Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Dr. Dressel, Sie schüren hier eine emotionale Debatte, wo Sachlichkeit angebracht wäre.
Und das, obwohl Sie es als Jurist eigentlich besser wissen müssten. Ich bin keine Juristin und trotzdem haben wir eine Rechtslage, die Strafverfolgung so festsetzt, wie sie festgesetzt wurde. Sie gehen hier emotional hinein. Ich will Ihnen etwas sagen: Emotional, würden wir alle sagen, hätte der Täter hinter Schloss und Riegel sitzen müssen. Aber juristisch und nach der Rechtslage sieht es eben manchmal anders aus, als wir es vielleicht emotional möchten. Und das ist auch gut so. Da muss man nämlich genau hinschauen.
Ganz genau dasselbe betrifft meine Kollegin, Frau Veit. Frau Veit, wir sind beide Jugendpolitikerinnen. Wir bewegen uns immer auf dem schmalen Grat des Eingreifens und des Nichteingreifens. Es ist ganz richtig, was Frau Spethmann gesagt hat: Der Aufschrei ist doch bei uns Jugendpolitikern groß, wenn man sagt, dass ein Kind sofort aus der Familie herausgeholt wird. Ich will noch einmal betonen: Wir haben es hier mit einem 16-jährigen Mädchen zu tun gehabt. Diesen Fall kann man mit dem Fall Jessica in keiner Weise vergleichen.
Dieses Mädchen Morsal, Frau Veit, ist auch nicht geschickt worden. Sondern es ist selbstbestimmt gegangen.
Wenn Sie jetzt behaupten, Paragraf 42, die Inobhutnahme, hätte hier greifen müssen, dann wissen Sie genauso gut wie ich, dass Inobhutnhame 24 Stunden heißt,
wenn es eine geschlossene Inobhutnahme ist – jawohl, eine geschlossene Inobhutnahme. Das andere ist eine offene Inobhutnahme, bei der das Mädchen trotzdem jederzeit hätte gehen können. Wir können doch nicht bei jeder Gewalt in der Familie, die uns allen nicht behagt, allen Kindern und Jugendlichen eine 24-Stunden-Begleitung zur Seite stellen oder sie ewig in Obhut nehmen. Hier sind andere Lösungsansätze gefragt.
Diese anderen Lösungsansätze haben die Behörden, wie ich finde, beispielhaft in übergreifender Art und Weise aufgezeigt. Innerhalb von nur zwei Wochen
haben die Sozialbehörde und die Schulbehörde – da wurde überhaupt nichts verheimlicht, denn sonst würde man solch eine Pressekonferenz nicht machen – eine Fehleranalyse gemacht und einen Aktionsplan vorgelegt, innerhalb von nur zwei Wochen. Daran können Sie überhaupt keine Kritik üben. Schneller ging es überhaupt nicht. Hier war Handeln gefragt und hier wurde gehandelt.
Wenn aus den Reihen der SPD immer wieder dazwischengerufen wird, was wir denn nun machen wollen, dann verstehe ich das nicht. Senatorin Goetsch hat ausführlich dargestellt – Sie haben die Pressemitteilung gelesen –, welche Maßnahmen und welche Interventionskette angeleiert werden soll.
Frau Veit, soll ich sie noch einmal wiederholen? Nehmen Sie doch das Papier der Behörden und lesen die Maßnahmen noch einmal durch.
Aber eins will ich auch noch einmal ganz deutlich nennen, was wir ergänzen müssen. Es fiel eben in einigen Stichworten. Wir brauchen ganz dringend
auch den Blick nicht nur auf die Opfer, auf die Mädchen und Frauen, sondern wir brauchen auch den Blick auf die Täter. Und das sind in diesem Fall die Jungen.
Wir brauchen ganz dringend geschlechtsspezifische Jungenarbeit, die den Schwerpunkt einerseits auf Gewaltprävention legt aber auch – wie uns dieser Fall einmal mehr zeigte – auf die interkulturellen Aspekte. Diese Jungenarbeit muss frühzeitig in Kita, Schule, Jugendhilfeeinrichtung und auch in außerschulischen Einrichtungen stattfinden. Dafür brauchen wir auch die Qualifikation der Betreuenden, der Erzieher und der Lehrer und Lehrerinnen. Das ist ein wichtiger Punkt, den wir angehen müssen. Der ist uns so wichtig, dass er im Koalitionsvertrag als eigenständiger Punkt auftritt. Das ist ein konstruktiver Gedanke.
Anstatt immer wieder emotional Wut zu schüren und Unfähigkeit vorzuwerfen, sollten Sie doch einmal mit konkreten Maßnahmen kommen.
