Protokoll der Sitzung vom 31.03.2010

Wir haben die gleiche Situation in allen Bundesländern, egal, wer regiert und welche Koalition sich gebildet hat. Dass Sie nicht einmal anlässlich der Wahl eines neuen Finanzsenators von diesem Vorwurf abweichen, zeugt nicht gerade davon, dass Sie lernfähig sind und das bedauere ich zutiefst.

(Beifall bei der GAL und der CDU – Glocke)

Herr Kerstan, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Neumann?

Aber gerne.

Herr Kerstan, trifft es zu, dass Sie zu Beginn der Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und GAL gesagt haben, Ihnen sei schlecht geworden, als Herr Freytag Ihnen die Finanzsituation Hamburgs dargestellt hat?

– Herr Neumann, was ich der Presse gesagt habe, kann jeder nachlesen. Ich habe hier gerade von einer Weltwirtschaftskrise geredet,

(Ingo Egloff SPD: Das war noch davor!)

die ihren Höhepunkt nach der Lehman-Krise in den Jahren 2008/2009 erreicht hat. Das ist nach den Koalitionsverhandlungen gewesen.

Wir sind jetzt in einer Situation, wo sich uns die Frage stellt, wie der Senat damit umzugehen hat, dass in den nächsten vier Jahren 6 Milliarden Euro an Steuereinnahmen fehlen und in derselben Zeit die Ausgaben für die gesetzlichen Leistungen um rund 700 Millionen Euro ansteigen werden. Das ist unsere Situation. Da hilft Ihre Einschätzung, dieses Problem sei offenkundig strukturell durch die Person des jeweiligen Finanzsenators begründet, nicht weiter und ist zudem an Unseriosität kaum zu überbieten. Ich finde es schade, dass Sie diese Art der Argumentation fortführen, obwohl der neue Senator noch nicht einmal eine halbe Stunde im Amt ist. Das ist wirklich etwas billig.

(Thies Goldberg)

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Dass Sie Ihre Rede mit der Zusage beginnen, Herrn Senator Frigge gern eine Zeit von 100 Tagen zu gewähren, bevor Sie sich kritisch mit seiner Arbeit auseinandersetzen,

(Andy Grote SPD: Ja, was denn sonst!)

und gleichzeitig versuchen, diesen Senator, bevor er überhaupt einen Fuß in seine Behörde gesetzt hat, zu einem Redebeitrag zu bewegen, bietet auch ein gutes Bild davon, was Sie unter Wahrheit und Klarheit verstehen. Das, Herr Tschentscher, muss vielleicht auch einmal gesagt werden.

(Beifall bei der GAL und der CDU – Ingo Egloff SPD: Die GAL soll mal nicht so emp- findlich sein, so wie sie sich oft benimmt!)

Dieser Senat hat eine Antwort auf die Krise, von der zurzeit alle Bundesländer betroffen sind. Wir haben einen Fonds gegründet, in den wir die durch die Steuermindereinnahmen notwendigen Kredite ausgelagert haben. Sie wissen, warum wir das gemacht haben, Herr Tschentscher. Sie kennen die Gründe, denn wir haben schon oft darüber geredet, aber man kann es nicht oft genug wiederholen. Mit dem Gesetz zur Errichtung des Sondervermögens haben wir den Bürgerinnen und Bürgern in dieser Stadt zwei Dinge versprochen und uns auch gesetzlich zu ihnen verpflichtet, die von keinem anderen Bundesland, geschweige denn der Bundesregierung, so in Angriff genommen werden.

Erstens: Wir haben uns verpflichtet, ab 2015 jährlich mindestens 100 Millionen Euro zu tilgen, um den kommenden Generationen keinen ungeschmälerten Schuldenberg zu hinterlassen.

Zweitens: Wir haben uns verpflichtet, auch die auflaufenden Zinsen nicht den kommenden Generationen aufzubürden, sondern sie der heutigen Generation aufzuerlegen. Das ist der Grund für die Sparmaßnahmen, die wir heute debattiert haben.

Kein anderes Bundesland, geschweige denn die Bundesregierung, hat über derartige Selbstverpflichtungen auch nur nachgedacht. Wenn Sie, Herr Tschentscher, nun sagen, Ihre dringlichste Forderung sei es, das Sondervermögen abzuschaffen, dann lässt das Ihre Aussage, es gehe Ihnen um Haushaltskonsolidierung, äußerst unglaubwürdig erscheinen. Das ist sehr selbstentlarvend, was Sie hier abgeliefert haben.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Es ging Ihnen offensichtlich gar nicht um die einzelnen Punkte Ihres Antrags, denn Sie sind nur auf recht wenige von ihnen näher eingegangen. Ich könnte es mir jetzt einfach machen und einige Ihrer Forderungen herausgreifen und schauen, wie es mit ihnen steht.

