Protokoll der Sitzung vom 31.03.2010

(Wolfgang Joithe-von Krosigk)

nach der Logik, da bisher nichts passiert sei, würde auch in Zukunft nichts passieren. Aber das stimmte nicht, denn bereits 2008 wurde ein aus dem Hamburger Hafen stammender überladener Atomtransport in Frankreich gestoppt. Unsere Anfrage wurde nicht ausreichend und, wie leider so häufig, nicht den parlamentarischen Kontrollrechten der Abgeordneten entsprechend beantwortet.

Also mussten wir wieder einmal zu unserer berühmten Kneifzange greifen und stellten dann eine zweite Große Anfrage, in der es uns hauptsächlich um die Sicherheit und den Katastrophenschutz ging. Bei den Atomtransporten geht es schließlich nicht nur um den Transport von Kernbrennstoffen, sondern auch um den Transport anderer Gefahrenstoffe, wie zum Beispiel die in der Presse in den letzten Wochen sehr stark problematisierten Uranhexafluoride. Es gibt aber noch eine dritte Gruppe von Gefahrenstoffen, deren Transport nicht über den Hamburger Hafen vonstatten geht und die statistisch auch nicht erfasst werden. Wie wir vom Senat gehört haben, handelt es sich hierbei um radioaktives Gefahrengut für medizinische Zwecke.

Nach all unseren Anfragen und aufgrund nicht vorhandener Daten – diese Daten werden nicht lange gespeichert – haben wir versucht, uns selbst ein Bild davon zu machen, was eigentlich innerhalb eines Jahres in Hamburg mit Atomtransporten passiert. Wir waren von der Frequenz dieser Atomtransporte vom Hamburger Hafen aus durch das Stadtgebiet hindurch schier erschlagen. 335 Transporte pro Jahr bedeuten, dass häufiger als jeden zweiten Tag ein Atomtransport durch Hamburg rollt. Nimmt man jetzt noch die dritte Gruppe, also radioaktives Gefahrengut für medizinische Zwecke hinzu – dieses wird zwar nicht erfasst, doch laut einer Vermutung des Senats handelt es sich dabei um eine dreistellige Zahl –, dann können wir davon ausgehen, dass häufiger als ein Mal täglich Atomtransporte durch die Stadt rollen.

Nach uns haben nun auch die GAL und die CDU einen Antrag eingebracht. Es hat lange genug gedauert, bis sich die Regierungsparteien überhaupt mit den Atomtransporten durch unsere Stadt beschäftigt haben. In ihrem Antrag finden wir jetzt häufig Ausdrucksweisen wie ernst nehmen und besonders ernst nehmen. Das wird auch allerhöchste Zeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Sieht man sich den Antrag von CDU und GAL genauer an, ist man allerdings sehr enttäuscht. Wir hatten in der Stadt eine überaus breite, von uns und den Medien angeregte Diskussion zu dieser Thematik und in einer Pressemeldung des GALLandesvorstands wurde sogar dasselbe gefordert, was auch wir fordern, nämlich dass die Atomtransporte durch Hamburg gestoppt werden müssen. Sehen wir uns aber jetzt den Antrag von GAL und CDU an, so ist nur die Forderung nach verstärkten

Kontrollen und einem Prüfauftrag, der auch noch zeitlich weit hinausgeschoben wird, übrig geblieben.

Gleichzeitig lesen wir in dem Antrag, dass Hamburg keine Handhabe hat, um etwas gegen Atomtransporte zu unternehmen. Das glauben wir nicht, dafür gibt es auch Gegenbeispiele. Zum Beispiel hat die Lübecker Bürgerschaft im September 1996 beschlossen, die Lagerung und den Umschlag von radioaktiven Stoffen zu untersagen, und dieser Beschluss gilt bis heute. In Wilhelmshaven hat das kommunale Parlament 1988 beschlossen, das Gleiche zu tun, und auch dieser Beschluss gilt bis heute. Der CDU-Bürgermeister von Cuxhaven, Arno Stabbert, forderte im September 2009 den privaten Hafenbetreiber Cuxport auf, die Abwicklung von Atomtransporten abzulehnen, was diese private Firma auch getan hat; auch dort finden also keine Transporte mehr statt. Bremens Bürgermeister Böhrnsen von der SPD lehnte aus politischen und aus Sicherheitsgründen ab, den Hafen seiner Stadt als Ersatz für den Umschlagsplatz von Sellafield nach Grohnde einzurichten. Davon ist er allerdings inzwischen wieder ein bisschen abgerückt, was wir sehr bedauern.

