Protokoll der Sitzung vom 01.07.2010

Wir sollten in der Tat über die grundsätzlichen Ursachen gesellschaftlicher Art reden, aber auch darüber, was in dieser Stadt konkret von den Behörden und vom Senat getan werden kann angesichts dieser dramatischen Einzelfälle, die aber durchaus ein Spiegelbild haben in den Zahlen, die wir der Gewaltentwicklung zurechnen müssen. Ich nenne nur einmal ein Schlaglicht: Wir haben seit 2005 eine Zunahme der Gewalt im öffentlichen Raum um 70 Prozent. Diese Zahl ist alarmierend und zwingt den Senat zum Handeln.

(Beifall bei der SPD)

Zum einen nehmen die Spaltungstendenzen in dieser Stadt zu; die haben zu tun mit Integrationsdefiziten, mangelnden Bildungschancen und wenigen beruflichen Perspektiven, vor allem in diesen Stadtteilen, über die wir reden. Wir müssen feststellen – und das ist auch eine Erkenntnis aus den letzten Wochen und Monaten angesichts dieser Gewaltentwicklung –, dass diese soziale Spaltung mit der Sicherheitslage in unserer Stadt durchaus etwas zu tun hat, und da können Sie sich nicht wegducken, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der LINKEN)

Die Menschen erwarten konkrete Antworten und nicht, dass wir sagen, das ist ein allgemeines gesellschaftliches Problem und dazu kann der Staat an der Baustelle etwas tun, aber bei den anderen konkreten Baustellen, wo es darum geht, den Instrumentenkasten in diesen Fällen auch zu schärfen und richtig zur Anwendung zu bringen, da machen wir einmal Sendepause. So kann es nicht funktionieren, sondern man muss sowohl konsequent gegen die Ursachen als auch konsequent gegen die Gewalt angehen. Das ist die Lösung, die die Sozialdemokratie hier noch einmal deutlich hervorheben will.

(Beifall bei der SPD)

(Kai Voet van Vormizeele)

Aber was machen Sie, was macht der Senat? Sie haben jetzt eine Senatskommission eingesetzt, obwohl die Behörden schon zig Runden zu diesem Thema gemacht haben, obwohl zig Vorschläge von uns und von Experten aus dieser Stadt auf dem Tisch liegen und obwohl Sie uns vor drei Wochen – da saßen viele der beteiligten Senatoren auch in der Landespressekonferenz – gesagt haben, das Handlungskonzept gegen Jugendgewalt sei eigentlich gut und es gebe nur ein paar kleine Stellschrauben, bei denen noch ein bisschen nachgelegt werden müsste. Jetzt, drei Wochen später, heißt es noch einmal zurück auf Anfang, alles noch einmal von vorne, eine neue Senatskommission. Was soll das denn sein? Das ist ein Zeichen Ihrer Hilflosigkeit und Planlosigkeit bei dem Thema.

(Beifall bei der SPD – Viviane Spethmann CDU: Was wollen Sie denn anders ma- chen?)

Und es geht weiter. Nach diesen schrecklichen Ereignissen in Neuwiedenthal stellt sich der Innensenator hin, im "Hamburger Abendblatt" ist es zu lesen, und kündigt eine temporäre Verstärkung der kaputtgesparten Polizei im Süderelbebereich an. Dazu sagt er – ich zitiere –:

"Ich möchte wissen, was in dem Stadtteil vor sich geht."

Was haben Sie denn eigentlich die ganze Zeit vorher gemacht? Waren Sie so ahnungslos, was die Gewaltentwicklung auch in dem Bereich angeht? Das ist ein Offenbarungseid, den Sie damit abgelegt haben.

(Beifall bei der SPD)

Warum tappen Sie denn da so im Dunkeln? Sie haben im Bereich Süderelbe erst eine Wache dichtgemacht und dann Polizeistellen abgebaut, ein Minus von 12 Prozent. Die Polizeipräsenz auf der Straße hat in den letzten Jahren um 18 Prozent abgenommen, das ist das Ergebnis. Die Ängste der Menschen in Süderelbe sind offenbar sehr weit weg von Ihnen, Herr Ahlhaus.

