Protokoll der Sitzung vom 10.12.2008

Wer will den soeben in erster Lesung gefassten Beschluss in zweiter Lesung fassen? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit ist der Bericht des Haushaltsausschusses in zweiter Lesung und somit endgültig beschlossen worden.

Die SPD-Fraktion möchte diese Drucksache nachträglich an den Wissenschaftsausschuss überweisen.

Wer stimmt dem Überweisungsbegehren zu? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit ist der Bericht einstimmig an den Wissenschaftsausschuss überwiesen worden.

Tagesordnungspunkt 47, Drucksache 19/1644, Antrag der Fraktionen der CDU und der GAL: Intensivierung der Berufsorientierung an der Stadtteilschule.

[Antrag der Fraktionen der CDU und GAL: Intensivierung der Berufsorientierung an der Stadtteilschule – Drs 19/1644 –]

Wer wünscht das Wort? – Frau Özkan, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Vieles ist in den letzten Jahren für die berufliche Bildung in Deutschland getan worden. Innovative Ansätze wurden erprobt und der Ausbildungspakt hat wichtige Erfolge bewirkt. Doch trotz des großen Engagements aller Beteiligten klagen die Unternehmen seit Jahren über zunehmenden Bewerbermangel und fehlende Ausbildungsreife. Zeitgleich gelingt einer viel zu großen Zahl junger Menschen erst gar nicht der Einstieg in die Ausbildung und der Umweg über eine Übergangsmaßnahme erweist sich häufig als eine Sackgasse.

Die jüngste Befragung der Handelskammer Hamburg zeigt, dass über 50 Prozent der an den Befragungen teilgenommenen Unternehmen angeben, dass sie Ausbildungsplätze wegen der mangelnden Qualifikation von Bewerbern unbesetzt lassen.

21 Prozent der Unternehmen sind sogar bereit, die Anforderungen an Bewerber zu senken, um überhaupt noch einen Ausbildungsplatz zu besetzen. Dennoch sind die Unternehmen bereit, die Durststrecke bis zu einer weiteren Verbesserung auszuhalten. Nahezu alle Unternehmen wollen auch in Zukunft ausbilden. Damit geben sie ein klares Signal und Bekenntnis zur gesellschaftlichen Verpflichtung der Wirtschaft ab, jungen Menschen durch eine qualifizierte Ausbildung berufliche Perspektiven und eine Entwicklungsmöglichkeit zu geben.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der GAL)

Ich denke, wir können feststellen, dass viele freibleibende Ausbildungsplätze besetzt werden könnten, wenn Jugendliche zum einen besser informiert wären und zum anderen sich selber realistischer einschätzen könnten und die Voraussetzungen für die Aufnahme einer Berufsausbildung erfüllen würden. Oft stimmen die Berufswünsche vieler Jugendlicher nicht mit den Ausbildungsplätzen überein oder es fehlt gar an einer realistischen Berufsvorstellung und ausreichenden Kenntnissen der Berufs- und Arbeitswelt.

Die wichtige Entscheidung, wie es nach der Schule weitergehen soll, darf nicht dem Zufall überlassen werden. Es müssen jetzt Konzepte zur frühzeitigen und systematischen, vor allen Dingen praxisorientierten Berufsorientierung in der Schule entwickelt und umgesetzt werden, wie beispielsweise die Durchführung von intensiveren Berufs- und Betriebserkundungen, Bewerbertrainings, Potenzialanalysen, insbesondere durch genaue Diagnose der Fähigkeiten der Bewerber mit Profiling und Kompetenzcheck.

Schüler, aber auch Lehrer müssen konkrete Einblicke in die Berufs- und Arbeitswelt erhalten können, denn über eines sind wir uns doch einig: Je besser die Berufsorientierung und das Übergangsmanagement von Schule in Beruf gestaltet wird, desto mehr Jugendliche werden sich für eine berufliche Laufbahn entscheiden können, die sie ein Leben lang erfüllt.

Die Bereitschaft der Unternehmen, Schulen zu unterstützen, ist ungebrochen und nimmt weiter zu. Rund zwei Drittel der Unternehmen bieten Schülerpraktika an. Sie öffnen den Schulen die Türen zum Beispiel durch Berufserkundungen. In beiden Fällen ist der direkte Einblick in das Unternehmen das entscheidende Moment. Auf diese Weise wird der Dialog zwischen den Schulen und Unternehmen intensiviert, was eine unverzichtbare Voraussetzung für ein wirksames Übergangsmanagement von der Schule in den Beruf darstellt. Lassen Sie uns diesen Dialog noch weiter nutzen.

