Protokoll der Sitzung vom 03.03.2009

(Die Wahlhandlung wird vorgenommen.)

Ich darf Frau Thomas und Herrn Hakverdi bitten, die Stimmzettel einzusammeln.

Sind alle Stimmzettel abgegeben worden? – Wenn das der Fall ist, dann schließe ich die Wahlhandlung. Die Stimmzettel werden jetzt ausgezählt.

Dann rufe ich noch einmal die Wahl der vier Delegierten zur 35. ordentlichen Hauptversammlung des Deutschen Städtetages auf.

[Unterrichtung durch den Präsidenten der Bürgerschaft: Wahl von vier Delegierten zur 35. ordentlichen Hauptversammlung des Deutschen Städtetages – Drs 19/2452 –]

Auch hierfür hat es neue Stimmzettel gegeben, die Ihnen vorliegen. Der Stimmzettel enthält bei den Namen jeweils ein Feld für Zustimmung, Ablehnung und Enthaltung. Sie dürfen bei jedem Namen ein Kreuz machen, aber bitte nur eines, mehrere Kreuze beziehungsweise weitere Eintragungen oder Bemerkungen würden zur Ungültigkeit führen. Auch unausgefüllte Zettel gelten als ungültig.

Bitte nehmen Sie jetzt Ihre Wahlentscheidung vor.

(Die Wahlhandlung wird vorgenommen.)

Ich darf die Schriftführerin und den Schriftführer bitten, auch hierzu die Stimmzettel einzusammeln.

Sind jetzt alle Stimmzettel abgegeben worden? – Dann schließe ich auch hierzu die Wahlhandlung.

Die Wahlergebnisse werden nun ermittelt. Sie werden vereinbarungsgemäß zu Protokoll nachgereicht.

Ich rufe jetzt auf

Einzelplan 3.1 Behörde für Schule und Berufsbildung

Wer wünscht das Wort? – Herr Rabe, bitte.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Hamburgs Schulpolitik muss sich drei großen Herausforderungen stellen.

(Vizepräsident Wolfgang Joithe-von Krosigk übernimmt den Vorsitz.)

Erstens: Zu viele Schüler werden zu Bildungsverlierern. Über 25 Prozent der 15-Jährigen können lesen, schreiben und rechnen auf dem Niveau von Viertklässlern und es zeigt sich dabei die soziale Spaltung der Stadt. In Wilhelmsburg, in Billstedt/ Horn oder in Lurup/Osdorf schafft ein Fünftel nicht einmal den Hauptschulabschluss. Für Wirtschaft, Gesellschaft und Demokratie ist diese Entwicklung eine Bedrohung. Für uns Sozialdemokraten ist es aber noch mehr. Es ist eine zum Himmel schreien

(Vizepräsidentin Nebahat Güclü)

de Ungerechtigkeit, gegen die alle Kräfte mobilisiert werden müssen.

(Beifall bei der SPD)

Zweitens: Hamburgs Leistungsspitze ist im internationalen Maßstab nicht gut genug. Auch das zeigen die PISA-Ergebnisse, auch wenn es meistens nicht so laut gesagt wird. Das zeigt, dass es nicht nur viel zu tun gibt an den Förderschulen, an den Haupt- und Realschulen oder an den Gesamtschulen, sondern erst recht und auch an den Gymnasien. Wenn es um bessere Bildung in Hamburg geht, dann darf sich in Hamburg auch keine Schule zurücklehnen.

Drittens: Das staatliche Schulsystem ist nach meiner festen Überzeugung in eine Vertrauenskrise geraten. Das zeigen die Zahlen im "Hamburger Abendblatt", die vor Kurzem zum Thema Privatschule veröffentlicht worden sind. 60 Prozent der Eltern in Hamburg halten mittlerweile Privatschulen für eine gute Alternative. Die Umfragen zeigen, dass es vor allem die Anhänger der Grünen sind, für die das ein besonders schöner Traum ist. Für uns Sozialdemokraten ist diese Entwicklung ein Irrweg, der die Spaltung der Gesellschaft immer weiter vorantreibt. Wir sagen ausdrücklich, dass wir das nicht wollen. Wir wollen hervorragende staatliche Schulen für alle Kinder.

(Beifall bei der SPD)

Die Frage ist, woher eigentlich diese Vertrauenskrise rührt. Ich glaube, es liegt gar nicht so sehr an den Schulen, sondern an der Schulpolitik, und zwar an der Art, wie wir Schulpolitik machen. Wir haben es auch heute wieder zum Teil erlebt. Unsere Schulpolitik wird immer weniger von Sachargumenten und Fakten dominiert. Sie erinnert mich vielmehr an große Kreuzzüge. Dabei scheint es vor allem um den wahren Glauben zu gehen. Auch die Kreuzfahrer im Mittelalter haben das so gemacht. Die fragten sich nämlich nicht, was richtig und was falsch ist, sondern sie fragten, ob man Jude, Moslem, Heide oder Christ ist und die Antwort reichte ihnen aus. Genau so ist es in der jetzigen Diskussion.

