"Ohne den Mindestlohn würden noch mehr Menschen aus Osteuropa zu sehr niedrigen Löhnen auf deutschen Baustellen arbeiten."
Das haben wir nicht nur auf deutschen Baustellen gesehen, das haben wir mit den Schlachtereien in NordrheinWestfalen und andernorts und in vielen einzelnen kleinen Fällen bis hin nach Hamburg gesehen. Darauf müssen
Sie doch eine Antwort geben. Wenn Sie die nicht geben, verweigern Sie sich der Realität, die wir hier vorfinden.
Vergleichen wir uns doch einmal mit England. Auch hier müssen Sie und auch Sie, Herr Senator Uldall, doch eine Antwort geben, wie es kommt, dass mit dem Eintritt eines Mindestlohns in England keine wesentlichen Arbeitsplätze vernichtet wurden. Im Gegenteil. Wenn Sie sich die Arbeitslosigkeit in England anschauen, so hatte die einen ähnlichen Ausgangspunkt wie wir, und zwar in den strukturschwächsten Gebieten Englands, ähnlich wie in Ostdeutschland Anfang der Neunzigerjahre. Dann hat die Arbeitslosigkeit dort kontinuierlich abgenommen. Sie hat auch noch einmal deutlich nach 1998, nach der Einführung des Mindestlohnes abgenommen. Dazu müssen Sie doch etwas sagen, bevor Sie hier das Schreckgespenst vom Verlust von Arbeitsplätzen an die Wand malen.
Schauen wir uns doch einmal an, was ein Mindestlohn in England heißt. 7,80 Euro sind 840 Pfund im Monat oder knapp 1.280 Euro für den Arbeitnehmer. Da der Arbeitgeber in der Regel keine Sozialkosten zu tragen hat, sind das für ihn 1.330 Euro. Ein paar kleinere Abgaben von den Arbeitnehmern kommen noch dazu, dann sind es 1.230 Euro. Das weiß ich so genau, weil mein Betrieb, den ich dort zu leiten habe, gerade explizit - und das war das Erste, was ich überhaupt zu hören bekam - versucht sich zu distanzieren, nicht ein Mindestlohnbetrieb für diejenigen zu sein, die auf dem Shop Floor als Arbeiter arbeiten. Das ist inzwischen zu einem ehrabschneidenden Begriff geworden, dass man ein Mindestlohnbetrieb ist. Das zeigt, dass so etwas auch gute und richtige Normen setzen kann, wenn man einen Mindestlohn hat.
Was bedeutet jetzt der DGB-Vorschlag auf unsere Verhältnisse umgerechnet. Ausgehend von einem Arbeitnehmerbruttolohn heißt das dann ungefähr 7,50 Euro, also 1.230 Euro im Monat. Rechnen wir die Sozialabgaben ab - die Engländer finanzieren das ja über Steuern, wir finanzieren das über Arbeit -, und wenn es eine alleinstehende Person ist, kommen sogar noch etwas Steuern dazu, die er zu zahlen hat, dann bleiben ihm am Ende von dem DGB-Vorschlag im Monat 980 Euro. Das ist knapp über dem Grundsicherungsniveau für Alleinstehende. Wenn der Betreffende noch ein Kind hat, dann wäre er in diesem Fall - und da haben Sie recht - sogar schon Aufstocker und müsste zur ARGE. Wir reden also von einem Nettostundenlohn von unter 6 Euro, 5,90 Euro, je nachdem, wie viel Stunden er genau arbeitet. Wenn er mehr als eine Person hätte, müsste er zur ARGE gehen und aufstocken. Darauf müssen Sie doch eine Antwort geben und einen Riegel davorschieben. Mit dem neuen Grundsicherungssystem finanzieren wir am Ende den Wettbewerb in einfachsten Dienstleistungen,
wohnortnahen Dienstleistungen, die, weil man sich nur noch über Löhne unterscheiden kann, nur noch über Löhne geführt werden und am Ende zu Dumpinglöhnen führen. Sie müssen doch eine Antwort darauf geben, wie wir als Gesellschaft verhindern wollen, dass wir Dumpinglöhne über die Aufstockung bei der Grundsicherung staatlich subventionieren.
