Protokoll der Sitzung vom 31.03.2010

Was heißt in der jetzigen Situation Kassensturz? Es muss nüchtern bilanziert werden, wie groß die finanzpolitische Erbschaft ist, die wir übernehmen, und es muss klar sein, dass wir innerhalb der nächsten Jahre nicht ohne Weiteres aus dieser Situation herauskommen. Dann müssen Sie aber tat

(Jens Kerstan)

sächlich, wie es die SPD in ihrem Antrag fordert, für Transparenz eintreten und können nicht zu einem Taschenspielertrick greifen,

(Klaus-Peter Hesse CDU: Bitte?)

indem Sie bei den Kitagebühren an das Kurzzeitgedächtnis der Öffentlichkeit appellieren. Bezüglich des Sanierungsprogramms haben Sie bislang immer gesagt, Sie würden die Zinslasten und die Defizite bei öffentlichen Unternehmen in Höhe von 1,15 Milliarden Euro bis 2013 reduzieren. Dann haben wir mit Ihnen darüber diskutiert, dass es nicht angehen kann, den sozialpolitischen Bereich komplett unberücksichtigt zu lassen, und wir haben auch über die sogenannten zehn goldenen Regeln des Sozialsenators diskutiert, mit denen man die Bürgerinnen und Bürger dazu bekommt, dass sie ihre Rechte nicht mehr in Anspruch nehmen. Das haben Sie uns damals um die Ohren gehauen und was machen Sie jetzt? Sie legen ein 33 MillionenEuro-Programm vor, bei dem es, wie auch immer Sie es sich zurechtdefinieren, darauf hinausläuft, dass sich ein Teil der Eltern das Angebot an öffentlichen Leistungen nicht mehr leisten kann.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Da hat der Kollege Böwer meines Erachtens völlig recht. Das ist nicht nur finanzpolitisch großer Mist, sondern das viel größere Problem besteht darin, dass Sie über eine solche intransparente Politik die Entfremdung in der Demokratie verstärken,

(Farid Müller GAL: Ja, das ist ja absurd!)

die weiß Gott schon groß genug ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich komme zurück zur Frage. Man muss die noch auflaufenden Defizite respektieren und zusehen, wie man sich aus dieser Entwicklung herausmanövriert. Man muss auch über ein Sanierungsprogramm der öffentlichen Finanzen nachdenken, das weit über diese Konjunkturphase hinaus reicht. Angesichts dessen finde ich es ziemlich daneben, dass Sie die Vorschläge, die auf dem Tisch liegen, abweisen.

Wie uns gestern noch einmal bestätigt wurde, haben wir in Hamburg eine relativ gute Chance, diese Krise auf dem Wege einer vernünftigen Strukturpolitik schneller als andere Bundesländer, schneller als zum Beispiel Baden-Württemberg, zu bewältigen.

(Olaf Ohlsen CDU: Das ist Teil unserer gu- ten Politik!)

Das Ganze ist allerdings kein Selbstläufer. Was ich im Antrag der SPD vermisse, ist die Bereitschaft, eine Neuverschuldung in Kauf zu nehmen, um eine sinnvolle Arbeitsmarkt- und Wirtschaftsstrukturpolitik betreiben zu können.

(Beifall bei Christiane Schneider und Meh- met Yildiz, beide DIE LINKE)

Allein durch Umschichtung und Finanzierung wird uns dies nicht gelingen. Das ist ein wichtiger Punkt.

Ein zweiter wichtiger Punkt ist, dass wir sämtliche Nebenhaushalte auflösen, Transparenz schaffen und einen Kassensturz machen müssen mit der Konsequenz – dieser Anforderung wird sich Herr Frigge zu stellen haben –, dass nicht nur der Senat und die Bürgerschaft, sondern die gesamte Hamburger Öffentlichkeit über neue Prioritäten diskutieren muss. Genau das vermissen wir stark. Sie treiben irgendwelche Spielereien mit der Universität, ohne zu sagen, woher Sie Geld dafür nehmen wollen. Es werden irgendwelche mehr oder weniger sinnvollen Projekte für die Stadtbahn gemacht, ohne dass klar ist, wie sie finanziert werden können. Insofern heißt Kassensturz eben auch, dass Sie jedes Projekt und seine Rangfolge nach kultur- und arbeitsmarktpolitischen Kriterien und seinem Beitrag zur Finanzierung der öffentlichen Finanzen überprüfen müssen.

