Protokoll der Sitzung vom 02.09.2009

Gleichwohl finden wir seit dem vorletzten Wochenende eine neue Situation vor. Eine sehr besonnene Künstlerinitiative, dafür bin auch ich sehr dankbar, hatte das Gängeviertel besetzt und hat alternative Vorstellungen zur Revitalisierung dieses Quartiers. Meine Behörde hat als Reaktion auf die Künstlerinitiative in Absprache mit den anderen Behörden Gespräche aufgenommen mit dem Ziel, das Anliegen der Künstler zu diskutieren und eine einvernehmliche, konstruktive und auch in die Zukunft weisende Lösung zu finden.

Zunächst wollen wir mit den Künstlern eine Zwischennutzung dieses Areals vereinbaren. Hierzu führen wir intensive Verhandlungen, die noch andauern, auch heute Nachmittag wird es weitergehen. Bei Lösungen, die darüber hinausgehen, gibt es zu bedenken – das wurde von Frau Gümbel schon sehr deutlich gesagt –, dass ein rechtsgültiger Vertrag mit einem Investor über Sanierung und Restaurierung des Viertels vorliegt. Für den Senat halte ich fest, dass wir vertragstreu bleiben werden und müssen. Im Moment stockt es an der Baugenehmigung des Bezirks, da gibt es noch Nacharbeit zu machen. Wir hoffen, dass der Bezirk da in die Gänge kommt.

Inwieweit es Spielräume gibt, die sich mit den Interessen der Künstlerinnen und Künstler in Einklang bringen lassen, sollte in ruhiger Atmosphäre zwischen allen Beteiligten weiter geklärt werden. Die Besetzung des Gängeviertels sehen wir im Kontext der Bereitstellung von Immobilien für die Kreativbranche insgesamt. Wir haben auf diesem Feld in den letzten Jahren zwar durchaus Fortschritte gemacht, indem wir zum Beispiel Kreativimmobilien zur Verfügung gestellt haben und weitere planen und indem wir unser Atelierprogramm

(Dr. Eva Gümbel)

mit Hilfe eines Mäzens in der Speicherstadt ausdehnen konnten. Dennoch bekenne ich mich ausdrücklich zu einem Handlungsbedarf in diesem Bereich. Ein attraktives Umfeld für die Entwicklung und den Erhalt einer kreativen Szene und die Weiterentwicklung der Kreativwirtschaft macht sich wesentlich an einem Immobilienangebot fest, das sich an den Bedürfnissen und Erwartungen der Branche orientiert. Kreativschaffende benötigen Freiräume und ungewöhnliche Orte, an denen neue kreative Szenen entstehen und sich entfalten können.

Mit unserer Drucksache Aufbau des Kreativwirtschaftsclusters Hamburg vom 30. Juni dieses Jahres, die auch hier beraten wurde, haben wir ein klares Konzept vorgestellt, wie wir mehr Räume für die Kreativszene zur Verfügung stellen werden und, Frau Oldenburg, da ist auch an das Problem der Mieten gedacht; Sie erinnern sich an diesen Immobilienfonds.

Unter Moderation meiner Behörde ist inzwischen ein Informationsnetzwerk der relevanten Behörden und öffentlichen Gesellschaften entstanden. In Kürze werden wir Vorschläge für Kreativflächen präsentieren können, die sich unter anderem auf Zwischennutzungsangebote, aber auch auf langfristige Angebote beziehen. Erste Flächen haben wir bereits in den letzten Wochen mit Kreativschaffenden besichtigt, auch die Atelierflächen für 30 Künstler in der Behringstraße und Ruhrstraße, die noch in diesem Herbst bezogen werden können, sind ein erstes Ergebnis dieser Bemühungen.

Sie sehen, wir sind auf einem guten Weg und ich hoffe, das gilt auch für das Gängeviertel. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Das Wort bekommt Frau Schneider.

Meine Damen und Herren, Frau Präsidentin! Herr Hamann, wir möchten doch festhalten, dass die Diskussion um das Gängeviertel, um die Bewahrung eines Stücks Hamburger Geschichte, um die Frage einer Stadtentwicklung, die Vielfältigkeit und Integration fördert, dass diese Debatte heute nicht geführt würde ohne die hoffnungsvolle Aktion der Künstlerinnen und Künstler und dafür auch aus diesem Hause ganz herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

An die Adresse der CDU möchte ich sagen, dass das Grundstück, von dem wir heute reden, nach dem Höchstpreisverfahren verkauft wurde. Seit 2002/2003 ist es die Politik des Senats, städtische Liegenschaften nur noch im Höchstpreisverfahren zu verkaufen, das heißt, an den, der am meisten bietet. Mit diesem Verfahren bedient sich die Stadt

eines enorm wichtigen Steuerungsinstruments der Stadtentwicklung. Es sorgt mit dafür, dass sich die Logik des Immobilienmarktes, die Logik der höchstmöglichen Rendite, fast ungehindert durchsetzen kann. Alle anderen wesentlichen Gesichtspunkte der Stadtentwicklung treten hinter der Marktlogik zurück.