Das sind Fragen der Zukunft. Wenn Sie die nicht adressieren, sondern auf eine Vereinbarung von vor hundert Jahren zurückgreifen, Herr Lemke, dann springen Sie wirklich zu kurz. Sie haben keine Antwort auf Dumpinglöhne gegeben, auf die Wanderarbeiter nicht und Sie geben keine Antwort darauf, wie wir unser Sozialsystem finanzieren sollen. Das hat vielleicht auch einen Grund, weil bei Ihnen meiner Ansicht nach - das zeigt auch die Debatte, wenn man ein bisschen auf die Bundesebene guckt - etwas ins Schleudern geraten ist und Sie Ihre ordnungspolitische Orientierung verloren haben. Es ist damit eindeutig eine Verbindung zwischen Mindestlohn und Grundsicherung zu ziehen und diese Verbindung haben Sie im letzten Sommer noch einmal versucht, politisch zu bestreiten. Das hat einen guten Grund. Da kommen wir zu einer Debatte der CDU - ein Schelm, der Böses dabei denkt - von Volker Kauder, Bundestagsfraktion, Ronald Pofalla, Laurenz Meyer, die sagen, dass wir in Deutschland eigentlich noch ein zu hohes Grundsicherungsniveau haben und es noch senken müssten. Dann wäre es eigentlich ehrlich gewesen, wenn Herr Wersich in seinem Zeitungsinterview, in dem er erklären sollte, wie man mit 2,56 am Tag ein Kind ernähren soll, noch dazu gesagt hätte, im Übrigen ist es nicht nur schwierig, sondern wir von der CDU sind dafür, dass es noch weniger sein soll. Vor dieser Debatte haben Sie natürlich Angst, aber das ist das, wo sie gedanklich herkommt. Deswegen gehen Ihnen bei dieser Debatte die Argumente aus.
(Beifall bei der SPD und der GAL - Michael Neu- mann SPD: Und schicken so einen Typen an das Rednerpult!)
Ihre Thesen zeigen, dass Sie in einer veränderten ökonomischen Wirklichkeit im europäischen Binnenmarkt die Orientierung verloren haben. Das ist schlimm, aber das ist Ihr Problem. Wir Sozialdemokraten stellen das würdevolle Auskommen von Menschen und den Erhalt ihrer Schaffenskraft in den Mittelpunkt unserer Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik. Der Mindestlohn ist, wie es sich in 22 Ländern im europäischen und im englischen Ausland zeigt, mit dem wir wirtschaftlich noch am besten vergleichbar sind uns auch direkt vorgelebt wurde, eine einfach Antwort, um die Beschäftigten vor Ausbeutung zu schützen.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Entwicklung im Niedriglohnsektor ist ohne Frage ein wichtiges und drängendes Thema. Vieles von dem, was beschrieben worden ist - darüber brauchen wir nicht zu diskutieren, da sind wir uns einig -, bedrückt uns alle. Die Diskussion selber hat viel mit Fragen der Gerechtigkeit zu tun, der Frage, was ist gerechter Lohn. Hingegen kann man die Frage, was sittenwidrige Löhne sind, schon eher abgrenzen. Aber insgesamt sind das sehr schwierige Fragen, in die man tief einsteigen sollte, wenn man sich damit auseinandersetzt. Ich habe mir auch die Antwort durchaus nicht leicht gemacht und versuche, jede Information, die erhältlich ist, für mich auszuwerten. Ich persönlich bin der Meinung - das müssen wir auch gar nicht aufgeregt und mit vielen Zwischen
rufen und Geschrei diskutieren -, dass Ihr Konzept oder Ihr Lösungsvorschlag nicht der richtige ist. Das ist das, was ich Ihnen dazu sagen kann. Ich bin nicht davon überzeugt, dass ein Mindestlohn für alle Branchen und alle Regionen die richtige Antwort ist.
Nach meiner Auffassung würde das mehr Staat und mehr Bürokratie bedeuten. Ich kann das Argument, das von Ihnen gebracht worden ist, auch nicht als entkräftet sehen. Es würde auch den Verlust von vielen, möglicherweise Hunderttausenden von Arbeitsplätzen bedeuten. Ich habe das, was Sie, Herr Grund und auch Herr Dees, über den englischen Arbeitsmarkt gesagt haben, durchaus mit Interesse gehört. Aber ich würde auch gerne einmal mit Ihnen darüber diskutieren, inwieweit das vergleichbar ist. Ich möchte - ehrlich gesagt - vieles vom angelsächsischen System nicht übernehmen. Ich halte das auch nicht für gut vergleichbar.
Ein weiteres Beispiel zum Thema Niedriglohn - Herr Senator Uldall hat das schon angesprochen - ist Frankreich mit der hohen Jugendarbeitslosigkeit. Das halte ich auch für problematisch. Insofern weiß ich nicht, ob man das wirklich so übernehmen kann, was Sie dort gesagt haben. Ich halte vieles von dem eher für ein Wunschdenken als dass es mit der Realität zu tun hat. Das ist leider so.
