Protokoll der Sitzung vom 18.06.2008

Sehr geehrte CDU-Fraktion, wenn in den Jahren 2003 bis 2007, in denen Sie alleine verantwortlich waren, die steuerlichen Mehreinnahmen durch Betriebsprüfungen im Mittel 683 Millionen Euro betragen – das ist die Dimension, über die wir reden, Herr Kruse, nicht über eine Würstchenbude –, und wenn in diesen Jahren durchschnittlich jeder Betriebsprüfer jährlich über 1,4 Millionen Euro zusätzlich einnimmt und wenn über 85 Prozent der Mehreinnahmen – das sind 550 Millionen Euro jedes Jahr – bei den Großbetrieben gefunden werden, die zahlenmäßig weniger als 3 Prozent der steuerlich erfassten Betriebe ausmachen, dann besteht zumindest der Verdacht, dass unvollständige oder falsche Steuerangaben, jedenfalls bei Hamburgs Großbetrieben, weiter verbreitet sind als uns allen recht sein sollte.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Dann kann man auch nicht glauben, dass mit dem aktuellen Stand der Betriebsprüfung die nach Recht und Gesetz zu zahlenden Steuern bereits vollständig erhoben werden. Dann hat man vielmehr den Eindruck, dass vor allem die großen Unternehmen weitere Unterstützung benötigen, um besser zu verstehen, wie die Regelungen der Unternehmensbesteuerung tatsächlich gemeint sind und diesen Hilferuf sollten wir nicht überhören.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

2003 waren in Hamburg 526 Betriebsprüfer tätig. 2007 waren es noch 494. Jeder Prüfer war 2003 im Schnitt für 250 Unternehmen zuständig, 2007 muss sich jeder einzelne Betriebsprüfer im Schnitt um 307 hilfsbedürftige, unterstützungswürdige Unternehmen kümmern. Gleichzeitig sind über 100 Stellen in der Betriebsprüfung bei den Hamburger Finanzämtern vakant. Da wundert es einen überhaupt nicht, dass nach Erhebungen eines Marktforschungsinstituts und des Wirtschaftsmagazins "Impulse" die Hamburger Finanzämter, allen voran das Finanzamt für Großunternehmen, bundesweit den schlechtesten Betriebsprüfungsservice anbietet.

Die Großunternehmen werden zwar in einem bestimmten Turnus von zuletzt 4,3 Jahren geprüft, aber eben nicht vollständig, sondern in den Schwerpunkten Warenbewertung oder Rückstellungen, Provisionszahlungen oder Geschenke und Werbung. Dort, wo man prüft, findet man im Schnitt bei Großunternehmen 550 Millionen Euro pro Jahr, die nachgezahlt werden. Da, wo man nicht prüft, kann man auch nichts finden und dann wird auch nicht nachgezahlt. Ein Anreizsystem, liebe CDU, für Steuerehrlichkeit mit Präventivwirkung ist das nicht.

In den Antworten auf unsere Anfragen weist der Senat darauf hin, dass steuerliche Mehreinnahmen keine tatsächlichen Mehreinnahmen sind. Das ist wohl so zu verstehen, dass ein Teil der Mehrein

nahmen, die in einem Jahr anfallen, zum Beispiel durch Gewinnverschiebungen, zu geringeren Steuern in anderen Jahren führen können, sodass damit für die Steuerkasse tatsächlich nur Zinsgewinne verbunden sind. In welchem Umfang es sich aber um tatsächliche Mehreinnahmen handelt, das wissen Sie gar nicht, liebe CDU. Das ist aber angesichts der dreistelligen Millionensummen, um die es geht, von erheblichem öffentlichen Interesse. Nicht einmal Schätzungen oder stichprobenartige Erhebungen haben Sie vorgenommen, um sich einen Überblick zu verschaffen. Deshalb müssen wir Ihnen den Vorwurf machen – Frau Goetsch, vielleicht können Sie diesen Vorwurf dem Herrn Finanzsenator mit den besten Grüßen übermitteln –, dass Sie sich gar nicht für den Umfang der tatsächlichen Mehreinnahmen interessieren und damit auch nicht der Mehreinnahmen, die Sie sich aufgrund mangelhafter Betriebsprüfungen entgehen lassen und die Sie stattdessen den abknöpfen – Arbeitern und Angestellten –, deren Steuern schon vom Arbeitgeber an das Finanzamt überwiesen werden und die deutlich geringere Einkommenszuwächse haben als die Unternehmen, über die wir heute reden.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Was ist also zu tun? DIE LINKE fordert, die Zahl der Betriebsprüfer auf mindestens 900 aufzustocken. Das wäre, bezogen auf die Zahl der 2007 eingesetzten 494 Prüfer, fast eine Verdoppelung, genau genommen eine Erhöhung um 82 Prozent.