Berufsorientierung ist ein Teil der schulischen Allgemeinbildung. Berufsorientierung ist ein wesentli

(Vizepräsident Wolfgang Joithe–von Krosigk)

ches Bindeglied zwischen Bildungs- und Beschäftigungssystemen und ist eine Kern- und Querschnittsaufgabe für alle Lehrkräfte und muss fachübergreifend vorgenommen und wahrgenommen werden. Berufsorientierung bedarf weiterer Partner und das sind auch die Unternehmen und die Wirtschaft.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Die Elternarbeit muss stärker in die Berufsorientierung integriert werden, insbesondere bei Migranten. Sie kennen das deutsche System der dualen Ausbildung meistens nicht ausreichend. Sie müssen für den Wert einer Berufsausbildung weiter sensibilisiert werden und brauchen Informationen über die ganze Bandbreite und das Berufswahlspektrum. Sie müssen erfolgreiche Vorbilder kennenlernen und wahrnehmen.

Die Ausbildungsreife von Schulabgängern ist ein zentraler Schlüsselfaktor für unsere Wirtschaft und den Wirtschaftsstandort Hamburg. Schon im Schulunterricht müssen junge Menschen erfahren, dass zur Bildung auch Leistung und Anstrengung gehören.

(Beifall bei der CDU und bei Antje Möller und Jenny Weggen, beide GAL)

Wer seine Berufschancen verbessern will, muss dafür etwas tun und auf eine eigenverantwortliche Lebensführung vorbereitet werden. Dieses Ziel muss gerade auch im Rahmen der Einführung der Stadtteilschulen verfolgt werden, die eine bessere, individuellere Förderung mit mehr Berufspraxis ermöglichen müssen. Die zukunftsfähige Gestaltung des Übergangsmanagements von der Schule in den Beruf und die berufliche Bildung ist eine der großen Herausforderungen auch unserer Stadt. Gestalten wir sie jetzt mit und stimmen wir diesem Antrag zu. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Vizepräsident Wolfgang Joithe–von Krosigk: Das Wort hat Herr Buss.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Özkan, bessere Qualifikation von Schulabgängern erreicht man nicht durch berufsorientierten Unterricht, sondern durch guten allgemeinbildenden Unterricht und gute Schulpolitik. Da haben Sie eine Menge zu tun und darauf hätten Sie den Schwerpunkt legen sollen.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD und der LINKEN)

In der Analyse gebe ich Ihnen ansonsten recht. Es ist in der Tat so – und das beklagt auch die SPDFraktion –, dass immer mehr Schulabgänger aus den Haupt-, Real- und Gesamtschulen die entsprechende Qualifikation, die ein gut ausbildendes Un

ternehmen von ihnen erwarten kann und muss, nicht erreicht. Das ist beklagenswert und das gilt es abzustellen. Aber Sie sind an der Regierung und das haben Sie entsprechend abzustellen. Seit sieben Jahren hätten Sie in dieser Beziehung arbeiten und dieses hinbekommen können für die älteren Jahrgänge.

(Jörn Frommann CDU: Wir haben ja noch 36 Jahre Zeit! Dann können wir es noch besser machen!)

Um es deutlich zu machen, Herr Kollege Frommann, die Jugendlichen in der Schule besser auf das Berufsleben vorzubereiten und ihnen bei der Wahl ihres Ausbildungsweges orientierend zu helfen, ist immer noch eine richtige Forderung. Deshalb stimmen wir diesem Anliegen auch gerne zu, denn schließlich haben wir damals unter sozialdemokratischer Führung überhaupt erst Berufsorientierung in die Lehrpläne hineingebracht, weil wir schon immer wollten, dass dieses so stattfindet und gemacht wird. Jetzt wollen Sie das vertiefen. Das ist auch gut. Deswegen werden wir dem Antrag auch zustimmen, aber wir wollen trotzdem eine Überweisung, denn ärgerlich und vor allen Dingen unverständlich an Ihrem Antrag ist die Halbherzigkeit, die Berufsorientierung allein auf die Stadtteilschulen zu beschränken.

(Dora Heyenn DIE LINKE: Genau!)

Unverständlich ist vor allem – da gucke ich hier ganz nach links –, dass die GAL das mitmacht, denn damit fallen Sie weit hinter ein modernes Verständnis von ganzheitlicher Bildung zurück.

(Beifall bei Gerhard Lein SPD – Dora Hey- enn DIE LINKE: Richtig!)

Warum wollen Sie nicht auch den Jugendlichen an den Gymnasien eine gute Berufsorientierung gönnen. Glauben Sie, die brauchen das nicht, denn die wüssten von allein Bescheid? Das ist doch Unsinn, denn auch die Abiturienten stehen vor dem Problem, sich in einer hochkomplexen und stetig wandelnden Berufswelt orientieren zu müssen, ganz gleich, ob sie dann später eine Ausbildung – wie immerhin fast 50 Prozent –

(Dora Heyenn DIE LINKE: 60!)

oder ein Studium beginnen wollen. Auch sie können doch Orientierung und Unterstützung gut gebrauchen. In Ihrem eigenen Antragstext schreiben Sie unter anderem auch, dass wir in der EnqueteKommission genau darüber diskutiert haben. Da steht nämlich, dass wir das für alle Schulen der Sekundarstufe I haben wollen und jetzt fallen Sie hinter diese Forderung der Enquete-Kommission zurück.

