Wir sind uns auch darin einig, dass die mittlerweile zehn Früherkennungsuntersuchungen, die sogenannten Us, ein wichtiges Instrument sind, um gesundheitliche Störungen rechtzeitig zu erkennen und möglichen Risiken vorzubeugen. Nicht einig sind wir uns bei der Frage,
wie die Stadt Hamburg dazu beitragen kann und sollte, dass möglichst viele Kinder an diesen Untersuchungen auch tatsächlich teilnehmen. Nicht einig sind wir uns offenbar auch darin, inwieweit die Untersuchungen ein Mittel sind, die Vernachlässigung und Misshandlung von Kindern zu verhindern. Bislang sieht das Kinderbetreuungsgesetz, das KibeG, für die Kinder in Hamburgs Kitas einmalig eine freiwillige ärztliche Untersuchung, in der Regel im vierten Lebensjahr, vor. Diese Regelung entstand seinerzeit auch unter dem Eindruck des Hungertods der kleinen Jessica. Hamburg fördert seitdem zahlreiche Projekte zum Gesundheitsschutz für Kinder, von den Familienhebammen bis zum Gesundheitsmobil des Kinderschutzbundes.
Auf Initiative Hamburgs wurde im Juli des letzten Jahres die U7a bundesweit eingeführt, die um den dritten Geburtstag herum erfolgt und damit die lange Lücke zwischen der U7 und der U8 schließt. Die U7a wird, wie auch alle anderen Kindervorsorgeuntersuchungen, von den Krankenkassen bezahlt. Diese neue U7a überschneidet sich aber zeitlich mit den bisher in den Kitas angebotenen Untersuchungen.
Die Kita-Untersuchungen sind ebenfalls freiwillig und bieten daher keine Möglichkeit, gerade die sogenannten Problemfälle sicher zu erreichen. Das hat der Rechnungshof in seinem Bericht 2009 moniert und angemahnt …
Frau Veit, Sie kommen später noch dran. Lassen Sie mich doch einmal ausreden, dazu ist das Thema zu ernst.
Die Kita-Untersuchungen sind freiwillig und der Rechnungshof hat in seinem Bericht angemahnt, dass man deshalb oft gerade an die Kinder, deren Eltern eine Untersuchung verweigern, eben nicht herankommt.
Der Rechnungshof fordert, die für die Kita-Untersuchungen verwendeten Ressourcen effektiver einzusetzen. Von den in den Kitas untersuchten Kindern sind nämlich mehr als 90 Prozent schon vorher bei der letzten regulären U-Untersuchung bei einem Kinderarzt gewesen. Das ist auf Seite 3 in dem sicher auch Ihnen bekannten Gutachten von Frau Deneke nachzulesen.
Wichtiger als dieses nicht gerade sinnvolle doppelte Angebot innerhalb einer kurzen Zeitspanne ist aber etwas anderes. Das bereits erwähnte, vom Senat beauftragte Gutachten kommt zu dem Schluss, dass selbst bei größtmöglicher Effektivität des Systems maximal 60 Prozent aller dreijährigen Kinder in Hamburg durch Kita-Untersuchungen erreicht werden können. Nicht alle Dreijährigen gehen in eine Kita,
sie sind zu Hause oder bei einer Tagesmutter. Leider sind gerade unter diesen Kindern überdurchschnittlich viele, die nicht an den regulären U-Untersuchungen der Krankenkassen teilnehmen, sei es, weil die Eltern das deutsche Vorsorgesystem gar nicht kennen, sei es, weil sie in sozial problematischen Verhältnissen leben. Wir wollen aber gerade auch diese Eltern erreichen und motivieren, ihre Kinder regelmäßig bei einem Kinderarzt vorzustellen.
Darum sollen alle in Hamburg gemeldeten Kinder in einem zunächst auf zwei Jahre befristeten Modellversuch am Ende des ersten und zweiten Lebensjahres verbindlich zu der U6 und U7 eingeladen werden. Hamburg kann dabei an das in Schleswig-Holstein bereits bestehende Einladungssystem andocken. Von einer zentralen Stelle aus werden die Eltern von rund 33 000 Kindern pro Jahr mit einer kodierten Postkarte eingeladen. Schickt der Kinderarzt die Postkarte nach der Untersuchung an die zentrale Stelle zurück, ist der Fall sozusagen abgehakt. Geht aber nach wiederholter Erinnerung immer noch keine entsprechende Karte bei der zentralen Stelle ein, wird geklärt, ob das Jugendamt in dieser Familie bereits tätig ist und das Weitere übernehmen kann. Ist das nicht der Fall, nimmt erst einmal das Gesundheitsamt Kontakt mit der Familie auf, bietet Hilfe an und führt gegebenenfalls die anstehende Untersuchung durch. Falls der Verdacht entsteht, dass das
Das gesamte Verfahren wird nach zwei Jahren evaluiert. Gerade die Opposition fordert immer wieder, Gesetze auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen, das ist in diesem Fall also gewährleistet.