Die Marktlogik führt dazu, dass viele Leute sich langsam keine Wohnungen mehr in innenstadtnahen Quartieren leisten können, dass sie aus bis dato günstigen Wohnungen regelrecht vertrieben werden, dass die Stadtteile sozial immer mehr entmischt werden und somit soziale Spaltung und Ausgrenzung zunehmen, oder dass die Stadtteile verrotten wie im Gängeviertel, dass Vielfältigkeiten und damit die Lebendigkeit der Stadt verloren geht. Dies erleben wir in St. Georg, im Schanzenviertel, in St. Pauli, wir haben es erlebt in Ottensen und wir erleben es an vielen anderen Orten. Das Gängeviertel hat seine Spezifika, aber es ist eines von vielen Brennpunkten der Auseinandersetzung um Stadtentwicklung.

Die SPD spricht im Hinblick auf das Höchstpreisverfahren zu Recht von einem Fehler, wie es einer Presseerklärung des Abgeordneten Grote zu entnehmen war. Aber der Vorwurf der Gleichgültigkeit gegenüber einer sozialen und integrativen Innenstadtentwicklung trifft nicht nur den schwarzen beziehungsweise schwarz-grünen Senat, er trifft auch die SPD und den vormaligen rot-grünen Senat. Das Gängeviertel verrottet nicht erst seit gestern, es verfällt seit den Neunzigerjahren. Wenn der schwarz-grüne Senat auf eine Kleine Anfrage meines Kollegen Hackbusch antwortet:

"Eine Sanierung mit Haushaltsmitteln wurde geprüft, scheidet jedoch aus fiskalischen Gründen aus.",

dann gilt, jedenfalls im Ergebnis, diese Aussage auch für den rot-grünen Vorvorvorgängersenat. Auch er hat es versäumt, frühzeitig eine Sanierung einzuleiten. Wenn die Bezirksverwaltung HamburgMitte auf eine Anfrage unserer Fraktion in der Bezirksversammlung vom vergangenen Sommer auf die Frage – Zitat –:

"Wie viele Wohnungen zu welchen voraussichtlichen Preisen sollen im Rahmen des Projekts errichtet beziehungsweise erhalten werden?"

"Es sollen 76 Wohneinheiten entstehen. Die Preise sind nicht bekannt. Dies ist baurechtlich nicht relevant.",

so mag der letzte Satz ja sachlich richtig sein, stadtentwicklungspolitisch ist er jedoch eine Katastrophe.

(Beifall bei der LINKEN)

(Senatorin Dr. Karin von Welck)

In einem Artikel des "Hamburger Abendblatts" vom 23. Juli 2008 – er wurde nach Beendigung des Vertragsstreits zwischen dem holländischen Investor und dem Bezirk Hamburg-Mitte publiziert – ist zu lesen:

"Es könnte ein 30 Millionen Euro teures Vorzeige-Quartier und ein Touristenmagnet wie die Berliner Hackeschen Höfe entstehen. Das 'Gängeviertel' soll mit Künstlern, Gewerbetreibenden, Unternehmen, Cafés, kleinen Geschäften, aber auch mit neuen Wohnungen belebt werden. Touristen sollten ein Stück Alt-Hamburg hautnah erleben können."

(Jörg Hamann CDU: Was haben Sie dage- gen?)

Die Hackeschen Höfe sind alles andere als ein Vorbild für Stadtentwicklung.

(Beifall bei der LINKEN)

Um fast die gleiche Zeit nämlich übte der Berliner "Tagesspiegel" Kritik an den Hackeschen Höfen. Ich zitiere:

"Schluss mit billig: Rund um den Hackeschen Markt werden kleine Geschäfte und Lokale verdrängt. Die Besitzer können sich die horrenden Mieten nicht mehr leisten."

Genau das darf im Gängeviertel nicht eintreten.