Wir schlagen vor, zunächst einmal die bereits vorhandenen über 100 vakanten Stellen in der Betriebsprüfung unverzüglich zu besetzen und dann zu beobachten, wie sich die Mehreinnahmen entwickeln, die wir als Indikator der Steuerehrlichkeit der Unternehmen ansehen.

Zweitens ist zu bedenken, dass kompetente Betriebsprüfer nicht vom Himmel fallen. Sie müssen zunächst drei Jahre ausgebildet werden, dann folgt eine Tätigkeit im Innendienst und ein halbes Jahr Einführung in die Betriebsprüfung, bevor die neuen Steuerinspektoren selbstständig tätig werden können.

Um das Personaldefizit in der Betriebsprüfung nachhaltig zu reduzieren, beantragen wir deshalb, ab sofort jedes Jahr zusätzlich 25 Finanzanwärter auszubilden. Das sind in vier Jahren 100 zusätzliche Finanzanwärter. Mindestens für diese Forderung müsste es nach dem Wahlergebnis vom 24. Februar eine Mehrheit in diesem Hause geben, denn die SPD und die GAL haben der Forderung schon im letzten Jahr zugestimmt und DIE LINKE ist, wie wir heute gehört haben, auch dafür. Damit, liebe CDU, gibt es nach der Wahl 2008 in Hamburg nicht nur eine Mehrheit gegen Studiengebühren, sondern auch eine Mehrheit für Recht und Ordnung im Steuervollzug, mit der die Abschaffung

aller Bildungsgebühren finanziert werden könnte. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Das Wort hat der Abgeordnete Kerstan.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir haben ein Steuersystem, das sehr weit verzweigt und kompliziert ist. Wenn man der Literatur glauben kann, dann sind weltweit 70 Prozent aller jemals veröffentlichten Bücher über Steuerrecht Bücher, die das deutsche Steuerrecht betreffen. Daran erkennt man auch eine der großen Kardinalschwächen unseres Steuersystems. Das erlebt jeder von uns, wenn er seine Steuererklärung abgeben muss. Alleine kommt man nicht mehr durch. Ganze Berufszweige ernähren sich davon, dass sie den Bürgern, aber auch den Unternehmen durch den Dschungel der Paragrafen und ähnlicher Gestaltungsmöglichkeiten helfen. Wenn es um Steuergerechtigkeit geht, muss es natürlich – da sind wir uns aber auch relativ einig – erste Priorität sein, ein einfacheres und damit auch gerechteres Steuersystem herzustellen.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Aber wir debattieren heute auf Anmeldung der LINKEN und der Zusatzanträge der SPD über die Betriebsprüfungen und Steuerfahnder. Das ist eine Sache, die die zweitbeste Möglichkeit ist. Wenn man schon solch ein kompliziertes Steuersystem hat, dann muss man auch genauer prüfen. Das ist auch durchaus ein richtiger Ansatz.

Weil uns Grüne als Rechtsstaatspartei auch Bürgerrechte wichtig sind, müssen bei allem Bestreben für Steuergerechtigkeit natürlich rechtsstaatliche Prinzipien nicht über Bord geworfen werden. Da habe ich mich über einen Satz in dem Antrag der LINKEN geärgert, weil es da nicht um Steuergerechtigkeit, sondern um eine sehr pauschale Verurteilung geht. Ich möchte ihn einmal vorlesen:

"Die Steuerpflichtigen mit Einkünften aus Gewerbebetrieb, selbstständiger Arbeit, Kapitalvermögen oder Vermietung und Verpachtung dagegen erklären in massivem Umfang geringere Einkünfte als sie tatsächlich erzielt haben."

(Frank Schira CDU: Frechheit!)

