Protokoll der Sitzung vom 17.09.2008

Ich stelle fest, dass die Bürgerschaft von der Drucksache 19/981 Kenntnis genommen hat.

Ich rufe auf Tagesordnungspunkt 14. Antrag der SPD-Fraktion: Kinder- und Jugendlärm gegenüber anderen Lärmquellen privilegieren, Drucksache 19/1023.

[Antrag der Fraktion der SPD: Kinder- und Jugendlärm gegenüber anderen Lärmquellen privilegieren – Drs 19/1023 –]

Hierzu liegt Ihnen als Drucksache 19/1098 ein gemeinsamer Antrag von GAL- und CDU-Fraktion vor.

[Antrag der Fraktionen der GAL und der CDU: Regelung zum Lärmschutz schaffen: Kinderlärm privilegieren – Drs 19/1098 –]

Beide Drucksachen möchte die SPD-Fraktion an den Familien-, Kinder und Jugendausschuss überweisen. Wer wünscht das Wort? – Frau Weggen.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Schon in der letzten Bürgerschaftssitzung ist deutlich geworden, dass wir alle eine neue Gesetzesregelung wollen, die Geräuschbelastungen, die von Kitas ausgehen, neu bewertet, und die Voraussetzungen dafür schafft, dass Streitigkeiten wie um die Kita SterniPark und Marienkäfer zukünftig der Vergangenheit angehören.

Wir alle wollen den Kitas Existenzsicherheit bieten, damit sie nicht schon bei der Eröffnung befürchten, bald wieder schließen zu müssen. Dazu gehört auch, Konflikten mit Nachbarn vorzubeugen, beziehungsweise, falls diese ausbrechen, sinnvolle Regelungen zur Lösung bereitzuhalten.

(Beifall bei der GAL und bei Stephan Müller CDU)

Der Bedarf an Kitas in Hamburg ist groß, das wissen wir alle. Dabei ist eine wohnortnahe Versorgung sehr wichtig, damit Väter und Mütter ihre Kinder morgens nicht kilometerweit mit dem Auto zur Kita fahren müssen. Das ist auch aus Klimaschutzgesichtspunkten von Bedeutung, hier fängt bereits der Klimaschutz an.

Wir sind uns alle weitestgehend einig, dass wir neue Regelungen brauchen. Das wurde in der letzten Bürgerschaftssitzung deutlich und das schlägt sich auch in den beiden Anträgen nieder, die uns heute vorliegen. Aber es zeigt auch, dass die bisher bestehende Gesetzesregelung nicht weitgehend genug ist. Das wollen wir ändern.

In der Stadt ist Lärmbelastung ein besonders großes Problem und konstanter Lärm kann psychisches und soziales Wohlbefinden stark beeinträchtigen und macht auf Dauer häufig sogar krank. Das Umweltbundesamt erklärt in diesem Zusammenhang, dass Belästigungsreaktionen bereits bei einem Dauerschallpegel von 50 Dezibel auftreten. Wenn man berücksichtigt, dass in Hamburg rund 360 000 Menschen bis zu 24 Stunden am Tag mit einer Geräuschbelastung durch Verkehrslärm von

(Anja Domres)

über 55 Dezibel ausgesetzt sind, zeigt das eine Problematik, die auf keinen Fall vernachlässigt werden darf, denn die gesundheitliche Beeinträchtigung, die von Verkehrslärm ausgeht, ist hinreichend bekannt.

