Protokoll der Sitzung vom 18.06.2008

Vergleicht man die Einnahmen von heute mit den Steuergesetzen von 1997 – und dann wird eigentlich klar, was hier in der Republik abgeht –, dann würden wir feststellen, dass seit 1997 56 Milliarden Euro den öffentlichen Kassen verloren gegangen sind. Das sind finanzielle Mittel für politische Gestaltung, die der öffentlichen Hand systematisch weggenommen worden sind.

(Beifall bei der LINKEN und bei Dr. Martin Schäfer und Wolfgang Rose, beide SPD)

Auf der anderen Seite haben wir Mehrwertsteuererhöhungen, wir haben die Kürzung der Pendlerpauschale, wir haben höhere Steuern bei Arbeitszimmern und Abfindungen. Generell kann man sagen, dass wir höhere Belastungen für Gering- und Durchschnittsverdiener haben und das ist von der Politik durchgesetzt worden.

Diese Steuerungerechtigkeiten führen klar vor Augen, dass wir es mit einem Zweiklassensteuervollzug zu tun haben. Herr Bischoff hat darauf hingewiesen, dass Gleichheit vor dem Recht da schon lange nicht mehr gegeben ist. Dieser Zweiklassensteuervollzug, ob es Ihnen passt, Herr Kruse, oder nicht, das können Sie überall nachlesen,

(Olaf Ohlsen CDU: Er hat doch gar nichts gesagt!)

schont Großunternehmen und Reiche davor, Steuern zu zahlen.

Während allen Arbeitnehmern über den Arbeitgeber regelmäßig die Steuern abgezogen werden, können sich Unternehmen bei Einkünften aus Vermögen ganz anders darstellen. Das heißt nicht, dass wir alle unter Generalverdacht stellen, Herr Kerstan. Wir gehen davon aus, dass keiner das systematisch macht. Wenn Sie das unserem Text entnehmen, dann müssen Sie einmal berücksichtigen, dass es merkwürdig ist, dass sobald Stichproben bei größeren Betrieben gemacht werden, dort in der Regel Steuernachzahlungen von 100 Millionen Euro fällig werden. Wenn einer mal zu viel gezahlt hat, finde ich es auch richtig, dass er es wiederbekommt. Aber merkwürdig ist doch, dass man sobald Stichproben gemacht werden, sobald geprüft wird, feststellt, dass zu wenig Steuern gezahlt worden sind. Das haben wir mit dem Wort massiv gemeint. Wir unterstellen keinem Personenkreis, dass sie das systematisch machen.

(Olaf Ohlsen CDU: Das ist eine pauschale Verurteilung! Unmöglich!)

Die Häufung dort ist nur auffällig. Es gibt Zahlen, die ausweisen, dass pro Prüfer pro Jahr ungefähr 1 Million Euro an Steuermehreinnahmen da sind. Vor diesem Hintergrund – auch wenn Sie diese Rechnung mit dem Länderfinanzausgleich machen – ist es so, dass die öffentliche Hand und auch Hamburg Steuergelder verschenkt, die dringend gebraucht werden.

Bei den durchschnittlich 441 eingesetzten Betriebsprüfern, die wir 2007 in Hamburg hatten, müssen wir einfach sehen, dass die Finanzbehörde damit ganz schlecht ausgestattet ist. Wir brauchen dringend mehr. Eigentlich haben wir ja 748 Betriebsprüfer, aber offenkundig werden die für etwas anderes eingesetzt. Da ist ein Personaldefizit und – Herr Bischoff hat das dargestellt – wenn wir jetzt anfangen, wieder kleine Schritte zu machen, dann läuft es darauf hinaus, dass sich die Steuerungerechtigkeit immer weiter verschärft und das

kann sich die Stadt mit diesen erdrückenden sozialen Problemen überhaupt nicht leisten.

