Protokoll der Sitzung vom 07.10.2009

Für die Kinder ist die Schule immer da, das ist völlig klar.

Aber wer setzt das denn letzten Endes vor Ort um? Das sind die Lehrer und die haben Sie jämmerlich im Stich gelassen. Denen kippen Sie das alles über, die sollen diese Reformen durchführen, die Sie gut und richtig finden. Wir sind uns ja einig, dass es mehr Individualisierung braucht, aber ich sehe noch nicht, dass Sie auch die Ressourcen dafür bereitgestellt haben.

(Hartmut Engels CDU: Das ist ein persönli- cher Wettstreit der SPD mit den LINKEN um die Lehrergewerkschaften!)

Deswegen haben wir unter anderem nach Ressourcen gefragt, danach, was Sie denn wirklich wofür zur Verfügung stellen, damit man zumindest in Ansätzen sehen könnte, das ist für die Förderung von Kindern und das ist für die Weiterbildung von Lehrern vorgesehen. Die Grundhaltung, die sicherlich in der Stadt zum längeren gemeinsamen Lernen vorhanden ist, darf man ganz einfach nicht

(Dittmar Lemke)

verwechseln mit der Grundhaltung zu dieser Reform. Die ist nämlich durchaus nicht so positiv.

Kommen wir zu dem, was allenthalben gesagt wird. Es ist ein Schritt zum längeren gemeinsamen Lernen und einige sagen auch, dass es der Einstieg in das längere gemeinsame Lernen sei. Einstieg klingt ganz einfach nach einer Fortsetzung, als gäbe es anschließend noch einmal zwei Jahre nach Belieben obendrauf. Bis sich das gesamte Schulsystem von diesem Umbau erholt hat, von den schon vorhandenen Reformen und von denen, die wir jetzt durchführen – es sind genau genommen zwei Reformen, die Primarschulreform und die Einführung der Stadtteilschule –, werden Jahre vergehen, bis wir überhaupt wieder an weitere Strukturänderungen, an noch weiteres gemeinsames Lernen herangehen können.

Als Vertreterin der einen Schule für alle – wir sind gemeinsam dafür auf die Straße gegangen, Frau Heyenn und ich und auch Frau Goetsch – reicht mir das System, das wir jetzt aufbauen, ganz einfach nicht aus. Es zementiert im Anschluss an diese sechs Jahre gemeinsamen Lernens ein Zwei-Säulen-System. Dafür standen wir nicht auf der Straße und haben Unterschriften gesammelt.

(Beifall bei der SPD – Viviane Spethmann CDU: Das geht Ihnen nicht weit genug!)

Ja, natürlich.

Das vorliegende Gesetz, und das muss ich ganz einfach kritisieren, enthält nicht ansatzweise etwas dazu, wie sich dieses System weiterentwickeln soll und darauf kommt es doch an. Diese übergreifenden pädagogischen Konzepte, so wie wir sie als SPD in unseren Dokumenten festgehalten haben, nämlich eine Langformschule, in der die Grundschulen und die Stadtteilschulen sich gemeinsam hätten entwickeln können, vermisse ich in Ihrem Gesetzentwurf. Stattdessen ist es wahrscheinlich, dass sich auch die Gymnasien mit den Primarschulen zusammentun werden und da muss man ganz einfach befürchten, dass eine soziale Auslese stattfindet.

Jenseits aller neu einzuführenden Verfahren am Übergang von der Primarschule zur weiterführenden Schule sehe ich noch nicht, dass dieser Übergang so problemlos ist, so positiv er auch von Frau Goetsch mit umfangreicher Leistungsbewertung, Kompetenzfeststellung und dergleichen mehr geschildert wurde. Viele Jahre ausgiebiger Diskussionen mit Lehrkräften haben mir gezeigt, dass unter den tatsächlichen Bedingungen, welchen Background ein Kind hat, auch diese subjektiven Einschätzungen in so eine Kompetenzfeststellung mit einfließen. Diese wird demzufolge nicht frei von subjektiver Beurteilung sein. Inwieweit wollen Sie mir denn dann sagen, dass keine soziale Komponente da drin ist und wir wirklich die Chancengleichheit erhalten. Ich sehe es noch nicht.