Aber auch das Gezwitscher eines Vogels kann die 50 Dezibel-Marke leicht überschreiten und wer würde auf die Idee kommen, eine Symphonie von Beethoven besonders leise zu hören. Auch da geht man nicht davon aus, dass das krank machen könnte. Auch spielende, lachende und kreischende Kinder sind selbstverständlich laut. Aber man muss sich dabei die Frage stellen, ob es sich wirklich um Lärm handelt und ob ein kreischendes Kind eine Belastung wie ein dröhnender Presslufthammer ist. Nein, das ist natürlich nicht so. Lachende und juchzende Kinder sind etwas Schönes und für ihre Entwicklung ist es wichtig, auch einmal laut zu sein.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der CDU)

Daran wird deutlich, dass man bei der Bewertung von Lärm ein sehr wichtiges Kriterium berücksichtigen muss, und zwar die soziale Erwünschtheit der Umgebungsgeräusche. Lärm muss auch kulturell und nicht nur nach messtechnischen Maßstäben bewertet werden. Kinder mit all dem Lärm, den sie machen, gehören zum Leben dazu; der Presslufthammer leider manchmal auch, aber eben auch nur leider. Die meisten Menschen betrachten Kinderlärm als das, was er ist, als eine normale Geräuschkulisse, die – vor allem in der Stadt – dazu gehört.

Das findet sich auch in der bundesweiten Gesetzgebung wieder. Die TA Lärm des Bundesemissionsschutzgesetzes ist an dieser Stelle ausdrücklich nicht anzuwenden. Wir bestärken das, indem wir Kinderlärm gegenüber Gewerbelärm klar privilegieren wollen. Die Konsequenz, die wir daraus ziehen sollten, ist, dass Kinderlärm – rechtlich und wissenschaftlich fundiert – neu bewertet wird. Dabei muss auch berücksichtigt sein, dass Kinderlärm sozial erwünscht ist. Das ist ein wichtiger Punkt, der geprüft werden muss. Auch die Frage nach Grenzwerten muss differenziert betrachtet werden. Zum einen könnten Kitas durch Grenzwerte eine Bestandssicherheit geboten werden, wenn die Grenzwerte eingehalten werden. Zum anderen kann aber genau das Gegenteil verursacht werden, wenn eine Kita, die diese Grenzwerte nicht einhalten kann, in ihrem Bestand sofort gefährdet ist.

Darüber hinaus müssen Regelungen gefunden werden, die Lärmemissionen beschränken. Das könnte beispielsweise durch möglichst leise Spielgeräte geschehen. Eine Holzrampe, wie sie beispielsweise bei der Kita SterniPark geplant war, ist in diesem Zusammenhang nicht zielführend. Aber wenn man bereits im Vorfeld bei dem Genehmigungsverfahren klare Regelungen an der Hand

hat, könnten sicherlich Alternativen gefunden werden.

(Dr. Monika Schaal SPD: Na, geht doch!)

Diese entscheidenden Fragen müssten zunächst geklärt werden.

Meine Damen und Herren von der SPD, Ihr Antrag nimmt eine solche notwendige Prüfung leider vorweg. Wenn Sie das prophylaktisch in einen Gesetzestext hineinschreiben, dann ist es so, als wenn man ein Haus baut, ohne sich vorher über die Statik Gedanken zu machen.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Einfach im Nebel zu stochern, bringt leider gar nichts. Im Gegenteil. Eine genaue und differenzierte Auseinandersetzung mit dem Thema und eine genaue Prüfung sind erforderlich und sinnvoll, damit wir eine Gesetzeslage schaffen können, die einen sinnvollen rechtlichen Rahmen bietet. Das ist wichtig, damit Kitas gesichert sind und neue geplant werden können, mit denen auch die Nachbarn zufrieden sind. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der CDU)

Das Wort hat der Abgeordnete Müller.

Frau Präsidentin, sehr verehrte Damen und Herren! Frau Weggen, Sie stellten die Frage, ob es sich hierbei um Lärm handelt. Wenn man sich die Definition von Lärm anschaut, so wird in der Regel von "unerwünschten Geräuschen" gesprochen, die zu Gesundheitsschäden führen können. Sie haben die Frage für uns schon mitbeantwortet. Kinderlärm gehört für uns ganz sicher auch nicht dazu, Kinderlärm ist erwünscht.

