Protokoll der Sitzung vom 04.02.2015

Künftig keine Rückführung mehr bei länger bestehender Gewaltproblematik mit latenter Gefährdung von Kindern; klare, zeitliche Vorgaben für die Rückführungsentscheidungen; die Ausgabe des Priorität-10-Gutscheins wird zukünftig an Informationen an Erzieher über bestehende oder zurückliegende Kindeswohlgefährdung und konkrete Gefährdungslage des Kindes geknüpft. Bei familiengerichtlichen Verfahren ist dem Familiengericht die gesamte Fallakte durch den ASD, analog zu sozialgerichtlichen Verfahren, zu übermitteln. Verbindliche Einbeziehung des Rechtsamtes bei familiengerichtlichen Verfahren in Fällen von Kindeswohlgefährdung; verbindliche Vorstellungen beim Kinderkompetenzzentrum bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung; verbindliche Vorladung und Vernehmung durch Polizei und Staatsanwaltschaft bei

Verdacht auf Kindeswohlgefährdung sowie stärkere Professionalisierung der eben genannten Stellen. Empfohlen wird auch die Verbesserung der Arbeitssituation beim ASD, Fallbemessung und Fertigstellung sowie Einführung des Personalbemessungssystems; verbindliche Gutachtenerstellung über die Erziehungsfähigkeit der Eltern vor Rückführung. Das sind einige kurz genannte Empfehlungen, die wir Ihnen heute vorlegen, und wir bitten Sie, davon Kenntnis zu nehmen.

Zweitens: Der Zusammenhang zwischen individuellen Fehlern und den durch die BASFI zu verantwortenden politischen und finanziellen Rahmenbedingungen hat am Ende des PUAs für unterschiedliche Bewertungen gesorgt. Fakt ist, dass wir die entscheidenden Mitarbeiter des ASD nicht als Zeugen vernehmen konnten; sie konnten die Aussage verweigern. Andere ASD-Mitarbeiter wollten aus Angst vor Konsequenzen nicht vor unserem Untersuchungsausschuss aussagen. Die Indizien aber für diesen Zusammenhang, dass also die Fehler und die Rahmenbedingungen verantwortlich sind, sind aus meiner Sicht erdrückend. Die Reduzierung der Dokumentationspflichten im Bezirksamt Hamburg-Mitte und die Untätigkeit und Nachlässigkeit in Bezug auf die Arbeitsfähigkeit der Hamburger Jugendämter durch Senator Scheele sind dafür klare Beweise. Herr de Vries wird das gleich noch weiter ausführen.

Ich bleibe bei meiner Aussage, Herr Scheele, Bedauern allein ersetzt keine politische Verantwortung, und die hätten Sie übernehmen müssen.

(Beifall bei der CDU)

Weil dieser Punkt auch in der Diskussion aufgekommen ist: Rücktritte entscheiden sich nicht an persönlicher, sondern an politischer Verantwortung. Und die politische Verantwortung ist eine stellvertretende Verantwortung für eine Institution oder Einrichtung. Ich glaube, das wäre zusätzlich zu unserer Arbeit ein wichtiger Schritt gewesen, damit die Menschen in unserer Stadt das Vertrauen in unser Kinderschutzsystem wiedergewinnen können.

Drittens: Ich möchte mich bei den Abgeordneten für die stets gute und konstruktive Zusammenarbeit während der Ausschussarbeit bedanken. Die Abstimmung mit den Obleuten der Fraktionen, denen ich einen besonderen Dank aussprechen möchte, funktionierte zeitnah und ergebnisorientiert. Weiterhin empfand ich die Beratungen und die Beweisaufnahme im Ausschuss als sehr sachlich und von dem Gedanken getragen, neben der Sachaufklärung immer ein Auge auf den Kinderschutz zu haben und gemeinsam nach möglichen Verbesserungen zu suchen.

Meine Damen und Herren! Mein Dank gilt ebenfalls dem Arbeitsstab unter der Leitung von Dr. Jäger. In Anbetracht der kurzen, anspruchsvollen Zeit für

(Vizepräsident Dr. Wieland Schinnenburg)

den Untersuchungszeitraum haben sich die Mitarbeiter schnell und präzise eingearbeitet, für die Zeugenvernehmungen hilfreiche Fragenkataloge erarbeitet und zum Abschluss einen Berichtsentwurf vorgelegt, der von fast allen Fraktionen als Grundlage in großen Teilen befürwortet wurde.

