Protokoll der Sitzung vom 18.06.2008

(Jens Kerstan GAL: Dann brauchen wir nicht überweisen und können gleich abstimmen!)

Ich weiß, Herr Kerstan, Ihnen ist die demokratische Struktur des Gemeinwesens wenig wert. Das erleben wir.

(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der CDU: Oh, oh!)

Ja, das ist der Punkt. Ich weiß, dass das hier eine Pflichtübung ist. Ich möchte Ihnen das noch einmal vorhalten, wie das um die Struktur in diesem Land und in dieser Stadt bestellt ist.

Zweiter Punkt. Kapitalübertragungen ins Ausland sind im Zeitalter des vereinten Europas und der Globalisierung unbestritten ein wichtiges Feld wirtschaftlicher Aktivität. Die Rechnungshöfe stellen fest, dass in einem Bundesland rund 2700 Fälle solcher Transaktionen in einem Jahr in der Steuerfahndung bearbeitet wurden. In einem anderen Bundesland wurden dagegen 70 000 Fälle geprüft. Das heißt, wir haben das, was für alle anderen Bereiche auch gilt, eine eklatante Ungleichbehandlung auf Länderebene. Das gilt auch für Sonderprüfungen bei der Umsatzsteuer. Die Prüfungsquote bei der Sonderprüfung Umsatzsteuer lag 2005 zwischen 1,3 bis 2,8 Prozent. Rein rechnerisch wä

re danach – so die Rechnungshöfe – nur alle 50 Jahre eine Umsatzsteuersonderprüfung bei einem Unternehmen fällig. Auch hier handelt es sich keineswegs um die berühmten Peanuts. Die öffentlichen Kassen könnten, wenn man das ändern wollte, mit Mehreinnahmen im dreistelligen Millionenbereich oder fast einer 1 Milliarde rechnen.

Übrigens ist es besonders witzig, dass die Freie und Hansestadt Hamburg in dem Zeitraum zwischen 1996 und 2006 bei der Quote der Umsatzsteuersonderprüfung in fünf Jahren jeweils das Schlusslicht war. Das heißt, Hamburg liegt im Vergleich zu anderen – leider kommen wir nicht an alle Daten heran – im Bereich des Steuervollzugs immer an schlechtester Stelle.

Der Landesrechnungshof hat festgestellt, dass zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs sowie zum Sonderausgabenabzug von Spenden die Vorschriften nicht beachtet worden sind und die Finanzämter in Hamburg die von der damaligen Oberfinanzdirektion geforderte Umstellung des Rhythmus der Umsatzsteuervoranmeldung bei Unternehmensgründung in vielen Fällen nicht vorgenommen haben. Jedenfalls sagt der Landesrechnungshof, das würde für diese Stadt Umsatzsteuerausfälle in einer Größenordnung von 17 Milliarden Euro bedeuten, was wir von der Fraktion nicht überprüfen können. Aber dass wir hier in einem erheblichen Umfange auf Steuereinnahmen verzichten, steht außer Frage.

Letzter Punkt: Außenprüfung bei Einkunftsmillionären. Diese schätzen die Rechnungshöfe zurzeit auf 11 000 Personen und Unternehmen. Ver.di, Herr Rose, beziffert die Zahl der Mitglieder dieser Wirtschaftselite für Hamburg auf 400. Ich kann zwar nicht sagen, woher er die Zahl hat, aber ich unterstelle einmal, dass sie richtig ist.

Die Prüfungsquoten in diesem Bereich schwanken in den Bundesländern zwischen 10 und 60 Prozent. Wenn man in Sachen Steuervollzug in einem großzügigen Bundesland wie Hamburg lebt, kann man davon ausgehen, nur alle 30 Jahre geprüft zu werden. Für die Hamburger öffentlichen Kassen bedeutet das mit Sicherheit den politisch gewollten Verzicht auf einen zweistelligen Millionenbetrag.

(Robert Heinemann CDU: Eine blinde Ver- mutung! Das wissen Sie auch!)

Ich weiß, dass Sie auf die Rechnungshöfe nichts geben, genauso wenig wie auf die Kritik, die Sie sich seit 1994 in diesem Hause immer wieder haben anhören müssen.