(Beifall bei der CDU, bei Horst Becker und Dr. Eva Gümbel, beide GAL)

Es gibt allerdings durchaus vermeidbare Situationen. Im konkreten Fall Kita Reventlowstraße erinnere ich mich an Berichterstattungen in den Zeitungen, wonach Nachbarn der Kita befragt wurden, ob sie die Geräuschkulisse, die von der Kita ausgingen, als störend empfinden. Ich glaube, in der Zeitung mit den vier großen Buchstaben stand, dass ein älteres Ehepaar daraufhin sagte, nein, das stört uns überhaupt nicht. Im Gegenteil, wir finden das schön. Es stört uns nur, wenn die Kinder draußen auf Trillerpfeifen Lärm machen. Das geht natürlich nicht und da sollte man dem Kita-Betreiber die Ohren lang ziehen, denn hier wird das Gebot der Rücksichtnahme erheblich überschritten, wenn nicht sogar ignoriert.

(Dr. Monika Schaal SPD: Es geht doch, geht doch!)

(Jenny Weggen)

Es steht und fällt mit der Rücksichtnahme, die auch mit oder ohne gesetzliche Regelung eine gesellschaftliche Selbstverständlichkeit sein sollte.

Nun sind wir in der Diskussion mittlerweile auf einer sehr sachlichen oder technokratischen Ebene angekommen. Wir diskutieren über allgemeine Wohngebiete, geschützte Wohngebiete, besonders geschützte Wohngebiete, Mischgebiete, Gewerbegebiete und so weiter. Mir ist es vollkommen egal, wie das Gebiet heißt, es muss möglich sein, in all diesen Wohngebieten eine Kita zu errichten, wenn es dort Bedarf gibt und die Eltern es wünschen.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der GAL)

Nun ist es aber an uns, die rechtlichen Grundlagen zu erweitern, um eine größere Sicherheit für den Betrieb von Kitas zu schaffen, aber auch die Rechte der Anwohner nicht außer Acht zu lassen. Wir meinen, dass man dafür erst eine gründliche Bestandsaufnahme braucht. Dazu muss man die jetzige Rechtslage unter Einbeziehung der erfolgten Urteile analysieren. Ich würde sogar so weit gehen, dass ich sage, man sollte das Urteil der Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht abwarten. Die Beschwerde hat der Bezirk übrigens kürzlich eingereicht. Im zweiten Weg müssten wir – wie auch im Koalitionsvertrag festgelegt – eine Regelung finden, Kinderlärm gegenüber Gewerbelärm zu privilegieren. Das müsste mit größtmöglicher Präzision geschehen, um die notwendige Rechtssicherheit zu schaffen.

Nun, meine Damen und Herren der SPD, komme ich zu Ihrem Gesetzentwurf, den Sie quasi noch in der Schublade haben,

(Dr. Monika Schaal SPD: Nicht in der Schublade, hier im Haus!)

und bitte Sie, das Folgende als konstruktive Kritik anzusehen. Frau Schaal, ich weiß, das hören Sie nicht gern. Weil ich kein Jurist bin, habe ich mir die Arbeit gemacht, Ihren Gesetzentwurf drei unterschiedlichen Juristen vorzulegen, und sie gebeten, einen prüfenden Blick darüber schweifen zu lassen. Wie nicht anders zu erwarten – ich höre das Rumoren –, habe ich natürlich drei unterschiedliche Meinungen erhalten. Der Anwalt für Sozialrecht meinte unter anderem – das habe ich auch eben gesagt –, man sollte die Beschwerde beim OVG abwarten, denn es könnte durchaus sein, dass Paragraf 29 a des Ausführungsgesetzes SGB VIII hier doch noch greift. Der Anwalt für Baurecht brachte völlig neue Komponenten mit ein und der Verwaltungsjurist meinte, dass er das in der ihm zur Verfügung stehenden Zeit nicht abschließend beurteilen könne. Aber alle drei waren sich in ihrer Einschätzung über das vorliegende Gesetz in folgenden Punkten einig: Es ist fraglich, ob Ihr Gesetzentwurf in der vorgeschlagenen Form eine

