analysiert und Schlussfolgerungen gezogen, elf Tage nach dem Ereignis in der Landespressekonferenz am 27. Mai.
Vor diesem Hintergrund, Frau Veit, ist es einfach infam, wenn Sie sagen, der Senat und die Behörden hätten gesagt, es sei alles in Ordnung. Wir haben Schlussfolgerungen gezogen, weil wir eine Analyse gemacht haben.
Lassen Sie mich zu einem Punkt noch etwas sagen. Warum habe ich vorhin sehr bewusst gesagt, dass die Experten analysieren sollen? Da müssen wir als Politiker uns manchmal ein bisschen an die eigene Nase fassen und das sage ich auch als Senator: Unser Expertenwissen ist begrenzt. Ich will ganz deutlich sagen: Wenn wir wirklich Hilfeprozesse analysieren wollen, wenn wir aufklären wollen und wenn daraus für die Helfenden Konsequenzen gezogen werden sollen, dann brauchen diese Helfenden Fairness statt Vorurteile und dann brauchen sie eine kompetente Analyse. Wohin das führt, wenn Politiker sich in der Analyse selbst überschätzen, möchte ich an einem Beispiel von Herrn Ciftlik deutlich machen. Am 10. Juni hat er gegenüber SPIEGEL ONLINE zur Rechtfertigung der von der SPD geforderten geschlossenen Inobhutnahme ausgeführt – ich zitiere –:
"Der Tenor in der Arbeit mit ihr hätte sein müssen: 'Wir verstehen, dass du zurück willst, Morsal. Aber dein Bruder hat dich vor 24 Stunden massiv bedroht und geschlagen, deshalb lassen wir dich nicht zurück'."
Die Fakten, sowohl aus den Antworten der Kleinen Anfragen als auch im Ausschuss waren, dass der spätere Täter, der Bruder, seit über einem Monat überhaupt nicht in Erscheinung getreten ist. Er war gar nicht an den Ereignissen vorher beteiligt. Diese Form von Analyse gegenüber den Helfern hat nicht nur etwas Besserwisserisches, sondern es ist eine Profilierung zulasten der Sache und das dient den Helfern nicht.
Deshalb appelliere ich an Sie alle, ein wenig Distanz, Selbstkritik in der Frage der eigenen Fachkunde aufzubringen und dann wirklich ein Stück weit auf die Experten der Jugendhilfe zu hören.
In dem Zusammenhang – ich will das ganz offen ansprechen – kritisieren und diffamieren Sie den Sozialdatenschutz
und sagen, die Behörden würden sich dahinter verstecken. Der Sozialdatenschutz ist nicht nur vom Bundesgesetzgeber ein fixierter Anspruch des Bürgers darauf, dass seine besonderen Daten, die der Staat aus den Hilfeverläufen erhält, geschützt
werden, sondern ich bin auch fest der Überzeugung, dass auch ich persönlich kein moralisches Recht habe, die Details von Morsals Denken, ihren Einstellungen, ihren Handlungen
oder gar – wie Sie gefordert haben – die Details aus psychologischen oder psychiatrischen Gutachten offenzulegen, um die daraus abgeleiteten Entschlüsse eines Hilfeverlaufs darzulegen. Das kann ich nicht, das darf ich nicht und das werde ich auch nicht tun, auch wenn Sie dazu weitere Jugendhilfeausschusssitzungen ansetzen.
An dieser Stelle auch noch einmal, um Missverständnissen vorzubeugen: Wenn ich sage, dass wir diese Details des Hilfeverlaufs, worauf sie sich begründen, auf welchen Einschätzungen, auf welchen Gedanken, auf welchen Äußerungen, nicht offenbaren, heißt nicht, dass unsere Experten nicht genau diese untersucht haben, denn das ist das Wesen dieser Analyse. Und das Ergebnis dieser Untersuchung haben wir Ihnen in dieser hier schon dargestellten vierstündigen Sitzung des Familien-, Kinder- und Jugendausschusses ausführlich dargestellt.
Ich will das nicht alles wiederholen. Wir haben Ihnen die Struktur dargestellt, ein ausgeprägtes Hilfesystem, Inobhutnahme, ambulante, stationäre Angebote. Wir haben in Hamburg etwas, was es überhaupt nur in sehr wenigen anderen deutschen Städten gibt, nämlich eine anonyme stationäre Unterbringungsmöglichkeit für diese Mädchen. Wir haben im letzten Jahr zwei hervorragende interkulturelle Gewaltberatungsstellen eingerichtet, die die Jugendämter, die Familien oder auch einzelne Personen beraten. Dennoch haben auch wir an dieser Stelle Konsequenzen gezogen. Wir werden kurzfristig diese niedrigschwellige kulturspezifische Gewaltberatung ausbauen. Wir sind im Gespräch mit den Trägern, die Möglichkeiten zur anonymen Unterbringung bedarfsgerecht weiterzuentwickeln.