Die Arbeitsweise der deutschen Finanzverwaltung ist seit Jahren Gegenstand der Kritik, auch wenn das nicht in unser Haus fällt. Mit der anhaltenden unzureichenden Steuerpraxis nimmt auch die Unzufriedenheit der damit beauftragten Beschäftigten zu. Die Arbeitsbelastung der Mitarbeiter hat wegen unzureichender Personalausstattung und der Kom

pliziertheit von Gesetzen und Schwächen bei den Verwaltungsrichtlinien enorm zugenommen. Die Beschäftigten müssen permanent einen Ausgleich zwischen ihrem Auftrag suchen, die Steuergesetze gleichmäßig zu vollziehen und den begrenzten Ressourcen, die ihnen zur Verfügung gestellt sind. Die skandalösen Zustände im Steuervollzug führen zu enormen Mindereinnahmen und damit zu einer Begünstigung der Vermögenden und der Leute mit hohem Einkommen, die sich ohnehin nicht beklagen können, in diesem Land übermäßig zur Finanzierung der öffentlichen Ausgaben herangezogen zu werden.

Beim Defizit im Steuervollzug geht es nicht nur um die Frage, dass wir auf Einnahmen verzichten, die wir an anderer Stelle dringlich brauchen könnten, sondern auch darum, dass die Einhaltung des Grundsatzes der Gleichheit vor dem Gesetz nicht mehr gewährleistet ist.

Der Landesrechnungshof hat wiederholt festgestellt, dass die Finanzämter in Hamburg die der Besteuerung zugrunde gelegten Sachverhalte nicht oder nur unzureichend überprüft haben, sich immer wieder von den auf Bund/Länder-Ebene abgestimmten Bearbeitungsgrundsätzen entfernt haben und dass die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz nicht mehr durchgängige Praxis ist.

Und was teilen uns Senat und Finanzsenator auf die Frage mit – wir haben Sie Ihnen vorgelegt –, was der Senat in der laufenden Legislaturperiode zu tun gedenkt, um zu einer Verminderung dieser Defizite zu kommen. Die Antwort: Die zuständige Behörde gewährleiste einen rechtmäßigen Vollzug der Steuergesetze. Das muss man sich einmal vorstellen. Das heißt, die Landesrechnungshöfe sagen, der ist nicht mehr gegeben. Wir fragen nach, was will der Senat tun, um das abzustellen und bekommen die Antwort, es gebe kein Problem, es sei alles rechtmäßig.

Mit dem Vorschlag einer Einrichtung der Bundessteuerverwaltung habe sich der Senat nicht befasst. Das ist unglaublich. Man missachtet hier fundamentale Strukturen, sieht, dass da überall viel Unruhe im Gange ist – man könnte noch über die Sinnhaftigkeit der Bundessteuerverwaltung diskutieren – und sagt dann einfach, damit befassen wir uns nicht.

Drittens: Bei der Steuergesetzgebung werde sich Hamburg weiterhin dafür einsetzen, dass das Recht für die Bürger verständlich und für die Verwaltung der Unternehmen handhabbar gestaltet werde. Das ist wirklich kaum zu toppen. Wie man eine solch schludrige und die skandalösen Zustände ignorierende Antwort auf eine Anfrage in der Parlamentsfraktion abgeben kann, erschließt sich mir und meiner Fraktion überhaupt nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Neben der Ignoranz

(Dittmar Lemke CDU: Wir sind doch da!)

ich sehe ja, wie sehr Sie an dem Thema hängen, die staatstragende CDU –

(Zurufe von der CDU)

gegenüber der von den Rechnungshöfen vorgetragenen Kritik an den massiven Defiziten einer Alltagspraxis kommt in diesen Antworten und in der Einstellung eine Geringschätzung des Budgetrechts der Bürgerschaft

(Beifall bei der LINKEN)

das können Sie im Rechnungs- und Ergebnisbericht auch nachlesen – und eine Einstellung der Koalition zum Ausdruck, die jedenfalls bei uns den Eindruck aufkommen lässt, dass es bei Ihnen insgesamt an dem Respekt vor der Bürgerschaft und den Anliegen der Abgeordneten erheblich mangelt. – Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Das Wort hat der Abgeordnete Kruse.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Bischoff, ich denke, die altbekannte Mär von der Ungerechtigkeit dieser Welt hätten Sie auch kürzer erzählen können. Sie wäre nicht stimmiger geworden.