(Beifall bei der SPD – Viviane Spethmann CDU: Und was wollen Sie machen?)

Und dann die Bekenntnisse zur Polizei, die erwartet, dass man ihr nicht nur verbal den Rücken stärkt, sondern auch in der ganz konkreten Frage von Ausstattung und Stellen. Warum mussten die Polizeibeamten, die dort in dieser gefährlichen Situation waren, fast 20 Minuten darauf warten, dass Verstärkung kam? So hätte vielleicht eine Eskalation in der Situation verhindert werden können.

(Beifall bei der SPD – Kai Voet van Vormi- zeele CDU: So löst man keine Probleme!)

Verantwortungslos wäre es nach den bisherigen Sparmaßnahmen auch, wenn Sie dort jetzt so weitermachen. In der Zeitung war in den letzten Ta

gen zu lesen, dass es Sparideen bei den bürgernahen Beamten gibt.

(Kai Voet van Vormizeele CDU: Das ist doch Ihre Idee!)

Das ist bestimmt nicht meine Idee. Dazu können Sie gleich noch einmal etwas sagen.

Bei den bürgernahen Beamten, die als Cop4U hervorragende Arbeit gegen Jugendgewalt in den Schulen leisten, den Rotstift anzusetzen, das ist aberwitzig, das muss sofort vom Tisch.

(Beifall bei der SPD und bei Dr. Joachim Bi- schoff und Dora Heyenn, beide DIE LINKE)

Was ist eigentlich mit dem Opferschutz? Das war auch einmal ein Punkt, den der CDU-Senat hochgehalten hat, jedenfalls verbal. Gestern Abend hatten wir Herrn Sielaff vom Weißen Ring nebenan im Kaisersaal zu Gast, der sich noch einmal Ihre Aufarbeitung des Falls Elias angeschaut hat. Das Wort Opferschutz taucht dort überhaupt nicht auf. Das ist Ihnen nicht einmal mehr ein Lippenbekenntnis wert. Zum Thema Schutz von Polizeibeamten haben wir den Antrag gestellt, einen Opferfonds für verletzte Polizeibeamte einzurichten,

(Glocke)

den Sie ohne Begründung abgelehnt haben. So sieht das aus, verbal immer dabei, aber wenn es um die Konsequenzen geht, sind Sie nicht dabei. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat Frau Möller.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Für die GAL-Fraktion schließe ich mich den Genesungswünschen an den schwerverletzten Polizisten an.

(Beifall bei der GAL und der CDU und ver- einzelt bei der SPD)

Niemand von uns will, dass es in Hamburg Auseinandersetzungen mit Messern zwischen Jugendlichen und Auseinandersetzungen mit der Polizei sowie Angriffe auf Polizistinnen und Polizisten gibt. Wir wollen nicht, dass Gehwegplatten herausgebrochen werden, um auf Polizisten geworfen zu werden, und wir wollen nicht, dass Polizisten auf am Boden Liegende mit dem Schlagstock einschlagen.

(Beifall bei Christiane Schneider DIE LINKE)

Es ist unsere Aufgabe dabei, als Parlament Besonnenheit zu wahren und im Übrigen auch die öffentliche Meinung zu Besonnenheit zu mahnen. Deswegen bin ich froh, dass sich die Polizei von den Äußerungen des Gewerkschaftsvertreters einer

(Dr. Andreas Dressel)

der Polizeigewerkschaften so deutlich distanziert hat.