Es sieht schon so aus – und das hat Herr Kruse noch einmal eindeutig unterlegt –, dass die Finanzbehörde in Hamburg die Reichen durchaus schont und das hat mit Neiddebatte gar nichts zu tun.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Wir haben noch einen zweiten Punkt, weshalb wir diesen Antrag gestellt haben. Nicht erst durch die Steuerskandale, insbesondere um Postchef Zumwinkel ist bekannt, dass auch mit krimineller Energie systematisch Steuern in Millionenbeträgen hinterzogen werden. Nachbarländer wie Luxemburg begünstigen dieses Treiben, doch Steuerhinterziehung ist weit mehr verbreitet als allgemein angenommen wird. Außerdem wird sie im Verhältnis zu anderen Straftaten viel weniger geahndet. Sie haben recht, Herr Kerstan, Betriebsprüfer fallen nicht vom Himmel und deshalb hat die LINKE auch in ihrem Antrag stehen, dass der Senat ein Konzept zur Ausbildung und Qualifizierung vorlegen möchte. Wie das im Detail aussehen kann, darüber können wir uns sicherlich verständigen. Uns ist es ein ganz wichtiges Anliegen, dass die Steuergerechtigkeit durchgeführt wird und dass wir uns auch um die Einnahmeseite kümmern. Ich weiß, dass in anderen Bundesländern von verschiedenen Fraktionen auch Anträge auf Erhöhung von Steuerprüfern und Steuerfahndern kommen. Ich glaube, wenn wir auf die Föderalismuskommission warten, dann stehen wir noch in 20 Jahren hier und beklagen die Steuerungerechtigkeit. Wir müssen einfach anfangen. Wenn das in allen Bundesländern gleichzeitig gemacht wird, dann heißt das auch, dass in die öffentlichen Kassen mehr Geld kommt und das ist das, was wir überall dringend benötigen, um Politik zu machen.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Das Wort hat der Abgeordnete Tschentscher.

Herr Kerstan, wir wollten jetzt nicht Krokodilstränen weinen über die Frage, wie schwierig es die Unternehmen mit dem komplizierten Steuerrecht haben. Es ist natürlich komplizierter, Unternehmenssteuern zu erfassen, aber es ist auch einiges getan worden. Die rot-grüne Bundesregierung und auch die große Koalition haben die nominale Steuerbelastung der Unternehmen deutlich gesenkt und im Gegenzug Steuerschlupflöcher abgeschafft. Das war im Interesse der Unternehmen und ihrer Wettbewerbsfähigkeit, aber auch im Interesse der Bürgerinnen und Bürger, denn ein deutlich höherer Anteil der in Deutschland erzielten Unternehmensgewinne wird jetzt auch tatsächlich hier versteuert. Es ging uns

und ich glaube auch Herrn Bischoff – darum, das Problembewusstsein wirklich zu schärfen und die Dimension des Problems deutlich zu machen.

Herr Kerstan, abwarten ist nun das, was wir nicht so gerne wollen.

(Beifall bei der SPD und bei Dr. Joachim Bi- schoff DIE LINKE)

Frau Heyenn hat es noch einmal betont. Wenn wir 20 Jahre auf die Föderalismusreform warten, dann passiert nichts. Nach der bundesstaatlichen Arbeitsteilung – die gilt – ist es Aufgabe der Länder, sämtliche Steuern nicht nur auf Einkünfte aus unselbstständiger Arbeit, sondern sämtliche Steuern vollständig und gleichmäßig zu erheben. Wenn ein Bundesland diese Pflicht vernachlässigt, schadet es dem Föderalismus und betrügt die Bürgerinnen und Bürger, die ehrlich ihre Steuern zahlen, egal, ob es Bundes-, Landes- oder Gemeinschaftssteuern sind.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Wenn ich dann höre, aber der Länderfinanzausgleich, wer weiß, was am Ende für uns übrig bleibt. Ich habe einmal versucht, das nachzuvollziehen. Es ist nicht so leicht, das gebe ich zu. Aber nehmen wir einmal an, Ihr Schätzwert von 8 Prozent stimmt – ich glaube, dass es mehr wären, Herr Kerstan –, dann wäre 8 Prozent von 500 bis 600 Millionen Euro ein Betrag, mit dem Sie Ihre Studiengebühren in Hamburg locker finanzieren könnten.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Um das noch einmal zu betonen – Frau Heyenn hat das angesprochen –: Es geht uns in der Finanzpolitik nicht nur um eine gerechte Verteilung auf der Ausgabenseite. Wir wollen nicht nur, dass Steuermittel gerecht eingesetzt werden für Bürgerinnen und Bürger, sondern es geht uns auch um Gerechtigkeit auf der Einnahmenseite und darüber reden wir heute. Dazu gehört, dass nicht nur bei Arbeitern und Angestellten alle Steuern eingezogen werden, sondern mit gleicher Konsequenz nach Recht und Gesetz auch bei Selbstständigen, Unternehmen und Millionären.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Die seit Jahren in den Hamburger Finanzämtern bestehenden Mängel in der Betriebsprüfung sind kein Anreizsystem für Steuerehrlichkeit, sondern vielmehr eine amtliche Beihilfe und eine Aufforderung zur Steuerhinterziehung. Das ist der Punkt.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Wenn keine weiteren Wortmeldungen vorliegen, kommen wir zur Abstimmung.