(Beifall bei der SPD und Zuruf von Robert Heinemann CDU)

(Aygül Özkan)

Herr Heinemann, es ist ja gut, dass Sie gleich etwas dazu sagen, denn es ist wieder einmal so, dass wir das Gefühl nicht loswerden, dass Sie ein an sich gutes Anliegen – Förderung der Berufsorientierung – durch Ihre ideologische Sichtweise auf Schüler und Schulen behindern wollen, denn wirklichkeitsfremd ist doch dieses Herangehen, weil gerade an den Schulen, die in den nächsten Jahren nach Ihrem Modell zu Stadtteilschulen zusammengelegt werden sollen, bereits vieles in dieser Richtung geleistet und intensiviert wurde. Diese Schulen haben nicht erst auf die freundliche Aufforderung der Senatorin oder der Bürgerschaftsmehrheit hier im Hause gewartet, sondern sind selbst aktiv geworden. Ich denke nur an die Schule Richard-Linde-Weg damals mit ihrem Praxis-Lerntag.

Wenn Sie dabei Senat und Schulbehörde in Zukunft besser unterstützen wollen, kann das nicht schaden, insbesondere nicht, solange damit nicht weiterer bürokratischer Aufwand für die Schulen und die Lehrkräfte verbunden ist.

(Beifall bei Wolfgang Rose SPD)

Aber ein größerer Nachholbedarf besteht eindeutig an den Gymnasien. Warum lassen Sie diese denn außen vor? Doch offenkundig aus diesen ideologischen Gründen, die wir auch in der letzten Legislaturperiode im Schulausschuss diskutieren konnten. Ihr konservatives Bildungsverständnis, nach dem man Theorie und Praxis schön und hübsch sauber auseinanderhalten kann, ist eine Vorstellung, die in der heutigen Welt, gerade auch in der modernen Berufswelt, Frau Özkan, völlig überholt und sachfremd ist. Bei dem Zwei-Säulen-Modell ist es so, dass Sie die Stadtteilschule damit begründen, dass wir die brauchen, weil wir hier die praktisch Begabten, die nicht ganz so hoch hinaus wollenden Schülerinnen und Schüler und dort die höheren Gelehrtenschulen für die Denkerinnen und Denker haben, die theoretisch versiert sind.

(Zuruf von Robert Heinemann CDU)

Diese Vorstellung, die wir im Schulausschuss schon mehrfach gehabt haben in der letzten Legislatur, man müsse nur an diesen hierarchisch getrennten Schulformen festhalten, dann würde alles von selbst kommen, lässt sich nur mit der berühmten Theorie der zwei Begabungen rechtfertigen. Das ist doch das, was dahintersteckt.

(Dora Heyenn DIE LINKE: Ganz genau!)

Deswegen ist es auch folgerichtig zu glauben, dass diese Jugendlichen an den Gymnasien keine Praxis oder Berufsorientierung bräuchten, denn sie wüssten sowieso, dass sie für die akademischen Berufe prädestiniert sind, wie es die Väter dieser Schülerinnen und Schüler auch waren. In der heutigen Zeit ist diese Trennung in einerseits praktische und andererseits theoretische Begabung völlig weltfremd, überholt und künstlich.

(Beifall bei der SPD)

Sie ist zum einen pädagogisch überholt, weil sie auf einem überkommenen, letztlich ständischem Menschenbild beruht und weil die Realität zeigt, dass immer wieder Gymnasiasten gar nicht bis zum Abitur kommen, sondern in eine Berufsausbildung gehen müssen, und zwar, bevor sie das Abitur haben. Sie ist deswegen auch überholt, weil sich die moderne Arbeitswelt ganz im Gegenteil zu dem, was hinter Ihrem Denkmodell zu stecken scheint, immer stärker in die Richtung einer Integration von praktischen und theoretischen Fähigkeiten entwickelt. Einerseits sind heute in handwerklichen Berufen immer stärkere theoretische Fähigkeiten gefragt – da brauche ich nur ein Gespräch mit Herrn Becker von der Handwerkskammer zu führen, der wird mir das sofort bestätigen – und andererseits braucht man in eher intellektuellen Berufen immer mehr praktische und soziale Kompetenzen, zum Beispiel das Modell der TU Hamburg-Harburg. Das rein vergeistigte Dasein ist wohl nur noch das Ideal einer kleinen Minderheit.

Der modernen Arbeitswelt, aber auch den Lebensvorstellungen der meisten Jugendlichen entspricht diese künstliche Trennung in einerseits berufsorientierte Stadtteilschüler und andererseits in Gymnasialschüler, die das nicht nötig haben, überhaupt nicht.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Deshalb ist es für uns unverständlich, sachlich völlig unangemessen und lebensfremd, dass Sie diese Berufsorientierung nur an den Stadtteilschulen stärken wollen und darüber sollten wir – und deswegen beantragen wir die Überweisung – im Schulausschuss genauer und intensiver diskutieren. – Vielen Dank.