Der dritte Mangel: Unser Schulsystem geht völlig ineffektiv mit der wertvollen Ressource Zeit um. Bei den 15-jährigen Schülerinnen und Schülern haben in Hamburg laut PISA 2006 28,7 Prozent eine verzögerte Schullaufbahn. Das heißt, sie sind ein Jahr oder mehrere Jahre zu lange im Schulsystem. Bei den Hauptschülern trifft das sogar auf zwei von drei Schülerinnen und Schülern zu. Dieser Verschwendung von Lebenszeit gilt es zu begegnen.
Und der vierte Mangel ist: Viel zu wenige Schülerinnen und Schüler erreichen durch den Schulbesuch die notwendigen Kompetenzen, um später im Berufsleben bestehen zu können. Auch das ist schon erwähnt worden. 27,8 Prozent aller Hamburger Schülerinnen und Schüler liegen im Lesen auf der niedrigsten oder sogar unterhalb der niedrigsten Kompetenzstufe. Wenn von Kompetenzstufen die Rede ist, weiß man nicht, was das eigentlich bedeutet. Das heißt, diese Jugendlichen erreichen bestenfalls ein oberflächliches Verständnis einfacher Texte und schon am Herstellen einfacher Verknüpfungen zwischen verschiedenen Teilen eines Textes scheitern sie. Das trifft auf 78,7 Prozent aller 15-Jährigen zu, die 2006 eine Hamburger Hauptschule besuchten.
Angesichts solcher Zahlen spielt es aus meiner Sicht eine vergleichsweise geringe Rolle – das steht ein bisschen im Widerspruch zur Aussage des Kollegen Freistedt –, ob nun 11 oder 9 Prozent aller Schülerinnen oder Schüler ohne Abschluss die Schule verlassen, denn wir wissen, dass 28,7 Prozent der Schülerinnen und Schüler – ob mit oder ohne Abschluss – wichtigste Basiskompetenzen gar nicht erreichen. Jeder Abschluss mehr ist zwar ein Erfolg, aber das ist alleine noch keine Aussage darüber, ob Hamburg qualifizierte Jugendliche bekommt, die auf dem Arbeitsmarkt bestehen können. Und wenn Hamburg mit Weitsicht wachsen möchte, dann benötigen wir alle Talente und können nicht auf ein Viertel verzichten.
Um diese Mängel anzugehen, haben wir uns mehrere Aufgaben gestellt, die Veränderung der Schulstruktur, die Veränderung der Unterrichtskultur, eine differenzierte Leistungsbeurteilung, bessere
Übergänge und mehr Teamarbeit an den Schulen. Vieles von dem, was wir vorbereiten, wird natürlich erst mit dem Schuljahr 2010/2011 für alle nach außen sichtbar, doch einiges greift bereits jetzt oder vorher. So ist eines für uns klar. Wenn der schulische Erfolg von dem abhängt, was Kinder von zu Hause mitbringen, dann müssen wir gerade Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern früher an das Lernen heranführen. Die Bedeutung der frühen Förderung hat der alte Senat bereits erkannt und sie ist diesem Senat genauso wichtig. Deswegen führen wir unter anderem das kostenlose letzte Vorschuljahr ein. Das betrifft zum einen natürlich den Haushalt der Sozialbehörde, es betrifft aber zum anderen über die Vorschule auch die Bildungsbehörde. Das macht deutlich, dass elementare frühe Bildung uns wichtig ist.
Im Anschluss daran werden Hamburgs Kinder künftig auf der Primarschule sechs Jahre gemeinsam lernen. Das bedeutet auch sechs Jahre individuelle Förderung, die individuelle Schwächen verbessert und die besonderen Fähigkeiten der Kinder noch weiter ausbaut. Hierfür ist natürlich die berühmte Individualisierung des Unterrichts notwendig. Dass das nicht von alleine geht, ist völlig logisch und daher bildet es auch einen Schwerpunkt des verstärkten Fortbildungsangebots für die Lehrkräfte, für das im Haushalt mehr Geld bereitgestellt wird.