(Dora Heyenn)

Wer stimmt einer Überweisung der Drucksachen 19/271, 19/564 und 19/565 an den Haushaltsausschuss zu? – Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Das ist einstimmig angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 24 auf, Drucksache 19/425, Senatsmitteilung: Stellungnahme des Senats zu dem Ersuchen der Bürgerschaft vom 9. Mai 2007 – Verurteilung des Systems der Zwangsarbeitslager in der Volksrepublik China.

[Senatsmitteilung: Stellungnahme des Senats zu dem Ersuchen der Bürgerschaft vom 9. Mai 2007 – Verurteilung des Systems der Zwangsarbeitslager (Laogai-Lager) in der Volksrepublik China (Drucksache 18/6105) – – Drs 19/425 –]

Wer wünscht das Wort? – Herr Heintze.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt vielleicht ein Thema, das wir etwas weniger aufgeregt diskutieren werden, das aber meines Erachtens aus zwei Gründen umso wichtiger ist. Zum einen ist diese Senatsmitteilung, die wir heute zur Kenntnisnahme vorliegen haben, ein Beispiel, wie es das Parlament geschafft hat, ein wichtiges und durchaus kontroverses Thema, nämlich in China die Lage der Menschenrechte in einem sehr konstruktiven Prozess zu einem guten Abschluss zu bringen und mit dieser Senatsmitteilung eine Grundlage zu schaffen, auf der wir sehr gut weiterarbeiten können, und zwar unabhängig von den Aufgeregtheiten dieser Tage rund um die Tibet-Frage und Olympia.

Was ist passiert? Wir hatten einen Antrag aus dem Hause, wir hatten ausführliche Beratungen im Europaausschuss, an denen auch der Generalkonsul der Republik China, Herr Ma Jinsheng, teilgenommen hat, um seine Sicht der Dinge darzustellen und die Sicht Chinas. Es folgte eine Beschlussfassung in der Bürgerschaft und nun diese Senatsmitteilung.

Warum haben wir uns der Laogai-Lager angenommen? Laogai steht für Reform und Umerziehung durch Arbeit und ist ein System von Arbeitslagern in China, die an die Gulags erinnern. Es gibt keine offiziellen Zahlen um sie herum. Der Konsul sagte im Ausschuss, es würden wohl 300 mit 300 000 Insassen geben. Shanghai selber sagt, man hätte zehn im Einzugsbereich. Menschenrechtsorganisationen sagen, diese Fragestellung habe eine ganz andere Dimension. Sie sprechen von 1000 Lagern mit sechs Millionen Insassen unter menschenunwürdigen Haftbedingungen – Zwangsarbeit, Willkür, Folter und Hinrichtungen bei 280 000 Sterbefällen pro Jahr. Die Laogai-Lager haben gerade im

Olympiajahr ihre Bedeutung, weil auch davon auszugehen ist, dass die Menschen in diesen Lagern an dem Infrastrukturaufbau für Olympia zwangsweise beteiligt wurden.

China selbst hat eine andere Sicht der Dinge. Man spricht lapidar von Besserungsanstalten für Kriminelle. Dennoch sind viele Insassen Dissidenten oder religiöse Aktivisten, Falun Gong-Anhänger. Für uns als eine Stadt, die gute Kontakte und Städtepartnerschaften nach China unterhält, ist es wichtig, deutlich zu machen, wo unsere ToleranzGrenze ist. Sie endet bei diesen Lagern. Dieses Lagersystem gilt es zu verurteilen und das tut die Hamburgische Bürgerschaft deutlich.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der GAL)

Mit dieser Verurteilung stehen wir nicht ganz allein – die Bundesregierung, der Bundestag, das EUParlament, es gibt eine parteiübergreifende Ablehnung der Lager. Herr Frank hat in die Debatte für die SPD damals zu Recht eingebracht, dass das kein Thema für Polemisierung sei. Das war Konsens in der letzten Legislatur. Die CDU-Fraktion interessiert hier, ob dieser Konsens auch noch in dieser Legislatur gilt. So gab es nämlich Gegenstimmen gegen die Resolution zur Ächtung der Laogai-Lager im Deutschen Bundestag. Diese Gegenstimmen kamen von der Linkspartei.

(Zurufe von der CDU: Ach! Hört, hört!)