Sie fordern,

"… die Neuverschuldung auf den Betrag zu begrenzen, der für den Ausgleich der Steuermindereinnahmen durch die Konjunkturkrise erforderlich ist."

Dazu kann ich nur sagen: Schön, dass Sie unserer Meinung sind. Wir nehmen keinen einzigen Cent mehr auf, als uns Steuereinnahmen wegbrechen. Es sind 6 Milliarden Euro Mindereinnahmen prognostiziert und bei 6 Milliarden Euro liegt auch die Kreditermächtigung für das Sondervermögen. Sie mögen das missverstehen und verdrehen – gutwillig oder böswillig, wie Sie wollen –, aber da beißt die Maus keinen Faden ab. Sie fordern hier etwas, was wir schon längst getan haben.

Sie ersuchen den Senat,

"… keine zusätzlichen 'schwarzen Kassen' zur Finanzierung von Projekten über den beschlossenen Haushalt hinaus einzurichten."

Auch das werden wir natürlich nicht tun. Unterstellungen dieser Art können auf keine Weise belegt werden. Wenn wir 6 Milliarden Euro Steuermindereinnahmen haben und 6 Milliarden Euro an Krediten aufnehmen, dann liegt es in der Natur der Sache, dass es keine schwarze Kasse geben kann, durch die wir zusätzliche Ausgaben finanzieren könnten. Sie erheben diesen Vorwurf jedes Mal wieder. Einen Beleg für diese abenteuerliche Behauptung bleiben Sie schuldig. Ich finde, auch ein Oppositionspolitiker sollte sich das nicht zuschulden kommen lassen. Wenn Sie hier Anwürfe erheben, dann sollten Sie sie auch begründen und nicht einfach wiederholt aufschreiben. Das macht man eigentlich nicht, wenn man seriös argumentiert. Sie tun das leider nicht.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Sie wissen, dass Sie auch mit Ihrer Forderung,

"… weitere Steuersenkungen der Bundesregierung zulasten der Länderhaushalte im Bundesrat abzulehnen",

offene Türen einrennen. Dieser schwarz-grüne Senat hat bisher keinem Steuersenkungsprojekt der Bundesregierung im Bundesrat zugestimmt und wir haben auch nicht vor, das in Zukunft zu tun. Ich weiß auch bei diesem Punkt nicht recht, warum Sie ihn in Ihren Antrag aufnehmen, wo wir das doch ohnehin tun.

An einem Punkt aber, das möchte ich betonen, werden wir Ihnen nicht folgen, und zwar aus gutem Grund. Hier zeigt sich einmal mehr, wie unseriös die SPD-Fraktion mit diesem Thema umgeht. Wir haben vorhin erlebt, dass unpopuläre und schmerzhafte Gebührenerhöhungen von der SPDFraktion abgelehnt wurden, und jetzt haben wir hier einen Antrag der SPD-Finanzpolitiker vorliegen, in dem der Senat ersucht wird, den Betriebshaushalt einzuschränken und keine weitere Ausweitungen im Personalbestand vorzunehmen. Wir

werden dem nicht folgen, Herr Tschentscher. Wir haben gerade erst mit Zustimmung der SPD-Fraktion beschlossen, die Klassenfrequenzen in der geplanten Primarschule abzusenken. Das geht aber nur, wenn man weitere Lehrkräfte einstellt, und wir werden das auch tun, weil es eine gute Investition in die Zukunft unserer Kinder ist. Darum werden wir Ihrem Ersuchen nicht folgen.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Wir haben eben auch gehört, dass das Kita-Angebot in dieser Stadt enorm nachgefragt wird. Das bedeutet, dass wir mehr Kita-Plätze brauchen werden, mehr Kitas und mehr Betreuer. Auch da werden wir Ihrem Rat nicht folgen, Herr Tschentscher, indem wir sagen, es dürfe kein zusätzliches Personal geben.

