Protokoll der Sitzung vom 30.09.2010

die sich nicht um die Kinder kümmert und nur Regelsätze auszahlt.

(Michael Neumann SPD: Reden Sie jetzt über die FDP?)

Deshalb möchte ich an alle hier im Haus appellieren, über die üblichen Parteigrenzen hinweg: Lassen Sie uns im Interesse der Hamburger Kinder wohlwollend prüfen, was Frau von der Leyen vorgelegt hat, und verwechseln wir nicht die Interessen der Hamburgerinnen und Hamburger mit der Vergangenheitsbewältigung einer großen Oppositionspartei.

(Beifall bei der CDU und bei Andreas Wal- dowsky GAL)

Meine Damen und Herren! Die Aktuelle Stunde verlängert sich. Jede Fraktion hat fünf Minuten Redezeit. Zunächst hat Herr Kienscherf das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das war wieder einmal bezeichnend, Herr Senator, was Sie hier vorgetragen haben. Wenn es Probleme gibt, dann wollen Sie alle mit ins Boot holen und dann sind es wieder die Sozialdemokraten, die Schuld haben.

Natürlich haben wir beim Thema Hartz IV gerungen und natürlich haben wir uns auch die Frage gestellt, ob das ausreichend ist. Wir haben das auch in der Partei diskutiert.

(Vizepräsident Wolfgang Joithe-von Krosigk übernimmt den Vorsitz.)

Olaf Scholz hat schon vor einem Jahr gesagt, wir wollen das überprüfen. Es soll eine neue Einkommens- und Verbrauchsstatistik geben und dann werden wir entscheiden. So hätten wir es gemacht, und zwar nachvollziehbar für alle; das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der SPD)

Sie haben Ihren Appell an alle Parteien gerichtet, aber dank Herrn Lieven haben wir feststellen können, dass es in dieser Bürgerschaft eine große, überwältigende Mehrheit gegen die Hartz-IV-Trickserei gibt.

(Beifall bei der SPD)

(Senator Dietrich Wersich)

Wir können nur an die Grünen appellieren. Wir und auch die Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt werden genau darauf schauen, wie Sie sich verhalten, wenn es im Bundesrat um das Thema Hartz IV geht.

Die SPD-Ministerpräsidenten haben verlautbaren lassen, dass sie diesen Prozess konstruktiv begleiten werden und dass es darum gehen wird, dass die Kinder eine bessere Bildung bekommen und das Thema Mindestlohn endlich auf die Tagesordnung gesetzt wird. Das ist konstruktive Politik zum Wohle der Menschen in dieser Stadt und in diesem Land.

(Beifall bei der SPD)

Und, Herr Senator, natürlich haben die Leute ein großes Gespür. Die Menschen in dieser Stadt und in diesem Land verstehen überhaupt nicht, wenn wir auf der einen Seite Sozialpolitik nach Kassenlage machen und auf der anderen Seite den Hotelbesitzern 1 Milliarde Euro zukommen lassen. Dafür haben die Menschen kein Verständnis und deswegen haben sie auch kein Verständnis für Ihre Argumentation in dieser Debatte.

(Beifall bei der SPD)

Ich nenne Ihnen einen Punkt, der mich besonders entrüstet hat. Eine chemische Reinigung – Herr Lieven, das ist ein praktisches Beispiel – wird als nicht mehr notwendig angesehen aus ökologischen Gründen, das gehöre nicht mehr zum Existenzminimum, denn chemische Reinigung sei nur notwendig, wenn es um teure Kleidung gehe. Das muss man sich einmal vergegenwärtigen.

(Zurufe von der CDU)

Wir wollen also Hartz-IV-Empfängern deswegen keine chemische Reinigung mehr ermöglichen, weil wir davon ausgehen, dass diese Menschen gar keine teure Kleidung haben. Oder anders herum, man solle es ihnen ansehen, dass sie arm sind. Das ist Ihre Politik, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Ein weiterer Punkt, den man auch nachlesen kann, ist das Thema Alkohol. Das haben wir in unserer Fraktion auch diskutiert. Ich kann verstehen, dass viele sagen, sie wollten keinen übermäßigen Alkoholkonsum oder Ähnliches finanzieren. Aber hier geht es beispielsweise um 30 oder 35 Cent pro Tag für ein Bier. Ich glaube, dass es der Gesellschaft durchaus zugemutet werden kann, dass die Menschen, die in finanzieller Abhängigkeit leben, sich unter anderem einmal ein Bier leisten können. Hier von maßlos zu sprechen und zu sagen, dass sie zukünftig nur noch Mineralwasser oder Leitungswasser trinken sollten, zeigt, dass Sie kein Gespür für die wahre Lage der Menschen in dieser Stadt und in diesem Land haben, Herr Senator.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen: Machen Sie Ihre Hausaufgaben, machen Sie keine Politik nach Kassenlage, wie Herr von Frankenberg das hier dargestellt hat nach dem Motto, man wüsste sonst gar nicht, wie man das finanzieren solle. Wir Sozialdemokraten haben uns dafür eingesetzt, Hartz IV neu zu berechnen, ehrlich zu berechnen und etwas für die Menschen zu tun. Wir sind nicht dafür, dass an dieser Stelle weiter gespart wird und dass Geringverdiener und Hartz-IV-Empfänger gegeneinander ausgespielt werden. Das lehnen wir ab. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vizepräsident Wolfgang Joithe–von Krosigk: Das Wort hat Herr Bischoff.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Wersich, Ihre Rede macht einen schon ziemlich sprachlos,