Was soll nun mit dem Einladewesen erreicht werden? Wir wollen erreichen, dass noch mehr Kinder an den U-Untersuchungen teilnehmen, gerade auch die Kinder, die bislang durch das Raster gefallen sind, weil sie aus sozial benachteiligten Stadtteilen kommen und keine Kita besuchen.
Eine Expertin aus dem Saarland, wo bereits mit einem solchen Einladewesen gearbeitet wird, konnte berichten, dass dort mittlerweile fast 98 Prozent der Kinder an den U-Untersuchungen teilnehmen,
(Carola Veit SPD: Aber genau das System wollen Sie doch nicht! Sie wollen das Saar- länder System doch nicht!)
Dieser Ansatz erscheint uns sehr viel sinnvoller, als die Kinder in den Kitas unter Umständen doppelt untersuchen zu lassen. Die Stellen, die bislang für die Kita-Untersuchungen verwendet wurden, sollen stattdessen beispielsweise in der Mütterberatung, der Gesundheitsberatung in Kitas aus sozialen Problemgebieten oder zum Nachholen der U6 und U7 eingesetzt werden. Damit steigen die Chancen, dass ein Kind rechtzeitig eine Brille oder Einlagen erhält und dass Hörschäden, Allergien oder Entwicklungsstörungen nicht erst bei der Untersuchung der viereinhalbjährigen Kinder erkannt werden und rechtzeitig behandelt werden können.
Wir hoffen, dass so auch vernachlässigte oder sogar misshandelte Kinder früher in den Blick des Gesundheitsamtes und des Jugendamtes geraten. Insofern kann das Einladewesen auch ein wichtiger Baustein – nicht mehr und nicht weniger – für das System Kinderschutz sein. Wer wie die SPD die Früherkennungsuntersuchungen aber nur unter dem Gesichtspunkt des Kinderschutzes diskutiert, weckt leider falsche Hoffnungen; das wurde auch bei unserer Expertenanhörung deutlich. Trotzdem hat die SPD heute Vormittag in aller Eile einen fünfseitigen Entwurf für verbindliche Einladungen vorgelegt, der den Titel eines Kinderschutzgesetzes trägt, heute Vormittag wohlgemerkt. Das verstehen Sie offenbar unter der rechtzeitigen Vorlage von Papieren, über die heute so oft gesprochen wurde.
(Beifall bei der CDU – Dirk Kienscherf SPD: Wir haben uns damit schon viermal befasst! Das ist Blödsinn! Lächerlich!)
Gerade die von uns im Ausschuss ausführlich gehörte Expertin vom Deutschen Jugendinstitut hat aber vor zu schmalen Regelungen zur Meldepflicht und einer zu starken Aufweichung des Datenschut
zes gewarnt. Sie sagte, dass nach internationalem Vergleich U-Untersuchungen nur dann den Kinderschutz unterstützen, wenn sie in ein starkes Netzwerk aller vor Ort Beteiligten eingebunden sind. Wir haben eine solche Vernetzung in Hamburg sehr viel weiter vorangetrieben als viele andere Bundesländer und geben dafür auch mehr als die von der Expertin geforderten 7 Euro pro Kind aus. In Hamburg arbeiten bereits 550 qualifizierte Kinderschutzkräfte, das sind mehr als die Hälfte aller Kinderschutzkräfte in Deutschland. Dem Senat zu unterstellen, er sei im Hinblick auf den Kinderschutz bislang untätig geblieben, wird durch die Tatsachen nicht gestützt.
Welchen Vorteil nun Ihr Gesetzesentwurf gegenüber dem vom Senat vorgeschlagenen Verfahren hat, bleibt offen.
(Carola Veit SPD: Das erklären wir Ihnen gern noch mal, wenn Sie es immer noch nicht verstanden haben!)