(Beifall bei der GAL und der LINKEN)

Es geht um individuelle Schuld, das ist das Thema. Jeder einzelne Fall ist anders gelagert und die detaillierte Auseinandersetzung damit macht es erst möglich zu klären, wie es mit Schuld und Unschuld aussieht. Welche Gemeinsamkeiten gibt es und wo muss die Politik etwas verändern? Es gibt keine Patentrezepte, es gibt eine Vielfalt von Reaktionsmöglichkeiten. Wenn sich Jugendliche durch Gewalttaten in Gruppen profilieren, mag das eine gemeinsame Basis sein, genauso wie eigene Gewalterfahrung, fehlende Ausbildung und Arbeitsplatzchancen, ganz einfach ausgegrenzt sein aus dieser Gesellschaft, möglicherweise auch allein wegen des Migrationshintergrundes. Die Senatskommission, Herr Kollege Dressel, bringt im Übrigen die entscheidenden Behörden zusammen.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Sie haben uns doch erzählt, dass das immer schon so ist!)

Die Senatskommission muss ganz dicht rangehen an die Menschen, sie muss es ernst nehmen, wenn beschrieben wird, dass die Jugendlichen sich gedemütigt fühlen durch Behörden und Behördenhandeln. Sie muss die Auswirkungen der Einrichtung eines Gefahrengebietes ernst nehmen und sie muss Gräben zwischen Bewohnerinnen und Bewohnern, Behörden und Vereinen zuschütten helfen. Zugegeben eine etwas ungewöhnliche Aufgabe einer Senatskommission. Sie muss Initiativen aus den Quartieren bei Lösungsvorschlägen mit einbeziehen. Mit allen Möglichkeiten müssen wir darauf hinarbeiten, nicht noch mehr und immer wieder Opfer zu haben, aber auch nicht noch mehr und immer wieder Jugendliche als Täter zu verlieren. Die Beteiligten der letzten Vorfälle sind erst einmal gefasst. Ein schnelles Verfahren und ein Urteil sind das Ziel, genauso aber auch nach der Verbüßung der Tat der Weg zurück, damit sie nicht wieder da landen, wo sie jetzt als Täter gerade standen. Zustechen mit dem Messer bei Streitigkeiten, auch ohne jeden Anlass, macht auf erschütternde Weise deutlich, dass die Grundregeln der Gesellschaft – körperliche Unversehrtheit und Meinungsfreiheit – für viele, vor allem junge Menschen leeres Gerede sind. Das hat auch etwas mit uns zu tun, es hat mit ihren eigenen Lebenserfahrungen scheinbar nichts zu tun. Der allgemein akzeptierte Regelkanon gilt hier nicht. Die fatalen Auswirkungen des Polizeieinsatzes in Neuwiedenthal machen auch deutlich, dass Akzeptanz und Respekt gegenüber der Arbeit der Polizei schnell verloren gehen kann. Beiderseitiges Vertrauen ist die Grundlage und dass es ein sehr fragiles Verhältnis zwischen bestimmten Gruppen und der Polizei gibt, ist uns allen bewusst. Ob dieses in Neuwiedenthal und möglicherweise auch noch in anderen Quartieren ein schleichender Prozess war, also

das Vertrauen zwischen Polizei und vor allem Jugendlichen und anderen Bewohnerinnen und Bewohnern verloren gegangen ist und uns das entgangen ist, oder ob es eine schlicht und einfach akute Situation war, die dort entstanden ist, das gehört zu den dringend zu klärenden Fragen.

(Beifall bei der GAL und der LINKEN und vereinzelt bei der CDU)

