Protokoll der Sitzung vom 19.11.2009

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Das Wort bekommt Frau Schneider.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es ist in der gestrigen Debatte deutlich geworden – Frau Heitmann, Sie haben es auch angesprochen –, dass die Frage der Anonymität und ihrer Akzeptanz in gewisser Weise auf allen diesen Handlungsfeldern im Mittelpunkt steht. Das gilt auch für das Handlungsfeld Gesundheitsversorgung. Herr von Frankenberg, Sie haben gestern klipp und klar gesagt, es solle gesundheitliche Versorgung geben, aber keinen Anspruch auf Anonymität.

Herr Senator Wersich, Sie haben gestern völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass jahrzehntelange Illegalität – ich bitte Sie, bei diesem Wort die Anführungszeichen mitzudenken, denn kein Mensch ist illegal – unerträglich für alle mittelbar und unmittelbar Beteiligten ist, hier stimme ich Ihnen voll zu. Aber die Perspektive der Rückführung – dieser Begriff ist wirklich ein Euphemismus – und der Abschiebung fesselt Menschen im Schattendasein der Illegalität. Die politische Situation in vielen Ländern, die tiefe Spaltung der Welt und übrigens zunehmend auch die Klimakatastrophe führen in Zukunft zu großen und wahrscheinlich ziemlich rasant wachsenden Wanderungsbewegungen und Flüchtlingsströmen in aller Welt. Das kann man sich wegwünschen, davor kann man die Augen verschließen, aber damit schafft man diese Tatsache nicht aus der Welt. Die Flüchtlingsbekämpfungspolitik der EU und der Bundesrepublik Deutschland verhindert diese Flüchtlingsströme nicht. Sie verhindert auch nicht, dass es Menschen gelingt, sich hierher durchzuschlagen. Aber sie führt dazu, dass Menschen hier in die Illegalität gezwungen werden, sie produziert die Illegalität dieser Menschen. Es wird bei Aufrechterhaltung dieser restriktiven Flüchtlingspolitik deshalb keine Lösung der Problematik geben, dass Menschen in der Illegalität leben müssen. Diesem Umstand muss Rechnung getragen werden, und das bedeutet zweierlei.

Erstens muss es unserer Meinung nach eine Amnestie für die jetzt hier lebenden Illegalisierten geben.

Zweitens, da dies so schnell nicht erreichbar ist und auch nicht prophylaktisch gilt, denn es werden immer weitere Leute kommen, müssen Regelungen gefunden werden, die von dieser massenhaften Tatsache illegalisierter Menschen auch hier in Hamburg ausgehen.

Da Senator Wersich weder das eine noch das andere will, also weder Amnestie

(Olaf Ohlsen CDU: Darf er ja nicht!)

noch die Anerkennung der Tatsache, dass es Illegalität zwangsläufig geben wird, ist sein Verweis auf den unerträglichen Zustand jahre- oder jahrzehntelanger Illegalität in letzter Instanz zynisch. Sie bieten für wenige Fälle die vage Chance einer Legalisierung und für die große Zahl der Betroffenen die Abschiebung in Zustände, aus denen sie oft unter Lebensgefahr geflüchtet sind. Unter solchen Umständen ist doch selbstverständlich, dass Betroffene die trostlose Situation der Illegalität der Abschiebung vorziehen.

Was heißt das jetzt für die Frage der Gesundheitsversorgung? Wir müssen weiter davon ausgehen, dass eine große Zahl von Menschen ohne Aufenthaltstitel in dieser Stadt lebt. Wir stimmen dem Antrag der SPD zu, weil er einige wichtige Anliegen aufnimmt und Vorschläge macht, die wir unterstützen. Aber ich sage ganz offen, dass wir diese Schritte nicht für ausreichend halten. Ich habe gern vernommen, Frau Domres, dass Sie über weitergehende Schritte nachdenken und darüber am Runden Tisch sprechen möchten. Trotzdem ist Ihr Vorschlag unserer Ansicht nach nicht ausreichend.