(Beifall bei der CDU)

Erstens: Es ist nicht zu fassen, dass Sie wieder einmal dieses Spiel spielen, grundsätzlich jeden, der mehr als das Durchschnittsgehalt verdient, verdächtigen, ein Steuerhinterzieher zu sein.

(Dora Heyenn DIE LINKE: Und das genau nicht!)

Zweitens: Es ist auch nicht zu fassen, dass Sie es so darstellen, als wenn die nicht regelmäßig vom Betriebsprüfer besucht werden würden, dass sie nicht mit der Steuerverwaltung in Berührung kämen. Warten Sie es doch einmal ab, wir gucken mal, was regelmäßig ist.

(Dora Heyenn DIE LINKE: Alle 30 Jahre ist auch regelmäßig!)

Regelmäßig wäre gar nicht gut, es muss ja überraschend kommen, denn sonst wäre es nicht sinnvoll.

Erster Punkt: Wenn dieses Vermögen erzielt sein sollte, weil der Arbeitgeber ein sehr großzügiger ist und ein hohes Gehalt zahlt – 500 000 Euro und mehr im Jahr –, dann muss der Betriebsprüfer nicht unbedingt beim Empfänger vorbeischauen, weil das schon bei der Firma geprüft ist. Erster Haken.

Zweiter Punkt: Wenn es denn so ist, dass dieser Mann Teilhaber einer Kapitalgesellschaft, einer Personengesellschaft ist, dann ist auch dort der Besuch bei der Firma gewesen. Dann muss der Betriebsprüfer nicht unbedingt auch noch bei ihm zu Hause erscheinen, es sei denn, es gibt einen zusätzlichen Verdacht.

Dritter Punkt: Weil Sie wahrscheinlich davon ausgehen, dass all diese Menschen ihr Geld damit verdienen, dass sie ab und zu ihre Aktien durchblättern und ihr Vermögen auf diese Art und Weise verwalten,

(Dora Heyenn DIE LINKE: Haben wir das gesagt? Nein!)

dann ist das bei der regelhaften Anmeldung schon vom Verwaltungsinnendienst geprüft worden. Das einmal vorweg. Das heißt, es ist nicht so, dass man in Hamburg, wenn man mehr als 3,50 Euro verdient oder einnimmt, von der Steuer nicht belästigt oder besucht werden würde.

Zu dem Punkt: Mehr Prüfer, mehr Geld. Eine nette Logik. Das stimmt bei den Zahlen im Jahr 2006. Da konnte man sagen, 4,7 Millionen Euro zusammengeholt, das ist ganz nett. Dann kommen Sie auf die Idee, die Zahl der Prüfer zu verdoppeln und dann hätte man über 9 Millionen Euro. Das ist mutig. Dann müssen Sie mal auf das Jahr 2007 gucken. In 2007 haben wir 3,5 Millionen Euro zurückgezahlt wegen Steuerprüfung, weil – das können Sie sich vielleicht nicht vorstellen – der Staat zugunsten und zuungunsten der Steuerpflichtigen prüft, also ganz gerecht. Wenn er dann feststellt, dass zu viel gezahlt worden ist, dann muss er es auch zurückzahlen. So kann es also auch gehen. Das heißt, dieses eignet sich nicht für Ihre Vereinfachung. Deswegen werden wir das auch gerne an den Ausschuss überweisen, um das dann noch einmal intensiv mit Ihnen zu diskutieren.

Dann müssen Sie noch eines sehen: Der Landesrechnungshof ist immer herzlich willkommen. Wir nehmen ihn auch sehr ernst. Übrigens sind wir auch die erste Regierung, die regelmäßig für den Konsolidierungskurs gelobt wird. Ihre Logik, wie man die wunderbare Geldvermehrung machen könnte, ist die: Wenn Sie eine gut gehende Würstchenbude in der Mönckebergstraße haben und pro Stunde 1000 Würstchen verkaufen und davon gut leben können, dann kommen Sie auf die Idee und schmeißen 2000 Würstchen auf den Grill und glauben, Sie werden reich. Eventuell gehen Sie dabei auch Pleite. Das muss man sich schon ganz genau angucken.

