Protokoll der Sitzung vom 16.12.2010

"[…] die kritische Aufarbeitung des kolonialen Erbes vor Ort und die Förderung einer umfassenden postkolonialen Erinnerungs

kultur als dringende öffentliche Aufgabe unserer Migrationsgesellschaft zu begreifen und tatkräftig zu unterstützen."

Hierzu gehört auch die Umbenennung von Straßennamen, die Kolonialakteure ehren. Dieser Aufruf wurde unter anderem vom "Eine Welt Netzwerk Hamburg" und der Hamburger bildenden Künstlerin Jokinen mit initiiert und ist inzwischen auch von etlichen SPD-Mitgliedern, Grünen beziehungsweise Mitgliedern der GAL

(Hartmut Engels CDU: Bleiben Sie doch mal beim Thema!)

und Linken-Politikerinnen aus Berlin und Hamburg unterzeichnet worden.

(Beifall bei der LINKEN)

Hamburg hat hier einen großen Handlungsbedarf. Frau Jokinen hat auf ihrer Seite www.afrika-hamburg.de 115 Straßennamen und Orte in Hamburg aufgelistet, die in Verbindung mit der kolonialen Stadtgeschichte stehen. Sie erinnern an die Welteroberer, Sklavenhändler, Profiteure des Sklavenhandels und des Kolonialismus, Kolonialoffiziere und Befehlshaber, koloniale Handelsniederlassungen, Kolonialwaren und in die koloniale Ausbeutung verstrickte Reeder und Kaufleute.

(Wolfgang Beuß CDU: Frau Schneider, sa- gen Sie doch mal was zur DDR!)

Wenn man diese 115 Straßen umbenennt, wird sicher auch der eine oder andere Platz- oder Straßenname frei.

Es gibt seit Kurzem eine weitere Initiative für eine Umbenennung, die ich auch erwähnen will, weil sie zu dem ganzen Paket gehört. Das hat auch mit dem Thema Deutsche Einheit zu tun.

(Zuruf von Ekkehart Wersich CDU)

Nein, das Thema ist Straßenbenennung, da brauchen Sie sich gar nicht aufzuregen.

Fast auf den Tag genau vor 25 Jahren, am 21. Dezember 1985, wurde Ramazan Avci am Bahnhof Landwehr von Neonazis angegriffen und brutal ermordet. Es war nicht der erste rassistische Mord in Deutschland, aber ich will an dieser Stelle daran erinnern, dass die rassistische Gewalt in den Neunzigerjahren ein bis dahin unbekanntes Ausmaß erreichte.

(Wolfgang Beuß CDU: Sagen Sie mal was zur Gewalt in der DDR!)

Seit 1990, also seit dem Beginn der deutschen Einheit, sind mehr als 137 dokumentierte Opfer rassistischer Gewalt in Deutschland zu beklagen.

(Glocke)

(unterbre- chend) : Meine Damen und Herren! Ich bitte um etwas mehr Ruhe im Saal.

(Egbert von Frankenberg CDU: Die soll zum Thema reden, das geht doch nicht!)

Frau Schneider, bitte zum Thema.

Eine Gruppe von Menschen hat nun die Initiative ergriffen, den Vorplatz des Bahnhofs Landwehr in Ramazan-Avci-Platz umzubenennen.

(Zurufe von der CDU: Nein!)

Ich rede darüber. Ich möchte Ihnen den Gedanken noch einmal mitteilen, dass ich der Meinung bin,

(Wolfgang Beuß CDU: Das ist empörend!)

dass die Bestimmungen geändert werden müssen und dass es dafür einen großen Bedarf gibt. Wenn die Bestimmungen nicht geändert werden, kann der Senat gar nicht anders, als das Anliegen abzulehnen.

(Arno Münster SPD: Frau Schneider, kom- men Sie doch mal zur Sache!)

Ich bin nicht dafür, dass er es ablehnt, sondern ich bin dafür, dass er es annimmt, aber dann muss man über die Bedingungen reden, unter denen er das kann. Deswegen gehört dies alles zum Thema.

(Beifall bei der LINKEN und bei Wilfried Buss SPD und Claudius Lieven GAL)

Der Hiroshima-Platz gehört genauso zum Thema wie der Ramazan-Avci-Platz; das ganze Paket muss aufgeschnürt werden.

(Wolfgang Beuß CDU: Dann schnüren Sie mal schön!)

Die letzte Initiative, die ich anführe, wurde von der Türkischen Gemeinde Hamburg aufgegriffen, die gestern in einer Pressemitteilung schrieb, dass heute, 25 Jahre später, die damals aufgestellten Forderungen nichts an Aktualität verloren hätten.