Wir sind nach wie vor der Auffassung, dass die Atomtransporte aus Sicherheitsgründen und aus grundsätzlichen Erwägungen zu unterbinden sind – die GAL wird am 24. April wahrscheinlich wieder bei der "Kettenreaktion" gegen Atomkraftwerke mit dabei sein – und vorausgesetzt, der politische Wille ist vorhanden, so findet man auch einen Weg. Wie wir in unserem Antrag aufgezeigt haben, kann man sich die kommunalen Instrumentarien, das heißt, die Zuständigkeiten und Aufsichten einmal genauer ansehen, um zu wissen, mit welchen Folterinstrumenten man dem Thema Atomtransport zu Leibe rücken kann.

(Beifall bei der LINKEN)

So haben wir zum Beispiel im Punkt 3 unseres Antrags vorgeschlagen, im Rahmen der Zuständigkeiten auf Landesebene die rechtlich möglichen zu überprüfen. Dazu gehört zum Beispiel, dass man die Atomtransporte im Hinblick auf das Atomrecht, das Gefahrgutrecht, das Strahlenschutzrecht, das Hafenrecht und andere Vorschriften im Umweltschutzbereich, Arbeitsschutzrichtlinien, Wegerechte sowie Verkehrsvorschriften abklopft, um die nötige Handhabe dafür zu haben, dass die Atomtransporte verringert, wenn nicht gar unterbunden werden.

Des Weiteren hat Hamburg Landesbeteiligung an den Hafenbetrieben, an den Hafenliegenschaften, an Transportunternehmen und auch an anderen Unternehmen. Das kann sehr wohl ein Hebel sein, wenn man nur daran denkt, dass es sogar Cuxhaven gelungen ist, auf einen privaten Betreiber eines Hafenbetriebs einzuwirken. Dann müsste es

doch möglich sein, dass der Senat auch auf die eigenen Firmen einwirken kann.

Wir fordern ein Konzept der Atomtransporte über Hamburger Stadt- und Hafengebiet und fordern, dass dieses Konzept erstellt und der Bürgerschaft zeitnah vorgelegt wird, nämlich schon im Juni, denn für uns ist Gefahr im Verzug.

Ich möchte noch ein Wort verlieren zu dem Abfall aus der Nuklearmedizin. Wir halten es für schlicht undenkbar, dass Abfall aus der Nuklearmedizin – wobei wir es natürlich sehr begrüßen, dass radioaktive Methoden in der Medizin für die Diagnostik und für die Heilung angewandt werden – in andere Länder wie Russland exportiert und dort gelagert und nicht in Hamburg dafür gesorgt wird, dass es eine vernünftige Entsorgung gibt. Das können wir nicht in andere Länder exportieren. Deshalb sind wir generell dagegen.

(Beifall bei der LINKEN)

Uns geht es vorrangig darum, die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten; darauf wird Frau Schneider gleich noch intensiver eingehen.

Der CDU/GAL-Antrag hat sich mit einem einzigen Punkt beschäftigt, das ist im Grunde auch der Punkt 1 unseres Antrags, nämlich dem Vollzugsdefizit. Wir bedauern, dass der Bericht, den Sie einfordern, auf die lange Bank geschoben wird, nämlich bis Ende Oktober, das finden wir viel zu lang.

(Vizepräsident Wolfhard Ploog übernimmt den Vorsitz.)

Wir sind sehr gespannt, ob die Regierungsparteien – die SPD hat eine getrennte Abstimmung beantragt – unserem Punkt, der auch das Vollzugsdefizit behandelt, zustimmen oder ob sie sagen, das Entscheidende sei, wer die gute Idee hatte, und dann nicht konsequent sind.

Wir begrüßen den Vorschlag der SPD, die beiden Anträge an den Umweltausschuss zu überweisen und können überhaupt nicht nachvollziehen, dass GAL und CDU dagegen sind, weil es bestimmt weit mehr zu regeln gibt als nur die Kontrolle zu verbessern. Wir haben den Eindruck, dass die CDU und die GAL

(Klaus-Peter Hesse CDU: Nein!)

als Regierungsfraktionen sich vor der Diskussion drücken und auch vor klaren Entscheidungen. Nur, mit besseren Kontrollen werden wir dieses Problem nicht in den Griff bekommen, das ist völlig klar. Und politisch muss darauf hingewirkt werden, dass es keine Atomtransporte mehr in Hamburg gibt, dass es aufhört, dass vom Hamburger Hafen aus quer durch die Stadt radioaktive Stoffe bewegt werden.

