Protokoll der Sitzung vom 19.11.2009

(Beifall bei der SPD und bei Christiane Schneider DIE LINKE)

Das Wort bekommt Herr Krüger.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Zunächst einmal eine Bemerkung vorweggeschickt: Bei jedem Hilfeangebot für hier lebende Menschen ohne geklärten Aufenthaltsstatus, also Menschen, die sich illegal hier aufhalten, besteht natürlich für den Staat ein Dilemma. Auf der einen Seite dürfen und sollen humanitäre Grundsätze auf keinen Fall verletzt werden, auf der anderen Seite sind aber gerade vom Staat Recht und Gesetz zu beachten. Ein ähnlicher Zielkonflikt besteht auch für Helfer im nicht-staatlichen Bereich in diesem Fall. Einerseits müssen sie die Unterstützung geben, die erforderlich und wünschenswert ist, auf der anderen Seite darf es keine Preisgabe der Anonymität geben.

Dies einmal vorausgeschickt, muss ich Ihnen sagen, liebe Frau Domres, dass es Ihres Antrags gar nicht bedurft hätte, denn das Thema ist für die SPD vielleicht interessant, aber wir als schwarz-grüne Koalition haben uns dieser Problematik längst angenommen.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Längst!)

Ein Blick in unseren Koalitionsvertrag hätte Ihnen auch gezeigt, dass dies wirklich kein neues Thema ist.

(Beifall bei der CDU und bei Antje Möller GAL)

Probleme gibt es insbesondere bei der medizinischen Versorgung in Notfällen. Ob die Zahlen, die Sie hier genannt haben für Menschen ohne Aufenthaltsstatus, belastbar sind, sei dahingestellt. Jeder einzelne Fall, bei dem es zu einem Problem kommt, erfordert Hilfe. Deshalb will ich mich hier auch gar nicht auf Zahlen einlassen. Grundsätzlich muss aber festgestellt werden, dass das Asylbewerberleistungsgesetz sehr wohl eine medizini

(Anja Domres)

sche Versorgung in Notfällen vorsieht. Erfahrungen aus München belegen, dass etwa zwei Drittel aller derartigen Fälle in dieser Form lösbar sind. Das dürfte vermutlich von den Relationen her auch für Hamburg gelten und ich weise darauf hin, dass sich beispielsweise das UKE in diesem Bereich sehr engagiert.

Soziale und medizinische Hilfe für Menschen in der Illegalität stellen ein sehr komplexes Problem dar. Das Grundsatzproblem der Illegalität ist natürlich, dass die Regelsysteme eben nicht zur Verfügung stehen, und man muss sich unabhängig von der Wahl des Lösungswegs klarmachen, dass vermutlich trotz aller Bemühungen nicht in jedem Fall die erforderliche und von uns allen sicherlich gewünschte Hilfe möglich sein wird.

Der Deutsche Städtetag hat sich wiederholt mit diesem Problem befasst. Es liegen Erfahrungen aus anderen Städten vor und Hannover, meines Wissens von einem SPD-Oberbürgermeister regiert, hat im letzten Jahr formuliert, dass für Staat und Kommunen Illegalität nicht hinnehmbar sei. Das heißt, das erste Ziel – das gilt auch für die medizinische Versorgung – muss sein, dass wir Menschen, die ohne geklärten Aufenthaltsstatus hier leben, wieder in die Legalität bringen, in die Regelsysteme einführen und nicht etwa Parallelsysteme aufbauen.

(Christiane Schneider DIE LINKE: In das Regelsystem der Abschiebung!)

Alle Maßnahmen müssen also zunächst einmal darauf hinauslaufen, Illegalität möglichst zu verhindern und neue Systeme auch im Gesundheitsbereich zu erleichtern. Der Weg zu einer Normalisierung der Parallelgesellschaft kann wirklich nicht unser Ziel sein.

(Norbert Hackbusch DIE LINKE: Da sind die ja bei Ihnen in guten Händen!)

Neben den rechtlichen Problemen, die ich eben nur kurz angerissen habe, gibt es natürlich auch praktische. Es ist ein wenig lebensfremd zu glauben, dass Sprechstunden in Bezirksämtern für Menschen ohne Aufenthaltsstatus, die natürlich Angst haben, sich hier aufzuhalten, wirklich die richtige Anlaufstelle sind für eine Sprechstunde. So souverän werden die meisten Menschen, die hier in einer Schatten- und Parallelwelt leben, vermutlich nicht sein.