(Michael Neumann SPD: Fassungslos!)

denn hier wird infrage gestellt, ob mit dieser Neuregelung dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts Rechnung getragen wurde. Es gibt schwere Bedenken dagegen. Sie können nun sagen, diese Bedenken habe die Opposition oder Herr Lieven hätte das nicht korrekt dargestellt, das wäre ein Gegenargument. Aber Sie führen angesichts der vorliegenden schweren Bedenken und nach einem Bundesverfassungsgerichtsurteil nichts anderes als eine Diskussion, wer denn ursprünglich für diese – aus meiner Sicht – katastrophalen Regelsätze verantwortlich war. In unseren augenblicklichen gesellschaftlichen Verhältnissen kann das doch keine Antwort sein. Gerade gestern sprachen wir über die Kosten der Unterkunft. Da müssen doch auch Sie als Sozialsenator wenigstens den Pfad gehen und sagen, die Regelung, die benötigt werde, müsse wasserdicht sein, und es müsse dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts entsprochen werden.

(Beifall bei Christiane Schneider DIE LINKE)

Dazu hätte ich gern eine Äußerung von Ihnen gehabt.

(Beifall bei der LINKEN und bei Michael Neumann SPD)

Frau Badde und Herr Lieven haben die wichtigsten Sachen dargestellt und ich teile mit meiner Fraktion auch die Meinung, dass die Veränderung der Bezugsgrößen unakzeptabel ist. Es ist auch nicht ausgewiesen, was im Ermessensspielraum berechnet wird. Man kann eine Wette darauf eingehen, dass Sie mit dieser Art von Logik nicht durchkommen werden.

Sie haben noch ein zweites Argument nachgeschoben, das ich mit aller Deutlichkeit zurückwei

(Dirk Kienscherf)

sen möchte. Sie sagen, dass diese vernünftige, verfassungsgemäße Regelung gerade bei den sogenannten kleinen Leuten auf entschiedenen Widerspruch stoßen würde. Ich weiß überhaupt nicht, worauf Sie sich da beziehen. Das ist ein Plädoyer und eine Rechtfertigung für einen billigen Populismus. Dabei haben Sie bislang immer gesagt, dies könne kein Maßstab in der Politik sein. Wenn Sie anfangen, das Verfassungsgericht infrage zu stellen und sagen, dass es in diesem Land Leute gebe, die im Grunde nur nach ihrem eigenen Geldbeutel bestimmte Regelungen aufstellten, dann befinden wir uns wirklich auf einer abschüssigen Ebene.

Ein letzter Punkt, den Herr Wersich stark vertreten hat, ist der Bildungschip. In der Debatte ist schon zu Recht darauf hingewiesen worden, dass man sich diesen Chip von der konkreten Umsetzung her einmal flächendeckend vorstellen muss. Wir hatten schon die Diskussion in der Stadt, dass, wenn Sie bestimmte Angebote kommunal wegkürzen oder verschlechtern, Ihnen wenn so ein Angebot nichts nützt, um eine besondere Benachteiligung oder eine besondere Problemlage zu kompensieren. Schauen Sie sich einmal genauer an, wie das mit dem Bildungspaket vorgesehen ist. Ich zitiere Frau von der Leyen beziehungsweise ihr Ministerium:

"[…] können Kinder, die nach Bescheinigung ihrer Lehrer Unterstützung benötigen, beim Jobcenter Lernförderung, also Nachhilfe, beantragen."

(Dora Heyenn DIE LINKE: Wahnsinn!)

Das heißt, der Vorgang ist auch hier wieder so, dass dies nicht für alle Kinder gedacht ist, denn sie müssen vorher ihre Zustimmung vom Lehrer bekommen

(Dora Heyenn DIE LINKE: Antrag stellen! Antrag stellen!)

und einen Antrag stellen. Daraufhin müssen sie noch vom Jobcenter oder dem Träger das entsprechende Angebot erhalten. Wenn Sie sich das flächendeckend vorstellen, dann wird das nicht funktionieren. Von daher ist es wirklich notwendig, dieses System der Regelsätze gründlich zu verändern. Der einzige Punkt, bei dem ich Ihnen zustimme, ist, dass Hartz IV weg muss. Das heilen Sie durch diese Geschichten nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsident Wolfgang Joithe–von Krosigk: Weitere Wortmeldungen sehe ich nicht. Dann ist die Aktuelle Stunde beendet.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 53 auf, Drucksache 19/7366, Antrag der CDU-, der SPD- und der GAL-Fraktion: Ausbau der Schnellbahnlinie S4 nach Ahrensburg/Bad Oldesloe voranbringen und Eisenbahnstrecke Hamburg – Lübeck im vordringli

chen Bedarf des Bundesverkehrswegeplans absichern.

[Antrag der Fraktionen der CDU, SPD und GAL: Ausbau der Schnellbahnlinie 4 (S 4) nach Ahrensburg/ Bad Oldesloe voranbringen und Eisenbahnstrecke Hamburg – Lübeck im vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplans absichern – Drs 19/7366 –]

Wer wünscht das Wort? – Herr Hesse, Sie haben das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die S4 kommt.

(Beifall bei der CDU und Heiterkeit bei Dr. Joachim Bischoff DIE LINKE – Dora Heyenn DIE LINKE: Nur wann? Wann kommt sie! – Arno Münster SPD: Das erleben Sie nicht mehr!)