Protokoll der Sitzung vom 23.01.2008

(Beifall bei der GAL - Christian Maaß GAL: Früher hat man das Erlebnispädagogik genannt!) - Genau, früher hat man das Erlebnispädagogik genannt. Das war das, was die CDU verteufelt hat, wenn die Jugendlichen irgendwo einmal Kanu gefahren, geklettert oder gewandert sind. Das war ganz schrecklich und in diesen Erziehungscamps wird das jetzt befürwortet. Das finde ich ein bisschen erstaunlich. Zur Senatorin Dinges-Dierig. Ich glaube, wenn Sie jetzt mit Zahlen aufwarten, die selbst die schulpolitischen Sprecher nicht kennen, ist das eine Sache, aber Sie werden auch nicht dafür kritisiert, sondern es geht darum, dass Ihnen nach sechs Jahren einfällt, da war doch mal was, da war doch diese Schulpflicht, die müssen wir doch irgendwie einmal durchsetzen. Das ist der Hauptkritikpunkt, dass Sie hier Maßnahmen ergreifen und als neue Maßnahmen verkaufen, die eigentlich völlig selbstverständlich sind. Dagegen richtet sich die Hauptkritik. (Vereinzelter Beifall bei der GAL)

Dann zu Senator Nagel. Von Ihnen, Herr Senator, wie von allen Senatorinnen und Senatoren würde ich mir eine differenziertere Betrachtungsweise wünschen. Dazu gehört zum Beispiel, dass Sie anerkennen, dass die GAL ein eigenständiges Konzept zur Bekämpfung von Jugendgewalt eingebracht hat, und zwar schon im September. Das ist vielleicht in der Öffentlichkeitsarbeit, die wir dazu gemacht haben, an Ihnen vorbeigegangen. Dieser Antrag, der heute vorliegt, ist ausschließlich von der SPD. Meine Kollegin Antje Möller erzählte bereits, dass es Punkte gibt, denen wir zustimmen können und dass es Punkte gibt, die wir ablehnen. Sie habe das so schön über einen Kamm geschoren, gerade in dem Punkt flächendeckendes Alkoholverbot. Das ist zum Beispiel ein Punkt, den wir ablehnen, weil wir glauben, dass das nicht sinnvoll ist.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Das steht da auch nicht drin!)

Dann haben Sie allesamt, Herr Hesse und Herr Nagel, sich über unsere beiden Projekte lustig gemacht, die wir vorgestellt haben. Das ist ganz typisch, weil Sie auch da

nicht differenziert genug hingesehen haben. Das ist uns klar, dass das nicht die Projekte sind, die die Jugendgewalt beseitigen, aber sie stoßen genau in eine Lücke, die Sie nicht erfüllen. Für Sie macht härtere Strafe Sinn. Dann werden die Jugendlichen diese Strafe absitzen und was passiert dann? Dann passiert gar nichts. Wir nennen es sogar präventiv begleiten, wenn sie aus der Haft herauskommen. Wir müssen ihnen die Möglichkeit eines Jobs anbieten - und dazu ist die "agentur jobtransfer" da - und ihnen Perspektiven eröffnen. Das ist das, was in Ihrem Konzept völlig fehlt. Da klafft eine riesige weiße Lücke in Ihrem Konzept.

(Beifall bei der GAL)

Das zweite Projekt, das wir vorgestellt haben, ist ein Jugendhilfeprojekt, ein präventives Projekt. Auf diese noch größere Lücke im Sinne der Jugendhilfe gehe ich gleich noch ein.

Lassen Sie mich vorweg noch einmal zu dem SPDAntrag etwas sagen. Ich finde, er zeichnet sich durch Detailliebe aus

(Dr. Andreas Dressel SPD: Ja, so sind wir!)

und wird dadurch den komplexen Problemen der Bekämpfung der Jugendgewalt sicherlich gerechter als die CDU, die mehr auf repressive Pauschallösungen setzt.

Ich hatte schon erwähnt, dass wir in einigen Punkten zustimmen. Das sind vor allen Dingen die präventiven Punkte. Sehr gut finde ich, mehr Migranten in den Polizeidienst und männliche Erzieher - ein altes Konzept von uns, das wir schon in unserem Fraktionsprojekt gefordert haben -, möglichst auch mit Migrationshintergrund, in den Kitas einzustellen und natürlich auch entsprechende Lehrer in den Schulen.

Sehr schön ist, dass auch die SPD jetzt verstärkt die Jungenarbeit entdeckt hat, denn wichtig ist - und da braucht die CDU noch ein bisschen länger, um dazuzulernen -, dass unsere Jugendgewalt Gewalt von Jungen ist. Das wird vonseiten der CDU-Fraktion überhaupt nicht wahrgenommen und taucht in Ihrem Konzept gar nicht auf.