Nun komme ich auf Herrn Goldbergs Spezialgebiet, die Vermögensteuer, zu sprechen. Wie Sie die relativ verselbstständigte Finanzsphäre ohne Vermögensteuer und letztlich ohne Finanztransaktionssteuer an die Kandare kriegen wollen, möchte ich gerne einmal von Ihnen hören. Die Verselbstständigung der Finanzsphäre ist doch nur die eine Seite. Die Kehrseite ist, dass Sie selbst über diejenigen, die letztendlich die Finanzoperationen auslösen, schützend Ihre Hand halten. Wenn ich das richtig sehe und anknüpfend an das, worauf der Bürgermeister in der Debatte neulich hingewiesen hat, liegen uns 225 Selbstanzeigen vor, die ein Nachsteuervolumen von über 100 Millionen Euro auslösen. Laut Schätzung aus der CDU-Fraktion würden wir somit zusätzliche Steuereinnahmen in Höhe von 45 Millionen Euro erzielen. Mit zusätzlich 45 Millionen Euro könnte man das Kitaproblem lösen.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Sieht man sich die Sache genauer an, wird man feststellen, dass diese gigantischen Summen noch übertroffen werden können, da sich noch längst nicht alle Leute unter Druck einen Ruck geben und sich selbst anzeigen. Da Sie somit nur auf einen Bruchteil der Gelder zugreifen können, fordern wir immer wieder ganz konkret, den Steuervollzug in Hamburg demokratisch und für alle gleich zu gestalten. Vergeben Sie keine Prämien, sondern sorgen Sie dafür, dass bestimmte Bürgerinnen und Bürger sich der Finanzierung öffentlicher Aufgaben nicht mehr entziehen können. Wenn wir das hinkriegen, dann bekommen wir auch die Mehrheit und die politische Kraft dafür, um so etwas wie eine Vermögensbesteuerung oder eine Finanztransaktionssteuer in Berlin durchsetzen zu können;

denn ohne die Ausweitung der Steuerlast in eine sozial gerechte Besteuerung der Bürger wird es keine Sanierung der öffentlichen Finanzen geben.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Das Wort bekommt der Finanzsenator Herr Frigge.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Sehr geehrter Herr Dr. Tschentscher, über Ihre angekündigten 100 Tage Schonfrist hätte ich mich natürlich sehr gefreut. Ich danke Ihnen und finde es sehr fair, dass Sie für meine erste Debatte als Finanzsenator mit Ihrem Antrag auch schon Ziele formuliert haben, denen ich im Großen und Ganzen nur zustimmen kann. Stabilisierung der Einnahmen: absolut, Konsolidierung der Ausgaben, Klarheit und Wahrheit im städtischen Haushalt: prima; da bin ich ganz bei Ihnen. Das ist doch schon einmal ein guter Anfang.

(Beifall bei der CDU und der GAL und bei Michael Neumann [SPD] – Michael Neu- mann SPD: Jetzt einfach aufhören!)

Über die Ziele sind wir uns offenbar einig. Sie alle wissen doch in Wirklichkeit auch ganz genau, dass die Koalition an sehr vielen Stellen schon eine ganze Menge dafür tut, um diese Ziele zu erreichen. Aber trotz aller bisherigen Erfolge – und das sind nicht wenige – ist ein Wechsel an der Führungsspitze einer Behörde immer auch ein guter Moment, um noch einmal innezuhalten und das zu überprüfen, was man bisher getan hat. Genau das werde ich auch tun und möchte Sie einladen, gemeinsam mit mir in den Ausschüssen, in den Gremien und mit dem Senat diese Herausforderung anzugehen. Dabei werden wir wahrscheinlich nicht immer einer Meinung sein, aber gerade aus der Auseinandersetzung, sofern sie fair, sachlich und zielorientiert geführt wird, gehen doch in aller Regel die besten Lösungen hervor, die wir alle zum Wohle unserer Stadt suchen.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Sie werden sicherlich verstehen, dass ich nach nunmehr 42 Minuten im neuen Amt noch keine Lösung für alle unsere finanzpolitischen Aufgaben präsentieren kann.