"Immer noch werden Migranten und ihre Nachkommen ausgegrenzt; von echter Teilhabe kann keine Rede sein. Gleichberechtigung steht allzu oft nur auf dem Papier der Gesetzbücher. Es gibt politisch noch viel zu tun. […] Doch Ramazan Avci soll nicht umsonst gestorben sein. Indem wir uns seiner erinnern, wollen wir ein Zeichen setzen, ein Zeichen gegen Rassismus und Ausländerhass. Der Ort seines Todes sollte seinen Namen tragen […]."

Die letztgenannte Initiative erfüllt von allen Umbenennungsinitiativen die jetzigen formalen Benennungsbestimmungen am eindeutigsten. Der Senat

hat deshalb keine formale Handhabe, dieses Anliegen zurückzuweisen. Aber dennoch sind wir dafür – das sage ich ausdrücklich –, dass sich der Senat mit dem ganzen Paket von Umbenennungsinitiativen befasst und transparent und einheitlich entscheidet. Einer Sonderbehandlung für dieses spezielle, hier zur Rede stehende Anliegen wollen wir nicht zustimmen; wir werden uns deshalb enthalten.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, kommen wir zur Abstimmung.

Wer möchte dem Antrag der CDU-Fraktion aus der Drucksache 19/7821 zustimmen? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit ist das einstimmig so beschlossen.

Ich rufe jetzt Punkt 65 der Tagesordnung auf, Drucksache 19/8015, Antrag der SPD-Fraktion: Neue Wege in der Wohnungslosenhilfe gehen: zielgruppenorientierte Perspektiven entwickeln.

[Antrag der Fraktion der SPD: Neue Wege in der Wohnungslosenhilfe gehen: Zielgruppenorientierte Perspektiven entwickeln – Drs 19/8015 (Neufassung) –]

Wer wünscht das Wort? – Frau Bekeris.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Im Bereich Wohnungs- und Obdachlosigkeit brennt es an vielen Ecken und Enden. Das Winternotprogramm ist völlig unzureichend, die öffentlich-rechtlichen Wohnunterkünfte sind stark überlastet und trotz gutem Wissensstand bekommt dieser Senat die Bekämpfung von Wohnungslosigkeit nicht in den Griff.

(Beifall bei der SPD)

Das ist eine skandalöse, mehrjährige Vernachlässigung durch den Hamburger Senat. Wir als SPD-Fraktion stellen heute einen umfassenden Antrag vor, der die Bekämpfung von Wohnungslosigkeit ganzheitlich angeht.

Zuerst möchte ich noch einmal auf das Winternotprogramm zu sprechen kommen, weil es in meinen Augen unverantwortlich ist, was der Senat hier anbietet. Wie in den vergangenen Jahren hat die Sozialbehörde 200 Notbetten im sogenannten Winternotprogramm aufstellen lassen, um zu verhindern, dass Hamburgerinnen und Hamburger erfrieren. Aber dieses Jahr ist es nicht wie in den letzten Jahren, sondern wir haben viel mehr Obdachlose auf der Straße. Erst auf massiven öffentlichen Druck war die Sozialbehörde bereit, zusätzliche Notschlafplätze einzurichten. Der Bunker am Hachmannplatz wurde für Obdachlose geöffnet

und von Bürgermeister Ahlhaus pressewirksam eröffnet. Zuerst war ich erleichtert, jetzt bin ich eher bestürzt, denn nach und nach wird deutlich, dass der Bunker, seine sanitären Anlagen und die Ausstattung insgesamt derart schlecht sind, dass es viele Obdachlose geben wird, die die Straße diesem Bunker vorziehen werden. Ich hätte Herrn Ahlhaus jetzt gern gefragt, ob er sich die sanitären Einrichtungen, die Toiletten und die Waschbecken überhaupt einmal angeschaut hat, denn auch Obdachlose haben eine menschenwürdige Unterkunft verdient.

(Beifall bei der SPD)

Ich appelliere an Sie und den gesamten verbliebenen Rumpfsenat: Reagieren Sie schnell und schaffen Sie geeignete Notplätze. Das heißt, maximal Vierbettzimmer, saubere Toiletten, Waschbecken und Duschen müssen dazugehören, sonst dauert es nicht mehr lange, bis wir in Hamburg den ersten Kältetoten zu betrauern haben.

Sie haben das zu verantworten, denn Sie kennen diese Notsituation schon sehr lange. Ich erinnere mich an ein Interview in der "Welt" mit Herrn Wersich vom Juli. Das Problem ist Ihnen schon lange bekannt und auch Ihrem Hause.

(Wolfgang Rose SPD: Wo ist Herr Wersich überhaupt?)

Er steht dort. Ich hoffe, er hört auch zu.

Der Wissensstand über Obdachlosigkeit im Allgemeinen ist sehr gut, denn wir haben in Hamburg regelmäßige Obdachlosenuntersuchungen. Uns geht es aber vor allen Dingen darum, welche Konsequenzen aus diesem ganzen Wissen gezogen werden; die muss man bei Ihnen nämlich mit der Lupe suchen.