Bei Freien Trägern – auch die gibt es in Hamburg, Frau Domres hat darauf hingewiesen, die Malteser im Marienkrankenhaus wurden genannt – gibt es nach den Gesprächen, die ich mit ihnen geführt habe, durchaus zwiespältige Gefühle beim Thema Finanzierung. Auf der einen Seite wird sich jeder Träger, der in diesem Bereich tätig ist und von Spenden und ehrenamtlichem Engagement lebt, natürlich über finanzielle Hilfe freuen. Auf der anderen Seite wurde mir sehr plausibel deutlich ge

macht, dass jede Form von staatlicher Hilfe dazu führt, dass man als Träger eine rechtliche oder zumindest moralische Verpflichtung gegenüber dem Staat hat, wenn man diese Hilfe annimmt. Gerade die Glaubwürdigkeit eines freien Trägers im Umgang mit Illegalen besteht darin, deutlich zu machen, dass man überhaupt keine Verpflichtung gegenüber dem Staat hat, dass, wer sich an diesen Träger wendet, keine Angst haben muss, in irgendeiner Form dann doch einem staatlichen Zugriff ausgesetzt zu sein. Auch das bitte ich einmal zu bedenken, das ist meiner Meinung nach ein wichtiges Argument.

Es gibt auch andere praktische Fragen, die man klären muss. Wie beweist man eigentlich, dass man keine Papiere hat? Es wäre für mich absolut inakzeptabel, dass Menschen, die eine Krankenkassenkarte in der Tasche haben, aus eventuell nachvollziehbaren Gründen die Behandlung in der Anonymität vorziehen würden und sich deshalb nicht offenbaren. Das kann nicht unser Ziel sein. Ich will es nicht überbetonen, ich will damit nur andeuten, dass dies auch ein Aspekt ist, den man berücksichtigen muss. Schließlich wäre es ungerecht, wenn Menschen in der Illegalität Leistungen bekämen, bei denen sie von Zuzahlungen befreit wären, während andere, besonders mit geringem Einkommen, eigene Zuzahlungen leisten müssen. Dass der legal hier lebende Mensch mehr zahlt als der illegal hier Lebende, kann nicht unser Ziel sein.

(Beifall bei der CDU)

Dann gibt es ethische Probleme. Bei jeder Art von Leistung muss einem klar sein, dass sie vermutlich endlich ist. Wir können jedoch unmöglich an irgendeinem Tag des Jahres, an dem dieser Topf erschöpft ist, denjenigen plötzlich nicht mehr behandeln. Man muss sich also Gedanken machen, wenn man so ein Angebot macht, dass es verlässlich ist nicht nur für die Helfer, sondern insbesondere für die Patienten, die wir nicht wieder wegschicken wollen. Diese Liste ließe sich lange fortführen.

Genau über solche Themen, liebe Frau Domres, sind wir seit langer Zeit in der Koalition im Gespräch und deshalb müssen diese Fragen politisch, ethisch und rechtlich zunächst einmal geklärt sein. So eine Klärung wird nun gewiss nicht durch einen Runden Tisch ersetzt, Politik wird immer noch im Parlament gemacht und nicht an Runden Tischen.

(Jan Quast SPD: Oder im Ausschuss!)

Nachdem diese Klärung erfolgt ist, kann man gern wieder mit den Betroffenen an einem Runden Tisch zusammenkommen, um Detailfragen für die Ausgestaltung zu klären. Aber Ihr Vorschlag, mit Verlaub, bringt da wirklich keine Lösungsvorschläge und deshalb hat es auch wenig Sinn, ihn im

Ausschuss zu diskutieren und wir werden ihn auch ablehnen.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort bekommt Frau Heitmann.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Auch wenn immer wieder davon die Rede ist, dass Menschen, die illegal in dieses Land einreisen, die sich hier ohne gültigen Aufenthaltsstatus aufhalten, Gesetze gebrochen haben, so ist es dennoch so, dass sie häufig aus einer Notlage heraus gekommen sind. Fakt ist, dass diese Menschen hier sind und wir haben die Verantwortung, mit diesen Menschen umzugehen.

(Beifall bei der GAL)

Gestern in der Debatte wurde bereits mehrfach betont, welche grundlegenden Rechte auch Menschen ohne Papiere in dieser Stadt haben. Sie haben das Recht auf Bildung, das Recht auf Schutz vor Ausbeutung. Hierzu war ein schöner Artikel in der "ZEIT" letzte Woche, den ich gerne empfehle. Diese Menschen haben auch ein Recht auf Gesundheitsversorgung. Diese Rechte sind geschützt durch den UN-Sozialpakt, durch die UN-Kinderrechtskonvention, durch die Wanderarbeiter-Konvention und einige mehr.