(Klaus-Peter Hesse CDU: Mädchengewalt steigt auch an und das wissen Sie!) - Wir reden hier über die Gewalt, die uns wirklich Sorgen macht, und das ist die Jungengewalt. Aber es gibt auch Punkte der Ablehnung und da würde ich gerne auf zwei Punkte eingehen. Der eine Punkt ist das Fahrverbot, das auch im Konsens mit der CDU ist. Glauben Sie wirklich, dass das eine sinnvolle Maßnahme ist? Über welche Klientel reden wir denn hier von Jugendlichen? Das sind doch die, die im Allgemeinen oft als sogenannte Loser bezeichnet werden. Das sind Jugendliche, die keine Ausbildung, keinen Job und kein Geld zur Verfügung haben. Meinen Sie, dass sich diese Jugendlichen einen Führerschein, der jetzt durchschnittlich 1.200 Euro kostet, oder ein Auto leisten können? Mit solch einem Fahrverbot treffen Sie diese Jugendlichen nicht. Da müssen ganz andere Maßnahmen her. (Beifall bei der GAL)

Was wir zweitens selbstverständlich ablehnen, ist die Einrichtung einer geschlossenen Unterbringung. Es ist völlig egal, ob sich die in Hamburg oder auf dem platten

Land befindet. Es geht um das Konzept, Jugendliche einzusperren zur Erziehung. Das funktioniert nicht. Das haben wir in Hamburg gesehen und das wird auch nicht auf dem platten Land funktionieren.

(Klaus-Peter Hesse CDU: Aber im Camp?) - Sie haben den Unterschied immer noch nicht verstanden, Herr Hesse. Ein Camp ist eine offene Einrichtung, in die die Jugendlichen kommen, wenn sie dort reinpassen und wo ein ganz anderes Verhältnis besteht, weil die Türen nicht hinter den Jugendlichen abgeschlossen werden wie in der Feuerbergstraße und der Erzieher nicht den Schlüssel in der Hand hat und gleichzeitig zuschließt. Das ist der große Unterschied. (Beifall bei der GAL - Klaus-Peter Hesse CDU: Ist er nicht!)

Wenn ich über geschlossene Unterbringung rede, bin ich gleich bei meinem Kernthema. Bei beiden Konzepten, die uns heute vorliegen, muss ich mich über die Beharrlichkeit wundern, die beide Fraktionen an den Tag legen, wenn es um das Ausklammern der Jugendhilfe geht. In keinem dieser Konzepte finde ich auch nur ansatzweise Punkte, die dort zur Stärkung der Jugendhilfe stehen. Da unterscheidet sich der GAL-Ansatz erheblich. Wir haben genau dieselben präventiven Maßnahmen in Kita und Schule. Das ist unbestritten alles gleich. Wenn Sie unsere Ansätze einmal dazu lesen, so geht es darum, dass wir mit den Jugendlichen auf der Straße arbeiten müssen, dass wir Cliquenarbeit machen müssen, dass wir die Jugendlichen dort aufsuchen, wo sie sind. Senator Nagel, das ist dieses, was Sie gerade gesagt haben, "niedliche" Projekt, das wir gestern in Berlin vorgestellt haben. Wir haben die Berliner Organisation Outreach vorgestellt, die genauso arbeitet wie ich es mir für Hamburg vorstellen könnte. Das sind 60 Straßensozialarbeiter, die zu den Brennpunkten gehen. Die gehen genau dorthin, wo sich Jugendliche zusammenrotten, wo möglicherweise Gewalt entstehen kann, wo Brennpunkte sind und arbeiten mit diesen Jugendlichen, 60 Mitarbeiter allein in einer Organisation. In Hamburg haben wir laut einer Anfrage, die wir im letzten Jahr an den Senat gerichtet haben, 30 Straßensozialarbeiter. Der einwohnerstärkste Bezirk Wandsbek mit über 400.000 Einwohnern hat viereinhalb Straßensozialarbeiter. Bergedorf mit all seinen Brennpunkten hat zwei Straßensozialarbeiter. Wenn man das so kürzt und zusammenstreicht und nicht aufbaut, dann muss man sich doch nicht wundern, dass die Brennpunkte auf den Straßen explodieren.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Der Jugendhilfe kommt eine Schlüsselrolle zu und beide Fraktionen werden dieser Schlüsselrolle nicht gerecht. Darum, denke ich, ist eine Nachbesserung erforderlich. Ich kann mir auch vorstellen warum, zumindest bei Senatorin Schnieber-Jastram. Das gefiel mir übrigens in dem SPD-Antrag sehr gut. Da stand in der Begründung so schön die Charakterisierung der einzelnen Senatorinnen und Senatoren. Das sehr gut getroffen war. Bei Senatorin Schnieber-Jastram war es ganz deutlich zu lesen. Einseitig hat sie auf das FIT und auf die geschlossene Unterbringung gesetzt. Andere Ideen wurden gar nicht weiterentwickelt. Das ist ja auch klar: 1,6 Millionen Euro für die geschlossene Unterbringung, das FIT, personell hervorragend ausgestattet, leistet trotzdem nicht die Arbeit, die wir uns wünschen und für möglich halten. So einseitig ausgerichtet können neue Jugendhilfeeinrichtungen nicht

