Protokoll der Sitzung vom 30.09.2010

(Arno Münster SPD: Das kann doch nicht wahr sein!)

Ja, Arno Münster, das weißt du doch selbst.

Die nächste Elbvertiefung wird nicht mehr dazu führen, dass die größten Schiffe voll beladen den Hamburger Hafen anlaufen können.

(Arno Münster SPD: Das war ja noch nie so gedacht!)

(Karl Schwinke)

Die Zeiten sind vorbei. Und wenn die Schiffe noch größer werden, dann muss man dem in der Hafenpolitik Rechnung tragen.

(Ingo Egloff SPD: Herr Kerstan, Sie haben wirklich keine Ahnung!)

Das ist eine Situation, die wir gut oder schlecht finden können, aber es ist die Realität und damit muss man umgehen. Es gibt viele Bereiche der maritimen Wirtschaft, die nicht von der Kaikante im Hamburger Hafen abhängen. Die Schiffsfinanzierer – Hamburg ist größter Schiffsfinanzierungsplatz weltweit – hängen nicht davon ab, ob in Hamburg acht, zehn oder 20 Millionen TEU umgeschlagen werden. Und das ist ein Bereich, um den wir uns kümmern müssen. Das gilt natürlich genauso für die Handelsfirmen, die sich hier aufgrund des Hafens angesiedelt haben, aber auch in Zukunft auf ein Wachstum an Kai nicht angewiesen sind.

Insofern ist es richtig, die Investitionen im Hafen vorzunehmen, wie wir es geplant haben, aber es ist genauso wichtig, andere Bereiche der maritimen Wirtschaft zu stärken; auch das passiert. Die ausschließliche Konzentration auf den Containerumschlag wird nicht die Zukunft des Hamburger Hafens sein. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Das Wort hat Herr Hackbusch.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Diese Debatte ist schon etwas erstaunlich, aber das werde ich gleich in den einzelnen Punkten noch einmal aufgreifen. Wichtig ist zunächst – auch im Zusammenhang mit dem, was Herr Ohlsen gesagt hat –, dass die Situation des Hamburger Hafens noch nicht wieder gut ist. Das ist eine einfache mathematische Rechnung. Wenn man im Verhältnis zum Jahr 2008 30 Prozent verloren hat und jetzt 10 oder 12 Prozent gewonnen hat, ist man immer noch weit vom früheren Stand entfernt. Im Jahr 2008 sind 10 Millionen TEU umgesetzt worden. Wir sind froh, wenn es in diesem Jahr 7,7 oder 7,8 Millionen werden. Das zeigt, dass es ein strukturelles Problem im Hafen gibt und damit müssen wir uns auseinandersetzen.

Wir haben ein Problem im Zusammenhang mit den Containern, weniger beim Massengut und beim Eisenerz. Das zeigt, dass sich in diesem Bereich strukturell etwas geändert hat. Herr Kerstan hat durchaus recht, dass Verkehre nach Rotterdam und Antwerpen gegangen sind und wir dazu strukturelle Überlegungen anstellen müssen. Erstaunlich ist nur, dass diese strukturellen Überlegungen bei der Regierungspolitik gegenwärtig nicht erkennbar sind.

(Beifall bei Christiane Schneider DIE LINKE)

Von Herrn Kerstan kommen allgemeine Äußerungen, bei denen mir ganz schummerig wird. Das würde ich in dieser Allgemeinheit noch nicht einmal als Oppositionspolitiker zu sagen wagen.

(Heiterkeit bei Thomas Böwer SPD)

Und für einen Regierungspolitiker, der in diesem Bereich verlässlich voranmarschieren muss, halte ich das für untragbar. Wenn man das Konzept "Hafen finanziert Hafen", das zwei Jahre lang verfolgt wurde, jetzt begraben will und einfach sagt, wir machen das jetzt nicht mehr so – Herr Ohlsen hat dargestellt, dass es jetzt um eine strategische Veränderung geht –, dann muss man das doch hier ausführlich und mit Begründungen darstellen und darüber diskutieren. Das ist ein Schlingerkurs in der Hafenpolitik und den verträgt dieser Hafen nicht.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Herr Kerstan, mir ist jetzt nicht wichtig, wer im Zusammenhang mit der HHLA-Milliarde damals was versprochen hat, aber gerade Ihre Fraktion achtet doch sonst immer so sehr auf den wichtigen Unterschied zwischen Betriebs- und Investitionsmitteln. Und jetzt werden diese Investitionsmittel bei der HPA für Betriebsmittel ausgegeben. Sie halten uns immer Predigten, diese Unterscheidung sei wichtig, und jetzt wischen Sie selbst einfach darüber hinweg und tun so, als wäre das nichts. Das ist ein Schlingerkurs, das ist keine verantwortliche Art und Weise, damit umzugehen.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Herr Schwinke, leider stand in diesem Artikel im "Hamburger Abendblatt" nicht, der Hafen sei grün. Die Mär vom grünen Hafen, die Darstellung der BSU, wurde in diesem Artikel so eindeutig widerlegt, dass ich mich als Koalitionspolitiker schämen und zumindest ein paar entschuldigende Worte dazu sagen würde. Das war nämlich eine Ohrfeige, die man nicht so einfach übergehen kann, vor allem nach der Debatte, die wir beim letzten Mal geführt haben.

