Protokoll der Sitzung vom 15.09.2010

Herr Böwer, nehmen Sie sich einfach ein Beispiel an den Menschen in unserer Stadt. Nirgendwo ist Bürgersinn so ausgeprägt wie in Hamburg. Bei Ihnen scheint das noch nicht angekommen zu sein.

(Beifall bei der CDU und bei Jens Kerstan GAL – Ingo Egloff SPD: Die Bürger unserer Stadt wollten Neuwahlen!)

Die traditionelle Stärke Hamburgs liegt darin, nicht nur innerhalb der eigenen Familie und der eigenen vier Wände füreinander da zu sein, sondern sich auch darüber hinaus für seine Mitmenschen, Nachbarn und seine Heimatstadt einzusetzen. Ein großes ehrenamtliches Engagement, eine hohe Spendenbereitschaft, ein ausgeprägtes Stiftungswesen und Mäzenatentum waren für die Hamburgerinnen und Hamburger immer selbstverständlich. Diese Stärke ist gerade heute in Zeiten einschneidender Strukturveränderungen und Belastungen unverzichtbar für die Zukunftsfähigkeit und Lebensqualität unserer Stadt.

(Erster Bürgermeister Christoph Ahlhaus)

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Meine Damen und Herren! Die Menschen in Hamburg, wir alle, müssen uns wieder auf diese Hamburger Stärke besinnen. Wenn wir alle gemeinsam Verantwortungsbereitschaft übernehmen, dann bin ich zuversichtlich, dass wir die große Chance, die Hamburg zweifelsohne hat, mit Mut, Entschlossenheit und Herzblut am Ende erfolgreich meistern.

Dieser Senat wird auch die verbleibende Zeit bis zum Ende der Legislaturperiode mit ganzer Kraft dazu nutzen, die Weichen für eine lebenswerte, gerechte und sichere Zukunft unserer Stadt zu stellen. Um diese Zukunft auch weiterhin politisch gestalten zu können, braucht es großer Kraftanstrengungen aller verantwortungsbewusst Mitwirkenden in diesem Hause, aller, auch von Ihnen.

(Beifall bei der CDU und der GAL)

Meine Damen und Herren! Hamburg kommt, dynamisch, kraftvoll und menschlich. Stehen Sie also nicht abseits, sondern machen Sie mit, zum Wohle der Menschen und zum Wohle unserer Stadt. – Vielen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der CDU und der GAL)

Das Wort hat Herr Neumann.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Ahlhaus, ich hatte den Eindruck, dass der nicht enden wollende Applaus der CDU eher gespeist war aus Erleichterung denn aus Begeisterung. Ich war nach diesen 60 Minuten Vortrag auch schon kurz davor zu klatschen, als Sie endlich zum Ende kamen.

(Beifall bei der SPD – Erste Vizepräsidentin Barbara Duden übernimmt den Vorsitz.)

Das war sie nun also, die lang erwartete und heiß ersehnte Regierungserklärung des Bürgermeisters Ahlhaus. Dass Sie damit die Erwartungen der Opposition nicht erfüllt haben, das werden Sie auch gar nicht anders erwartet haben, das war nicht Ihr Ziel. Aber wenn ich während Ihrer Rede in die Gesichter der Koalitionsfraktionen und auch Ihrer Senatsmitglieder geschaut habe, dann haben Sie offensichtlich nicht nur unsere Erwartungen nicht erfüllt, sondern auch nicht die der Koalition.

(Stephan Müller CDU: Das ist aber schön, dass du das ablesen musst! – Beifall bei der CDU)

Das wiederum lässt sich vielleicht verschmerzen, denn Sie können sicher sein, dass diese Koalition die letzten 17 Monate halten wird. Zu viele in der Koalition haben offensichtlich Angst vor Neuwahlen gehabt und deswegen vor diesem Schritt ge

kniffen. Was aber tragisch ist an Ihrer Rede und an dem, was Sie hier vorgestellt haben, ist nicht, dass Sie uns und einen Teil Ihrer Koalition enttäuscht haben, sondern tragisch ist, dass Sie die Erwartungen der Hamburgerinnen und Hamburger enttäuscht haben,

(Karl-Heinz Warnholz CDU: Woher wissen Sie das?)

denn es gab keine Linie, keinen roten Faden und es gab gewiss kein Signal zum Aufbruch, der heute von Ihnen ausgegangen ist.

