Protokoll der Sitzung vom 16.12.2010

Henning Voscherau hatte die Bedeutung der Umwälzungen in der ehemaligen DDR früh erkannt und klug gehandelt; darauf muss ich nun wirklich einmal hinweisen. Geschickt nutzte er beispielsweise die seit 1987 bestehende Städtepartnerschaft mit Dresden, reiste häufig mit Senatsmitgliedern in die Partnerstadt und informierte sich über die dortigen Verhältnisse. Dabei bezog er auch oppositionelle Gruppen mit in das offizielle Besuchsprogramm ein und holte sie damit gewissermaßen unter den Schutzschirm der Städtepartnerschaft.

(Beifall bei Gerhard Lein SPD)

Mit der Grenzöffnung nach Osten veränderte sich das geografische Umfeld der Hansestadt schlagartig. Mit der Ost-West-Teilung hatte Hamburg 1945 sein geografisches Hinterland verloren. Erst nach 1990 erschlossen sich unserer Wirtschaft durch den Zugang zu den osteuropäischen Ländern die verlorengegangenen Möglichkeiten erneut. Der Gesamtgüterumschlag des Hamburger Hafens beispielsweise betrug 1990 61 Millionen Tonnen und hat sich dann bis zum Jahr 2007 mit 140 Millionen Tonnen mehr als verdoppelt. Auch daran kann man sehen, welche Bedeutung die Deutsche Einheit hatte.

Mit der Grenzöffnung nach Osten veränderte sich aber auch die Situation auf dem Hamburger Wohnungsmarkt, daran können Sie sich sicherlich noch gut erinnern. Angesichts der boomenden Zuwanderung von Menschen aus der ehemaligen DDR und den osteuropäischen Ländern kam es zu einer Verknappung von preiswertem Wohnraum. Das war damals ein großes Problem, stärker noch als heute. Es drohte Wohnungsnot und um die Lage zu entschärfen, beschloss der SPD-geführte Senat die Weiterentwicklung von Neu-Allermöhe. Neu-Al

lermöhe-West wurde ausgebaut, Hamburgs jüngster Stadtteil

(Antje Möller GAL: Was hat das alles eigent- lich mit dem Antrag zu tun?)

und damals eines der größten Wohnungsbauvorhaben in ganz Deutschland, um die Bewohner aus der ehemaligen DDR aufnehmen zu können.

Jetzt ist Deutschland seit 20 Jahren wiedervereint. Das bedeutet, dass die junge Generation den Unrechtsstaat DDR samt Stacheldraht und Mauer nur noch aus Schulbüchern kennt. Den heutigen Schulkindern und vielen jungen Erwachsenen ist der Gedanke an ein geteiltes Deutschland schon völlig fremd. Deshalb ist es wichtig, dass wir eine Straße nach der Deutschen Einheit benennen. Das ist nicht nur ein Akt gegen die Vergesslichkeit, sondern auch ein Akt gegen die Verklärung; auch dagegen müssen wir angehen. Es ist wichtig, im Zusammenhang mit der Deutschen Einheit immer auch an die Opfer der DDR und ihres Unrechtregimes zu erinnern.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Die Deutsche Einheit ist für die Deutschen ein historischer Glücksfall gewesen. Deshalb sollte auch eine Straße oder ein Platz an diesen glücklichen Moment der deutschen Geschichte erinnern und so das Zusammengehörigkeitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger in ganz Deutschland stärken. Wichtig ist es auch, daran zu erinnern, dass die am 3. Oktober wiedererlangte deutsche Einheit keine Einheit ist, die auf Blut und Eisen oder Macht und Gewalt gründet, wie beim Deutschen Reich von 1871. Die Deutsche Einheit von 1990 ist mit friedlichen Mitteln und im Konsens mit seinen europäischen Nachbarn und Verbündeten zustande gekommen und daran gilt es festzuhalten.

Wir unterstützen Ihren Antrag. – Danke schön.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Das Wort bekommt Herr Gwosdz.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich könnte nun auch meine Variante der Ereignisse referieren, die zur friedlichen Revolution in der DDR, zum Fall der Mauer und zur Deutschen Einheit geführt haben

(Wolfgang Beuß CDU: Aus bayerischer Sicht!)

ich könnte das aus fränkischer Sicht machen, lieber Kollege Beuß –,

aber das werde ich nicht tun.