(Ingo Egloff SPD: Ich dachte, deswegen sei- en Sie ausgesucht worden!)

Die Situation ist, wie sie ist. Dieser Realität müssen und werden wir uns stellen. Seien Sie gewiss, dass meine Kollegen und ich die Ärmel hochkrempeln und die vordringlichen Aufgaben in Angriff nehmen werden.

Lassen Sie mich nun aber auf drei Punkte Ihres Antrags eingehen, zu denen ich schon heute etwas sagen kann, als Erstes zum Sondervermögen

Konjunkturstabilisierungsfonds. Aufgrund der Wirtschaftskrise fehlen uns Steuereinnahmen in Höhe von 6 Milliarden Euro für die Laufzeit der mittelfristigen Finanzplanung bis 2013. Wie der Bund und andere Länder hat sich auch Hamburg dazu entschieden, die Krise durch antizyklisches Gegensteuern zu bewältigen, das Ausgabenniveau des Doppelhaushalts 2009/2010 zu halten und zusätzlich in die Stabilisierung der Konjunktur zu investieren und für die Übergangszeit konjunkturbedingt eine erhöhte Nettokreditaufnahme in Kauf zu nehmen. Diese unvermeidbare Kreditaufnahme wird in einem Sondervermögen gekapselt und ist im Gegensatz zur Altverschuldung ganz klaren und festen, sogar gesetzlichen Tilgungsregeln unterworfen. Das ist der Geist der Föderalismusreform II: Wenn schon Schulden, dann feste Tilgungsregeln. Dies ist aus meiner Sicht ein sehr sinnvolles Vorgehen und sorgt darüber hinaus für die von Ihnen geforderte Klarheit.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Zweitens möchte ich auf die Finanzierung der Hafeninfrastruktur über den Kernhaushalt eingehen. Es ist doch völlig klar, dass, sobald die HHLA-Milliarde aufgebraucht ist, die weitere Finanzierung der allgemeinen Infrastruktur wieder aus dem Haushalt gestemmt werden muss.

(Olaf Ohlsen CDU: Anders geht's ja auch nicht!)

Es bleibt aber natürlich trotzdem unser Ziel, die nutzerspezifischen Investitionen mit den Einnahmen der HPA zu finanzieren. Es besteht doch Einvernehmen darüber, die HPA zu entlasten. Leistungen, die nicht direkt hafenbezogen sind, sondern anderen fachpolitischen Zwecken dienen, sollen zukünftig von den Auftrag gebenden Behörden erstattet werden. Auch dies ist, nebenbei bemerkt, ein Schritt zu mehr Klarheit und Transparenz.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Drittens komme ich auf das Thema neues Haushaltswesen zu sprechen. Sie sprechen sich in Ihrem Antrag für Transparenz, Kontrolle und Steuerung aus. Diese Auffassung teile ich. Ich kenne das Projekt bislang im Wesentlichen nur aus der Perspektive der Wirtschaftsbehörde und vor diesem Hintergrund frage ich mich tatsächlich, ob es den richtigen Reifegrad erreicht hat, ob der Zeitpunkt wirklich der richtige ist, dieses Projekt bereits jetzt in der Fläche umzusetzen. Sie werden es mir sicher nachsehen, dass ich auch nach 45 Minuten im neuen Amt diesbezüglich noch keine abschließende Meinung vertrete. Man wird aber darüber nachdenken müssen, ob man mit diesem Vorhaben nicht für einige Zeit innehält und das, was man aus den bisherigen Erfahrungen gelernt hat, verarbeitet, bevor man über weitere Schritte entscheidet. Ich möchte in diesem Punkt nicht missverstanden werden. Ich teile die Ziele, die NHH verfolgt,

(Dr. Joachim Bischoff)

nämlich die knappen Ressourcen besser, also wirksamer zu verwenden und dabei Transparenz zu schaffen. Aber lassen Sie uns noch einmal überprüfen, ob wir hier bezüglich der Umsetzung wirklich auf dem richtigen Weg sind, ob die Geschwindigkeit stimmt und ob wir uns dieses Projekt jetzt leisten können.