(Beifall bei der CDU, der SPD und vereinzelt bei der LINKEN und der FDP)

Die Ermittlungen des Ausschusses haben die Abgeordneten auch vor sehr schwierige Aufgaben gestellt. So war die Lektüre der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte nach dem Tode Yagmurs mehr als bedrückend, genauso wie die von Herrn Professor Püschel benannten schwerwiegenden Verletzungen und Misshandlungen von Yagmur, denen sie sich in den letzten Monaten ihres kurzen Lebens ausgesetzt sah.

Festzuhalten bleibt die Feststellung des Ausschusses, dass der Tod Yagmurs mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätte verhindert werden können, insbesondere, wenn die Zusammenarbeit zwischen den beteiligten staatlichen Stellen besser funktioniert hätte. Auch die mangelhafte Kommunikation der beteiligten staatlichen Stellen hatte einen Einfluss auf das Leben von Yagmur und ihren letztendlichen Tod.

Meine Damen und Herren! Eine hundertprozentige Sicherheit kann es leider nicht geben. Aber der Staat ist in der Verantwortung, dass Kinder, die bereits unter staatlicher Obhut sind, nicht zu Tode kommen. Dafür liefert der Abschlussbericht viele konkrete Vorschläge, die nun von uns und von den zuständigen Stellen schnellstens umgesetzt werden müssen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei Finn-Ole Ritter FDP und Dr. Walter Scheuerl fraktionslos)

Vielen Dank, Herr Trepoll. – Das Wort hat Frau Leonhard von der SPD-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Im März des vergangenen Jahres hat die Bürgerschaft einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss eingesetzt, in dessen Rahmen wir uns der sehr belastenden Frage angenommen haben, welchen Anteil staatliche Stellen wie Jugendamt, Staatsanwaltschaft, Teile der Jugendhilfe wie zum Beispiel die Kita am Tode des Mädchens Yagmur gehabt haben. Yagmur wurde von der eigenen Mutter getötet. Sie wurde nur drei Jahre alt und musste in ihrem kurzen Leben mehr Leid und Verletzungen ertragen, als viele von uns es sich vorstellen können. Besonders bedrückend ist für uns alle, dass es im Leben von Yagmur viele Momente gab, in denen sich die Chance geboten hätte, sie zu schützen und ihr ein Leben ohne Misshandlungen zu ermög

lichen. Yagmur lebte bei einer Pflegemutter und hatte vom ersten Tag an regelmäßig Kontakt zu ihren leiblichen Eltern. Früh gab es Hinweise darauf, dass sie dort nicht nur nicht gut aufgehoben, sondern auch wiederholt Misshandlungen ausgesetzt war. Warum dies nie richtig erkannt und deshalb stets darauf hingearbeitet wurde, dass Yagmur bei diesen Eltern leben sollte, war eine der zentralen Fragen, die uns im Rahmen des Untersuchungsausschusses bewegt hat.

Der Untersuchungsausschuss hat nun seinen Bericht und damit die Ergebnisse seiner Arbeit vorgelegt. Dass es uns in so kurzer Zeit gelungen ist, uns den schwierigen und komplexen Fragen intensiv anzunehmen, ist ein wesentliches Verdienst des Arbeitsstabes unter der Leitung von Herrn Dr. Jäger, dem ich hiermit ausdrücklich meinen Dank und den meiner gesamten Fraktion aussprechen möchte.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Die Arbeit in diesem Ausschuss hat uns gezeigt, dass es an unterschiedlichsten Stellen mangelnde Informationen, Fehleinschätzungen, Fehlurteile und auch ein falsches Verständnis von der Arbeit des jeweils anderen dazu führten, dass Yagmur in die Obhut der leiblichen Eltern kam, wo sie im Dezember 2013 von ihrer Mutter getötet wurde.

Mithilfe von Expertinnen und Experten aus dem gesamten Bundesgebiet, die sich seit vielen Jahren mit der Stärkung des Kinderschutzes oder des Pflegekinderwesens befassen, haben wir uns aber auch grundsätzlichen Fragestellungen gewidmet. Es ging darum zu ermitteln, wie eine gute Zusammenarbeit zwischen Justiz und Jugendhilfe im Sinne des Kindes aussehen muss und kann, oder wie zum Beispiel die Interessen der Kinder selbst und nicht nur die ihrer Eltern in Familiengerichtsverfahren in den Vordergrund gerückt werden können. Auch die Frage nach Leitbildern in der Arbeit der Jugendämter hat uns bewegt, wenn es darum geht, wo der richtige Ort zum Leben für ein Kind ist. Bietet die Rückkehr in die eigene Familie wichtige Entwicklungschancen, oder ist sie eher ein Risiko? Wenn ein Kind nicht mehr in seiner eigenen Familie leben kann, weil seine altersgerechte und gesunde Entwicklung oder gar sein Leben dort in Gefahr sind, dann ist die wichtigste Aufgabe für ein Jugendamt, sich um diese Kinder zu kümmern, sie zu ihrem eigenen Schutz in Obhut zu nehmen und einen neuen Platz für sie zum Leben zu finden. Im Fall von Yagmur bot eine Pflegemutter ihr einen guten Platz zum Leben, jedoch wurde sie trotz größter Bedenken in die Obhut ihrer Eltern gegeben, weil das Jugendamt entschied, dass ihr Lebensort bei ihren leiblichen Eltern sein soll.