(Beifall bei der CDU)

Dann hatten Sie noch einen schönen Logikfehler. Sie hatten gesagt, wir würden oben wegschauen und unten streichen. Dann haben Sie gesagt, wir hätten auch kein Interesse, oben hinzuschauen, weil der Länderfinanzausgleich uns das Geld wie

(Dr. Joachim Bischoff)

der wegnimmt. Da ist aber ein kleiner Logikfehler, denn wenn wir unten kürzen, also bei sozialen Dingen kürzen, wird das Geld, das wir in Hamburg nicht ausgeben, in Berlin verbraten. Das ist nun einmal so beim Länderfinanzausgleich. Da stimmt Ihr Bild nicht. Es stimmt insgesamt nicht. Wir erklären Ihnen das gerne noch einmal im Haushaltsausschuss und dann hoffe ich, dass Sie vielleicht zu der Überzeugung kommen, dass es insgesamt schon gerecht ist. Es wird nie die absolute Gerechtigkeit geben, aber wir sind sehr nahe dran.

(Beifall bei der CDU und bei Michael Gwosdz GAL) Michael Gwosdz GAL Vizepräsidentin Nebahat Güclü: Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Tschentscher. Dr. Peter Tschentscher SPD:* Vielen Dank, Frau Präsidentin. Herr Kruse, ob das das richtige Problembewusstsein ist, mit dem wir im Haushaltsausschuss ergiebig beraten, da bin ich mir noch nicht ganz sicher. Aber um eines vorweg noch einmal klarzustellen: Wir verstehen – und es geht heute um Betriebsprüfungen – die Hamburger Unternehmen als Partner für Ausbildungs- und Arbeitsplätze – ich sage ganz bewusst "als Partner" –, die die wirtschaftliche Grundlage einer menschlichen Metropole bilden. Die Stadt kümmert sich deshalb um wichtige Standortfaktoren: Gute Verkehrsanbindungen, Entwicklung von Gewerbeflächen und selbst Investitionssicherheit, jedenfalls wenn schwarze oder schwarz-grüne Senate nicht gerade Monsterkraftwerke erst genehmigen und die Genehmigung dann vor Gericht wieder zurückholen. Aber bei aller Standortpolitik ist eines klar: Wir verlangen und müssen darauf bestehen, dass die Unternehmen ihre Steuern ehrlich und vollständig bezahlen. Das ist nicht nur eine Frage des Rechts, sondern – Herr Bischoff hat es hier betont – auch der Gerechtigkeit gegenüber den vielen Steuern zahlenden Arbeitern und Angestellten, deren Löhne und Gehälter in den vergangenen Jahren deutlich geringer gestiegen sind als die Unternehmensund Vermögenseinkommen. (Beifall bei der SPD und bei Dr. Joachim Bi- schoff DIE LINKE)

Recht und Ordnung im Steuervollzug sind aber auch für die Unternehmen selbst wichtig. Die Betriebe stehen, wie Sie wissen, untereinander in Konkurrenz. Genauso wie wir mit Mindestlöhnen verhindern müssen, dass Unternehmen Wettbewerbsvorteile erzielen, indem sie Arbeit entehrende Dumpinglöhne zahlen, genauso müssen wir durch konsequente Betriebsprüfung verhindern, dass ehrliche Unternehmen durch Betriebe unter Konkurrenzdruck geraten, die bei den Steuern tricksen und falsche Angaben machen.

(Beifall bei der SPD)

Sehr geehrte CDU-Fraktion, wenn in den Jahren 2003 bis 2007, in denen Sie alleine verantwortlich waren, die steuerlichen Mehreinnahmen durch Betriebsprüfungen im Mittel 683 Millionen Euro betragen – das ist die Dimension, über die wir reden, Herr Kruse, nicht über eine Würstchenbude –, und wenn in diesen Jahren durchschnittlich jeder Betriebsprüfer jährlich über 1,4 Millionen Euro zusätzlich einnimmt und wenn über 85 Prozent der Mehreinnahmen – das sind 550 Millionen Euro jedes Jahr – bei den Großbetrieben gefunden werden, die zahlenmäßig weniger als 3 Prozent der steuerlich erfassten Betriebe ausmachen, dann besteht zumindest der Verdacht, dass unvollständige oder falsche Steuerangaben, jedenfalls bei Hamburgs Großbetrieben, weiter verbreitet sind als uns allen recht sein sollte.