Sie kommen nur daher und sagen, was alles nicht passiert ist. Hier gibt es eine Interventionskette und ich möchte sie mit meiner Fraktion gemeinsam noch ergänzen, nämlich um den Punkt der geschlechtsspezifischen Jungenarbeit. Lassen Sie uns das nicht aus den Augen verlieren. Denn auch die Täter sind Opfer. Auch dieser Junge ist letztendlich Opfer, wenn auch mein Herz natürlich bei dem Mädchen Morsal hängt. Wenn wir wirklich etwas erreichen wollen, müssen wir frühzeitig anfangen, diese Jungen auch unter interkulturellen Aspekten zu sehen und frühzeitig einzugreifen. Dieses Draufhauen, wie Sie es machen, bringt uns nicht weiter.
Frau Präsidentin, sehr geehrte Herren und Damen! Ich glaube, wir sind uns einig in der Bewertung dieser Tat. Sie ist zu verurteilen und muss nach allen Möglichkeiten bestraft werden.
Manchmal ist der Einstieg einer Rede prägend und es relativiert das, was man im Folgenden sagt. Frau Machaczek, Sie sagten zum Einstieg, da haben Menschen aus unserer Kultur unsere Gesetze mit Füßen getreten. In welche Richtung Sie damit gehen wollen, haben Sie uns hier nicht erläutert, beziehungsweise ich vermute da etwas. Es ist kein reines Migrantenproblem, was hier passiert ist, das
Bei vorsätzlichen Gewaltdelikten geht es in der Regel um Macht und vor allem um die Angst vor Macht- und Statusverlust. Da können sich die Juristinnen und Juristen oder die Politikerinnen und Politiker noch so darüber zerstreiten, was wohl die besten Maßnahmen wären, um das zu verhindern. Es muss mehr Prävention betrieben werden, das ist hier vielfach gesagt worden, es müssen mehr Schutzräume her. Sicherlich kann man die Hürden höher legen, wenn künftig von der Schule eine schriftliche Abmeldung verlangt wird, wie das im konkreten Fall vorgeschlagen wird, und eine telefonische nicht mehr ausreicht. Aber verändert das das Ego eines gedemütigten Mannes?
So ist auch die Form der Bestrafung im Endeffekt relativ müßig – ob Herr Voscherau alle Männer aus Europa ausweisen will, die keine Achtung vor Frauen haben, oder der Stammtisch verlangt, dass die deutsche Staatsangehörigkeit nachträglich aberkannt werden soll. Es reicht auch nicht, wie Herr Schalthoff das in seiner Talkrunde mehrfach einforderte, jetzt konkret etwas zu tun, auch wenn das natürlich richtig ist. Und ich sage Ihnen eines: Dieser Fall wird der erste konkrete Prüfstein dieser schwarz-grünen Regierung sein.
Leider liegt das Problem tiefer, es ist grundsätzlicher, ich verstehe Prävention nämlich umfassender. Die Geschlechterrollen sind auch unter Deutschen immer noch sehr unterschiedlich verteilt. Die Prägung der geschlechtlichen Identität und das daraus abgeleitete Rollen- und Selbstverständnis wird sehr frühzeitig herausgebildet. Wir werden nicht als Mädchen oder Jungen geboren, wir werden dazu gemacht, heißt es in feministischen Kreisen, und das stimmt. Auch in dieser Gesellschaft darf ein Junge eher aggressiv sein als ein Mädchen. Er darf mit schmutzigen Hosen nach Hause kommen und muss sich nicht so vorsehen wie ein Mädchen, weil er mit Sicherheit niemals Lackschuhe oder ein rosa Röckchen mit weißen Strumpfhosen tragen wird.
Kommen wir zum Grundübel von männlicher Gewalt. Als meine Kinder noch in die Kita gingen, habe ich durchaus Jungen erlebt, die neidisch auf die Kleider der Mädchen waren. Aber als dann ein Junge tatsächlich das Kleid eines Mädchens anzog, wurde er ausgelacht.
Denken Sie einmal darüber nach, wo Geschlechterrollen auch geprägt werden. Ein Mädchen muss niedlich sein, ein Junge darf wild sein. Die Attribute, die in der Regel schon den Allerjüngsten auferlegt werden, sind tief in dieser Gesellschaft verankert.
Mir geht es nicht darum, Gleichmacherei zu betreiben, ganz im Gegenteil. Ich werfe die Frage auf, worauf wir mehr schauen sollten, auf das Geschlecht und seine gesellschaftliche Bestimmung oder auf das, was ein Mensch an individuellen Fähigkeiten mitbringt, was er leisten kann und will und wo seine persönlichen Schwächen und Stärken liegen. Die Frage ist doch zudem, wie es Jungen und Männern beizubringen ist, dass sie Versagen, Demütigung oder Frustration anders zu bewältigen lernen als mit Gewalt.
Die Frage ist auch und vor allem, wie Mädchen und Frauen von dieser Gesellschaft als wirklich gleichgestellt akzeptiert werden und wie das Bild in der Familie definiert wird. Opfer und potenzielle Opfer werden immer noch weitgehend alleingelassen mit den Widersprüchen, die zwischen ihrem Anspruch und der Wirklichkeit liegen; so ist das auch im vorliegenden Fall geschehen.