Ich habe mich schon immer dagegen gewehrt und habe auch mehrere böse E-Mails geschickt an jemanden, der mit großer Begeisterung immer verkündet, dass Frau Goetsch aufgrund ihrer persönlichen Verflechtung angeblich der Max-Brauer-Gesamtschule so nahe steht. Das ist ein unterirdisches Argument, das wir gemeinsam zurückdrängen sollten, aber ich höre das jetzt gegen mich.

Viel Spaß, die GAL hat gelernt, wie es geht, aber das ist genau das Problem unserer Bildungsdiskussion. Es geht nur noch um den richtigen Glauben: gemeinsames Lernen oder nicht, links oder rechts, fortschrittlich oder konservativ, Handelskammer oder GEW. Das macht richtig Spaß, das

ist so einfach, das polarisiert so schön, das mobilisiert so schön. Aber genau das,

(Jens Kerstan GAL: Genau das ist die Pri- marschule nämlich nicht!)

lieber Jens, ist der Grund für unsere Schulprobleme. Statt sorgfältiger Reformen, bei denen man nachdenkt, produziert dieser Glaubenskrieg eine religiös motivierte, aber leider handwerklich schlecht gemachte Reform nach der anderen. Hamburgs Schüler brauchen deshalb keine Bekenntnisse und Parolen, sondern sie brauchen eine Politik, in der gedacht, geplant und sorgfältig gehandelt wird.

(Beifall bei der SPD)

Parole statt Planung, das prägt auch immer mehr die jetzt beginnenden Schulreformen. Sie haben den richtigen Glauben an gemeinsames Lernen und das freut uns. Aber Ihre Pläne – wir haben sie uns im Schulausschuss angesehen – sind ein Witz. Mir sagte mein haushaltspolitischer Sprecher, unsere schönen Ideen können wir doch gegenfinanzieren mit dem Geld, das für die Primarschulen in diesem Haushaltsplan-Entwurf vorgesehen ist. Dazu steht aber gar nichts drin.

(Kai Voet van Vormizeele CDU: Welche Ide- en?)

Im gesamten Haushaltsplan-Entwurf kommt das Wort Primarschule überhaupt nicht vor. Diese umfassendste Schulreform der Nachkriegszeit wird gar nicht bezeichnet und niemand weiß, was sie kosten wird. Im Haushaltsplan-Entwurf steht dazu nichts. Es steht nur an zwei Stellen eine klitzekleine Notiz, einmal 10 Millionen Euro und an einer anderen Stelle noch einmal 10 Millionen Euro pauschal für Reformen, und zwar für alle Reformen. Wohlgemerkt, 1800 Millionen Euro beträgt der gesamte Schulhaushalt. 20 Millionen Euro reichen offensichtlich aus für sämtliche Reformen, die uns jetzt ins Haus stehen. Und das Schönste ist, dass im Schulausschuss auf unsere mehrfachen Nachfragen – wir haben sogar noch eine Kleine Anfrage hinterher geschickt – die Senatorin bis heute nicht sagen konnte, was von diesen 20 Millionen Euro eigentlich genau bezahlt wird. Es wird überhaupt nichts verdeutlicht.

Und vielleicht noch ein paar andere Dinge zu diesem wunderbaren Haushaltsplan-Entwurf: Mehr Lehrer? Das stimmt nicht, es sind weniger Stellen ausgewiesen. 50 neue Ganztagsschulen kündigt diese Koalition an, im Haushaltsplan-Entwurf steht so wenig Geld, dass das nach den bisherigen Erfahrungen gerade für zehn reichen wird. Das Schönste ist das Thema mit den Baukosten. Selbst die Unterstützer Ihrer Schulreform rechnen damit, dass die eine oder andere bauliche Veränderung sich nicht vermeiden lässt, wenn man eine Primarschule und eine Stadtteilschule durchsetzen will.

Nun sollte man glauben, dass vielleicht in diesem Haushaltsplan-Entwurf dazu etwas steht. Sie haben jetzt ein bisschen Glück mit dem Konjunkturprogramm, aber schauen wir uns den Haushalt einmal genau an. Vermutlich ist es notwendig, alleine 400 Millionen Euro jedes Jahr auszugeben, nur um Hamburgs Schulen vor dem Verfall zu retten. Nun sollte man meinen, wenn man ganz viele Schulen umbaut, dass man ein bisschen mehr Geld braucht, aber im Haushaltsplan-Entwurf stehen 120 Millionen Euro.

Und nicht nur das, das Schönste ist, dass diese 120 Millionen Euro noch einmal aufgesplittert werden. 40 Millionen Euro gehen an nur 8 Prozent aller Schulen, nämlich an die ausgegliederten Schulen, die in Harburg von der GWG betreut werden; bleiben noch 80 Millionen Euro übrig für alle anderen 370 Schulen. Und von diesen 80 Millionen Euro – man höre und staune – wollen Sie noch 40 Millionen Euro als globale Minderausgabe streichen. Das heißt, mit 40 Millionen Euro, obwohl 400 Millionen Euro nötig wären, um überhaupt nur den Zerfall zu stoppen, wollen Sie die ganze Schulreform bezahlen. Das ist wirklich eine abenteuerliche Planung und ich glaube, selbst Erstklässler, egal ob nun Primarschule oder Grundschule, würden Ihnen diese Rechnung um die Ohren hauen und hätten damit wirklich recht.

