"Bewusstsein, Verständnis für 'Nachhaltigkeit' als umfassender Vision zur Zukunftssicherung, als modernes 'Gemeinwohl' und nicht als ein Partikularinteresse von Umweltaposteln. Es geht um den weiten Blick nach vorne, in die Zukunft, und zur Seite, in
die Regionen, die unter unserem Lebensstil, Ressourcenverbrauch, Energieverschwendung, Klimagefährdung zu leiden haben."
Im November dieses Jahres erschien die vom renommierten Wuppertal Institut für Klima, Umwelt Energie erstellte Studie als eine erste Anwendung dort entwickelter Nachhaltigkeitsvisionen für eine Großstadt. Dazu heißt es:
"Was muss Hamburg tun, um zukunftsfähig zu sein? Das zu untersuchen war Aufgabe des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie. In acht Kapiteln hat das Institut staatliches, wirtschaftliches und persönliches Handeln auf das Potenzial für eine zukunftsfähige Entwicklung hin untersucht."
Laut Studie beginnt Zukunftsfähigkeit mit der Veränderung des eigenen Lebensstils. Die Arbeitslosigkeit könne fast vollständig abgeschafft werden, wenn die viele Arbeit verteilt würde: "Kurze Vollzeit" wird das in der Studie genannt. Das Prinzip ist, der Einzelne arbeitet weniger Wochenstunden, Arbeit und Einkommen werden auf mehr Menschen verteilt. Die Menschen verzichten auf Entbehrliches, gewinnen mehr Zeit, Lebensqualität und Raum für Engagement. Die Formel der Experten ist "Sinnstiftung statt Burn-out". All das sind Inhalte der Studie. Im Klartext bedeutet das aber auch den Verzicht der zurzeit in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen tätigen Arbeitnehmer auf ihr jetziges Einkommen; dieses muss zukünftig verteilt werden.
Ihre Forderung nach einem Bürgerticket, einem Freifahrschein für alle Hamburger Bürger im öffentlichen Nahverkehr, kann niemals unabhängig von einer gesamtgesellschaftlichen Veränderung diskutiert werden. Bewusst verschweigen Sie alle weiteren Erfordernisse, welche in diesem Zusammenhang betrachtet werden müssen. Sie reduzieren diese wissenschaftliche Studie auf einzelne Forderungen und instrumentalisieren sie. Sie passen die Empfehlungen an. Abgeleitete oder übernommene Forderungen können jedoch nur im Zusammenhang der anderen relevanten Faktoren, die in der Studie benannt sind, formuliert werden.
Wie Sie das Bürgerticket – kommen wir zum Schluss noch einmal darauf zurück –, die kostenfreie Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs, finanzieren wollen, das ist bei mir definitiv nicht angekommen.
Wer soll denn mit den Kosten belastet werden? Allein der sozialversicherungspflichtig Beschäftigte oder der Steuerzahler? Das wäre nur ein Teil der Nutzer des öffentlichen Nahverkehrs. Die Teilhabe aller Bürger und Bürgerinnen am kulturellen, sozia
len und wirtschaftlichen Leben unserer Stadt, auf die Sie als Zielsetzung in Ihrem Antrag verweisen, ist ein für alle erstrebenswertes Ziel. Selbstverständlich wird sich niemand, der Verantwortung übernehmen will, den Erkenntnissen verschließen, welche auch diese Studie detailliert dokumentiert. Verantwortung zu übernehmen heißt aber auch, ausgewogen zu handeln, ideologisch befreit den Menschen Teilhabe zu ermöglichen, ohne dabei wesentliche Bestandteile und somit Sicherungsmodule gesellschaftlicher und freiheitlicher Errungenschaften zu gefährden. Dies bedarf gewiss einer längeren Bearbeitungszeit als bis zum 20. Februar 2011.
Gerne verweisen wir in diesem Zusammenhang noch auf eine weitere Studie, auf die Sie auch hingewiesen haben. Es ist erstaunlich, mit welchem Ohr man hört, mit welchem Auge man liest und was man aus solchen Studien entnimmt. Sie haben die Studie wahrscheinlich von hinten gelesen, Herr Dr. Bischoff. In dieser Studie, und zwar im ganzen ersten Abschnitt, auf allen ersten Seiten, die Sie geflissentlich überflogen haben müssen, wird vorrangig auf Hamburg verwiesen– ich zitiere –:
"Dass Öffentlicher Nahverkehr auch ökologisch günstig regional angeboten werden kann, zeigen vorbildlich Städte wie […] Hamburg […]. Sie sind ein Teil der Städte, die 14 % bis 33 % unter dem Durchschnittswert von 51,24 € pro Monatskarte liegen. Das ist eine bürgernahe regionale Förderung von ökologischem Verhalten."
"Doch es gibt auch günstige Anbieter von Wochenkarten beim Öffentlichen Nahverkehr. Beispiele hierfür sind: […] Hamburg."
Bei den Tickets vom Flughafen zum Hauptbahnhof liegt Hamburg mit minus 37 Prozent unter dem Preisdurchschnitt.
"Am engmaschigsten und damit am vorbildlichsten ist die Haltestellendichte in folgenden Städten: […] Hamburg."
Ihre Sorge, dass gerade Hamburg durch Preiserhöhungen im HVV-Bereich unsozial handelt, steht in keinem Verhältnis zur nachweislich günstigen Preisgestaltung des HVV.