entwickelt werden. Vorhin kam dann noch der Vorwurf, dass der ASD damals nicht in der Lage dazu war. Warum war er nicht in der Lage dazu? Hätten Sie den ASD von Anfang an mit der personellen Ausstattung versehen wie das FIT, hätten die Mitarbeiter natürlich genau dieselbe Arbeit gemacht wie das FIT jetzt. Also ist das überflüssig.

(Klaus-Peter Hesse CDU: Sie haben uns doch die Baustelle hinterlassen!)

Sie haben es versäumt, neue Impulse zu setzen und die Jugendhilfe weiterzuentwickeln. Im Gegenteil. Sie haben gute Modellprojekte zusammengestrichen. Ein gutes Modellprojekt ist die ambulante intensive Begleitung, extra gedacht für straffällige, auffällige Jugendliche. Das wurde sehr positiv evaluiert und war ein Projekt des Rauhen Hauses. Was macht diese Regierung, damals noch mit Schill und FDP? Als erste Tat hat sie dieses Modellprojekt eingestellt. Das ist klar, das passte nicht in den politischen Rahmen, weil man die geschlossene Unterbringung wollte.

Für uns ist klar, dass die Jugendhilfe einen viel stärkeren Stand bei der Jugendgewalt bekommen muss. Wir müssen weg von der traditionellen Jugendhilfe, wo wir die Einrichtung haben und warten, dass die Jugendlichen zu uns kommen. Nein, wir müssen zu den Konfliktherden hingehen.

(Klaus-Peter Hesse CDU: Da habe ich Sie noch nie gesehen!)

Dazu brauchen wir Straßensozialarbeiter, aber auch Einrichtungen, wie zum Beispiel das Outreach in Berlin, die noch weit darüber hinausgehen, weil sie auch Familienarbeit machen und den Jugendlichen Perspektiven aufzeigen. Das ist hier politisch nicht gewollt und darum wird Ihnen Ihr Konzept, der Kampf gegen die Jugendgewalt, vor die Füße fallen und schlimmer noch: Sie werden keinen Erfolg damit haben, weil Sie nicht dort ansetzen, wo es wichtig ist.

Ich möchte zum Schluss noch einmal das "Hamburger Abendblatt" von gestern zitieren, wo der 59-jährige Richter Plewig, der gleichzeitig Erziehungswissenschaftler ist, gesagt hat:

"Nicht Polizei und Staatsanwaltschaft, sondern Schule und Jugendhilfe sind im Kampf gegen Jugendgewalt vorrangig gefordert."

Das sollten Sie beachten, meine Damen und Herren. Dieser CDU-Senat, allen voran Senatorin SchnieberJastram, baut die Jugendhilfe nicht aus, spart sie kaputt und hinterher kommen Sie mit Ihrem Reparaturkonzept, das eine so einseitige Repressionsschieflage hat, dass es nicht funktionieren kann.

(Beifall bei der GAL und bei Dirk Kienscherf SPD)

Das Wort bekommt Frau Veit.

Vielen Dank, Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Senator Nagel, ich weiß nicht, was Sie da auf Ihrer Fachtagung gemacht haben, aber mit der Situation der Kinder und Jugendlichen in Hamburg scheinen Sie sich nicht besonders beschäftigt zu haben.

(Beifall bei der SPD und bei Dr. Till Steffen GAL)

Mir ist auch nicht klar, warum Sie mit solch einer Fachkonferenz angeben, während Sie sich gleichzeitig der Expertenanhörung im Ausschuss verweigert haben. Herr Hesse, wo Sie doch angeblich so viele tolle Zahlen haben. Ich gehe jetzt nur auf eine ein, aber die Zahl der Schulabbrecher dümpelt seit 2001 um die 11 Prozent herum. Die hat vielleicht einmal zwischen 10,7 und 12 Prozent geschwankt.

(Bernd Reinert CDU: Nein, jetzt ist sie bei 10,3! - Michael Neumann SPD: Ja, seitdem Sie nicht mehr im Schuldienst sind!)