Senator Wersich, Sie haben gestern ausdrücklich gesagt, es könne nicht das Ziel sein, Anonymität zu normalisieren und diese Menschen mit Geduldeten gleichzustellen. Ich habe zweimal nachgeschaut, aber Sie haben tatsächlich gesagt, sie dürften nicht einmal mit Geduldeten gleichgestellt werden. Sie haben dann das hehre Wort der Gerechtigkeit verwendet, es würde den Gerechtigkeitsgrundsatz eklatant verletzen. Mir hat da der Atem gestockt.

(Olaf Ohlsen CDU: Der hätte noch länger stocken sollen!)

Ihr Gerechtigkeitsgrundsatz scheint darin zu bestehen, im Hinblick auf die Menschenrechte eine deutliche Abstufung auf der alleruntersten Ebene, auf der Ebene der am meisten Ausgegrenzten und Entrechteten, aufrechtzuerhalten. Diese weitere Klassifizierung von Leistungsberechtigungen mögen die für gut halten, die das Prinzip der Klassenmedizin verfolgen und in die Tat umsetzen. Dem Grundgedanken einer solidarischen und gerechten Gesellschaft widerspricht dies total.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese Herabsetzung auf der untersten Stufe, die Sie wollen, macht die SPD nicht in ihrem Antrag und dafür bin ich außerordentlich dankbar. Sie tragen der Tatsache, dass unter uns illegalisierte Menschen leben, wirklich Rechnung. Das hat Ihre Rede, Frau Domres, auch bestätigt und darüber habe ich mich gefreut.

Jetzt kommt mein Aber: Sie treten für die Gleichstellung der Illegalisierten mit den Geduldeten ein. So habe ich die Begründung verstanden, wenn Sie ausdrücklich sagen, Grundlage der Gesundheitsleistungen kann nur Paragraf 1a Asybewerberleistungsgesetz sein, denn eine Besserstellung von Menschen ohne Papiere gegenüber Asylsuchenden oder geduldeten Menschen sei nicht vermittelbar. Doch die Gesundheitsversorgung der Geduldeten kann nach unserer Auffassung nicht der Maßstab sein; das ist für uns das Problem Ihres Antrags. Das Asylbewerberleistungsgesetz gewährleistet lediglich einen reduzierten Leistungsanspruch bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen. Ich weise darauf hin, dass auch die Ärzteorganisationen diesen reduzierten Leistungsanspruch seit vielen Jahren kritisieren, und zwar mit Begründungen wie der, die Abgrenzung sei bei vielen Krankheitsbildern und Verläufen nicht möglich, Paragraf 4 des Asylbewerberleistungsgesetzes widerspreche dem Präventionsgedanken und sei ethisch bedenklich. Dieser ohnehin schon eingeschränkte Rechtsanspruch auf Sozialleistungen wird durch Paragraf 1a Asylbewerberleistungsgesetz noch weiter eingeschränkt für geduldete und vollziehbar ausreisepflichtige Migrantinnen, indem diese Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz nur noch erhalten, – Zitat – :

"… soweit dies im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar geboten ist."

Zitatende. –

(Vizepräsident Wolfhard Ploog übernimmt den Vorsitz.)

Die SPD hat bisher die in den Fachkreisen unterstützte Forderung nach einem anonymisierten Krankenschein, die wir unterstützen, nicht aufgegriffen. Sie argumentiert, dass eine Besserstellung von Menschen ohne Papiere gegenüber Asylsuchenden oder geduldeten Menschen nicht vermittelbar sei; ich hatte das Zitat vorgelesen. Wir wollen natürlich nicht die Besserstellung der illegalisierten Menschen, weil wir nämlich die Schlechterstellung der Geduldeten und Asylsuchenden nicht wollen. Wir wollen überhaupt keine Aufteilung des Grundrechts auf Gesundheitsversorgung nach exzellent, gut, ausreichend, notdürftig und knapp notdürftig.

(Beifall bei der LINKEN)

Deshalb sagen wir, wir wollen den anonymisierten Krankenschein, wir wollen die Diskussionen darüber, wie die Staaten, wie die Bundesrepublik Deutschland, wie Hamburg in Zeiten einer globalisierten Welt grundlegende Menschenrechte für alle gewährleisten. Wir sehen deshalb auch die Notwendigkeit, die im Asylbewerberleistungsgesetz zementierte Vielklassen-Gesundheitsversorgung abzuschaffen.