Was ist jetzt wichtig für den Hafen? Ein wichtiger Punkt, der bisher vernachlässigt wurde, ist der Eisenbahnverkehr. Alle Diskussionen, die wir zurzeit führen, zeigen, dass es ein riesiges strukturelles Problem mit dem Eisenbahnverkehr nach Hamburg gibt. Wenn der nicht strukturell verändert und aufgebaut wird, sind wir nicht in der Lage, den angestrebten und auch wahrscheinlichen Containerumschlag zu bewältigen. Stattdessen führen LkwFanatiker eine Diskussion um die Hafenquerspange und anderes, als ob damit diese Probleme zu lösen wären. Strukturell geht es um den Eisenbahnverkehr und das ist bislang von der HPA beziehungsweise von der Regierung nicht aufgegriffen worden. Dementsprechend haben wir hier ein riesiges Defizit aufzuarbeiten.

(Jens Kerstan)

Ein zweiter wichtiger Punkt ist die Beschäftigung im Hafen. Ich möchte noch einmal deutlich sagen, dass wir auf der Seite der Kollegen der HHLA sind und es unverschämt finden, dass plötzlich Wochenendarbeit nicht mehr als Wochenendarbeit bezeichnet werden darf und dementsprechend keine Zuschläge mehr gezahlt werden. Das Konzept, das dahinter steht, ist mir nicht klar. Es ist auch für den Hafen wichtig, dass es den Beschäftigten gut geht. Es ist schon seltsam, dass wir keine Zahlen darüber bekommen, wer dort mit welcher Tätigkeit fest angestellt ist und wer auf andere Art beschäftigt wird. Dass wir uns darum kümmern, halte ich auch für eine wichtige Aufgabe. Vom Senat höre ich dazu nie etwas.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren! Ich finde die gegenwärtige Hafenpolitik in dieser Stadt nicht beruhigend; das ist ein Schlingerkurs und wir haben dort einiges zu verändern. – Danke.

(Beifall bei der LINKEN und bei Michael Neumann und Karl Schwinke, beide SPD)

Meine Damen und Herren! Es liegen mir zu diesem Thema keine weiteren Wortmeldungen vor.

Dann kommen wir zum vierten Thema der Aktuellen Stunde, angemeldet von der SPD-Fraktion:

Hartz-IV-Regelsätze: Schwarz-gelbe Bundesregierung missachtet Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts

Zu diesem Thema hat das Wort die Abgeordnete Frau Badde, bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Das Verfahren bei der Änderung der Regelsätze auf Bundesebene erinnert stark an das, was wir in der letzten Woche mit den Einsparbeschlüssen erlebt haben: hoffen auf die Zukunft, nicht zu viel offenbaren und ein bisschen tricksen. Nur wenn es um die Existenz der Menschen geht, ist Tricksen streng verboten. Das müssen auch Frau Merkel und Frau von der Leyen erfahren, wenn sie sich fassungslos dem Proteststurm ausgeliefert sehen nach dem Motto: Wir haben doch alles so transparent gestaltet. Dabei ist dies eine Reform ohne Reformwillen, sondern unter Zwang, und es ist eine Reform nach Kassenlage. Noch am Sonntag wurde in der Koalition darum geschachert, was sich ein Hilfeempfänger zukünftig erlauben darf und was nicht. Sehen wir uns das genauer an.

Erstens: Da werden in durchaus transparenter Weise die Ergebnisse der sogenannten Einkommens- und Verbrauchsstatistik dargestellt, auf der die neuen Regelsätze von 364 Euro beruhen. Aber

dass dieses Verfahren nicht objektiv ist, wird schon durch folgende Tatsachen belegt: Für diese Statistik stehen keine repräsentativen Gruppen zur Verfügung. So ist zum Beispiel der Anteil der Rentner übermäßig hoch, der der Migranten völlig unterrepräsentiert. Demzufolge sind auch die Ergebnisse der Statistik keine Abbildung der Lebenswirklichkeit in diesem Einkommensbereich.