Verbesserung gegenüber der jetzigen Rechtslage bringen würde, weil er inhaltlich im Wesentlichen nichts anderes aussagt, als der Paragraf 29 a bei uns. Ein Grund ist unter anderem – das hat das Urteil zur Kita Reventlowstraße gezeigt –, dass das bundesbaurechtliche Gebot der Rücksichtnahme unter den konkreten örtlichen Umständen immer eine Einzelfallabwägung erfordert. In Ihren Gesetzestexten, Frau Veit – Sie sind, glaube ich Juristin –, haben Sie das Wort "grundsätzlich" mehr als einmal verwendet. Das zeigt, Sie gehen selbst davon aus, dass es Ausnahmen geben könnte. Das kann unter Umständen durchaus bedeuten, dass ein Nachbar Kinderlärm auch dann nicht hinnehmen muss, wenn dieser sich auf die Betriebszeiten beschränkt und die Kita dem Wohngebiet dient. Dann entsteht womöglich genau das, was wir alle nicht wollen, dass Ihr Gesetz – in dem Fall sogar unser Gesetz – Kitas verhindert, obwohl der Stadtteil dringend eine Kita benötigt.

Ein paar handwerkliche Anmerkungen. In Paragraf 3 sprechen Sie in Ihrer Gesetzesinitiative von Emissionen, die ohne Beschränkung auf Kinderlärm privilegiert werden sollen. Emission bedeutet nicht nur Lärm, sondern unter anderem auch Geruch. So könnte man meinen, dass eine Kita-Küche ohne Beschränkung auskommen könnte. Die Nachbarn würden sich bedanken, wenn der Bau einer Kita-Küche ohne Einschränkung möglich wäre.

In Paragraf 4 Absatz 2 Ihres Gesetzestextes heißt es, es könnte zu Rechtsunsicherheiten und möglicherweise sogar zu Rechtsstreitigkeiten mit Trägern kommen, wenn eine Kita mit dem Hinweis abgelehnt wird, dieser Stadtteil sei ausreichend versorgt. Das schafft bei dem bestehenden Kita-Bestand erhebliche zusätzliche Unsicherheiten, wenn nämlich dann eine demografische Änderung in diesem Stadtteil eintritt. All das muss man dabei bedenken. Das sind nur ein paar Beispiele. Ich könnte das noch fortführen. Ich will aber auch keinen Verriss vornehmen.

Die positivste Einschätzung der Juristen war jedenfalls, dass dieses Gesetz bestenfalls unschädlich sei, aber in der Sache nicht weiterhelfe. So etwas sollte man auch nicht beschließen.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der GAL)

Deshalb, meine Damen und Herren, ist es wichtig, mit größter Sorgfalt vorzugehen und diesen in der Tat komplizierten Sachverhalt genau zu analysieren, um sich dann für eine Initiative zu entscheiden. Diese Initiative muss dann allerdings wirklich der Sache dienlich sein. Das ist außerordentlich wichtig. Insofern ist unser Ansatz, über die BSU eine Regelung zu finden, die die Komponente Lärmschutz unter Berücksichtigung des Baurechts aufnimmt, für mich der einzig richtige Weg. Wir werden uns im Ausschuss sicherlich mit den Ergebnis

sen befassen und ich hoffe, dass wir eine gemeinschaftliche Lösung finden werden. Das sind wir den Kindern, den Eltern, aber auch den Anwohnern schuldig.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Das Wort hat Frau Veit.

(Frank Schira CDU: Es ist doch alles ge- sagt!)

– Ihr habt das Thema vor ein paar Wochen angemeldet; dann reden wir auch darüber.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema dieser Debatte, von den Koalitionären angemeldet, lautet in der Tat: