Protokoll der Sitzung vom 02.07.2010

[Senatsantrag: Begrenzung des Ausgabenanstiegs und qualitätssichernde Maßnahmen in der Kindertagesbetreuung – Drs 19/5901 –]

Hierzu liegt Ihnen als Drucksache 19/6599 ein Antrag der Fraktion DIE LINKE vor.

[Antrag der Fraktion DIE LINKE: Für mehr Gebührengerechtigkeit und ein gemeinsames längeres Lernen in der Kita – Drs 19/6599 –]

Wer wünscht das Wort? – Herr Yildiz, bitte.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir haben gerade über ein Thema gesprochen, das sehr wichtig ist und viel mit der Schulreform und dem Erfolg unserer Schülerinnen und Schüler zu tun haben wird. Heute liegt der Senatsantrag zur Begrenzung des Ausgabenanstiegs in unveränderter Fassung zur zweiten Lesung vor. Wie Sie sehen, werden wir als Links-Fraktion nicht müde, in und außerhalb der Bürgerschaft gegen diese Kita-Gebührenerhöhung zu arbeiten. Wir begrüßen daher, dass der Landeselternausschuss eine Volkspetition gegen diese Gebührenerhöhung gestartet und mit mehr als 42 500 Unterschriften abgeschlossen hat.

(Beifall bei der LINKEN)

Im Sinne einer familienfreundlichen Politik und einer solidarischen Gesellschaft ist ein Umdenken dringend gefordert. Ihre Argumentation, es müsse aufgrund der durch die Wirtschaftskrise bedingten Steuerausfälle in der frühkindlichen Bildung gespart werden, ist nicht nur bildungspolitisch kontraproduktiv, sondern wird fatale finanzielle Folgen für die Stadt haben. Sie verspielen hier die Chance, die in zahlreichen Studien geforderte frühkindliche Bildung von Kindesbeinen an zu fördern. Das ist unverantwortlich. Ich möchte Ihnen das unter verschiedenen Gesichtspunkten verdeutlichen.

Erstens: Diese Maßnahme ist finanzpolitisch völlig unverständlich. Sie riskieren, dass eine steigende Zahl erwerbstätiger Eltern ihre Kinder aus der Kita abmelden oder die Inanspruchnahme ihrer Gutscheine reduzieren, weil es sich für Zuverdienerinnen und Zuverdiener aufgrund der Gebührenerhöhung nicht mehr lohnt, arbeiten zu gehen. Dadurch werden Hamburg Steuergelder in erheblichem Umfang verloren gehen. Diese Kürzungen sind außerdem frauenfeindlich, weil sie dazu führen werden, dass Mütter zu Hause bleiben, statt ihre Kinder in die Kitas zu geben.

Zweitens: Ihre familienfeindliche Politik führt bereits jetzt zu höheren Kosten in den nachgelagerten Sozial- und Bildungssystemen. Wenn wir uns zum Beispiel die ständigen Haushaltsnachforderungen im Bereich der Hilfen zur Erziehung anschauen – alleine 42,5 Millionen Euro 2010, das sind dann insgesamt für dieses Jahr 220 Millionen Euro –, dann wird deutlich, dass wir einen Systemwechsel brauchen. Ihre Argumente haben also nichts mit weitsichtiger Politik zu tun.

(Beifall bei der LINKEN)

Ihre Politik scheint keiner Leitlinie zu folgen. Die Forderung nach längerem gemeinsamem Lernen in der Primarschule ist ein richtiger Schritt, den wir auch unterstützen, aber es bleibt unerklärlich, warum in der frühkindlichen Bildung gekürzt wird. Hier fahren Sie zweigleisig. Was grundsätzlich für die Schulbildung gilt, muss auch für die frühkindliche Bildung gelten. Bildung fängt mit frühkindlicher Bildung an.

Drittens: Sie halten sich nicht an Ihren Koalitionsvertrag, der neben dem Rechtsanspruch für Zweijährige die Sprachförderung als Kriterium für einen Kita-Platz vorsieht. Sie legen beides auf Eis. Wir haben heute in vielen Debatten deutlich gemacht, dass diese Maßnahme ein wichtiger Schritt zum Erlernen der Sprache und damit zur Teilhabe ist, speziell für Kinder mit Migrationshintergrund. Sie fördern nur die Ausgrenzung nachfolgender Generationen.

Viertens Essensgeld: Wir lehnen Essensgeldpauschalen grundsätzlich ab. Mit dieser Pauschale bitten Sie die Eltern ein drittes Mal zur Kasse, denn

(Dr. Joachim Bischoff)

erstens kassieren Sie zu Recht Steuern, zweitens Kita-Beiträge und drittens zusätzlich eine Essensgeldpauschale. Die Einführung einer ermäßigten Pauschale für Geringverdiener ist keine Lösung. Die am häufigsten von Armut bedrohte Gruppe sind Kinder. Ihnen stehen laut Arbeitslosengeld–II-Regelsatz täglich rund 2,50 Euro für Essen zur Verfügung. Viele Lehrer berichten, dass in unserer Stadt immer mehr Kinder hungrig zur Schule kommen. Statt diesem Trend wenigstens in der Kindertagesbetreuung entgegenzuwirken, verschärfen Sie die Lage dieser Kinder. Der Mindestbeitrag für die Kita ist nicht einmal im Hartz-IV-Regelsatz enthalten. Er entspricht rund 25 Prozent des Regelsatzes für ein Kind. Das ist nach unserer Auffassung nicht mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu vereinbaren. Der Hamburger Senat muss mit Klagen der Eltern rechnen. Schon aus diesem Grund ist der Antrag mindestens an den Ausschuss zu überweisen.

(Beifall bei der LINKEN)

Fünftens behinderte Kinder: Die Behandlung von Eltern mit behinderten Kindern ist unzumutbar und grenzt an eine Frechheit. Sie können sich anscheinend nicht vorstellen, wie schwer die Erziehung und Betreuung dieser Kinder oft ist, ganz zu schweigen von den erschwerten Erwerbs- und Teilnahmemöglichkeiten der Eltern. Sie belasten mit der Streichung des Mindesteigenanteils jene Menschen zusätzlich, die schon übermäßig belastet sind und dringend Entlastung bräuchten.

Sechstens zum Aspekt der Besserverdienenden: Ihr häufig genanntes Argument, die zusätzlichen Belastungen träfen zum Großteil die sogenannten Besserverdienenden, ist unverschämt. Nach Ihrer Definition sind Ehepaare, die mit jeweils 1500 Euro nach Hause kommen, schon Besserverdienende. Damit gehören eine Krankenschwester und ein Erzieher bei Ihnen schon zur Oberschicht. Was Sie den Menschen hier auftischen, ist nicht nur realitätsfern, sondern auch an Dreistigkeit kaum zu überbieten.

Siebtens zum Kita-TÜV: Als ich den Paragrafen 21a Ihres Antrags gelesen habe, habe ich feststellen müssen, dass es Ihnen nicht um die Qualität in den Kitas geht, sondern um mehr Kontrolle über die Kitas. Das, was Sie fordern, ist im Landesrahmenvertrag vorhanden. Die Eltern wünschen sich eine Aufsicht, die die pädagogische Aufsicht im Blick hat, und keinen Kita-Zoll.

Achtens zu Ihrem Vorschlag zur Tagespflege: Die Tagespflege finanziell besser auszustatten, ist grundsätzlich zu begrüßen, aber das System bleibt unterfinanziert und die Beschäftigten bewegen sich am Rande von Hartz IV. Dahinter steckt eigentlich, dass Sie den Bereich der Tagespflege attraktiver gestalten wollen, um den Krippenausbau kostengünstig über die Tagespflege abzuwickeln, statt

den Krippenausbau der Kita-Träger voranzutreiben.