Ich gehe jetzt direkt zum SPD-Antrag über: Liebe SPD, ich habe mich gefreut, dass ein Antrag kam, dass Sie sich wieder einmal zum Hüter unseres Koalitionsvertrags gemacht haben, in dem ganz klar verankert ist, dass wir uns dieses Themas annehmen.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der CDU)

Ihr Antrag enthält sehr viele wichtige und richtige Punkte. Wir lehnen ihn deshalb heute ab, weil wir in der Koalition schon sehr viel weiter sind, als Sie es in Ihrem Antrag wollen.

(Norbert Hackbusch DIE LINKE: Dann kön- nen Sie das ja im Ausschuss erklären!)

Sie fordern in Ihrem Antrag einen Runden Tisch mit allen Akteuren der Stadt. Es gab bereits mehrere Gespräche, mit dem Medibüro, mit der Ärztekammer und mit dem UKE, weil auch uns deren Einbeziehung in eine Konzeption wichtig ist und wir einen regen Austausch pflegen.

Dann haben Sie in Ihrem Antrag geschrieben, dass Sie gern die Überprüfung verschiedener, in anderen Städten praktizierter Modelle anstoßen würden. Auch das ist bereits geschehen. Sowohl die Behörde als auch Antje Möller und ich haben die verschiedenen Modelle sehr genau angesehen und wir diskutieren innerhalb der Koalition derzeit, welches Modell oder welche neue Konzeption

möglicherweise auch auf Hamburg zugeschnitten sein könnte.

Ich erzähle Ihnen vermutlich nichts Neues, wenn ich sage, dass unsere beiden Parteien bei diesem Thema nicht immer ganz dieselben Auffassungen vertreten und auch von sehr unterschiedlichen Polen kommen, was die Diskussion teilweise nicht ganz einfach macht. Aber ich glaube, dass wir eine Koalition sind, die sehr gut und sehr pragmatisch zu Lösungen kommen wird.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

So sind wir uns weitgehend einig in der Frage, dass eine Clearingstelle, wie sie in München praktiziert wird, auch für Hamburg ein Bestandteil sein könnte. Wie das in der weiteren Ausgestaltung dann aussehen soll, darüber sind wir im Austausch. Es ist mir sehr wichtig, dass bei dem Umgang mit Menschen im illegalen Aufenthaltsstatus ohne den Druck zur Aufdeckung der Identität gearbeitet wird.

(Beifall bei der GAL und bei Norbert Hack- busch DIE LINKE)

Ich persönlich finde es etwas zynisch, wenn immer wieder betont wird, Menschen im illegalen Aufenthaltsstatus hätten die Möglichkeit, Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in Anspruch zu nehmen,

(Ingo Egloff SPD: Das hat der Senator gestern aber gesagt!)

denn genau dafür müssen sie ihren Aufenthaltsstatus aufdecken. Und das ist die Zwickmühle, die es häufig verhindert, dass schwerwiegende Krankheiten viel zu spät behandelt werden, fachlich unzureichend oder sogar gar nicht. Auch schwangere Frauen haben kaum Möglichkeiten, ihr Kind in dieser Stadt unter sicheren Bedingungen zur Welt zu bringen.

Es ist, wie Herr Wersich gestern in der Debatte schon betont hat, ein kleiner Fortschritt, dass nun im Bundesrat die verlängerte Schweigepflicht des Sozialamts erreicht wurde, die es möglich macht, auch in akuten Notfällen die Kosten einer Krankenhausbehandlung zu übernehmen, ohne dass eine Aufdeckung der Identität notwendig ist. Aber man muss leider auch konstatieren, dass Menschen im illegalen Aufenthalt häufig sehr schlecht über ihre Rechte informiert werden und es eine sehr große Hürde für diese Menschen darstellt, überhaupt an Institutionen heranzutreten, die in irgendeiner Form mit dem Staat assoziiert werden. Da besteht großes Misstrauen und große Skepsis, weshalb eine staatsferne und unabhängige Organisation als Anlaufstelle sehr wichtig ist.

(Beifall bei Antje Möller GAL – Glocke)

(Harald Krüger)

Erste Vizepräsidentin Barbara Duden (unterbre- chend): Frau Heitmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Yildiz?

– Nein, er redet gleich noch.

Ich komme jetzt auch zum Schluss meiner Rede. Es gibt Gespräche mit den Akteuren, die Koalition arbeitet an diesem Thema und ich freue mich, Ihnen hier hoffentlich bald konkretere Planungen vorstellen zu können, über die wir dann gern wieder diskutieren können. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und der CDU)