Da mögen Sie eine Differenz von 18 Prozent errechnet haben, aber Fakt ist doch, dass es in dieser Stadt Stadtteile mit Schulabbrecherquoten von 30 bis 40 Prozent gibt. Was ist das denn für eine Zahl und das ist der eigentliche Skandal. Da brauchen Sie hier nicht mit kleinen Rosinenpickereien anzukommen.

(Beifall bei der SPD)

Ich weiß auch nicht, Herr Hesse, weswegen Sie sich hier ständig für Ihr ewig am Rande der Illegalität herumdümpelndes Scheiter- und Schauerprojekt Geschlossene Unterbringung Feuerbergstraße rühmen. Das ist wirklich nicht das, was uns an dieser Stelle weiterbringt.

(Beifall bei der SPD)

Über den ASD reden wir nachher noch. Ich möchte jetzt ein paar Realitäten ansprechen, die nicht so viel mit Wahlkampf zu tun haben, aber mit den Jugendlichen in dieser Stadt.

Dass Junge meinen, die Alten verstünden sie nicht, ist wahrscheinlich so alt wie die Menschheitsgeschichte. Dass Veränderungen und Fortschritt entstehen, gerade weil die Jungen sich anders verhalten als die Alten, liegt auf der Hand. Wie Gesellschaften aussehen, in denen alte Männer versuchen, Veränderungen mit staatlicher Gewalt und Unterdrückung zu verhindern, das können wir uns an verschiedenen Stellen dieser Welt angucken. Das wollen wir nicht. Wir wollen und müssen akzeptieren, dass sich auch unser Zusammenleben verändert. Ich glaube, bis dahin sind wir uns weitgehend einig hier im Hause.

Einigkeit besteht wahrscheinlich auch noch darin, dass wir bei aller Veränderung nicht wollen, dass bestimmte menschliche oder gesellschaftliche Normen über Bord geworfen werden. Niemand hier akzeptiert Gewalt und Unterdrückung. Schläger, zumal Totschläger, wollen wir alle nicht und auch keine sinnentleerte Zerstörungswut.

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen, dass jeder angstfrei und ohne Bedrohung leben kann, zu jeder Tageszeit und in jedem Viertel. Herr Dr. Jäger, das ist schon ein Hamburger Problem. Ich denke, das gilt für die CDU und den Senat genauso wie für uns und natürlich für die GAL.

Erschreckend finde ich aber, wie unfähig und unflexibel sich bisweilen unser Staat und auch dieser Senat zeigen, dafür die nötigen Voraussetzungen zu schaffen. Fragen muss man doch, warum junge Leute aufeinander losgehen, warum Rentnerinnen und Rentner verprügelt und zusammengetreten werden, warum wir in stetig zunehmendem Maße auf mutwillig herbeigeführte Zerstörungen treffen. Statt an den Symptomen herumzudoktern, gilt es, die Ursachen zu bekämpfen und darin liegt auch der

entscheidende Unterschied zwischen Ihrem dürftigen Konzept, Herr Senator Nagel, und uns, meine Damen und Herren von der CDU. Gegen Gewalt gehen wir Sozialdemokraten mindestens so entschlossen vor wie Sie, aber genauso entschieden bekämpfen wir die Ursachen von Gewalt.

(Beifall bei der SPD)

Wenn hier immer wieder verschiedene Einzelmaßnahmen hervorgehoben werden, dann zeigt das das ganze Dilemma, Ihre Hilflosigkeit auf. Natürlich wird jede kleine Hilfe irgendetwas bewirken, aber Sie sollten so ehrlich sein und zugeben, dass ein paar Erzieherstunden hier und ein Sozialarbeiter dort am grundsätzlichen Dilemma Ihrer Politik nichts verändern wird. Sie haben gerade in den von Ihnen selbst identifizierten benachteiligten Stadtteilen Ganztags-Kitaplätze und Krippenplätze verhältnismäßig abgebaut. Jetzt kommen Sie hier mit einem "earlystarter"-Präventions-Projekt. Da nennen Sie absolut ehrgeizige Präventionsprojekte im Kindergarten, die es im Bundesgebiet alle schon gibt. Vier gleichzeitig wollen Sie umsetzen, die teilweise wissenschaftlich vorbereitet und begleitet werden müssen, die anspruchsvoll und aufwendig sind, mit Elterngruppen und intensiver Arbeit am Kind. In Hamburg-Mitte, zweifellos der am meisten belastete Bezirk, wollen Sie zur Realisierung dieser vier hochanspruchsvollen Projekte ganze eineinhalb Stellen zur Verfügung stellen. Ich finde, das zeigt überdeutlich, wie wenig ernst Sie es meinen.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Meine Damen und Herren, Senator Nagel! Auf diese Art und Weise können Sie noch weitere hundert Maßnahmen erfinden. So werden Sie das Problem nicht lösen.