlt. Dabei dürften, da es bei der nach dem Volkswahlgesetz vorgesehenen Regelung das insoweit wirkende Korrektiv der Relevanzschwelle nicht gibt, die aus der Normenunklarheit resultierenden Folgen hinsichtlich der Nichtwertung der Listenstimmen für die Personenauswahl als noch gravierender zu bewerten seien."

Deutlicher kann man es nicht sagen.

(Beifall bei der CDU)