Das Wort hat Senator Ahlhaus.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die ungewöhnliche Häufung von brutalen Gewaltstraftaten, teilweise mit tödlichem Ausgang, hat uns alle sehr betroffen gemacht. Es gibt nichts schönzureden, wir haben hier ein Problem in unserer Stadt und nicht nur in unserer Stadt. Nicht alleine Polizei und Justiz haben das Problem, sondern es ist unser gemeinsames Problem. Es ist ein Problem der gesamten Gesellschaft. Mit dieser Analyse will sich niemand, will auch ich mich nicht aus der Verantwortung stehlen, im Gegenteil. Aber wahr ist auch, dass Polizei und Justiz kein Reparaturbetrieb für gesellschaftliche Fehlentwicklungen sein können, kein Erziehungsbetrieb für bestimmte gesellschaftliche Gruppen sein können, die mit unserer Rechtsordnung offensichtlich nicht viel anfangen können.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Polizei und Justiz müssen, das sind sie der Sicherheit der Menschen unserer Stadt schuldig, Straftaten konsequent nachgehen, schnell aufklären und zügig die Täter ihrer gerechten Strafe zuführen. Das ist die Aufgabe und diese wird im Großen und Ganzen von unserer Polizei und unserer Justiz hier in Hamburg gut und effizient wahrgenommen. Sicherlich gibt es an der einen oder anderen Stelle hier oder auch im Präventionsbereich bei anderen Behörden das eine oder andere zu verbessern. Wir sind den Fällen der letzten Wochen intensiv nachgegangen, das wissen Sie. Es hat parlamentarische Beratungen gegeben, aber im Großen und Ganzen stimmt diese Aufarbeitung. Jenseits der Einzelfälle wird sich nun die Sonderkommission des Senats mit dem Gesamtphänomen befassen, wobei man wohl die Entwicklung insgesamt, das will niemand verschweigen, als ein neues Phänomen beschreiben muss. Bei allen auch selbstkritischen Analysen durch die Behörden ist es aber wichtig – das gehört dazu, selbst wenn es manchen politisch nicht gefällt –, auf eine Kriminalitätsentwicklung mit Licht und Schatten in dieser Stadt hinzuweisen. Dank der engagierten Arbeit unserer Polizei ist die Zahl der Straftaten seit zehn Jahren deutlich rückläufig.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der GAL)

(Antje Möller)

Dennoch müssen wir uns fragen, was bei den Menschen schiefgelaufen ist, die anderen hemmungslos ein Messer in den Körper rammen. Es ist nicht nur an Politikern, sich dagegen aufzulehnen und das aufzuarbeiten, alle gesellschaftlichen Kräfte sind gefordert, Gewalt gegen andere Menschen, gegen Polizeibeamte deutlich zu ächten. Ich habe mich in diesen Tagen bei aller Bestürzung über die Fälle der vergangenen Wochen über eines sehr gefreut, nämlich als ich vom Polizeikommissariat 47 gehört habe, dass die Bürger in Neugraben und im Süderelberaum sich mit ihrer Polizei solidarisiert haben und noch heute dort Briefe, E-Mails und Blumen eingehen, um den verletzten Beamten Genesungswünsche zu übermitteln. Genau diese Reaktion wünsche ich mir von allen Demokraten in unserer Gesellschaft.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der GAL)

Frau Schneider, wo das staatliche Gewaltmonopol, das in diesem Rechtsstaat demokratisch legitimiert und in höchstem Maße kontrolliert ist, infrage gestellt wird, wird der Rechtsstaat infrage gestellt. Hier müssen wir konsequent dagegenhalten und im Interesse aller Bürgerinnen und Bürger handeln. Ich finde den Hinweis in einem der Wortbeiträge zuvor in dieser Debatte wichtig, Sicherheit sei gerade auch etwas, das von sozialer Bedeutung ist. Sicherheit können sich manche Menschen kaufen, andere nicht und deswegen haben wir natürlich die Verpflichtung, für die Sicherheit aller Menschen zu sorgen. Dabei können wir stolz sein auf unsere Beamtinnen und Beamten, die konsequent einschreiten, wenn Verdachtsmomente auf Straftaten bestehen. Wir können stolz sein auf Polizisten, die unter Einsatz ihrer Gesundheit unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger vor Willkür und Gewalt schützen. Dazu gehört auch, das sage ich hier sehr deutlich, dass Polizeibeamte gelegentlich Zwangsmittel einsetzen müssen. Unsere Polizeikräfte verdienen unsere Unterstützung, unsere Solidarität und unsere Anerkennung.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der GAL)