Meine Damen und Herren! Wir als Links-Fraktion haben einen Gesetzesvorschlag eingebracht, der die Situation der betroffenen Bürgerinnen und Bürger verbessern würde und sich an den Bedürfnissen der Kinder orientiert, nicht an den Bedürfnissen der Wirtschaft. Wir fordern den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz für zweijährige Kinder sowie die uneingeschränkte Beitragsfreiheit für Geringverdiener und Erwerbslose; dies gilt selbstverständlich auch für die Essensgeldpauschale. Wir wollen damit ein Zeichen gegen die Ungleichbehandlung von Kindern und deren Eltern setzen, die von Ihrer Gebührenerhöhung in den Kitas betroffen sind. Auch für Eltern von behinderten oder von mit Behinderung bedrohten Kindern wollen wir den Mindesteigenanteil festschreiben, wie es auch der Landeselternausschuss fordert.

Für die Linksfraktion ist frühkindliche Bildung Grundlage für eine erfolgreiche Zukunft aller Kinder. Bildung, Ausbildung und Arbeit sind die Grundlagen einer solidarischen Gesellschaft und frühkindliche Bildung ist das Fundament zum Erfolg der Gesellschaft. Auf lange Sicht muss diese Aufgabe solidarisch von allen durch Steuern finanziert werden. Unser Vorschlag ist daher ein Schritt in Richtung gebührenfreie frühkindliche Bildung für alle von Anfang an. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Frau Dr. Föcking hat das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Yildiz, gewisse Sachen werden, auch wenn man sie noch so oft behauptet, dadurch nicht wahrer. Im Kita-Bereich wird mit dieser Vorlage nicht gespart,

(Beifall bei der CDU und der GAL)

sondern wir geben im Gegenteil Jahr für Jahr mehr Geld für die Kita aus. Auch Ihre Fraktion, Herr Kienscherf, betont, dass Sie die Nachforderungen letztendlich mittragen,

(Thomas Böwer SPD: Weil er nicht rechnen kann!)

weil sich darin eine gute Grundentwicklung ausdrücke. Es wird nicht gespart, sondern wir werden in diesem Jahr sogar noch mehr Geld aufwenden. Ein knappes Fünftel dieses Betrages wollen wir über Elternbeiträge und Erhöhungen der Essensbeiträge finanzieren.

Herr Yildiz, Sie stellen heute einen Antrag, den Sie fast gleichlautend für die letzte Sitzung der Bürger

(Mehmet Yildiz)

schaft vorbereitet, dann aber zurückgezogen haben. Ich hatte gehofft, Sie hätten das aus der Einsicht getan, dass es nicht damit getan ist, Wünschenswertes zu wünschen, sondern dass auch ein Weg aufgezeigt werden muss, wie das Wünschenswerte bezahlt werden kann. Aber Sie zeigen keine Einsicht, sondern legen Ihren Antrag erneut vor. Offenbar ist es einfach zu verlockend, populäre Forderungen zu stellen, ohne zu sagen, woher das Geld dafür kommen soll.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Natürlich ist der Rechtsanspruch für Zweijährige wünschenswert und sinnvoll, deshalb wollen wir ihn auch und er kommt 2013.

(Thomas Böwer SPD: Ach, da sind Sie doch gar nicht mehr in der Regierung, da sitzen Sie doch in der Opposition da drüben!)

Das ist ein Bundesgesetz, auf Bundesebene vereinbart, und da haben alle zugestimmt.

Momentan ist dieser Rechtsanspruch einfach nicht für alle Zweijährigen finanzierbar. Für einen Teil der Zweijährigen und der sogar noch Jüngeren gilt dieser Anspruch schon jetzt und das wissen Sie auch. Er gilt, wenn die Eltern berufstätig sind, studieren, in Aus- oder Weiterbildung sind, als Migranten einen Deutsch- oder Integrationskurs besuchen oder eine Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit absolvieren und deshalb ihre Kinder an mindestens drei Tagen in der Woche nicht selbst betreuen können. Damit erfasst der Rechtsanspruch in Hamburg schon jetzt zumindest einen gewissen Teil der Zweijährigen aus Familien mit geringem Einkommen, in denen die Eltern zum Beispiel studieren oder Hartz-IV beziehen, und geht damit sehr viel weiter, als in fast allen anderen Bundesländern. Hier wird immer so getan, als ob Hamburg am unteren Ende stünde, aber einen vergleichbaren Rechtsanspruch gibt es nur noch in Berlin und Sachsen-Anhalt.