Auch die Sprachförderung werden wir ausbauen. Dieses wichtige Instrument, um sprachliche Kompetenzen zu verbessern, wird mit Einführung der Primarschule auf die Jahrgänge 5 und 6 ausgeweitet; auch das ist ein Ausbau. Dieses Hand-inHand-Gehen von Strukturreform und Lernkultur ist der wirkliche Beitrag zu mehr Chancengleichheit, die jedem Kind, egal in welchem Stadtteil es wohnt, bessere Perspektiven ermöglicht,
ganz egal, ob es die Perspektive ist, überhaupt einen Abschluss zu erreichen und bestimmte Kompetenzstufen zu erreichen, oder die Perspektive, in seinen speziellen Fähigkeiten zu den höchsten Leistungen überhaupt befähigt zu werden.
Der anschließende weitere Bildungsweg eröffnet dann mit den beiden künftigen Säulen Gymnasium und Stadtteilschule zwei gleichberechtigte Wege zum Abitur, die auf diesem Weg nur jeweils etwas unterschiedliche Akzente setzen. Die Stadtteilschule, das sei auch gesagt, wird an die Stelle der unterschiedlichsten Schulen, die es vorher neben dem Gymnasium gab, treten. Aufgrund der dadurch bedingten größeren Heterogenität der Schülerinnen und Schüler wird die Stadtteilschule natürlich mit besonderen Ressourcen ausgestattet: keine Klasse über 25 Schüler, besondere Mittel für eine intensive Begleitung der Schülerinnen und Schüler auf dem Weg entweder in den Beruf oder
in die Oberstufe. Die Gymnasien werden einen schnelleren Weg zum Abitur anbieten und ihre vielfältigen Profile mit besonderen Angeboten weiterentwickeln.
Hamburgs Schulen machen sich auf den Weg zu einer neuen Lernkultur, zu einer neuen Schulstruktur. Diesen Weg gestalten wir gemeinsam mit allen, die daran mitarbeiten wollen. Wir beteiligen in einem noch nie erlebten Prozess Eltern, Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Schulleitungen an der konkreten Entwicklung dieses Weges. Diese Art der Beteiligung ist nicht immer einfach, das sind schmerzhafte Lernprozesse, die in Beteiligungsprozessen geschehen. Für viele Menschen ist sie auch neu. Dennoch sind wir überzeugt, dass es wichtig ist, alle Menschen zu beteiligen und zur Teilhabe auch zu befähigen.
Deshalb möchte ich abschließend für diese erste Runde noch darauf hinweisen, dass wir in Hamburg die Beteiligung junger Menschen verstärken möchten. Wir sind überzeugt, dass Jugendräte und Jugendparlamente in den Bezirken ein gutes Element für die Beteiligung von Jugendlichen an politischen Entscheidungsprozessen und zur Stärkung ihres demokratischen Bewusstseins bilden.
Diese Rolle können die Räte und Parlamente für Jugendliche allerdings nur erfüllen, wenn sie auch finanziell ausgestattet und unterstützt werden. Deshalb stellen wir im Haushalt der Bildungsbehörde zunächst 10 000 Euro für die konzeptionelle Entwicklung dieses Beteiligungsinstrumentes zur Verfügung. Die Mittel werden dann Jahr für Jahr auf 50 000 Euro anwachsen und können für die Neugründung von Jugendparlamenten abgerufen werden. Damit qualifizieren wir junge Menschen zur künftigen mündigen Teilhabe an noch mehr Beteiligungsprozessen in der Zukunft, denn Teilhabe ist es, worum es hier geht, in der Bildungspolitik wie in der Demokratie. – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! An den Schulen in Hamburg ist eine sehr angespannte, unzufriedene Stimmung. Das hat mehrere Gründe.
Einmal sind wir vor einer sehr starken Umstrukturierung – einige haben gesagt, die größte Umstrukturierung des Schulsystems nach dem Krieg – und durch diese Art der Durchführung und durch die regionalen Schulkonferenzen, die vielleicht durchaus gut gemeint sind zur Einbindung, erleben wir vor Ort, dass die einzelnen Schulen immer stärker in Konkurrenz zueinander treten und Solidarität völlig auf der Strecke bleibt. In den Schulen ist man sehr
verunsichert über die Zukunft. Zu bewältigen ist noch ein Reformstress aus der vergangenen Zeit. Eingeführt worden ist das G 8, damit haben die Schulen noch heftig zu tun, und jetzt wurde die Profil-Oberstufe neu eingeführt. Das alles zu bewältigen bedeutet in den Schulen große Umorientierung und große Verunsicherung.