Was hatten Sie noch alles gesagt?

(Antje Möller GAL: Wollen Sie eine Antwort haben oder reden Sie gleich weiter?)

Ich habe jetzt die Gehässigkeit da drüben gar nicht gehört, es war irgendetwas Böses, aber macht nichts.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Nein, das war ganz lieb gesagt! – Beifall bei Andreas Waldowsky GAL)

An einer Stelle bin ich ein bisschen verwirrt, Frau Goetsch. Sie haben gesagt, dass wir die Stadtteilschule schlechtreden würden. Wir reden sie nicht schlecht, denn die Stadtteilschule wäre ohne die Gesamtschule, die wir vorher installiert hatten, überhaupt nicht möglich, denn sie basiert auf den Erfahrungen unserer Gesamtschule. Ganz im Gegenteil, wir sind traurig, dass unsere Gesamtschule dann gar nicht mehr auftaucht.

(Zurufe von der CDU: Oh!)

Wir könnten aber damit leben, wenn die Stadtteilschule wirklich die Säule wäre, die zu dem ausgebaut würde, was wir uns vorstellen, nämlich das längere gemeinsame Lernen. Aber das ist es nicht, sondern es besteht die große Gefahr, dass eine Resteschule entsteht, die keine Akzeptanz durch die Eltern findet.

Auf etwas möchte ich noch eingehen.

(Wolfgang Beuß CDU: Eine spannende Re- de!)

Herr Beuß, Ihre Rede gestern Abend vor Ihren eigenen Kollegen war auch nicht viel spannender.

(Beifall bei der SPD – Kai Voet van Vormi- zeele CDU: Waren Sie da?)

Jetzt bin ich aber tatsächlich ein bisschen durcheinander gekommen.

(Egbert von Frankenberg CDU: Das Thema hat bei der SPD hohe Priorität, das merkt man! – Glocke)

Meine Damen und Herren! Das Wort hat die Abgeordnete Rugbarth. Sie dürfen es auch ausnutzen.

– Danke, Herr Präsident.

Trotz der Bedenken, die ich auch jetzt geäußert habe, sehe ich, dass diese Reform gute Ansätze enthält, das kann man nicht bestreiten.

(Egbert von Frankenberg CDU: Das hörte sich bei Herrn Rabe aber anders an!)

Perspektivisch aber, das haben Sie völlig richtig erkannt, haben wir in unseren Papieren das wirklich längere gemeinsame Lernen mit der einen Schule

für alle auf unser Papier geschrieben. Perspektivisch sehe ich eben nicht, dass sich dieses System dahingehend umbauen lässt und deswegen lehne ich es ab, auch weil die sechs Jahre ganz einfach nicht ausreichen. Die zwei Säulen darauf zementieren etwas und ich sehe keine vernünftige Weiterentwicklung. – Danke.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort erhält der Abgeordnete Kerstan.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Debatten über die Schulpolitik sind immer sehr emotionale Debatten, weil es um die Zukunft unserer Kinder geht. Das ist auch gut und richtig so. Wenn ich heute nicht mit der gleichen Leidenschaft und Beweglichkeit rede, dann liegt das nicht daran, dass mir die Leidenschaft fehlt, sondern dass ich unfallbedingt etwas in der Bewegung eingeschränkt bin.

Bevor wir noch einmal in die Debatte einsteigen, möchte ich eines sagen. Wir haben heute eine Debatte über ein Schulgesetz, das nicht nur in Hamburg, sondern in ganz Deutschland Aufmerksamkeit erregt,

(Dirk Kienscherf SPD: Ja, aber nicht nur po- sitiv!)

nicht nur deshalb, weil es eine der größten Veränderungen der Schulstruktur in unserem Lande darstellt, sondern auch, weil erstmalig zwei Partner versuchen, ein Schulsystem neu zu gestalten, die sich in der Vergangenheit in unterschiedlichen Lagern befunden haben.