Es ist in dieser Debatte deutlich geworden, dass eine Menge Fragen noch nicht geklärt sind, dass Diskussionsbedarf besteht über einzelne Regelungen. Wir sehen den Ausschuss als den Ort an, an dem diese Debatte weitergeführt werden kann, und es ist mir sehr erklärlich, warum Sie diese Debatte nicht führen wollen, weil nämlich die erheblichen Differenzen zwischen der CDU und der GAL dann auf den Tisch kämen. Aber da opfern Sie wichtige Anliegen der Koalitionsräson und das kann nicht sein. – Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort bekommt Frau Domres.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wenn ich mir die Redebeiträge der CDU- und der GAL-Fraktion anhöre, dann stellen die einen den Missbrauchstatbestand in den Vordergrund, verweisen auf den Koalitionsvertrag und sagen, es habe Gespräche mit den Trägern gegeben, es sei aber alles schwierig, während die anderen darlegen, sie hätten die Modelle geprüft, verschiedene Gespräche geführt und wüssten eigentlich schon, wofür sie sich entscheiden. Da gehen die beiden Meinungen doch sehr weit auseinander und ich hoffe, dass wir auf ein gemeinsames Ergebnis der Koalition zur Versorgung von Menschen ohne Papiere nicht so lange warten müssen wie auf den Gesetzentwurf für den Nichtraucherschutz, der uns auch seit mehreren Monaten verfolgt.

Trotz alledem möchte ich insbesondere die GAL-Fraktion noch einmal auffordern, der Überweisung unseres Antrags an den Ausschuss zuzustimmen. Sie sagen selbst, Sie hätten die Gespräche geführt und seien eigentlich schon sehr weit. Dann frage ich mich natürlich, warum man es nicht gemeinsam im zuständigen Ausschuss diskutieren kann.

(Beifall bei der SPD und bei Kersten Artus und Norbert Hackbusch, beide DIE LINKE)

Das Wort bekommt der Abgeordnete Yildiz.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Unsere Stellungnahme hat

(Christiane Schneider)

Kollegin Schneider dargestellt. Ich möchte mit einem konkreten Beispiel erläutern, warum gesundheitliche Versorgung wichtig ist. Ich kenne eine Familie,

(Olaf Ohlsen CDU: Ich kenne auch eine Fa- milie!)

die zufällig auch aus der Stadt kommt, in der ich geboren bin. Sie lebt schon seit 1980 in Deutschland, aber im Sommer dieses Jahres habe ich leider erfahren müssen, dass diese Familie illegal hier lebt. Ich dachte, sie hätte eine Aufenthaltsgenehmigung. Die Familie wandte sich an mich, weil sie Probleme hatte. Ich wunderte mich, als sie erzählten, ihr Vater sei krank. Ich meinte, er könne doch zum Arzt gehen. Dann sagte der Sohn zu mir, sein Vater lebe seit 1980 hier, er habe zehn Jahre erfolglos ein Asylverfahren betrieben und sei seit 1990, also seit 19 Jahren, ohne Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland,

(Olaf Ohlsen CDU: Das ist schlimm genug!)

ohne irgendeine gesundheitliche Versorgung und Rechte. Dieser Mann arbeitete schon seit 1980 in ein und demselben Unternehmen bis zum Sommer, als er schwer erkrankte. Bis dahin hat die Familie die Kosten selbst übernommen, aber weil der Vater so schwer erkrankt war, war das nicht mehr möglich. Sie waren bei mir im Büro und am Ende mussten sie einen Asylantrag stellen, damit die Kosten vom Sozialamt übernommen werden. Das Ergebnis ist, dass die Familie durch die Verteilung nach Ostdeutschland geschickt wurde. Ich habe leider letzte Woche bei einer Hochzeit erfahren, dass die Mutter – sie war ebenfalls illegalisiert und auch krank – seitdem im Krankenhaus liegt. Das zeigt, in welcher Situation diese Menschen leben.