Das ist eine abenteuerliche Forderung, die Sie hier aufstellen. Wir sind überzeugt, dass Investitionen in Bildung notwendig sind und werden diese auch trotz Ihrer Anträge tätigen und das ist auch gut so für diese Stadt.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Wir könnten ehrlicher, besser und auch zielgerichteter diskutieren, wenn es in der SPD-Fraktion eine andere Arbeitsteilung gäbe. Herr Tschentscher fordert regelmäßig harte Einschnitte und verlangt, der Betriebshaushalt dürfe nicht ausgeweitet werden. Wenn die Regierung dann an anderer, nicht so schmerzhafter Stelle Einsparungen vorschlägt, marschieren die Sozialpolitiker der SPD-Fraktion auf und sagen, es sei ein Skandal, die Betriebsausgaben zu kürzen. So einfach kann es sich auch eine Partei, die keine Verantwortung trägt, nicht machen.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Insofern habe ich keinen Wunsch an den Finanzsenator, weil er meiner Meinung nach wesentlich lernfähiger sein wird als die Finanzpolitiker in der SPD-Fraktion – was nicht so schwierig ist, wie ich gerade nachgewiesen habe –, sondern ich hätte eher einen Wunsch an Sie. Wenn Ihnen die Haushaltskonsolidierung wirklich ein Anliegen ist und Sie in schwierigen Zeiten schwierige Entscheidungen zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt beeinflussen wollen, dann machen Sie es sich jetzt nicht so einfach und stellen keine langen Kataloge für neue Leute zusammen, die eine schwierige Verantwortung zu tragen haben, sondern fassen Sie sich lieber einmal an die eigene Nase. Dann wären wir schon ein ordentliches Stück weiter. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Das Wort bekommt nun Herr Dr. Bischoff.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Auch ich möchte die Situation nutzen und Herrn Frigge, der ein nicht gerade leichtes Amt übernimmt, auf die finanzielle Situation dieser Stadt aufmerksam machen.

(Olaf Ohlsen CDU: Das weiß er!)

Ja, das weiß er, aber ich spreche damit auch Herrn Kerstan an, der dies für ungehörig hält.

(Karl-Heinz Warnholz CDU: Geben Sie ihm mal die 100 Tage und dann ist gut!)

Machen Sie das mal.

Herr Tschentscher hat auf den entscheidenden Punkt hingewiesen. Das "Hamburger Abendblatt" veröffentlichte heute ein großes Interview mit dem Präsidenten des Rechnungshofs, das Sie wenigstens ein bisschen in dieser Diskussion aufgreifen sollten. In diesem Interview werden aus meiner und aus Sicht meiner Fraktion zu Recht ein Kassensturz und ein radikaler Kurswechsel gefordert. Herr Kerstan, die Situation ist doch bitte schön nicht so, dass Sie ständig alles auf die große Wirtschaftskrise schieben können. Auch wenn Sie und ich nicht jedem Argumentationsstrang des Rechnungshofpräsidenten folgen müssen, sagt er doch zu Recht, Hamburg habe bereits vor der Wirtschaftskrise eine katastrophale desaströse Haushaltspolitik betrieben.

(Zurufe von der SPD: Hört, hört!)

Wir haben einen Schuldenberg in Höhe von 26 Milliarden Euro übernommen und wie die SPD in ihrem Antrag dargestellt hat, kommen zu diesen 26 Milliarden noch 2 Milliarden Euro Schulden für Schattenhaushalte und weitere Verpflichtungsermächtigungen für sogenannte Schattenhaushalte oder Schuldennebenhaushalte in der Größenordnung von 8 Milliarden Euro hinzu. Genau diese Situation, nämlich eine Verschuldung, die innerhalb weniger Jahre weit über die 30 Milliarden Eurogrenze klettert, findet Herr Frigge vor und muss uns sagen, wie er mit ihr umzugehen gedenkt. Wenn ich richtig gelesen habe, sagt auch Herr Meyer-Abich, dass wir angesichts der Wirtschaftskrise nicht alle Schulden in einem mehrjährigen Programm herunterkürzen können. Jeder seriöse Finanzpolitiker muss, wie es bereits in Berlin versucht wird, einerseits ein realistisches Konzept zur Sanierung öffentlicher Finanzen vorlegen, das andererseits jedoch die Konjunktur nicht noch mehr beschädigt. Vor dieser Situation stehen wir und müssen uns die entscheidende Frage stellen, wie wir sie bewältigen wollen.

Was heißt in der jetzigen Situation Kassensturz? Es muss nüchtern bilanziert werden, wie groß die finanzpolitische Erbschaft ist, die wir übernehmen, und es muss klar sein, dass wir innerhalb der nächsten Jahre nicht ohne Weiteres aus dieser Situation herauskommen. Dann müssen Sie aber tat