Zweiter Punkt war – auch das ist angesprochen worden –, ob es ein Informationsdefizit gegeben hat. Nein, das fallführende und zuständige Bezirksamt Hamburg-Mitte hatte alle wichtigen Informationen. Ich möchte auch an dieser Stelle noch einmal sagen, dass die Verantwortung für den Hilfeverlauf ganz klar geregelt ist. Sie liegt beim zuständigen ASD. Wenn Sie den Senat treffen wollen, indem Sie sagen, die Helfer haben Mist gebaut, dann verstehe ich nicht, warum Sie die Verantwortungsebene des Bezirkes und des Bezirksamtsleiters ausklammern, außer Sie haben andere Ziele mit Herrn Schreiber.
(Beifall bei der CDU und der GAL – Michael Neumann SPD: Bringen Sie Herrn Schreiber (Senator Dietrich Wersich)
doch das nächste Mal mit, wenn Sie für den Ausschuss mal einen Termin frei haben! Sie legen doch fest, wer für den Senat spricht!)
Eindeutiger Schwachpunkt des gesamten Hilfeverlaufs war die Gefährdungseinschätzung. Das haben die Experten dargestellt. Sie haben aber auch dargestellt, dass das eine ganz besondere Ambivalenzproblematik ist. Wir haben es eben nicht mit ruinierten Familienverhältnissen zu tun, sondern gerade diese Mädchen sind häufig bis zur Pubertät in einem ausgesprochen liebevollen Elternhaus groß geworden. Wir haben es hier damit zu tun, dass sich diese Mädchen nicht von ihren Familien distanzieren. Herr Dr. Hammer hat von einer 25jährigen Türkin berichtet, die heute selber hilft, dass sie für sich selber, für ihre Vergangenheit festgestellt hat, dass sie das Ernstnehmen dieser Ambivalenz durch die deutschen Hilfesysteme, Beratungsstellen und Jugendämter nicht gespürt hat, weil kein Verständnis dafür war, dass sie diese Familie trotzdem noch liebt und dass sie nicht sofort von der Familie losgelöst werden wollte. Deshalb hat diese Frau, die heute selber in der Gewaltberatung tätig ist, keine Hilfe des Staates mehr in Anspruch genommen.
Diese Ambivalenz zu erkennen und trotzdem bestmögliche Hilfe zu leisten, hat zu der Hauptschlussfolgerung geführt, die wir für alle Bereiche und alle Behörden brauchen, nämlich Gefährdungseinschätzung in solchen Konstellationen zukünftig nach einem sogenannten Worst-case-Szenario zu machen, das heißt, dass man ein höheres Gefährdungsrisiko für Leib und Leben zugrunde legt, wenn man den Hilfeverlauf plant. Dieses alles und auch dieses Defizit des Hilfeverlaufs haben wir ausführlich im Familien-, Kinder- und Jugendausschuss dargelegt.
Ich muss in dem Zusammenhang allerdings auch einen Vorgang ansprechen – das ist vielleicht eine Arabeske, wirft aber auch ein Schlaglicht auf den politischen Umgang. Herr Dr. Hammer als Leiter der Hamburger Kinder- und Jugendhilfe hat zu dieser Gefährdungsanalyse Folgendes ausgeführt:
"Was wir hier feststellen müssen, es gab eine Gefährdungseinschätzung, die sich an Erfahrungswerten der Mehrheit vergleichbarer Fälle orientiert hat und nicht an einem Worst-case-Szenario, dass mal in dem einen oder anderen Fall aus der Gefährdung, verdroschen zu werden, eine Lebensgefahr erwachsen kann. In diesem Zusammenhang ist Handlungsbedarf gegeben, das heißt, wir werden zukünftig mit den Fachkräften der Jugendämter und auch mit den kooperierenden Freien Trägern solche Szenarien entwickeln […] und entsprechende Fortbildungen anbieten."
Das ist eine klare Aussage. Worst case bedeutet, aus der Gefahr, verdroschen zu werden, auch Lebensgefahr abzuleiten.
Nun hat sich allerdings eine Tageszeitung verhört und das falsch zitiert, was ja mal passieren kann, nämlich: "Verdroschen zu werden, bedeutet keine Lebensgefahr".
erkrankt, okay, wir fragen jetzt nicht, wodurch er sich die Erkrankung zugezogen hat, er war ja eingetragen als Redner und ich vermisse ihn da wirklich, das muss ich ehrlich sagen.