Zu Punkt 2 Asylbewerberleistungsgesetz hat meine Kollegin Schneider gesprochen, ich möchte das auch an einem Beispiel verdeutlichen. Ein Mensch, der aus der Türkei kam, Folter erlebt hat und hier untersucht werden sollte, wurde durch dieses Asylbewerberleistungsgesetz, Paragraf 1, ständig ausgegrenzt und diskriminiert. Die Folge ist, dass seine Krankheit nicht behandelt werden konnte. Sie sollten diesen Menschen jetzt sehen, er läuft mit 35 Jahren völlig krumm, weil unsere Gesundheitsversorgung unmenschlich ist. Ich bin der Meinung, dass jeder Mensch in dieser Stadt das Recht haben sollte, gesundheitlich versorgt zu werden.

Die Wirtschaft und das Kapital nutzen unsere Stadt und unsere Möglichkeiten hier sehr gut und wir debattieren ständig darüber – wie auch in der vorigen Debatte –, wie wir die Wirtschaft fördern können. Dann sollten wir doch auch den Menschen, die keine Möglichkeiten haben, das Recht auf eine gesundheitliche Versorgung geben.

(Beifall bei der LINKEN und bei Wolfgang Rose SPD)

Frau Heitmann, zu der Bundesratsinitiative der Berliner LINKEN und der SPD: Das ist eine Verwaltungsvorschrift, in der nicht geregelt ist, wer die Kosten übernimmt. Das ist jetzt das Problem. Wenn der Senat sich hinstellt und sagt, wir übernehmen die Kosten nicht, dann müssen die Menschen sich illegalisieren. Das führt nur dazu, dass sie weiterhin schweigen; das muss man einmal klarstellen. Es werden salopp Dinge gesagt und alle denken, der Bundesrat hat doch etwas getan und einen Schritt unternommen. Aber das ist nicht die Lösung. Jetzt hängt alles von den Ländern ab, damit sie sich bewegen. Gesundheitssenator Wersich überlegt immer noch, wie er Menschen abschieben kann, statt denen, die seit zig Jahren in diesem Land leben und sich als ein Teil dieses Landes fühlen, die Möglichkeit zu geben, auch in der Praxis gesetzlich gleichgestellt zu werden. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen mir jetzt nicht vor. Dann kommen wir zur Abstimmung. Ich darf Sie vorab darüber in Kenntnis setzen, dass der Abgeordnete Jens Grapengeter hat mitteilen lassen, dass er an der Abstimmung nicht teilnehmen werde.

Wer stimmt nun einer Überweisung der Drucksache 19/4519 federführend an den Ausschuss für Gesundheit und Verbraucherschutz sowie mitberatend an den Sozialausschuss zu? – Gegenprobe. – Stimmenthaltungen? – Das ist dann mehrheitlich abgelehnt.

Dann lasse ich in der Sache abstimmen. Wer möchte dem Antrag der SPD-Fraktion aus der Drucksache 19/4519 zustimmen? – Gegenprobe. – Stimmenthaltungen? – Das ist dann mehrheitlich abgelehnt worden.

Ich rufe Punkt 28 der Tagesordnung auf, Drucksache 19/4517, Bericht des Rechtsausschusses: Bürgerschaftliches Ersuchen vom 23. März 2009, "Erweiterung der sozialtherapeutischen Abteilung im Jugendstrafvollzug".

[Bericht des Rechtsausschusses über die Drucksache 19/3749: Bürgerschaftliches Ersuchen vom 23. März 2009 "Erweiterung der sozialtherapeutischen Abteilung im Jugendstrafvollzug", Drs. 19/2595 (Un- terrichtung durch den Präsidenten der Bürger- schaft) – Drs 19/4517 –]

Die Fraktionen haben einvernehmlich auf eine Aussprache verzichtet.

(Mehmet Yildiz)

Ich stelle fest, dass die Bürgerschaft von der Drucksache 19/4517 ohne Aussprache Kenntnis genommen hat.

Ich rufe Punkt 36 der Tagesordnung auf, Drucksache 19/4521, Antrag der SPD-Fraktion: Erhalt der Lehrschwimmbecken.

[Antrag der Fraktion der SPD: Erhalt der Lehrschwimmbecken – Drs 19/4521 –]