Protokoll der Sitzung vom 16.12.2014

(Dr. Andreas Dressel SPD: Eine Mauer aus Wahlversprechen? Was ist das für ein Un- sinn?)

Frau Prien hat es ausgeführt –, einer Mauer von Masse statt Klasse. – Ich kann nicht einmal mein eigenes Wort verstehen.

(Jan Quast SPD: Das geht uns auch so!)

Das Problem bei so einer Mauer ist, dass man nicht über sie hinwegschauen kann. Das ist das Problem dieses SPD-Senats und es ist vor allem das Problem dieses Schulsenators.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der CDU – Dirk Kienscherf SPD: Sie sind doch gescheitert!)

Gerade in der Schulpolitik kommt es nicht auf Zahlen und Statistiken an, sondern darauf, dass ich mir die Menschen in der Stadt und in den Schulen anschaue. Dieser Senator schaut über seine Mauer nicht hinweg, er bemüht sich noch nicht einmal darum. Er schaut nur auf seine Zahlen und sieht die Menschen in den Schulen nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Darum hat Oliver Hollenstein in einem schönen Artikel der "ZEIT" einen äußerst passenden Titel für unseren Senator gefunden: Graf Zahl.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Es ist doch gut, wenn ein Schulsenator rechnen kann! – Dirk Kienscherf SPD: Mit den Zahlen hatten Sie es nie so!)

Graf Zahl schaut, wenn er die Qualität des Ganztags bemessen will, nicht auf die Kinder im Ganztag, er bemisst die Qualität des Ganztags nach der Kerntemperatur von Nudeln und Frikadellen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Er bemisst die Qualität des Ganztags nach Teilnahmequoten oder der Zahl der teilnehmenden Schulen, obwohl wir alle wissen, dass sie gar keine andere Chance haben als teilzunehmen. Graf Zahl bemisst die Unterrichtsqualität nach Schüler-Lehrer-Quotienten und anhand der Zahl neu eingestellter Lehrkräfte. Er bemisst die Unterrichtsqualität nach Anzahl der erteilten Stunden. Nur, der Unterricht an sich wird dadurch keinen Deut besser. Graf Zahl sollte sich lieber den Unterricht an sich anschauen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das sind nur zwei Beispiele dafür, wie er Politik macht. Und weil er nicht über die Mauer hinweg schauen kann, sieht er auch die Probleme und Baustellen nicht, die es in unserer Stadt bei der Schulqualität mannigfach gibt. Er sieht zum Beispiel nicht, dass die Stadtteilschulen drohen, unter der Last der Inklusion zusammenzubrechen. Wenn die Stadtteilschulkolleginnen und -kollegen sich darüber beklagen, heißt es nur: Es gibt doch den Quotienten von 1,925, da kann es euch doch gar nicht schlecht gehen. Das ist aber immer eine Durchschnittszahl. Man müsste schon auf die einzelne Schule schauen, und genau das macht dieser Senator nicht.

Graf Zahl sieht auch nicht, dass die Inklusion an unseren Schulen an vielen Stellen überhaupt nicht funktioniert.

(Wolfgang Rose SPD: Eh, das nervt!)

Graf Zahl sieht nicht, dass echte Ganztagsschulen von diesem SPD-Senat systematisch benachteiligt werden. Es wird immer mehr Geld in ein GBS-System gepumpt, bei dem es nachmittags nur darum geht zu betreuen. Der Vormittag hat mit dem Nachmittag nichts zu tun.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Das stimmt doch gar nicht!)

Es gibt keine pädagogischen Konzepte, Inklusion findet am Nachmittag nicht statt.

(Beifall bei den GRÜNEN – Zuruf von Dr. Andreas Dressel SPD)

Graf Zahl sieht auch nicht, dass die Unterrichtsentwicklung praktisch zum Erliegen gekommen ist, dass die Gymnasien dringend Unterstützung brauchen und dies auch einfordern oder dass die Schulen in freier Trägerschaft oft in maroden Gebäuden beheimatet sind. Und vor allen Dingen – da sollten Sie als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten aufhorchen – ist die Bildungsungerechtigkeit in Hamburg ungebremst. Dieser Senat hat nichts dazu beigetragen, dass Herkunft und Bildungserfolg entkoppelt werden.

(Zuruf von der SPD: Was reden Sie denn?)

(Lars Holster)

Vielleicht sollten Sie einmal in den Hamburger Bildungsbericht schauen und in die Studie der Bertelsmann Stiftung.

Schaue ich mir dann an, was in der "Welt am Sonntag" stand – Frau Kollegin Prien hat es schon ausgeführt –, dann muss ich sagen, dass diese Versprechen völlig widersprüchlich sind. Um die Unterrichtsqualität oder überhaupt die Schulqualität zu verbessern, brauche ich eine Infrastruktur. Dazu gehört das Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung und dazu gehört auch ein Institut für Qualitätsverbesserung, also das IfBQ. Was aber muss ich in den Antworten auf die Schriftlichen Kleinen Anfragen dazu lesen? Hier werden insgesamt 100 Stellen gestrichen.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Sollen wir das lieber an den Schulen machen, lieber bei den Lehrerstellen?)