Ja, das habe ich zur Kenntnis genommen. Gute Besserung. Ich nehme an, dass ich trotzdem über ihn reden darf und was er da gemacht hat.
Der Abgeordnete Böwer liest den Pressespiegel mit diesem vermeintlichen Zitat, ruft alle Redaktionen an, stürzt sich auf dieses vermeintliche Zitat, obwohl er selber in der Sitzung dabei war und greift den leitenden Beamten, der übrigens über Parteigrenzen hinweg wirklich ein bundesweit anerkannter Experte der Jugendhilfe ist, massiv an und macht ihm den Vorwurf bis hin zur Amtspflichtverletzung.
Und die Ausschussvorsitzende, Frau Veit, setzt in einer Pressemitteilung vom 12. Juni auch noch einen drauf und kritisiert, dass ich als Sozialsenator danebengesessen hätte und Herrn Hammer nicht widersprochen habe.
Meine Damen und Herren! Am selben Tag, an dem diese inszenierte Aufregung der SPD durch den Blätterwald rauschte, hat die andere Zeitung das Zitat richtig gestellt.
Meine Damen und Herren! Dieser Umgang mit einem falschen Zitat, obwohl Sie selber da waren, ist ein Lehrstück politischer Kultur. Bitte bringen Sie es anständig zu Ende und entschuldigen Sie sich hier bei Herrn Dr. Hammer für dieses ungehörige Vorgehen.
Dass der Hilfeverlauf insgesamt sehr wechselhaft, sehr schwierig und überhaupt nicht perfekt war, ist völlig unstrittig und war auch bereits die Ursache der Schlussfolgerungen, die die beteiligten Behörden aus der Analyse Ende Mai abgeleitet haben. Darüber hinaus haben wir jetzt das, was wir im Hinblick auf den Kinderschutz-Gipfel mit den Ministerpräsidenten und der Kanzlerin am 12. Juni be
wegt haben, auch für diesen Fall eingesetzt. Wir haben vereinbart, dass das Nationale Zentrum Frühe Hilfen als bundesweite Plattform dienen soll und dabei auch Einzelfälle analysieren soll, damit Menschen in der ganzen Republik aus diesen Fällen lernen können. Deswegen haben wir jetzt gemeinsam mit dem Bezirksamt Mitte nach dem Beschluss vom 12. Juni gesagt, dass wir diesen Fall auch den Experten des Nationalen Zentrums des deutschen Jugendinstituts vorlegen werden, damit genau diese weitere Expertenanalyse stattfindet. Das ist Aufklärung und ein vernünftiger Umgang mit derart schrecklichen Dingen.
Ich möchte zum Schluss noch einmal zum eigentlichen Dissens unserer Einschätzung kommen, denn soweit sind wir ja einig zwischen Senat, GAL, CDU und SPD. Aber es gibt einen Punkt, da sind wir weit auseinander. Sie halten die geschlossene Unterbringung des Mädchens, wenn es nicht tut, was die Jugendhilfe will, auch gegen deren Willen für das richtige Mittel. Auch hier, Frau Veit, darf ich wieder aus Ihrer Pressemitteilung vom 12. Juni zitieren:
"Veit unterstrich die Position der SPD-Bürgerschaftsfraktion, dass bei Morsal […] eine freiheitsentziehende Maßnahme im Rahmen der Inobhutnahme hätte erfolgen können und müssen. Der von der CDU und GAL wiederholt betonte 'Freiheitsdrang' des Mädchens und ihre 'Ambivalenz' zur Familie hätten eine Grenze."
Merken Sie eigentlich, dass Sie unbeabsichtigt und ungewollt ganz nahe bei der Vorstellung der Eltern über die Erziehung ihrer Kinder sind? Merken Sie eigentlich, dass Sie ein anderes Verständnis von Jugendhilfe haben, wenn für Sie das Mädchen nicht ein Subjekt der Hilfeplanung ist, sondern ein Objekt, über das wir verfügen? Sie versteigen sich hier zu einer Haltung
ja, genau –, dass dieses Mädchen zu ihrem eigenen Schutz auch gegen ihren Willen eingesperrt hätte werden müssen.
Wir waren uns einig, dass wir eine geschlossene pädagogische Unterbringung von jugendlichen Mehrfachtätern, die aus den Milieus abzulösen sind, unterstützen, aber ein Mädchen, das um seine Freiheit und seine Selbstbestimmung gegenüber der Familie kämpft, vom Staat einsperren zu lassen: Ohne uns.