Um genau solche Entscheidungen auf eine bessere Grundlage zu stellen und in weiteren Punkten den Kinderschutz in Hamburg noch stärker zu machen, hat der Untersuchungsausschuss in großem

(André Trepoll)

Einvernehmen mehr als 30 Empfehlungen beschlossen. Auch hierfür möchte ich allen Beteiligten noch einmal herzlich danken.

(Beifall bei der SPD, vereinzelt bei der CDU und bei Finn-Ole Ritter FDP)

Auch weiterhin wird es eine wichtige Aufgabe sein, immer wieder zu prüfen, ob Kinder zurückkehren können und, wenn ja, daran zu arbeiten, dass Kinder wieder zu ihren leiblichen Eltern zurückkehren können. Dazu gehört ein guter Kontakt zu den Eltern, um deren Erziehungsfähigkeit wirklich zu stärken und stets einen Überblick über ihre Lebensverhältnisse zu behalten. Gerade deshalb lautet eine Empfehlung des Untersuchungsausschusses, diese Phase im Sinne der Entwicklung des Kindes zeitlich zu begrenzen, also nicht mehr viele Jahre darauf zu setzen, dass sich die Verhältnisse eventuell bessern könnten und damit Kinder auch noch, wenn sie größer sind, ihrer Lebenschancen zu berauben.

(Beifall bei der SPD)

Manchmal nämlich scheitern die Bemühungen und die Möglichkeiten von Eltern, einem Kind ein geschütztes, gesundes und liebevolles Zuhause zu bieten. Dann ist es Aufgabe des Jugendamtes, für das Kind nicht nur ein Pflegeverhältnis auf Zeit, sondern einen dauerhaften, neuen Lebensort zu finden. Diese beschleunigte Perspektivklärung für Pflegekinder zählt aus meiner Sicht zu den zentralen Empfehlungen des Untersuchungsausschusses, denn bei der Arbeit mit Familien muss im Spannungsfeld zwischen vertrauensvoller Zusammenarbeit und notwendiger Kontrolle der Schutzauftrag immer im Vordergrund stehen. Und es gibt Fälle, bei denen eben keine Rückkehr in die Herkunftsfamilie angezeigt ist. Herr Trepoll hat eben ein Beispiel genannt, wir haben in unseren Empfehlungskatalog auch aufgenommen, dass bei wiederholter Gewaltproblematik in der Herkunftsfamilie eine Rückkehroption ausgeschlossen werden können muss.

(Beifall bei der SPD)

Wenn im Schutzkonzept des Jugendamtes für ein Kind eine Kita die Aufgabe übernehmen soll, ein Kind besonders zu beobachten und zu betreuen, dann muss dieses schriftlich und verbindlich zwischen Jugendamt und Kita niedergelegt werden, damit jede Stelle künftig genau weiß, was ihre Rolle zum Schutz und zum Wohle eines Kindes ist. Auch diese Empfehlung geht zurück auf die Erfahrung im Fall von Yagmur, in dessen Verlauf nicht immer klar war, wer wann welche Aufgabe hatte und für was verantwortlich war.

Diese und alle weiteren Punkte sind teils kontrovers, aber immer in großer Sachlichkeit beraten und dann gemeinsam verabschiedet worden. Das ist auch ein Ergebnis dieses Untersuchungsausschusses.

(Beifall bei der SPD)

Das war der Auftrag des PUAs, und den haben wir erfüllt. Die Arbeit an diesen Empfehlungen war von sehr intensiver, aber auch fraktionsübergreifend von überaus kollegialer Zusammenarbeit geprägt. Hierfür möchte ich allen beteiligten Kolleginnen und Kollegen danken und vor allen Dingen Herrn Trepoll, der uns mit großer Geduld und Sachgerechtigkeit durch diesen Ausschuss und die vielen wirklich bedrückenden Befragungen geführt hat. Das war nicht immer einfach. Dafür meinen größten Respekt und meinen herzlichen Dank.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Die Empfehlungen sind ein umfangreicher und anspruchsvoller Arbeitsauftrag an Senat und Bürgerschaft. Wir alle haben die Verantwortung, uns für die Umsetzung der Empfehlungen stark zu machen und ihre Wirksamkeit im Blick zu behalten. Eines muss nämlich klar sein – und auch das war ein Ergebnis der Sachverständigenanhörungen im PUA –: Der Kinderschutz bleibt eine Daueraufgabe, und er duldet kein Nachlassen.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU, den GRÜNEN und der FDP)