Die friedliche Wende in der DDR, der Fall der Mauer und die Deutsche Einheit sind ohne Zweifel markante Wendepunkte in der Geschichte und es ist

(Dr. Christel Oldenburg)

unsere gemeinsame Aufgabe, an diese Wendepunkte zu erinnern und sich diese Zeit zu vergegenwärtigen. Insofern finden wir als GAL-Fraktion den Impuls aus der CDU-Fraktion richtig und werden dem Antrag zustimmen, denn die Umbenennung einer Straße oder eines Platzes kann ein Mosaikstein dabei sein, an diese Wendepunkte und historischen Ereignisse zu erinnern.

Die Umbenennung von Straßen ist generell ein wichtiger Beitrag, die Erinnerung in den öffentlichen Raum zu führen. Ich freue mich, dass wir mit diesem Antrag die Diskussion um die Umbenennung von Straßen wieder aufnehmen und meine, wir könnten sie auch über die Themen "Tag der Deutschen Einheit" und "friedliche Revolution" hinaus führen. Uns ist es wichtig, auch eine Debatte darüber zu führen, welche Straßennamen es in Hamburg gibt, die an Vergangenes erinnern, dessen Erinnerungswert eigentlich fragwürdig ist.

(Beifall bei der GAL und der LINKEN)

Das ist nicht die richtige Stelle, um das endlos auszuführen. Sie wissen wahrscheinlich, was ich meine. Ich nenne nur das Stichwort Schimmelmannstraße, ein Straßenname, der an die koloniale Vergangenheit Deutschlands erinnert und der vielen in Hamburg lebenden Menschen aus Ländern, die unter dem Kolonialismus zu leiden hatten, tagtäglich vor Augen führt, dass wir die Problematik im Umgang mit unserer Kolonialvergangenheit noch nicht richtig verstanden haben. Deshalb ist Ihr Antrag auch ein Anlass, die Debatte über die Umbenennung von Straßen fortzusetzen.

(Beifall bei der GAL und der LINKEN)

Ich möchte meinen Redebeitrag auch dafür nutzen, einen Hinweis zum Umgang mit der Erinnerung an die DDR-Vergangenheit zu geben. Ich finde es wichtig, dass wir eine solche Debatte so führen, wie wir sie heute geführt haben. Ich fand es durchaus bemerkenswert, Herr Roock, dass Ihr Beitrag eine Reflexion dessen war, was zum Ende der DDR geführt hat.

Ich will aber auch daran appellieren, dass wir die Debatte in der Erinnerung an das Ende der DDR so führen, dass wir sie und die Erinnerungskultur nicht dazu nutzen, aktuelle politische Gegner zu bashen und zu bekämpfen, denn der Umgang mit der Erinnerung an die DDR-Vergangenheit darf nicht dazu genutzt werden, gegenwärtige politische Kämpfe zu führen. Wir wissen aus der pädagogischen Forschung, dass dies dazu führt, dass sich die jungen Menschen – wie schon von Frau Oldenburg angesprochen – dann von der Erinnerungskultur abwenden und gar nicht mehr wahrnehmen, um was es geht, wenn unter dem Mantel der Erinnerung aktuelle politische Kämpfe geführt werden. Das geschieht leider auch immer wieder hier im Hause. Dann setzen sich die jungen Menschen nämlich gerade nicht mit der Rolle und der

Verantwortung des SED-Regimes auseinander und dann kann sich auch die Links-Partei als angegriffenes Opfer fühlen.

(Norbert Hackbusch DIE LINKE: Wieso füh- len?)

Dann wendet sich die Jugend von der Rhetorik ab und genau der Partei zu, weil das dann nämlich als cool gilt. Ich kann selbst so etwas von mir zugeben und breche einmal das Wahlgeheimnis. Genau wegen dieser Art und Weise des Umgangs mit der DDR-Vergangenheit, der Verquickung mit aktuellen politischen Auseinandersetzungen, die damals stattfanden, habe ich Mitte der Neunzigerjahre, bevor ich zu meiner heutigen Partei gefunden habe, DIE LINKE gewählt,

(Beifall bei der LINKEN – Wolfgang Beuß CDU: Das ist ja ein richtiges Coming-out!)

nicht, weil ich es eigentlich richtig fand, sondern weil ich es abstoßend fand, wie damals mit der Vergangenheit der DDR umgegangen wurde und wie die Erinnerung an die DDR-Vergangenheit genutzt wurde, einen aktuellen politischen Gegner zu diskreditieren. Deswegen hoffe ich, dass wir eine sachliche und ruhige Debatte in Erinnerung an die DDR-Vergangenheit führen und in diesem Stil auch eine geeignete Straße oder einen geeigneten Platz finden. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und der LINKEN)

Das Wort hat Frau Schneider.