(Ties Rabe SPD: Dann muss es ja gut sein!)

Wenn wir einmal analysieren, warum das deutsche Schulsystem und die darin erbrachten Leistungen im internationalen Vergleich nur beklagenswerte Ergebnisse erbringen, dann muss man doch feststellen, dass die schulpolitischen Debatten der Vergangenheit von zwei Lagern geprägt waren, die jeweils immer auf alles oder nichts, auf Sieg oder Niederlage gesetzt hatten. Zu dem einen Lager gehörten auch wir Grünen, die immer gesagt haben, wir wollen längeres gemeinsames Lernen und wir wollen kein gegliedertes Schulsystem und die Verteidiger des gegliederten Schulsystems.

Das Ergebnis war eine immer mehr aufgesplitterte Schullandschaft. Es gab neue Koalitionen, es gab neue Schulversuche und wenn man sich das Hamburger Schulsystem anguckt, so wie es heute existiert, muss man sagen, das ist nicht dreigliederig, das ist vier-, fünf-, sechs-, siebengliedrig. Das ist einer der Gründe dafür, dass wir so schlechte Ergebnisse in der Schule, von der Leistung her, aber natürlich auch in puncto soziale Gerechtigkeit erzielen.

Das Besondere an diesem Schulgesetz ist, dass wir erstmalig in diesem Land nicht mehr versucht haben, welche Seite gewinnt, sondern dass zwei Partner aus unterschiedlichen Lagern versucht haben, einen Kompromiss zu finden, der einerseits längeres gemeinsames Lernen befördert und damit mehr soziale Gerechtigkeit, aber auch ein leistungsstärkeres Schulsystem schafft und andererseits einen Teil des alten Schulsystems bewahrt. Das ist das Große und Bedeutsame heute.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Dieser Meilenstein ist zu einem Großteil auch sozialdemokratischer Programmatik geschuldet, so wie Sie es in Ihren Programmen schreiben.

All Ihre Reden, Herr Rabe und auch Frau Rugbarth, mit all diesen vielen unterschiedlichen Details und ähnlichen Dingen sind doch einfach nur Nebelkerzen, die Sie zu werfen versuchen, weil Sie ganz offenkundig allein aus taktischen Erwägungen über die Meinungshoheit an den Stammtischen glauben, machtpolitisch Vorteile zu erringen, und dafür bereit sind, Ihre eigene Programmatik ein Stück weit zu vergessen. Damit bestätigen Sie all die Bürgerinnen und Bürger in dieser Stadt und diesem Lande, die sagen, Politik sei ein schmutziges Geschäft.

(Ingo Egloff SPD: Und Sie sind der weiße Ritter, Herr Kerstan!)

Damit erweisen Sie nicht nur der Schulpolitik, sondern der Politik insgesamt einen Bärendienst, Herr Rabe und die Sozialdemokraten.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Und wenn Sie angesichts dieses historischen Kompromisses, der beinhaltet, dass widerstreitende Lager, die sich unversöhnlich gegenüberstanden, jetzt einen gemeinsamen Entwurf haben, dann von Schulkrieg und ähnlichen martialischen Begriffen reden, Herr Rabe, dann zeigt das nur eines: Sie mögen sich hier als Biedermann darstellen, dem es um das Wohl der Kinder in unserer Stadt geht. In Wirklichkeit haben Sie heute wie ein Brandstifter geredet und dafür sollten Sie sich schämen.

(Beifall bei der GAL und der CDU – Michael Neumann SPD: Das ist doch lächerlich!)

Dass Sie dafür den Beifall der gesamten sozialdemokratischen Fraktion bekommen haben, das macht mich ein Stück weit fassungslos.

(Michael Neumann SPD: Mich macht die Rede fassungslos!)