(Beifall bei der SPD)

Stattdessen haben Sie altbekannte Weisheiten aneinandergereiht. Da kam nichts Neues, im Gegenteil, auf Seite 5 wurde es in Ansätzen das erste Mal konkret. Bemerkenswert fand ich, dass Sie beim Thema Stadtbahn nicht den Mut gehabt haben, den Satz vorzulesen, der in Ihrem Skript noch so stand:

"Natürlich kostet der Bau viel Geld, was wir eigentlich nicht haben."

Das werden Sie sicherlich später noch einmal koalitionsintern klären müssen, warum Sie einerseits sagen, dass für die Stadtbahn kein Geld da sei, auf der anderen Seite aber sagen, dass Sie sie bauen wollen.

(Beifall bei der SPD)

Was Sie heute vorgestellt haben, waren keine Antworten auf die drängenden Fragen der Stadt.

(Viviane Spethmann CDU: Und die SPD hat sie?)

Herr Ahlhaus, Sie haben zwar sehr viel und lang geredet, aber wenig bis gar nichts gesagt.

(Beifall bei der SPD und bei Dora Heyenn DIE LINKE)

Nun ist das nicht das primäre Problem der Opposition, wir könnten uns das sehr langmütig weiter anschauen, aber die Probleme der Menschen in Hamburg sind zu drängend, als dass wir weiter darauf warten könnten, dass Sie keine Antworten darauf geben.

Ich will das Thema Haushalt ansprechen. Hier erleben wir in der zentralen Frage der Konsolidierung seit zwei Jahren Stillstand; stattdessen wird unter Schwarz-Grün ständig mehr Geld ausgegeben. Auch Sie haben heute viel dazu geredet, aber nichts gesagt. Ich erinnere mich noch an einen Satz von vor der Sommerpause wie: "Was man gerne hätte, das mag zwar wunderbar, kreativ und toll sein, kann allerdings kein Maßstab mehr sein." Und so ein Satz wie: "Wünsch dir was, das ist vorbei". Schön wäre es gewesen. In derselben Sitzung hat diese Koalition beschlossen, 8,5 Millionen Euro für einen Eisenbahnzug auszugeben, um als Werbefeldzug für die Umwelthauptstadt durch

(Erster Bürgermeister Christoph Ahlhaus)

Europa zu fahren. Offensichtlich war "Wünsch dir was" nicht vorbei, es war vier Stunden später schon vergessen und ich habe den Eindruck, dass dieses "Wünsch dir was" immer dann wieder funktioniert, wenn es um den Fortbestand der Koalition geht. Immer dann, wenn es dazu verhilft, diese zusammenzuhalten, dann spielt Geld keine Rolle. Wenn es jedoch um das Wohl der Stadt geht, dann sind Sie knauserig, dann sagen Sie, es sei kein Geld dafür da. Ich habe den Eindruck, dass Sie eben nicht mehr die Kraft haben, Entscheidungen zum Wohle unserer Stadt zu treffen. Ich habe den Eindruck, dass Sie sich noch über die letzten 17 Monate retten wollen. Sie spielen nur noch auf Zeit, Sie spielen nicht mehr auf Sieg und das merkte man auch bei jedem Satz Ihrer Rede.

(Beifall bei der SPD und bei Kersten Artus und Dora Heyenn, beide DIE LINKE)

Schauen wir uns das Thema Ökonomie und Ökologie und die Versöhnung beider an, ein Begriffspaar, das kaum häufiger als in den letzten Wochen, Monaten, ja Jahren, seit Schwarz-Grün in der Bürgerschaft ist, gefallen ist. Sie haben in den letzten Jahren die Gegensätze zwischen Schwarz und Grün eben nicht versöhnt, sondern versucht, sie mit viel Steuergeld zuzukleistern. Das ist aber nicht die Versöhnung von Ökonomie und Ökologie, dass sich Schwarz und Grün in der Koalition gut verstehen. Das ist Scheckbuchpolitik nach dem Motto "Gibst du mir, dann gebe ich dir". Wenn es dem schwarz-grünen Frieden diente, dann gab es bei den Ausgaben auch nie ein Halten und deswegen haben wir eine Explosion der Ausgaben – Herr Tschentscher hat es mehrfach hier vorgestellt – von gut 1 Milliarde Euro, um die der Hamburger Haushalt explodiert ist. Nun stellen wir gemeinsam fest, dass Schluss ist mit lustig. Das kann und will sich Hamburg nicht mehr leisten und deshalb müssen Sie jetzt in die Vollbremsung gehen. Aber nicht die Hamburger leben über ihre Verhältnisse, es ist Ihre Entscheidung gewesen, über die Verhältnisse Hamburgs zu leben.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der LINKEN)