Meine Damen und Herren, Herr Präsident! Ich möchte wie mein Vorredner zum Thema sprechen, nämlich zu einer Umbenennung von Straßen oder Plätzen. Es wird der Senat mit dem Antrag ersucht – Zitat –,

"[…] mit den Bezirken Überlegungen für eine Verkehrsflächenbenennung anzustellen."

Falls der Senat nicht mal so, mal so entscheidet, wie er gerade möchte, sondern stringent und nach seinen Benennungsbestimmungen, dann kann ich Ihnen die Antwort schon mitteilen, es gibt nämlich ein Problem. Ich zitiere aus einem Bescheid – Zitat –:

"Nach intensiver Prüfung und Abwägung dieser Benennungsfrage mit zu beteiligenden Stellen kann ich Ihnen heute als für Verkehrsflächenbenennungen in Hamburg federführend verantwortlicher Staatsrat mitteilen, dass gegen eine solche Benennung entschieden wurde und es einer Senatsbefassung daher nicht bedarf. Ausschlaggebend dafür sind die Benennungsbestimmungen des Senats, wonach bei Benennungsvor

(Michael Gwosdz)

schlägen zunächst Ereignisse und Persönlichkeiten der Orts- und Stadtgeschichte sowie überlieferte Flurnamen zu berücksichtigen sind. Ferner benennt der Senat nach den Partnerstädten Hamburgs und nach Städten seiner überseeischen Handelsbeziehungen."

Dieses Schreiben stammt vom 4. Februar 2010. Verfasser war Staatsrat Hill aus der Behörde für Kultur, Sport und Medien. Gerichtet war es an eine Gruppe, die sich für die Benennung eines Hiroshima-Platzes in Hamburg einsetzt. Der Staatsrat teilte ihr mit – Zitat –:

"Eine Benennung nach Hiroshima würde hingegen außerhalb dieses Rahmens liegen."

Nun liegt zweifelsohne die Benennung eines Platzes oder einer Straße der deutschen Einheit oder der friedlichen Revolution ebenfalls außerhalb dieses Rahmens der Benennungsbestimmungen. Wir fragen Sie: Soll jetzt der Senat nach Gutsherrenart verfahren nach dem Motto, das eine passt politisch überhaupt nicht, das andere dafür umso mehr.

(Wolfgang Beuß CDU: Frau Schneider, sprechen Sie doch mal zur Sache!)

Ich rede über Straßenumbenennungen.

Oder sollte man nicht, wenn man nun schon das Thema Straßen- und Platzbenennungen in der Bürgerschaft aufgreift, das ganze Paket auspacken und nach Prüfung dann vielleicht auch die Benennungsbestimmungen ändern? Es gibt eben nicht nur den Wunsch der CDU, eine Verkehrsfläche zur Erinnerung an die Wiedererlangung der Deutschen Einheit zu benennen, es gibt auch das Anliegen des Hamburger Forums für Völkerverständigung und weltweite Abrüstung, wie in Potsdam, Göttingen, Dortmund oder Köln auch in Hamburg mit der Benennung eines Platzes der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki und seiner zahllosen Opfer zu gedenken – zweifellos ein schreckliches Ereignis der Menschheitsgeschichte.

(Vizepräsidentin Dr. Eva Gümbel übernimmt den Vorsitz. – Wolfgang Beuß CDU: Wie die DDR auch!)

Es gibt seit Oktober dieses Jahres einen Aufruf – Herr Gwosdz hat es schon indirekt angesprochen – postkolonialer und erinnerungskultureller Initiativen an die Kommunen, Städte, Landesregierungen und den Deutschen Städtetag – ich zitiere –:

"[…] die kritische Aufarbeitung des kolonialen Erbes vor Ort und die Förderung einer umfassenden postkolonialen Erinnerungs