(Beifall bei der SPD)

Sie werden gleich sagen, dass Sie das alles mit dem Konjunkturprogramm bezahlen. Aber wer sich das genau anschaut, stellt fest, dass das gar nicht so ist, denn das Konjunkturprogramm muss jetzt wirken. Da Sie aber noch gar nicht wissen, wo welche Schulen entstehen, werden die Millionen in neue Biologieräume und Ähnliches investiert. Das ist schön, das ist wichtig, das freut die Schulen. Aber für die Schulreform heißt das nach wie vor, dass in Sachen Baugeld überhaupt nichts zur Verfügung steht, was nur annähernd reichen würde, auch nur den Zerfall zu stoppen, geschweige denn neue Umbaumaßnahmen zu finanzieren.

Hamburg braucht deshalb nach meiner festen Überzeugung endlich sorgfältig geplante und durchdachte Reformen. Unsere Wege setzen auf drei Schwerpunkte. Herr Schira, Sie haben vorhin gesagt, dass ich einer der Schlimmen bin, die auch ab und zu sagen, dass man neun Jahre gemeinsames Lernen wolle. Wir wollen übrigens zehn Jahre, damit wir uns richtig verstehen.

(Frank Schira CDU: Ich habe neun bis zehn Jahre gesagt! – Wolfgang Beuß CDU: Sie wissen gar nicht, was Sie wollen!)

Es sind zehn und das ist richtig.

(Beifall bei der SPD)

Die Frage ist jetzt nur, wie man dort hinkommt. Wir wollen dieses gemeinsame Lernen und wir wollen

es Schritt für Schritt durchsetzen. In einem ersten Schritt wollen wir die Stadtteilschule zu der Schulform der Zukunft in Hamburg entwickeln und wir wollen von Anfang an die Gymnasien in diesen Prozess mit einbinden. So bringen wir das Zusammenwachsen der verschiedenen Schulformen auf den Weg.

(Beifall bei der SPD)

Und ich bin sicher, dass wir in absehbarer Zeit die Türen aller Schulen weit aufmachen für alle Schüler und es selbstverständlich sein wird, dass alle Schüler in jede Schule gehen können, egal, ob früher Gymnasium oder Stadtteilschule draufstand. Das ist möglich, wenn man die richtigen sorgfältigen und vor allem ordentlichen Schritte geht.

Im zweiten Punkt sind wir mit Ihnen vollkommen einig. Wir wollen besseres Lernen für alle Schüler auf den Weg bringen und dazu stehen in Ihren Haushalten durchaus Ansätze, die wir richtig finden, nämlich kleinere Klassen und individualisierter Unterricht. Das ist richtig und das muss dringend eingeleitet werden, und zwar an allen Schulformen. Ich sagte bereits, dass auch die Gymnasien hierbei einen ganz erheblichen Nachholbedarf haben.

Und drittens: In dem Punkt sind wir mit Ihnen virtuell zwar einig, aber was Ihren Haushaltsplan-Entwurf angeht, überhaupt nicht. Wir wollen Chancengleichheit für Schülerinnen und Schüler mit schwierigen Startbedingungen und dazu gibt es eine ganze Reihe von Maßnahmen. Die Enquete-Kommission hat sich auf über 60 Maßnahmen verständigt und diese sind fast alle einstimmig abgestimmt worden und Konsens. Das Schöne ist nämlich, dass diese Maßnahmen klappen. Viele Schulen haben damit angefangen, haben es ausprobiert und es funktioniert. Jetzt wäre es eigentlich an der Zeit, aus diesen einzelnen Graswurzeln die Sache einmal richtig zu organisieren und anzuschieben. Ich will Beispiele nennen: Staatliche Nachhilfe statt Sitzenbleiben und Abschulen – das wäre vermutlich sogar kostenneutral –, tatsächliche Einrichtung von Ganztagsschulen,

(Wolfgang Beuß CDU: Das muss ausge- rechnet einer von der SPD sagen!)

bei der Sprachförderung nicht nur den Sprachtest machen, sondern auch die Lehrerinnen und Lehrer dafür bereitstellen, Unterstützung der Elternarbeit und vor allem Integration der Förderschüler in die normalen Klassen. Dieses Programm ist möglich, man kann damit jederzeit anfangen. Leider steht dazu in Ihren Papieren schlicht nichts. Deswegen sage ich Ihnen ganz klar, unsere Reformvorschläge sind machbar, sie sind keine Abenteuergeschichten mit ungewissem Ausgang, sondern sie funktionieren. Das mag für einige Schulpolitiker vielleicht wenig sexy sein, aber es rettet die Lebensperspektiven vieler Kinder und darum sollte es uns gehen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)