Es mag sicherlich viel zu viele geben, die Steuern hinterziehen, aber mit diesem Satz sagen Sie, dass alle, die einen Betrieb haben, alle Handwerker und jeder, der Kapitalvermögen hat, weniger erklärt als er eigentlich tun müsste. Bei allem berechtigten Interesse an Steuergerechtigkeit, sollten trotzdem Unschuldsvermutung und rechtsstaatli

(Dr. Peter Tschentscher)

che Prinzipien bei diesem Anliegen gewahrt bleiben. Das ist auch eine wichtige Botschaft.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Natürlich kann man auch parteipolitisch versuchen, dort aktiv zu werden. Herr Tschentscher von der SPD bezieht sich jetzt auf die Zeit der Alleinregierung der CDU von 2003 bis 2007. Herr Bischoff, der da einen breiteren Ansatz hat, hat Zahlen seit 1996 zitiert. In der Tat muss man feststellen, dass es wirklich einen relativ ungebrochenen Trend gibt, dass in diesen Bereichen weniger Prüfungen stattfinden, ganz unabhängig davon, wer regiert.

(Dr. Joachim Bischoff DIE LINKE: Aber Un- schuldsvermutung!)

Da ideologische Gründe nicht maßgeblich sein können, wenn es da unterschiedliche Koalitionen gibt, dann liegt doch die Vermutung nahe, dass es dafür vielleicht auch strukturelle Gründe gibt und da möchte ich nur noch einmal darauf hinweisen, woran das vielleicht auch liegen kann. Letztendlich geht es bei den Steuerprüfungen zum Teil um Gemeinschaftssteuern, wo Hamburg die Kosten für die Steuerprüfer trägt. Herr Bischoff hatte die Kritik des Rechnungshofs oder die Erklärungsversuche angesprochen. Aber da es Gemeinschaftssteuern sind, werden die Steuern erst einmal aufgeteilt zwischen Bund und Ländern und dann über den Finanzausgleich weiter verteilt.

Sie hatten die Umsatzsteuer angesprochen. Die sehr beträchtlichen Einnahmen der Umsatzsteuer, die Sie in Ihrer Kleinen Anfrage abgefragt haben und die zunächst einmal so aussehen, als könne man jeden Steuerprüfer damit finanzieren, führen im Ergebnis dazu, dass 55 Prozent der Erträge an den Bund, 35,4 Prozent über die horizontale Steuerverteilung an andere Bundesländer gehen und Hamburg behält 8,4 Prozent dieser Steuereinnahmen.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Was wol- len Sie damit sagen?)

Da kann man natürlich sagen, das sei ein Prinzip, das die Steuergerechtigkeit verletzt, weil letztendlich niemand der Handelnden in den Ländern finanziell einen Vorteil und damit auch keinen Anreiz hat, dort stärker tätig zu werden.

Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, sich die Ansätze über eine bundeseinheitliche Steuerverwaltung, die wir zurzeit auf Bundesebene diskutieren, genauer zu Gemüte zu führen, denn letztendlich würde das diesen strukturellen Mangel beheben. Die grüne Fraktion im Bundestag hat einen solchen Antrag gestellt und die Fraktion der LINKEN im Bundestag – das habe ich auch mit Interesse gelesen – hat es auch getan. In der Tat finden zurzeit in der Föderalismusdebatte, bei der es um die Aufgabenverteilung und die Aufteilung der Finanzen und ähnliche Dinge geht, Verhandlungen statt,

ob es eine solche bundesweit einheitliche Steuerverwaltung geben soll. Da verstehe ich im Moment die Logik nicht richtig. Sie wollen eine bundesweit einheitliche Steuerverwaltung, im Moment wird im Bund darüber verhandelt, aber bevor Sie wissen, wie das ausgeht, soll Hamburg jetzt schon mal 400 neue Steuerprüfer einstellen. Das ist nicht logisch, das zum jetzigen Zeitpunkt machen zu wollen. Bevor wir in diesem Bereich erhebliche Personalkörper aufbauen, sollte man vielleicht erst einmal abwarten, ob es in Zukunft überhaupt in unserer Kompetenz liegt.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der CDU)