Diese Umstrukturierung des Schulsystems in Hamburg wurde eigentlich eingeleitet durch einen Beschluss der Enquete-Kommission. Ich möchte jetzt einmal die Sozialdemokraten daran erinnern, dass Sie dafür gestimmt haben. Mit diesem Beschluss für das Zwei-Säulen-System haben Sie mit einer Abstimmung die Gesamtschulen in Hamburg abgeschafft. Das sollten Sie sich bitte einmal überlegen, wenn Sie jetzt Ihre Kritik anbringen. Wir als LINKE sind gegen ein Zwei-Säulen-System. Uns leuchtet überhaupt nicht ein – das kann ich auch nach den Vorlagen und nach der Pressekonferenz der Senatorin nicht feststellen –, nach welchen Kriterien man unterscheidet, ob ein Schüler oder eine Schülerin aufs Gymnasium kommt oder auf die Stadtteilschule, da man doch an beiden Schultypen das Abitur machen kann. Da sehe ich überhaupt kein Kriterium. Wenn Sie, Herr Rabe, jetzt sagen, Sie möchten, dass die Stadtteilschule eine interessante und attraktive Schule werde in Zusammenarbeit mit den Gymnasien, dann haben Sie durch diese Form des Zwei-Säulen-Systems die alte Gesamtschuldiskussion wieder entfacht. Und wir haben zwei verschiedene Klassen von Abitur und das ist für uns ein großes Problem.
Die Eltern sind in Hamburg sehr verunsichert, sie sind überfordert und in dem, wie die Eltern sich in dieser Stadt engagieren, spiegelt sich eigentlich eine Art Schulkampf wider. Da sind natürlich die Eltern mit dem besseren Bildungsgrad im Vorteil, weil sie sich besser wehren können. Man sieht sehr deutlich, dass dort auch ein Konkurrenzkampf stattfindet; das haben wir gerade bei den Anmeldezahlen wieder gesehen.
Ich möchte noch einmal etwas zu dem Elternwillen sagen. Es wird immer gesagt, die Eltern müssen entscheiden können; das ist auch völlig richtig. Im Moment entscheiden sie nach der vierten Klasse. Das Problem ist, dass nach der sechsten Klasse 20 bis 30 Prozent vom Gymnasium wieder zurückkommen, da hat ihnen dieser Elternwille gar nichts geholfen. Insofern finde ich dieses System besser, dass man nach der sechsten Klasse nach einem sehr ausgewogenen Beurteilungssystem mit drei verschiedenen Kriterien versucht, die richtige Wahl zu finden, weil weniger Persönlichkeiten von Schülern beschädigt werden, denn vom Gymnasium abgehen zu müssen und zurück auf die Realschule zu gehen und dann im nächsten Schritt auf die Hauptschule, das ist wirklich sehr übel. Dass die
Wie sieht die Situation für Schüler aus? Die Schüler sind einem unglaublichen Druck ausgesetzt. Sie sitzen in zu kleinen, veralteten Klassenräumen mit viel zu vielen Schülern. Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, dass, bevor die CDU in Hamburg an die Regierung kam mit Schill, die Basisfrequenz für die Klassen 23,8 Schüler betrug. 2006 lag sie bei 26,8 Schülern. Das Problem ist nur, dass bei der Basisfrequenz meistens nicht nach unten abgewichen wurde, sondern immer nach oben. Auch heute noch ist es überhaupt keine Seltenheit, dass es Klassen mit 30 oder 33 Schülern gibt. Von meinem Leistungskurs will ich lieber gar nicht erzählen, das ist schon abenteuerlich.
Das heißt, die Klassen müssen einfach so gestaltet werden, dass erst einmal vernünftige Räume geschaffen werden. Wenn ich schon andere Inhalte will, andere Schulsysteme, dann kann ich das auch nicht mit den alten Bauten machen. Wir brauchen natürlich eine Absenkung der Klassenfrequenzen, das ist völlig klar.
