Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr von Frankenberg, wenn Sie sich hier hinstellen und sagen, Sie hätten sich keine Gedanken gemacht und seien selbst ein wenig erstaunt gewesen, in welch bedrohlicher Situation Morsal O. gewesen ist, dann muss ich mich wirklich fragen, was Sie in all den Jahren gemacht haben. Ich habe mir sagen lassen, dass Sie Sprecher Ihrer Partei im Sonderausschuss Jessica waren. Ich frage mich, was Sie eigentlich noch hätten erleben müssen, um zu der Einschätzung zu kommen, hier wurde falsch eingeschätzt.
Frau Blömeke, wenn Ihnen schlecht wird, weil wir unseren Beitrag im Parlament leisten wollen aufzuklären, dann müssen Sie entweder den Raum verlassen oder selbst dazu beitragen, die im Raum stehenden Fragen zu beantworten.
Das ist so, auch wenn Ihnen das nicht gefällt und auch, wenn Sie eine Koalition eingegangen sind; trotzdem müssen die Fragen geklärt werden.
Herr Wersich, Sie haben recht, wenn Sie von Ambivalenz reden. Das ist aber kein Phänomen, das nur Mädchen mit Migrationshintergrund vorbehalten ist, die irgendwann woanders geboren wurden, mit ihrer Familie hierhergekommen sind und die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen haben. Viele Ehefrauen, die von den Männern geschlagen werden, kehren nicht selten immer wieder zu ihren Männern zurück, weil es diese Ambivalenz gibt. Ich sage das, weil es kein neues Phänomen ist, keine Erklärung dafür,
dass Sie sich hier weigern, die Fragen zu beantworten, und uns umgekehrt den Vorwurf machen, wir würden diese Fragen politisch ausschlachten wollen; das ist eine Ungeheuerlichkeit.
Ich weiß, dass Ihnen diese Frage nicht gefällt, aber es bleibt dabei. Was muss eigentlich einem Mädchen mit 16 Jahren noch widerfahren, Herr Wersich? Sie hat nicht nur einen Monat vor ihrem Tod, sondern mindestens zweieinhalb Jahre ein Martyrium erlebt. Ich weiß, dass Ihnen das auch nicht gefällt.
Sie hat zweieinhalb Jahre ein Martyrium erlebt und es geht nicht um diesen einen Monat, in dem vielleicht, vielleicht aber auch nicht der Bruder in Erscheinung getreten ist. Es ist doch skandalös zu sagen, er sei einen Monat vorher noch nicht in Erscheinung getreten gewesen, also hätte man nichts tun können. Sie hat zweieinhalb Jahre gelitten, mal mit, mal ohne Beteiligung der Familienmitglieder. Mal ist der Sohn mit dem Messer in der Tasche auf sie losgegangen, mal hat der Bruder sie festgehalten und zum Schluss ist ihr ein Schneidezahn abgebrochen worden. Zwei Tage vorher wurde sie medizinisch untersucht. Das sind doch Hinweise genug, um klar festzustellen, hier geht es nicht um diesen einen Monat vor ihrem Tod, sondern hier geht es um eine ganze Zeit lang und man sich aus unserer Sicht schon die Frage stellen muss, hätte die Behörde, hätte der Staat nicht den Mut aufbringen müssen, die Schwelle der Familie zu überschreiten
Sie versuchen – taktisch völlig unzureichend, das nur nebenbei –, hier eine Blackbox aufzubauen: Das sind zwar deutsche Staatsbürger, die kommen aber von woanders her, Integration, kulturell anderer Hintergrund, da weiß man nicht so genau. Ich sage Ihnen ganz offen: Wenn jemand das eigene Familienmitglied wiederholt mit dem Tod bedroht, dann interessiert mich zunächst nicht, woher sie kommt und welche Beweggründe vielleicht aus kultureller Sicht dahinterstecken mögen, sondern mich bewegt zunächst einmal die Frage, wie kann ich dieses Mädchen vor weiterer Gewalt, vor dem Tod schützen. Und wenn Sie sagen, von nun an wird ein Worst-case-Szenario zugrunde gelegt, dann frage ich mich doch, was muss eigentlich noch passieren, damit nicht nur von nun an, sondern in der Retrospektive die Einsicht einmal gezeigt wird. Hier hätte schon längst ein Worst-case-Szenario zugrunde gelegt werden müssen, und zwar nicht nur einen Monat vor ihrem Tod, sondern zweieinhalb Jahre vorher.
Wann muss die Behörde eigentlich einschreiten, wenn es offensichtlich einen Bruder gibt, der schon jahrelang außer Rand und Band gewesen ist, bei dem das Messer ganz locker in der Tasche saß? Mal hat er an einer roten Ampel jemandem das Bein aufgeschlitzt, mal ist er auch in Untersuchungshaft gewesen. Was muss eigentlich noch passieren, um festzustellen, dass wir diesen Bruder nicht kontrollieren können? Vor den Augen der Polizei wird das Mädchen ein ums andere Mal zusammengeschlagen. Der Bruder wird nicht in Gewahrsam genommen. Aber auch Ihre Erklärung im Nachhinein, warum Morsal nicht untergebracht wurde – vielleicht auch gegen ihren Willen –,
weil das dann etwas mit Schutzhaft zu tun gehabt hätte, zeigt noch einmal ganz deutlich, dass Sie mit der Situation völlig überfordert sind und das Einzige, was Ihnen einfällt, ist, wir würden das politisch ausschlachten.