Zweitens: Auch wenn die Hilfe zum Lebensunterhalt nicht als sogenannter Warenkorb gewährleistet wird, sind doch nur bestimmte Verbrauchsausgaben in die Regelsatzberechnung eingegangen. – Könnte es auf der rechten Seite etwas ruhiger sein?

(Glocke)

Meine Damen und Herren! Ich unterstütze die Bitte der Abgeordneten. Man kann wirklich schlecht verstehen, was sie sagt.

Es sind nur bestimmte Verbrauchsausgaben in die Berechnung eingegangen und das ist doch sehr subjektiv. So wurden flugs 8 Euro für Tabak und Alkohol herausgenommen und 3 Euro für Flüssigkeitsausgleich hineingenommen. Ein Bier auf dem Tisch des Hilfeempfängers gehört sich also nicht, aber Flüssigkeitsausgleich hört sich doch sehr gesund an.

(Beifall bei der SPD)

Die Trickserei Nummer drei ist völlig inakzeptabel, weil untergeschoben in die Berechnung. Es werden zwei repräsentative Gruppen herangezogen, ein Alleinstehenden-Haushalt und ein Drei-Personen-Haushalt, Papa, Mama und Kind. Während beim Drei-Personen-Haushalt wie bisher die unteren 20 Prozent der Einkommensgruppe herangezogen werden, werden bei der anderen Gruppe plötzlich nur noch 15 Prozent angesetzt, weil bei 20 Prozent zu viel Regelsatz herausgekommen wäre. Das ist ganz großer Pfusch.

(Beifall bei der SPD)

Der größte Skandal bei dieser Einkommensstatistik ist aber, dass hier einerseits auch die sogenannten Aufstocker mit einbezogen werden, andererseits die Einkommen gerade dieser Bevölkerungsgruppe in den letzten zehn Jahren rapide gesunken sind. Durch das Anwachsen von prekären Arbeitsverhältnissen und Lohndumping steht den unteren Einkommensgruppen immer weniger Geld zur Verfügung. Da hat sich selbst die Bundesregierung die Augen gerieben, wie gering der Regelsatz bei dieser Einkommensstatistik ausfällt, und hier gilt es anzusetzen. Wir brauchen endlich Mindestlöhne, die ein menschenwürdiges Dasein garantieren, dann bekommen wir auch wieder Regelsätze, von denen wir das auch behaupten können. Nur so kann der Armutskreislauf durchbrochen werden.

(Norbert Hackbusch)

(Beifall bei der SPD)

Ein Wort zur Berechnung der Regelsätze für Kinder. Nach der gerade beschriebenen Logik hat sich Frau von der Leyen gewundert, dass diese so passgenau hinkamen. Auch hier gilt: Wenn Eltern immer geringere Hungerlöhne erhalten, können sie ihre Kinder immer schlechter versorgen, und das zeigt sich entsprechend auch bei den statistischen Ausgaben.

Die größte Trickserei darf nicht unerwähnt bleiben, das Bildungspaket. Es ist prinzipiell nichts dagegen einzuwenden, dass keine Barleistungen, sondern Sachleistungen gewährt werden, aber diese müssen ankommen, und zwar ohne Diskriminierung der Leistungsempfänger. Das ist der Maßstab und das ist nicht erkennbar.

(Beifall bei der SPD)

Leider fehlt mir die Zeit, die einzelnen Rechnungen vorzunehmen und aufzuzeigen, wie dort herumkalkuliert wurde.

Wirklich schlimm ist die Hilflosigkeit, wie die Bildungsangebote zu den Kindern kommen sollen. Da wird mit der völlig unausgegorenen Idee einer bundesweiten Chipkarte hantiert. Nichts gegen diese Idee, aber doch nicht zum 1. Januar 2011, wenn es keine konkreten Vorstellungen zur Umsetzung gibt. Zu befürchten ist ein bürokratisches Nirwana und, was schlimmer ist, dass die Bildung nicht bei den Kindern ankommt. Dabei ist belegt, dass Bildung möglichst dort angeboten werden sollte, wo sich die Kinder sowieso aufhalten, nämlich im Kindergarten und in der Schule, denn dann profitieren auch arme Kinder davon.

(Beifall bei der SPD – Glocke)

Ein letzter Satz.