Ich finde es für die Hansestadt Hamburg und für ein Parlament, für die Bürgerschaft sehr wichtig, in solchen Fragen einheitlich und geschlossen aufzutreten. Wir stehen klar auf dem Standpunkt, dass diese Lager menschenverachtend sind. Das lapidare Argument der Linkspartei, da seien die Arbeitsbedingungen ähnlich wie in der freien chinesischen Wirtschaft, macht die Lage nicht besser. Wir als CDU-Fraktion erwarten von Ihnen heute eine eindeutige Klarstellung und dass Sie zur Klarheit der Hamburger Linie stehen.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der GAL)

Warum ist eine einheitliche Hamburger Linie so wichtig? China, wirtschaftlich und kulturell unser Partner, Hamburg ist Drehkreuz für den Handel. Größter Handelspartner im Hafen ist China mit 3,2 Millionen Containern im Jahr. Die Norddeutsche Affinerie ist Hauptabnehmer von Rohstoffen, äußerst bedeutend für beide Seiten. Allerdings müssen Partner und Freunde auch einen offenen Dialog führen, denn nur so kann eine friedliche Gemeinschaft wachsen und gefördert werden. Das gilt nicht nur für China, das gilt selbstverständlich auch für Europa, das gilt für die USA und gleichermaßen für Russland. Dazu brauchen wir Brücken, wie sie in dieser Senatsmitteilung beschrieben werden. In den Ausschussberatungen ist sehr deutlich geworden, dass sie auch halten. Ich erwähnte, dass der Generalkonsul, als es um ein

(Vizepräsidentin Nebahat Güclü)

durchaus kritisches Thema für China ging, bei den Beratungen dabei war, sich eingebracht hat. Der Kulturaustausch, sei es beim Teehaus oder der Städtepartnerschaft, funktioniert. Die Brücke, die wir in den letzten Jahren nach China gebaut haben, trägt. Das ist eine gute Leistung dieses Senats und die Bürgerschaft sollte dies weiter unterstützen.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der GAL – Vizepräsident Wolfgang Joithe-von Krosigk übernimmt den Vorsitz.)

Unser Kulturverständnis ist aber auch, Probleme nicht zu ignorieren. Es ist geradezu die Pflicht dieses Hauses – deswegen halte ich die Debatte auch bei weitestgehendem Einvernehmen für sehr wichtig –, dass die Debatte offen und für jeden zugänglich geführt wird, Missstände benannt und in der Öffentlichkeit herausgestellt werden. Das haben wir in der Vergangenheit getan. China hat reagiert. Allerdings müssen wir aufpassen, dass wir bei dieser ganzen Diskussion nicht in eine pharisäerhafte Position geraten, sondern wir müssen auch immer sehen, was es für Hamburg bedeutet, diese Missstände anzuprangern, wo haben wir noch Handlungsbedarf. Dieses hat der Ausschuss aufgegriffen. Die Senatsdrucksache hat, wie ich finde, wenn auch nicht so lang wie sonstige Drucksachen, aber umso gehaltvoller, an der Stelle deutlich aufgezeigt, wo gehandelt wird.

Wir müssen zusehen, dass die Produkte aus diesen Lagern nicht auf den europäischen Märkten abgenommen werden. Obwohl China ein Exportverbot für diese Lagerprodukte verhängt hat, gibt es in China mehr oder minder staatliche Zwischenhändler, die dieses Verbot immer wieder gerne umgehen, sodass auch in Hamburg davon auszugehen ist, dass nicht wenige Produkte aus diesen Lagern über Hamburg gehandelt werden. Hier sind wir gefragt. Die deutsche Spielwarenindustrie hat sich mittlerweile selbst verpflichtet, keine Produkte mehr aus Laogai-Lagern abzunehmen, die USA haben ein Gesetz erlassen, dass sich, wer Produkte importiert, die aus Laogai-Lagern kommen, strafbar macht. Auch wir in Hamburg müssen hier ansetzen, es muss etwas geben, was wir aus Hamburg tun können, um Partnerschaft und gemeinsames Herangehen an die Fragestellung zu demonstrieren.

Wir haben die Problematik überall dort angesprochen, wo es dem Senat im offiziellen Umgang mit China und den Partnern möglich war, und das ist gut. Wir haben gezielt in Shanghai nachgefragt, wie das Thema gesehen wird, wir haben auch bei der Hamburger Wirtschaft nachgefragt. Die Handelskammer hat Sensibilisierung zugesagt und dies auf ihrer Internetseite auch umgesetzt, wobei ich mir an dieser Stelle die Anmerkung gestatte, ich würde mir etwas mehr Mut von der Kammer bei diesem Thema wünschen,