Wie soll denn da überhaupt noch Qualitätsverbesserung stattfinden, wenn gleichzeitig diese Infrastruktur abgebaut wird? Das ist kein Versprechen, was gehalten werden kann.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Unsere Haushaltsanträge beziehen sich auf die drei wichtigsten Baustellen. Es geht uns darum, dass die Stadtteilschulen mithilfe eines Inklusionsfonds erst einmal kurzfristig ihre Not lindern können – strukturell wird dann mit Sicherheit in drei Jahren nachgebessert, das hoffen wir zumindest –, dass endlich die verschiedenen Formen von Ganztagsschulen in dieser Stadt gleichberechtigt existieren können und dass die 20 000 Kinder, die eine Schule in freier Trägerschaft besuchen, dasselbe Anrecht auf vernünftige, gut erhaltene und sanierte Gebäude haben wie alle anderen Kinder auch. Darum kümmern wir uns in unserem dritten Haushaltsantrag. Ich bitte darum, diesen Anträgen zuzustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Frau von Treuenfels von der FDP-Fraktion bekommt jetzt das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Lassen Sie mich vorab eine kurze Bemerkung machen. Ich finde es interessant, dass die SPD immer unruhig wird und sofort dazwischenredet, wenn einer von uns Oppositionspolitikern das eigentlich altbekannte Lied "Der Senat tut nichts" singt. Ich würde mich freuen, wenn Sie zuhören würden. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU – Zurufe von der SPD)

Ganz ruhig, so schlimm wird es nicht.

(Glocke)

Verzeihung, Frau von Treuenfels. – Meine Damen und Herren! Frau von Treuenfels hat noch gar nicht damit begonnen, ihre Argumente auszuführen, und schon ist es dermaßen unruhig. Auf den Tribünen und Balkonen sitzen junge Menschen, die sich fragen, warum wir es nicht schaffen, einmal 45 Minuten lang zuzuhören und warum einige permanent dazwischenbrüllen dürfen.

(Beifall bei der FDP, den GRÜNEN, der LIN- KEN, vereinzelt bei der CDU und bei Dr. Walter Scheuerl fraktionslos)

Vielleicht hören wir Frau von Treuenfels zunächst zu und arbeiten uns dann an Ihren Argumenten ab.

Anna-Elisabeth von Treuenfels FDP (fortfah- rend): Vielen Dank, Frau Präsidentin. Das gilt ja nicht nur für mich, sondern auch für die anderen Oppositionsparteien. Ich danke Ihnen für die Einrede.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Eigentlich sind Sie, Herr Senator Rabe, von Haus aus doch Lehrer für Religion, Deutsch und Geschichte. In den letzten Monaten hatte ich den Eindruck – und wie ich sehe, viele andere auch –, dass Sie eigentlich ein verhinderter Mathelehrer sind. Das liegt an Ihrer offensichtlich schier unglaublichen Vorliebe für Zahlen. Sie lassen unaufhörlich Lehrer, Klassengrößen und Abiturienten zählen, Oberstufen an Stadtteilschulen summieren oder Kinder in Ganztagsangeboten addieren.

(Beifall bei Jörg Hamann CDU)

Und dann versuchen Sie alle paar Wochen, mit diesem unglaublichen Zahlenwust, der uns alle fast erstickt, neue Erfolgsmeldungen zu kreieren. Aber was sagen denn diese ganzen Zahlendatenbanken über das aus, worauf es eigentlich ankommt, nämlich die Qualität der Bildung an Hamburger Schulen? Ich will es Ihnen sagen: nichts, gar nichts.

(Beifall bei der FDP)

Und woran liegt das? Das liegt am Kernproblem Ihrer fortlaufenden Rechnerei. Sie liefern nur ein oberflächliches Abbild der Situation, aber keine echte Analyse. Hier einige Beispiele, etwa das Thema kleine Klassen. Wird mit mehr Lehrern und kleineren Klassen wirklich ein größerer Lernerfolg erzielt? Wir wissen es nicht und Sie auch nicht. Oder sagt die Teilnehmerquote bei der Ganztagsbetreuung, mit der Sie sich immer so rühmen, wirklich irgendetwas über die Qualität der Angebote aus?

(Wolfgang Rose SPD: Ja!)

Mitnichten. Der Senat hat wieder nur Teilnehmerzahlen summiert, kann aber keine inhaltlichen Fortschritte vermelden. Ihre Rechenleidenschaft kann

(Dr. Stefanie von Berg)

eines aber nicht verdecken, Herr Rabe, auch wenn Sie das immer versuchen: Immer neue Zahlenfriedhöfe zaubern keine bessere Bildung. Stattdessen muss der Fokus guter Bildungspolitik auf Qualität liegen. Das sagen wir Ihnen schon seit dreieinhalb Jahren und müssen es immer wiederholen.

(Beifall bei der FDP und bei Dr. Walter Scheuerl fraktionslos)

Den Fokus Qualität hat die FDP in dieser Legislaturperiode in den Mittelpunkt ihrer Arbeit gestellt. Wir haben klare inhaltliche Anforderungen an Lehrer und Schulen gestellt, wir haben für mehr Leistungsbereitschaft der Schüler an beiden Enden der Leistungsskala gekämpft, und wir haben so echte Bildungsgerechtigkeit in den Fokus unserer Politik gestellt, etwa bei verlorengegangenen Standards wie der Rechtschreibung. Wir möchten daran erinnern, wie lange wir darum kämpfen mussten, bis wir dieses Thema, zusammen mit der CDU allerdings, wieder aufs Tapet bringen konnten. Oder die Hochbegabtenförderung: Das mussten wir hier erst einführen, damit Sie sich endlich bewegt haben, denn Schüler aus bildungsferneren Elternhäusern, das muss man festhalten, sind dann die Bildungsverlierer, wenn die Schule ihnen keine Chance auf gutes Lernen eröffnet. Unser Antrag für eine endlich ernstgemeinte und funktionierende Hochbegabtenförderung ist ein gutes Beispiel dafür, wie Bildungsgerechtigkeit und Leisstungsanspruch zusammenhängen.

(Beifall bei der FDP)