(Beifall bei Norbert Hackbusch DIE LINKE)

Nur eine breite Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger bei der Stadtplanung kann das verhindern. Die Bedingungen im Gängeviertel sind optimal. Es gibt, Herr Hamann, ein alternatives Nutzungskonzept. Sie finden es auf www.gaengeviertel.info. Lesen Sie es einmal nach. Es gibt auch einen Appell des Vereins für Hamburgische Geschichte und der Arbeitsgruppe Denkmalschutz bei der Patriotischen Gesellschaft. Nehmen Sie sich das zu Herzen und setzen Sie sich damit auseinander. – Danke.

(Beifall bei der Linken und bei Andrea Rug- barth SPD)

Das Wort bekommt Frau Martens.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Trotz aller Unterschiedlichkeiten liegen wir meines Erachtens in den wesentlichen Punkten gar nicht so weit auseinander oder sind uns sogar einig.

(Olaf Ohlsen CDU: Siehst du! – Dr. Andreas Dressel SPD: Außer Herr Hamann! – Nor- bert Hackbusch DIE LINKE: Reden Sie mal mit Herrn Hamann darüber!)

Es haben bereits alle auf den städtebaulichen Vertrag hingewiesen, das erspare ich mir jetzt. Wir alle wollen so viel Altbausubstanz wie möglich im Gängeviertel erhalten. Wir wollen alle kurzfristig sofortige Maßnahmen zur Sicherung der Gebäude, um den weiteren Verfall zu stoppen. Wir wollen alle schnellstmöglich eine Klärung der vertraglichen Situation durch das Immobilienmanagement der Stadt. Wir wollen alle zunächst einmal eine temporäre Zwischennutzung der Erdgeschosse im Gängeviertel für die Künstlerinitiativen.

Frau von Welck hat darauf hingewiesen, dass die Stadt zurzeit intensive Gespräche durch die Kulturbehörde und die BSU mit der Initiative "Komm in die Gänge!" führt. Von dieser Seite kann man sich zum jetzigen Zeitpunkt eine Entwicklung und Nutzung des Gängeviertels als kreatives Viertel durchaus vorstellen und die schwarz-grüne Koalition hat sich ebenso wie unser Senat eindeutig zu einer kreativen Stadt Hamburg bekannt. Dazu – Herr Buss, Sie werden morgen wahrscheinlich mitdebattieren – gibt es die bekannte Drucksache zum Aufbau des Kreativwirtschaftsclusters.

An dieser Stelle ein kurzer Exkurs zum Thema Atelierflächen in Hamburg. Die Künstler im Gängeviertel wollen auch grundsätzlich auf die Raumnot in der Stadt aufmerksam machen. Tatsächlich haben wir in Hamburg bereits rund 280 geförderte Atelierflächen. Wir haben also im Vergleich zu Berlin – jetzt wird ein großes Raunen durch den Raum gehen –, wo 800 Flächen gefördert werden, noch eindeutig zu wenig Atelierflächen. Wir wissen alle, wie existentiell wichtig Raum, vor allem günstiger Raum, für Künstler ist.

Stichworte wie Kreativagentur, Bestandsaufnahme von Kreativflächen, Fonds Zwischennutzung städtischer Flächen und Räume zeigen jedoch, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Dass es den betroffenen Künstlern häufig nicht schnell genug geht, kann ich, wie Frau Gümbel, aus ganzem Herzen nachvollziehen, aber ein Dampfer braucht nun einmal ein bisschen, bis er in Fahrt kommt.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Das ist ein lang- samer Dampfer!)

Aus anderen Debatten wissen Sie, dass ich nicht für Schuldzuweisungen bin, sondern eher für eine Politik, die den Blick nach vorne richtet, und ich sage ganz deutlich, dass die Stadt im Gängeviertel zeitlich nur noch eine Chance hat. Deshalb heißt mein Appell, kreativ zu sein, eingefahrene Denkmuster zu hinterfragen, eingeschliffene Denkbahnen zu verlassen

(Dr. Andreas Dressel SPD: Das geht jetzt an Herrn Hamann wahrscheinlich!)

und das Gängeviertel unter einem neuen und ungewohnten Blickwinkel zu betrachten – Herr Dressel, Sie waren in der SPD auch an dieser Entwicklung beteiligt –

(Christiane Schneider)

(Dr. Andreas Dressel SPD: Wir sind dabei!)

und das Gängeviertel aus einem neuen und ungewohnten Blickwinkel zu betrachten als ein historisches Viertel mit innovativer Nutzung, auch in bestehenden Verträgen.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Das Wort bekommt Herr Grote.