(Beifall bei der CDU, der GAL und der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Mein Ziel muss und wird es sein, an einer nachhaltigen Haushaltspolitik festzuhalten, dabei Prioritäten zu setzen, Projekte auf den Prüfstand zu stellen und keine neuen Schulden zu machen. Mir ist natürlich klar, dass man insbesondere dieses letzte Ziel nicht sofort erreichen können wird, aber ich halte an diesem Ziel fest. Wir werden es weiterhin anstreben und es wird auch künftig das Handeln dieser Koalition leiten. – Vielen Dank.

(Lang anhaltender Beifall bei der CDU und der GAL)

Dann gebe ich Frau Badde das Wort.

(Stephan Müller CDU: Was für ein Kontrast!)

Sehr geehrter Herr Senator Frigge! Auch ich möchte Ihnen ganz viel Erfolg im neuen Amt zum Wohle Hamburgs und aller hier vertretenen Fraktionen und Bürger dieser Stadt wünschen. Ich habe Sie bisher – zum Beispiel im Wirtschaftsausschuss – als einen Politiker kennengelernt, der stets einen Dialog auf Augenhöhe führt. Diese Gesprächskultur sollten wir auch im Haushaltsausschuss, dem ich ebenfalls angehöre, fortsetzen. Darauf freue ich mich, denn im Gegensatz zu ihrem Amtsvorgänger und zum Sprecher der CDU-Fraktion, der eben gesprochen hat, sind Sie bisher ohne Arroganz aufgetreten und haben auch der Opposition immer zugebilligt, wertvolle Gedanken beizutragen. Das kann man von Herrn Goldberg, der uns gerade einmal ein paar Gedanken zur Haushaltspolitik zubilligt, nicht behaupten; das war dann doch eine Spur Arroganz zu viel.

(Beifall bei der SPD und bei Elisabeth Baum DIE LINKE)

Da bereits Vieles gesagt worden ist, möchte ich nur zu einigen Punkten Stellung nehmen, zum Beispiel zu diesem Sondervermögen, das unsere Konjunktur jetzt beleben soll. Es ist definitiv so konstruiert, dass damit nicht nur die momentanen Einnahmenausfälle, sondern auch die zukünftigen Defizite aufgefangen werden sollen. Wie allerdings die Einnahmenausfälle in den nächsten Jahren kompensiert werden sollen, ist durchaus nicht geklärt. Herr Goldberg, da Sie immer wieder auf die Verschuldung in der Vergangenheit verweisen, möchte ich Sie dezidiert auf das heutige Interview des Rechnungshofpräsidenten aufmerksam ma

chen, der verdeutlicht hat, dass die in 40 Jahren aufgelaufenen Schulden jetzt in nur fünf Jahren um ein Drittel erhöht werden sollen. Das spricht für sich, ohne dass wir die einzelnen Zahlen, die Herr Bischoff bereits ausdrücklich aufgeführt hat, noch einmal erwähnen müssen.

Wir haben nichts dagegen, dass jetzt beispielsweise der Schulbau vorangebracht oder eine effektive Kulturpolitik betrieben werden soll, sondern wir kritisieren, dass Sie zunächst einmal 40 interne Stellen schaffen, mit denen keine einzige Schule saniert wird. Die Sanierungskosten werden alle noch zusätzlich auf uns zukommen. Die jetzt aufgrund der zusätzlichen Stellen anfallenden Betriebskosten werden uns in die Zukunft begleiten und dafür sorgen, dass keine einzige Schule saniert wird.

(Beifall bei der SPD)