Richtig ist, dass benachteiligte Gesellschaftsgruppen Hilfe zur Mobilität benötigen, und richtig ist ferner, dass durch Nichtteilhabe am gesellschaftlichen Miteinander die Gefahr der Isolation und Ausgrenzung besteht. Hier gilt es, weiterhin Wege zur Förderung und Unterstützung zu finden und diese umzusetzen. Und wenn Sie die Studie "Zukunftsfähiges Hamburg" in Gänze verstanden hätten, wäre Ihnen aufgefallen, dass es sich um erste Visionen zur Umsetzung handelt. Es gibt dort kein festgeschriebenes Instrument, welches den gesellschaftlichen Wandel auch im ökologischen Sinn garantiert. Vielmehr benennt die Studie – ich erwähnte dies bereits – eine Voraussetzung für Nachhaltigkeit: Zukunftsfähigkeit beginnt laut Studie damit, seinen Lebensstil zu verändern. Um dieses zu erreichen, bedarf es gewiss einer wesentlich ernsthafteren Auseinandersetzung, als im Schnellschuss einen Freifahrschein für alle Hamburger im öffentlichen Nahverkehr zu fordern. – Ich danke Ihnen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe gar nicht geahnt, dass es um diese ganz großen Themen geht. Ich dachte, es geht um ein HVV-Ticket.
Es sind kluge Dinge im Antrag formuliert. Die sozialen, gesundheitlichen und klimapolitischen Zusammenhänge des Verkehrs in einer zukunftsfähigen Stadt sind zu Recht angesprochen worden und bedenkenswert ist ein Bürgerticket allemal. Aber, Herr Bischoff, Sie sagen in Ihrem Antrag auch, man könne ein Bürgerticket über den Haushalt finanzieren. Derzeit können wir aus dem Haushalt nicht einmal mehr die Zinsen für die Schulden finanzieren, ohne neue Schulden zu machen. Wir haben 1,1 Milliarden Defizit nur im Betriebshaushalt, so hoch war das Defizit in Hamburg noch nie. Und wir reden bei diesem Antrag nicht über kleine
Summen. Wir haben das auf verschiedene Arten berechnet und kommen in jedem Fall auf dreistellige Millionenbeträge.
Nun sagen Sie auch nicht, das solle sofort kommen; das unterscheidet Sie ein bisschen von der CDU, die immer erst entschieden und dann hinterher nachgerechnet hat, wer ihre Leuchttürme bezahlen soll. Aber Sie wollen jetzt die Weichen stellen, das sagt schon die Überschrift, aber das sehen wir eben doch anders. Wir haben gerade das Ende der Wahlperiode beschlossen und Sie wollen jetzt Weichen stellen für neue Projekte; das passt aus unserer Sicht nicht zusammen. Am 20. Februar müssen erst einmal die Bürgerinnen und Bürger die Weichen neu stellen, weil wir eine neue politische Mehrheit brauchen für einen handlungsfähigen Senat, den wir nicht mehr haben. Sie sagen, man könne schon mal prüfen, das schade nicht. Aber wer soll in diesem Senat so eine Frage eigentlich noch prüfen? Ich könnte auf Anhieb gar nicht sagen, wer für die BSU überhaupt zuständig ist.
Frau Hajduk ist es nicht mehr, die ist schon nicht mehr da und macht Wahlkampf. Und wenn dort steht, der Senat wird ersucht, dann kann ich für meine Fraktion nur sagen: Wir wollen diesen Senat um gar nichts mehr ersuchen.
Es muss ein neuer Senat gewählt werden, der dann ab März 2011 die Weichen neu stellt, und zwar in der Verkehrs-, Finanz- und Sozialpolitik, denn dort ist einiges nachzuholen und in Ordnung zu bringen. Ich glaube, insoweit sind wir uns mittlerweile auch alle einig.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Bürgerticket ist eine wirklich tolle und ökologisch sehr sinnvolle Idee. Ich danke der LINKEN, dass sie sich die Mühe gemacht hat – wie auch einige andere –, diese gute Studie vom BUND und der Diakonie durchzuarbeiten und daraus einen Antrag zu formulieren. Es scheint eine Serie zu werden und es werden vielleicht demnächst noch mehr Anträge auf dieser Grundlage erarbeitet.
Leider sind die Forderungen aus Ihrem Antrag, so wie sie formuliert sind, momentan überhaupt nicht umsetzbar, denn Sie möchten in dieser Legislaturperiode zugleich die Prüfung über die Finanzierungsmöglichkeiten und -wege einleiten und auch
noch das Ergebnis haben und umsetzen. Dazu ist die Zeit nach dem Beschluss in der vorigen Debatte zu knapp.
Sie fordern außerdem die Rücknahme der Fahrpreiserhöhung für 2011. Auch ich hätte lieber keine Fahrpreiserhöhung, das gebe ich offen zu, aber es würde den HVV sehr unattraktiv machen, wenn wir die Fahrpreise nicht erhöhen würden. Wir hätten nicht das Geld, überfüllte Busse durch zusätzlich eingesetzte zu entlasten, und wir hätten auch nicht die Möglichkeiten, den Busbetrieb in den Abendstunden – vielleicht sogar im attraktiven 10-Minuten-Takt – aufrechtzuerhalten. Und wer fährt gern mit einem HVV, der unattraktiv ist? Das wäre nicht gerade der Weisheit letzter Schluss.