Auch Sie wollen ein geregeltes Einladewesen und auch Sie sehen keine Sanktionen bei Verweigerung der U-Untersuchung vor. Allerdings wollen Sie das Doppelangebot der Kita-Untersuchungen, mit dem die besonders schwierigen und gefährdeten Fälle noch nicht einmal erreicht werden, beibehalten, als ob es den Rechnungshofsbericht gar nicht gebe. Wenn es Ihnen nicht in den Kram passt, was der Rechnungshof schreibt, dann wird er von Ihnen ignoriert. Wir lehnen Ihren Antrag deshalb ab. – Herzlichen Dank.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Das herzliche Angebot der CDU-Fraktion, mir eine Kiste Bier zu spenden, wenn ich heute auf die Debatte verzichte, kann ich leider nicht annehmen. Vielleicht kommt die Kiste Bier ja trotzdem.
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir heute Abend nicht über Peanuts reden. Die Frage ist doch, Jens, hat dich die Rede von Frau Dr. Föcking überzeugt? Sie hat davon gesprochen, dass, wenn das Kindeswohl gefährdet sei, das Jugendamt informiert werden solle. Verabschiedet die schwarz-grüne Koalition heute dieses Gesetz in der vorliegenden Form, dann müsste jetzt jemand hinausgehen und die Jugendämter anrufen, denn damit ist das Kindeswohl stark gefährdet. Ich will auch begründen, warum das so ist.
Erstens: Frau Dr. Föckings Aussage, die Regelungen des Paragrafen 4 Kinderbetreuungsgesetz seien anlässlich des Todes der kleinen Jessica zustande gekommen,
ist falsch. Die Beschlussfassung über den Paragrafen 4 fand zu einem Zeitpunkt statt, als Jessica noch lebte, nämlich im Jahr 2004.
Zweitens: Frau Dr. Föcking – also deine Koalitionspartnerin, Jens – sagt, wir hätten heute eine Tischvorlage hereingegeben. Herr Kollege Kerstan, könnten Sie Ihre Koalitionspartnerin darüber informieren, dass Sie diesem Gesetzesentwurf, den wir heute das vierte Mal vorlegen, selber einmal in der 18. Legislaturperiode zugestimmt haben. Wir legen unseren Gesetzesentwurf in der Tat bereits das vierte Mal vor und Sie als GAL haben ihm in der 18. Legislaturperiode zugestimmt – damals sagten Sie, es sei ein richtiger Schritt, die Vorsorgeuntersuchungen ab der U3 verbindlich zu machen – und lehnen ihn nun in der 19. Legislaturperiode ab.
Der Fraktionsvorsitzende der GAL-Fraktion hat im Zusammenhang mit der Debatte über das Sondervermögen etwas Grundsätzliches zum Verhalten der Opposition gesagt. Hier ist nun die Gelegenheit, gleichfalls etwas Grundsätzliches zu sagen. Wir reden heute über eine Gesetzesänderung, haben aber schon im Vorfeld zur Kenntnis nehmen müssen, dass der Senat mit Rechtsverordnung vom 13. Oktober geltendes Recht ausgehöhlt hat, ohne das Parlament zu informieren. Das ist ein Vorgang, den sich kein Parlament außerhalb von Burundi und Botswana gefallen lässt.
Unser Fraktionsvorsitzender hat den Bürgerschaftspräsidenten gebeten, diesen Vorgang zu prüfen, denn wir feiern heute nicht nur 150 Jahre Bürgerschaft, wir haben auch ordnungspolitisch darauf zu achten, dass so etwas in diesem Hause nicht mehr passiert. Ein geltendes Gesetz darf durch eine Rechtsverordnung nicht geändert oder ausgehöhlt werden. Wir haben schließlich eine Verfassung und die ist auch von diesem Senat einzuhalten. Soviel zu diesem Punkt. Wenn man im Glashaus sitzt, sollte man nicht mit Steinen werfen.
Noch einmal zurück zum Inhaltlichen. In der Pressemitteilung der GAL-Fraktion heißt es, Frau Möller, Sie würden das Kindeswohl stärken. Sie stellen die Behauptung auf, dass mit dem Streichen von Paragraf 4 des Kinderbetreuungsgesetzes Doppeluntersuchungen vermieden würden. Wir fragten den Senat in der Anhörung:
"Welche gesicherten Erkenntnisse besitzt der Senat über das Vorkommen von Doppeluntersuchungen im Zusammenhang mit U7a und den Untersuchungen nach Paragraf 4