Natürlich haben wir uns die Antworten auf die Kleinen Anfragen – Herr Tschentscher hat es angesprochen – mit Interesse angeguckt und haben auch diverse Fragen, die wir geklärt haben möchten. Gerade im Vorfeld der Haushaltsberatungen wäre es nicht schlecht, einmal zu prüfen, warum über 700 Stellen für Betriebsprüfer vorhanden sind, aber nur 400 Stellen besetzt sind. Das sind Fragen, die wir klären wollen. Deshalb ist es auch sinnvoll, dass wir diese Anträge in den Ausschuss überweisen und nicht im Plenum darüber debattieren, weil man gesehen hat, dass das Interesse bei der LINKEN weniger darin gesehen wird, dieser Art Missstand abzuhelfen, sondern eher anzuprangern. Als Sie sagten, es hat auch keinen Zweck, das wird sich niemals ändern, bekam ich ein bisschen Zweifel, ob es sinnvoll ist, Ihren Antrag zu überweisen, weil Sie selber sagen, das bringt gar nichts. Aber wir wollen uns das noch einmal genauer angucken, wir wollen das Ganze beraten. Ich befürchte allerdings, wenn wir es im Ausschuss haben, dass die Föderalismuskommission es noch nicht abschließend beraten haben wird, sodass man dann immer noch keine Grundlage haben wird, um vernünftig entscheiden zu können.

(Dr. Joachim Bischoff DIE LINKE: In der nächsten Legislaturperiode!)

Aber letztendlich spricht nichts dagegen, sich dieses Thema fachpolitisch genauer anzugucken, damit dann auch solche ideologischen Vorträge, Herr Bischoff, in Zukunft vielleicht ein bisschen mit mehr Fakten unterfüttert geführt werden können. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und der CDU)

Das Wort hat die Abgeordnete Heyenn.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Kruse, so einfach wie Ihr Beispiel mit der Würstchenbude ist, so deutlich ist auch Ihre Denkart. Das, was Sie nicht wahrnehmen wollen, darf auch nicht sein. Bei dieser Zahl von Fakten, die auch über den Landesrechnungs

(Jens Kerstan)

hof gekommen sind, zu negieren, dass wir es hier mit Steuerungerechtigkeit zu tun haben, finde ich ziemlich dreist.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Wenn es in der politischen Diskussion um konkrete Maßnahmen geht, dann wird immer diskutiert, wie es von der Ausgabenseite her finanziert werden kann. Das häufigste Argument, das wir hören, ist: Dafür gibt es kein Geld, nicht einmal für ein kostenloses Mittagessen in der Kita, aber natürlich für die Elbphilharmonie und für die HSH Nordbank.

(Zurufe von der CDU: Oh, oh!)

Das muss ich Ihnen sagen. Viele berechtigte Forderungen nach Verbesserung der Bedingungen, zum Beispiel in der Schule oder zur Abmilderung der sozialen Spaltung in dieser Stadt, werden natürlich gerne als Populismus abgetan. Politik heißt aber gestalten. Diesen Antrag haben wir gestellt, um einmal ganz bewusst den Fokus auf die Einnahmenseite zu lenken. Eines müssen wir alle zur Kenntnis nehmen, ob es uns passt oder nicht: In den letzten zehn Jahren hat es einen Wettbewerb von Steuersenkungen gegeben und der scheint, gerade weil es überall wieder Wahlkämpfe gibt, immer noch weiterzugehen und ist noch lange nicht beendet.

(Hans-Detlef Roock CDU: Freibier für alle!)

Wenn wir den Blick auf die Ungerechtigkeiten werfen, dann stellen wir fest, dass es eine unverantwortliche Steuergesetzgebung gibt. Wenn Sie sagen, es gebe eine wunderbare Geldvermehrung, dann kann ich Ihnen sagen, Herr Kruse, dass es in den letzten zehn Jahren eine gigantische Geldverknappung für die öffentliche Hand gegeben hat.

Die rot-grüne Bundesregierung und die große Koalition haben praktisch seit 2000 die Unternehmenssteuer halbiert. Der Spitzensteuersatz ist von 53 Prozent auf 42 Prozent herabgesenkt und die Vermögenssteuer ist gleich ganz abgeschafft worden. Konkret bedeutet das für einen Einkommensmillionär, dass er pro Jahr durchschnittlich 100 000 Euro weniger Steuern zahlt. Wir haben über 10 000 Einkommensmillionäre in Deutschland und da kann man einmal anfangen zu rechnen. Es ist kein Geheimnis, dass Hamburg eine Hochburg der Einkommensmillionäre ist.

Vergleicht man die Einnahmen von heute mit den Steuergesetzen von 1997 – und dann wird eigentlich klar, was hier in der Republik abgeht –, dann würden wir feststellen, dass seit 1997 56 Milliarden Euro den öffentlichen Kassen verloren gegangen sind. Das sind finanzielle Mittel für politische Gestaltung, die der öffentlichen Hand systematisch weggenommen worden sind.