Ich will zwei weitere Punkte ansprechen. Gefühlt war das heute die fünfte, sechste oder siebte Ankündigung einer Wohnungsbauoffensive. Ich weiß gar nicht, wie oft Sie hier schon angekündigt haben, jetzt ginge es mit dem Wohnungsbau aber so richtig los, jetzt gebe es überhaupt kein Halten mehr und es werde so richtig gebaut. Ähnlich ist es bei der Inneren Sicherheit. Hier haben Sie unseren Polizistinnen und Polizisten Solidarität zugesprochen. Sie versprechen auch regelmäßig härtere Strafen als Schutz dagegen, ständig angegriffen zu werden. Auch dort höre ich immer nur Ankündigungen, aber es wird nichts umgesetzt. Der Tiefpunkt war die Ankündigung, Scientology verbieten lassen zu wollen, und das Ergebnis ist, dass Sie

die Arbeitsgruppe Scientology auflösen. Das ist das, was Sie bisher gebracht haben. Sie machen Ankündigungen, setzen aber nichts um. Das ist die Vorgehensweise des Innensenators und ich fürchte, diese Vorgehensweise wird auch von Bürgermeister Ahlhaus fortgesetzt werden.

(Beifall bei der SPD und bei Kersten Artus und Dora Heyenn, beide DIE LINKE)

Es gibt einen weiteren Punkt, zu dem heute nichts gesagt worden ist. Frau Merkel sprach von der Energierevolution. Aus meiner Sicht war es ein Atomputsch, aber keine Energierevolution, was in Berlin stattfand. Unabhängig davon, wie man zur Atomenergie steht – wir sind da völlig klar als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten –, legt der Versuch der Bundesregierung, vorbei an der verfassungsgemäßen Ordnung den Bundesrat außen vor zu lassen, den Verdacht nahe, dass hier nicht nur im Sinne der Atomindustrie Fakten geschaffen werden sollen, sondern auch bewusst gegen die Verfassung, gegen unser Grundgesetz verstoßen werden soll. Dass das von Hamburg von einem schwarz-grünen Senat nicht beklagt wird, dass er nicht die Kraft hat, sich der Klage auf Bundesebene gegen dieses Vorgehen der Bundesregierung anzuschließen, ist nicht nur ein Armutszeugnis für Sie

(Frank Schira CDU: Das ist ja dermaßen peinlich hier!)

Sie stehen als Konservativer der Atomindustrie nahe –,

(Olaf Ohlsen CDU: Hör auf, das ist unerträg- lich!)

sondern es ist auch ein Arbeitsauftrag für die Koalition und für die Grünen, dafür zu sorgen, dass Hamburg dort nicht an der Seite steht. Ich betone noch einmal: Für die Klage gegen diesen Verfassungsbruch von Frau Merkel gibt es in diesem Haus eine Mehrheit.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der LINKEN)

Sehr geehrter Herr Ahlhaus, Ihr Schicksal ist es, den Vergleich mit Ihrem Vorgänger aushalten zu müssen.

(Frank Schira CDU: Was ist denn eigentlich Ihr Schicksal?)

Sie selbst haben gesagt, Sie wollen anders sein, Sie wollen nicht Ole 2.0 sein. Sie wollen, das haben Sie auch heute gesagt, die Ärmel hochkrempeln, offenbar aber nicht zum Arbeiten und Entscheiden, sondern primär zum Händeschütteln. Aus meiner Sicht reicht das aber nicht. Händeschütteln ist das eine, das ist in Ordnung,

(Viviane Spethmann CDU: Unterirdisch!)

aber Hamburg braucht Führung. Hamburg braucht Führung bei den ständig verschobenen Konsolidierungsmaßnahmen, dazu haben Sie heute nichts Konkretes gesagt. Hamburg braucht Führung in der Schulpolitik und bei der Schaffung des Schulfriedens. Hamburg braucht Führung beim Kampf gegen die tägliche Gewalt auf unseren Straßen, bei der immer tieferen sozialen Spaltung unserer Stadt und auch bei den Investitionen im Hafen, vor allen Dingen bei deren Finanzierung. Da hilft eben Händeschütteln nicht, da hilft auch nicht der Versuch des krampfhaften Lächelns, da hilft nur eine klare Entscheidung, eine ordnende Hand und auch die haben Sie heute in Ihrer Regierungserklärung vermissen lassen.

(Beifall bei der SPD und bei Dora Heyenn DIE LINKE)

Herr Ahlhaus, ich verlange gar nicht, dass Sie in Ihrer anderthalbstündigen Rede alle Menschheitsprobleme lösen.