Frau Güclü, ich weiß nicht, was Sie gelesen haben, ich habe hier noch nie eine Debatte über Abschiebung oder Abschiebehaft entfacht, darum geht es nicht. Das zeigt aber noch einmal ganz deutlich, dass Sie nichts verstanden haben und auch gar nicht verstehen wollen.
Herr Senator, Sie haben völlig richtig gesagt, wir müssen Migrantenorganisationen einbinden. Ich frage mich, wo denn in Ihrer Debatte die Forderung, die Sie im Wahlkampf nicht müde wurden von uns zu kopieren, nach dem Integrationsbeauftragten auftaucht, der auf Staatsratsebene beim Bürgermeister angedockt sein soll. Wo ist die Forderung nach jemandem, der vielleicht den Überblick bewahren kann? Frau Güclü, ich weiß nicht, warum Sie sich dagegen wehren. Sie haben diese Forderung neben mir auf Podiumsdiskussionen ein ums andere Mal aufgestellt und heute wollen Sie damit nichts mehr zu tun haben.
(Wolfgang Beuß CDU: Der Wahlkampf ist zu Ende! – Jens Kerstan GAL: Was hat das jetzt mit diesem Fall zu tun? – Zuruf von Ne- bahat Güclü GAL)
Expertenrat soll einbezogen werden. Diese Migrantenorganisationen, die Sie in keiner Erklärung, auch nicht in Interviews, mal beim Namen genannt haben, kennen Sie wahrscheinlich gar nicht so richtig. Die Einzige, die sie vielleicht kennen würde, wäre Frau Özkan, aber die möchte lieber Wirtschaftspolitik machen, das verstehe ich, das ist auch in Ordnung. Aber fragen Sie uns vielleicht einmal, mit wem Sie reden können. Wo ist eigentlich der Integrationsbeirat, den Sie konsultieren wollten, den es ja gibt?
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Wort hat allein Herr Ciftlik und ich darf um ein bisschen mehr Zurückhaltung im Saal bitten.
Ich weiß, dass Ihnen das nicht gefällt, Sie kreisen immer um die eigentliche Frage herum: Wie konnte es sein, dass einem jungen Mädchen, das so viel Gewalt erleiden musste, trotzdem nicht geholfen wurde. Wir schlachten das nicht parteipolitisch aus,
sondern stellen diese Fragen. Die sind Ihnen unangenehm, aber wir müssen trotzdem diese Fragen klären.
Ich habe keinen Grund, meine Aussage zurückzunehmen. Dieser Senat, diese Koalition taktiert, täuscht und trickst, aber wir werden dranbleiben.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Ciftlik, Sie mögen als Pressesprecher der SPD mit Worten umgehen können, aber mit Fakten können Sie wirklich nicht umgehen.
Ich fand es, ehrlich gesagt, ziemlich niveaulos, was Sie hier für eine Debatte aufgemacht haben von Einwanderungspolitik und Vorwürfen und, und, und.
Wenn wir uns noch einmal an diesem Fall orientieren, dann will ich abschließend sagen: Sie haben den Vorwurf erhoben, dass zweieinhalb Jahre zu wenig passiert sei, zweieinhalb Jahre hätte dieses Mädchen ein Martyrium erlitten. Herr Ciftlik, Sie waren doch im Ausschuss dabei – ach nein, ich vergaß, Sie waren immer draußen und haben irgendwelche Presseinterviews gegeben.
Herr Ciftlik, vielleicht hören Sie jetzt einmal zu, das haben Sie eben auch nicht getan. Wären Sie dabei gewesen, dann hätten Sie vernommen, dass das Mädchen natürlich in Inobhutnahme war. Ich weiß nicht, ob Sie wissen, was Inobhutnahme bedeutet. Das Mädchen war in der Betreuung der Behörden,
des Jugendamts, des ASD und, und, und. Das heißt, hier war überhaupt nicht der Fall gegeben, dass das Mädchen Gewalt in der Familie erlitten hat und sich keiner gekümmert hat. Da sind Sie einem Irrglauben erlegen. Das Einzige, über das wir uns hier immer wieder streiten – wir drehen uns im Kreis, da haben Sie völlig recht und deswegen muss die Debatte auch im Fachausschuss geführt werden –, ist die Frage, ob man dieses Mädchen zu seinem Schutz hätte einsperren dürfen. Jetzt frage ich Sie einmal, Herr Ciftlik: Hätten wir die denn zweieinhalb Jahre einsperren sollen, bis ihre Pubertät vorbei ist?
Ich finde Ihre Ansichten von Jugend und Pubertät geradezu erschreckend, das muss ich ganz ehrlich sagen.