Für die meisten Schüler, gerade für diejenigen, die das G-8-Abitur machen, gibt es viel zu viel Unterricht und es gibt viel zu viele Hausaufgaben. Diese jungen Menschen haben gar keine Freizeit mehr, sie haben keine Kindheit und keine Jugend mehr, sie stehen stark unter Stress. Gestern war im NDR 90,3 eine Sendung, in der Schüler erzählten, dass sie viel häufiger weinen, dass sie sich nicht mehr konzentrieren könnten, Tabletten nehmen und so weiter. Das ist eine unerträgliche Situation für die Schüler.
Hinzu kommt, dass sich in den letzen Jahren die soziale Spaltung in den Schulen verstärkt hat auch durch solche Maßnahmen wie Büchergeld. Dann können Sie wieder mit dieser tollen Frage kommen, wie wollen wir das denn bezahlen wollen. Fakt ist, dass bis zum Jahre 2005 kein Büchergeld erhoben wurde. Wenn Sie mir nach diesen ganzen Millionen und Milliarden Euro, die Sie uns täglich um die Ohren schlagen, erzählen wollen, dass es dafür kein Geld gibt, dann glaube ich Ihnen kein einziges Wort. Sie wollen es nur nicht, das ist etwas ganz anderes.
Die soziale Spaltung spiegelt sich natürlich auch insofern wider, als immer mehr Eltern in Hamburg von Transferleistungen abhängig sind, immer mehr Eltern Hartz-IV-Empfänger sind, das macht sich dann auch bei den Kindern bemerkbar. Indem Büchergeld erhoben wird, wird im Grunde diese Ungleichheit, diese soziale Spaltung in die Klassenzimmer hineingetragen.
Nun werden Sie natürlich sagen, wer soll das bezahlen; ich will mich nicht wiederholen mit den Millionen und Milliarden Euro. Einige machen auch den schönen Vorschlag, man sollte es doch nur den Bedürftigen geben. Das ist genau nicht unser Ansatzpunkt.
Wir finden, dass Schüler in Hamburg, dass Kinder in Hamburg viel zu häufig über die finanzielle Situation ihrer Eltern definiert werden. Ich weiß nicht, ob Sie sich vorstellen können, dass es schon eine Stigmatisierung und Diskriminierung ist, wenn Kinder im Schulbüro einen Antrag auf Unterstützung für Büchergeld und Essen abgeben müssen. Das wollen wir auf keinen Fall.
Soviel Geld muss eine reiche Stadt wie Hamburg wohl haben, die alles Mögliche baut – lassen Sie mich das nicht wieder alles aufführen –, dass man für Kinder ein kostenloses Mittagessen bereithält.
Die Situation für die Lehrer ist ebenfalls sehr angespannt. Die CDU hat das Arbeitszeitmodell eingeführt, seitdem gehen die Lehrer wirklich auf dem Zahnfleisch. Die zeitliche und berufsbedingte soziale Belastung sind immens gewachsen. Bei der Umgestaltung der Schulen sind natürlich die Lehrer als erstes gefragt. Da kann ich gut verstehen, dass die Senatorin als erstes eine Fortbildungsoffensive angeboten hat, das finden wir auch gut, nicht weil die Lehrer wegen ihres schlechten Unterrichts fortgebildet werden müssten, sondern weil es immer neue Konzepte gibt. Jeder muss sich in seinem Beruf ständig fortbilden, das unterstützen wir völlig. Nur eines geht nicht: Man kann nicht erst das Arbeitszeitmodell einführen, dann eine Fortbildungsoffensive fordern, danach, um eine sichere Prognose für die Aufteilung der Schüler nach der sechsten Klasse zu finden, eine verstärkte Beratung der Lehrer fordern und keine Unterrichtsstunden reduzieren – das geht auf keinen Fall.
(Beifall bei der LINKEN – Olaf Ohlsen CDU: Sie sprechen ja von sich, Sie haben sich sel- ber gemeint! – Zuruf von der CDU: Sie sind ja selber Lehrerin!)
Hamburg ist darüber hinaus das einzige Bundesland, das für ältere Lehrer keine Altersermäßigung bietet. Jeder, der in seinem Bekanntenkreis Lehrer hat, die 30 Jahre und länger im Schuldienst sind, weiß, dass deren Erschöpfung immens ist und man älteren Lehrkräften wirklich eine Arbeitszeitermäßigung geben muss. Das wird in allen anderen Bundesländern auch so gemacht.