(Arno Münster SPD: Das stimmt doch alles gar nicht, was Sie erzählen!)

Auch das ist ein Grund, um am 24. April an der "Kettenreaktion" teilzunehmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort erhält der Abgeordnete Herr Hecht.

(Klaus-Peter Hesse CDU: Süßes oder Sau- res!)

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Frau Heyenn, erst einmal ein großes Lob an Ihre Fraktion für den Arbeitseinsatz und die Kärrnerarbeit, die Sie leisten bei der Bewältigung dieses schwierigen Themas. Wir haben uns auch, Ihrer Initiative folgend, diesem Thema zugewandt, haben diesen Zusatzantrag mit der GAL zusammen auf den Weg gebracht, um uns diesem Thema auf sachliche Art und Weise anzunähern.

Man muss eines festhalten: Es ist durch die Medien und durch unsere parlamentarische Initiative dazu gekommen, dass man denkt, wir hätten einen dramatischen, schrecklichen Befund, ein Schreckensszenario, dass ungesicherte Atomtransporte durch das Stadtgebiet vagabundieren und keiner Ahnung hat, was hier eigentlich vor sich geht.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Das ist leider das Problem!)

Gerade das ist aber nicht der Fall. Wir bemühen uns jetzt, Transparenz in dieses Thema hineinzubringen. Wir haben Ihren Antrag entsprechend zur Kenntnis genommen, doch dieser Antrag mit einem völligen Verbot geht weit über das Ziel, über das praktisch und rechtlich Mögliche, hinaus. Es handelt sich hier um ein sehr komplexes Thema, wir haben viele Behördenzuständigkeiten. Das Bundesamt für Strahlenschutz ist beteiligt, die BSU ist involviert, die BfI ist für das Transportrecht mit an Bord. Ein totales Verbot wird nicht funktionieren, würde sogar dazu führen, dass wir dem Hamburger Hafen ein Stück weit den Wettbewerb nehmen.

Auch Cuxhaven und Wilhelmshaven haben Transporte von radioaktivem Material, auch wenn Sie jetzt etwas anderes behauptet haben. Das ist ein Faktum, das Sie zur Kenntnis nehmen müssen. Wichtig ist hier, dass wir keine Panik schüren, kein Schreckensszenario herbeireden, das gar nicht gegeben ist. Trotzdem wollen wir uns mit dem Thema ernsthaft befassen, man sollte jedoch die Kirche im Dorf lassen. Die Kontrolle dieses Transports, der mit dem korrodierten Behälter unterwegs war, hat ergeben – er ist von den Behörden noch einmal kontrolliert worden –, dass der Behälter an sich, in dem das kontaminierte Material war, keinerlei Sicherheitsrisiken bedeutet hätte und auch die Korrosionsstellen, die auf dem Foto dramatisch aussa

(Dora Heyenn)

hen, keinerlei Beeinträchtigung der Sicherheit bedeutet haben. Das hat sich im Nachhinein herausgestellt.

Es ist aber wichtig, das hier für die Debatte zu berücksichtigen. Deshalb ist auch festzuhalten, dass nicht nur Atomtransporte gefährlich sind, sondern wir auch eine ganze Reihe weiterer, gefährlicher Güter haben, die im Hamburger Hafen umgeschlagen werden. Das beginnt bei den Produktionsmitteln, Chemikalien, Säuren, Laugen, Lösemitteln, alles, was man zur Herstellung von Produkten braucht. Deswegen geht es uns auch um ein Gefahrgüter-Kontrollkonzept und nicht nur um die Atomtransporte. Wir müssen ganzheitlich da herangehen und den gesamten Themenbereich in den Mittelpunkt stellen und, wenn wir den Bericht des Senats zu diesem Thema haben, das Ganze dann im Umweltausschuss ausführlich besprechen. Daher auch unser Antrag und ich bitte Sie, uns da entsprechend zu unterstützen. – Danke.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Das Wort bekommt Frau Dr. Schaal.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Auch die SPD-Fraktion findet es erschreckend, wie viele Transporte mit strahlendem Material durch Hamburg rollen. Noch erschreckender ist es allerdings, dass diese hoch riskanten Transporte nicht durchgängig auf die Einhaltung von Sicherheitsstandards kontrolliert werden und dass es offenbar keine Strukturen gibt, die eine lückenlose Kontrolle gewährleisten.