Außerdem gilt dieser Rechtsanspruch auch heute schon für Kinder mit dringlichem sozial bedingtem oder pädagogischem Bedarf, also für die Kinder, die, wie Sie selbst in Ihrem Antrag schreiben, dringend der Förderung bedürfen. Das ist also nicht neu. Sie wünschen aber noch mehr, zum Beispiel die volle Beitragsfreiheit für Familien mit Hartz-IV oder ähnlich geringem Einkommen. Das wünsche ich mir eigentlich auch, aber wissen Sie, was das pro Jahr kosten würde? Vorsichtig geschätzt etwa 15 Millionen Euro. Woher sollen denn die noch kommen? Diesen direkten Zusammenhang zwischen Hilfen zur Erziehung und Beitragsfreiheit finde ich etwas gewagt.

(Thomas Böwer SPD: Herr Steffen würde das unterstützen!)

Heute zahlen diese Familien pro Kind und Monat für eine fünfstündige Betreuung plus Mittagessen

27 Euro. Neuerdings kommen noch 4 Euro für das Mittagessen dazu, das sind zusammen 31 Euro. In Härtefällen – und das sind in Hamburg gerade in den sozialen Brennpunkten eine ganze Menge – kann dieser Satz noch weiter heruntergefahren werden. Tatsächlich kostet dieser Platz aber ungefähr 500 Euro im Monat. Da soll keiner sagen, die Stadt sei mit Kindern aus einkommensschwachen Familien nicht solidarisch.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Sie wünschen für Eltern behinderter Kinder einen Mindesteigenanteil und argumentieren mit dem Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes. Der greift hier aber nicht. Der Beitrag für diese Eltern richtet sich, wie bei den anderen Familien auch, grundsätzlich nach ihrem Einkommen und der Familiengröße. Um aber den besonderen Belastungen dieser Familien Rechnung zu tragen, zahlen sie nur die Hälfte der sonst üblichen Beiträge. Die Kosten, die wegen der speziellen Förderung aufgrund der Behinderung des Kindes anfallen – und das können bis zu 4400 Euro im Monat sein –, müssen die Eltern selbstverständlich auch weiterhin nicht zahlen.

Natürlich kann man immer noch mehr wünschen, aber als Bürgerschaft müssen wir uns auch Gedanken darüber machen, wie diese Wünsche erfüllt werden können. Schon unser bestehendes System wird immer teurer. Immer mehr Hamburger Kinder gehen immer länger in die Kita. Auch ohne Rechtsanspruch für die unter Zweijährigen sind die Krippen so voll, wie ursprünglich mit Rechtsanspruch geplant.

(Thomas Böwer SPD: Das setzt ja Planung voraus, das kann er ja nicht!)

Außerdem sind die Gehälter für Erzieherinnen und Erzieher gestiegen und die Tagesmütter sollen endlich mehr Geld bekommen. Insgesamt werden allein in diesem Jahr dafür rund 44 Millionen Euro mehr benötigt. Ein Fünftel davon soll durch höhere Elternbeiträge erwirtschaftet werden, die restlichen 35 Millionen Euro zahlt die Stadt. Das ist gut angelegtes Geld, doch angesichts unserer Finanzlage darauf noch weitere ungedeckte Forderungen draufzusatteln, mag zwar momentan wünschenswert sein, fair gegenüber den Kindern, die morgen die Schulden von heute zahlen müssen, ist das nicht.

(Thomas Böwer SPD: Das müssen Sie jetzt gerade sagen!)

Deshalb lehnt die CDU-Fraktion den Antrag der LINKEN ab. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Frau Veit, Sie haben das Wort.