Erlauben Sie mir noch eine Bemerkung zu den Pressemitteilungen, die heute von den Fraktionen, wie es denn immer so ist, ausgegangen sind. Nach wie vor – und wenn man den Bericht genau liest – gibt es für die Rücktrittsforderungen, die Sie äußern oder angekündigt haben, äußern zu wollen, überhaupt keine Grundlage in diesem Bericht. Das war auch nicht das Ergebnis der Arbeit, die der Untersuchungsausschuss geleistet hat. Insofern möchten wir die mit aller Entschiedenheit zurückweisen.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Leonhard. – Das Wort hat Frau Blömeke von der GRÜNEN Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! In der Tat, wir haben ein halbes Jahr intensiv in diesem PUA gearbeitet und uns mit dem schrecklichen Tod von Yagmur und dem Kinderschutz in Hamburg auseinandergesetzt.

(Präsidentin Carola Veit übernimmt den Vor- sitz.)

Und alle, die daran beteiligt waren, wissen – das wurde eben auch von den Vorrednern, Herrn Trepoll und Frau Leonhard, gut ausgeführt –, dass es richtig harte Arbeit war. Nicht nur, weil wir in so kurzer Zeit Ergebnisse produzieren mussten, sondern auch, weil dieser Fall emotional besonders anstrengend war für uns alle, die wir uns damit beschäftigt haben.

(Dr. Melanie Leonhard)

Natürlich will ich auch nicht versäumen, an dieser Stelle Herrn Jäger und seinem Arbeitsstab ganz herzlichen Dank zu sagen für die wirklich gute Aufarbeitung und die gute Zusammenarbeit, und das auch von unserer GRÜNEN Fraktion an Sie, die dort oben zuhören, und zur Weitergabe.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Wir haben gemeinsam, das ist richtig, die Erkenntnis gewonnen, dass es eine sich aufbauende Fehlerkette gab, die am Ende zum Tod von Yagmur geführt hat, an der viele Institutionen und Einrichtungen beteiligt waren, nicht nur Jugendämter und Behörde, sondern auch Familiengericht und Staatsanwaltschaft und viele andere Einrichtungen, die alle zusammen mit Yagmur befasst waren.

Aber erlauben Sie mir an dieser Stelle – ich stimme allen Ausführungen von Frau Leonhard zu, das ist die korrekte Darstellung unseres Untersuchungsausschusses; Herr Trepoll hat das auch dargestellt –, dass ich den Blick etwas politischer ausrichten möchte.

Wir haben gemeinsam gute Empfehlungen erarbeitet, damit der Kinderschutz in Hamburg weiter verbessert wird. Aber mit diesen gemeinsamen Empfehlungen sind längst noch nicht alle Probleme in Hamburg gelöst, und zwar insbesondere nicht die von den Jugendämtern. Gerade hier hat mir ein deutliches Signal aus der BASFI und von Senator Scheele gefehlt. Im Dezember haben wir die Bewertung des PUAs der Öffentlichkeit vorgestellt. Frau Leonhard, dazu gehörte auch die Forderung des Rücktritts von Andy Grote, dem Leiter des Bezirksamts Hamburg-Mitte, und die Aufforderung an Senator Scheele, er möchte in seiner Behörde aufräumen und Konsequenzen in der fachlichen Führung der Behörde ziehen. Denn eines wird in dem Abschlussbericht noch einmal erschreckend deutlich: Bereits lange vor Yagmurs Tod waren die massiven Probleme und die Personalnot in unseren Jugendämtern bekannt. Ganze Abteilungen wurden 2012 als nicht arbeitsfähig eingestuft. Gehandelt wurde aber erst nach dem Tod von Yagmur, und zwar erst aufgrund des Drucks durch die Ergebnisse im Untersuchungsausschuss, als Medien und Fachleute massiv an die Öffentlichkeit gegangen sind, um die Missstände noch einmal deutlich zu machen.

Das, verehrter Herr Senator Scheele, war einfach zu spät. Sie haben die hochproblematische Situation in den Jugendämtern verschlafen oder ignoriert, Herr Senator. Das war nicht hinnehmbar.

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU und der FDP)