Skandalös ist auch, dass Fahrzeuge, die in Hamburg beladen wurden, anderswo aus dem Verkehr gezogen werden mussten, weil zum Beispiel radioaktive Flüssigkeit ausgelaufen ist oder die Fahrzeuge überladen waren. Solche Fälle, die aufgedeckt wurden, müssen Konsequenzen haben. Es muss sichergestellt werden, dass solche Zeitbomben gar nicht erst auf die Straße gelangen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Dora Heyenn DIE LINKE: Richtig!)

Bei einer Kontrolldichte von nicht einmal 30 Prozent kann man sich bei der hohen Anzahl der Transporte ausrechnen, wie viele Zeitbomben möglicherweise unerkannt auf unseren Straßen rollen. Das dürfen wir nicht zulassen. Darum sind wir auch dankbar, dass DIE LINKE mit ihren Anfragen aufgedeckt hat, welche problematischen Transporte hier auf den Straßen rollen. Wir sind auch dankbar dafür, dass CDU und GAL den Senat auffordern, die Transportkontrollen bei radioaktiven Stoffen zu verstärken und zu prüfen, ob Verbesserungen möglich sind.

Aber gerade weil Atomtransporte in großer Zahl durch Hamburg rollen, finden wir es auch richtig,

eine generelle Kontrolle von genehmigungspflichtigen Transporten vorzunehmen. Dem Antrag von CDU und GAL werden wir daher zustimmen. Aber wir wollen, dass diese Transporte gar nicht erst auf die Straße gelangen. Da reichen wohl die nachträglichen Kontrollen, wenn schon alles fährt, nicht aus. Darum unterstützen wir auch die Forderung der LINKEN, das Vollzugsdefizit bei Sicherungsmaßnahmen und Kontrollen zu beseitigen.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der LINKEN)

Das kann natürlich weiter gehen als die nachträglichen Kontrollen auf der Straße. Wir finden es auch wichtig zu prüfen, ob und wie eine bessere Koordinierung der Zuständigkeiten, die sehr zersplittert sind, gewährleistet werden kann, um ein höchstmögliches Maß an Sicherheit für die Bevölkerung zu erreichen.

Mit verstärkten Kontrollen auf der Straße lassen sich regelwidrige Transporte sicher häufiger von der Straße holen, aber wir müssen sehen, dass solche gefährlichen Transporte, die nicht sicher sind und nicht den Vorschriften entsprechen, nicht losfahren dürfen. Darum sollte auch geprüft werden, welche rechtlichen Möglichkeiten es gibt, Atomtransporte auf der Grundlage der bestehenden gesetzlichen Regelungen zu stoppen, und zwar von Anfang an.

Es ist auch richtig zu prüfen, ob die Stadt über ihre Unternehmensbeteiligungen einen entsprechenden Einfluss zu einer möglichen Unterbindung solcher Transporte geltend machen kann. Wir wollen auch wissen, inwieweit Atomtransporte überhaupt durch Hamburger Stadt- und Wohngebiet geführt werden müssen oder dürfen und ob die Stadt verpflichtet ist, solche Transporte auf ihrem Gebiet zu dulden. Wie Frau Heyenn schon dargestellt hat, gibt es auch andere Beispiele. Aber es kann nicht von vornherein überall das Sankt-Florians-Prinzip gelten, denn eines ist ganz klar: Die Atomkraftwerke beseitigen wir durch ein Transportverbot nicht.

Wir wollen zu den Prüfungen auch einen Bericht des Senats haben. Allerdings haben wir Zweifel, ob es generell möglich ist, solche Transporte zu unterbinden. Aber man muss sich erst einmal mit der Frage auseinandersetzen und die Materie ist viel zu kompliziert, als dass man das innerhalb einer Debatte abhandeln kann.

Darum haben wir uns entschlossen, die Ziffern 1 bis 5 positiv zu bewerten und zuzustimmen. Die Ziffern 6, 7 und 9 sowie das zusätzliche Votum des Antrags der LINKEN lehnen wir ab.