Ich fürchte, dass beim gesetzlichen Mindestlohn auch weniger Mitbestimmung und Flexibilität da ist. Hinzu kommt auch, dass die Gefahr von Umgehungen besteht. Es war gerade diese Woche durch die Medien gegangen, dass es auch im Baugewerbe nicht so gut läuft wie man sich das vorstellt. Auch dort ist es so, dass wahrscheinlich über 100.000 Arbeitsplätze unter dem dort festgelegten Mindestlohn bestehen. Insofern ist die Frage, inwieweit das Rezept wirklich so übertragbar ist.
Sie haben gesagt, dass gar nichts passiert wäre. Das ist aber nicht der Fall, sondern nach Monaten zäher Verhandlungen hat die große Koalition, der zumindest Sie angehören, beim Thema Mindestlohn einen Kompromiss im Sommer erzielt. Ich habe in der Diskussion das Gefühl, dass das vielen und gerade auch den Zwischenrufern entgangen ist.
In jeder Branche und überall in Deutschland können Mindestlöhne festgesetzt werden, wenn es die Tarifparteien wollen. Das ist in meinen Augen eine Stärkung der Tarifautonomie.
Ich bin der Auffassung, dass der Staat sich auch verhebt, wenn er hier versucht, mit irgendwelchen Kommissionen eine bestimmte Summe festzulegen. Alle genannten Zahlen hören sich eher aus der Luft gegriffen an, als dass sie von der Realität geprägt sind.
Eine weitere Sache: Lösung für Bereiche mit geringer Tarifbindung. Wenn diese Tarifparteien das wollen, setzt das voraus, dass wir eine hohe Tarifvertragsbindung
haben. Auch dort soll es so sein, dass das Mindestarbeitsbedingungsgesetz aus dem Jahr 1952 überarbeitet wird. Das sehe ich durchaus als eine vernünftige Sache an. Ich würde in diesem Kompromiss auch einen Sieg der Tarifautonomie sehen und da sind Sie zum Beispiel, Herr Grund, durchaus gefordert.
Auch der Vorwurf von Ihnen, die CDU bewegt sich nicht, ist falsch. Dann haben Sie doch alles, was in Berlin passiert ist, gar nicht zur Kenntnis genommen. Das kann man doch nicht uns unterstellen. Abgesehen davon, dass das kein Landesthema, sondern ein Bundesthema ist,
ist es total unfair, dass Sie unterstellen, dass sich hier keiner bewegt. Im Koalitionsvertrag war ursprünglich die Ausweitung auf das Entsendegesetz für Gebäudereiniger vorgesehen. Da ist doch in der letzten Zeit wesentlich mehr getan worden. Sie sagen, da bewegt sich nichts. Den Vorwurf finde ich total unfair.
Ich kann zum vorliegenden Antrag nur sagen - der erste Antrag ist ein bisschen älter, da hatten Sie das Thema schon einmal. Aber nun kommen die Schatten des Wahlkampfes ein bisschen näher und da haben Sie jetzt mehrfach irgendwelche Themen aus dem Bundesrat, die Sie hier ein wenig aufdröseln wollen. Ich sehe darin mehr oder weniger den Versuch, ein vermeintlich populäres Bundesthema in den Hamburger Wahlkampf oder in dieses Haus zu ziehen. Mehr nicht.
Das ist durchaus legitim, das zu tun, das kann Ihnen keiner verbieten, aber ich finde es unlauter. Sie tun so, als wären Sie überall in der Opposition. In Berlin sind Sie es aber nicht und deswegen sollten Sie sich damit auch ein bisschen angemessener befassen.
Ich fasse unsere Argumente noch einmal zusammen: Wir sind gegen Lohndumping und Ausbeutung. Das sage ich hier ganz klar. Wir sind aber auch gegen einen vereinheitlichten und flächendeckenden Tarifvertrag.
Wir sind für branchenspezifische Verhandlungen von den Tarifparteien in freien Verhandlungen festgelegten Abschlüssen.
Unser Ziel muss es sein, dass in Deutschland für die erbrachte Arbeit auch ein anständiger Lohn gezahlt wird. Ich glaube, da sind wir uns alle einig, denn der gerechte Lohn und die Frage, wie man dazu kommt, sind für uns urchristliche Themen.
Das sind die großen Themen der christlichen Demokraten. Auch wenn Sie darüber lachen, das weiß ich, das