Protokoll der Sitzung vom 26.10.2011

Es ist erst recht keine gute Nachricht, dass noch nicht einmal der Antrag der LINKEN überwiesen wird und dass wir bei Ihrem Gesetz nicht wissen, woher Sie das Geld nehmen wollen.

(Beifall bei der GAL und der LINKEN)

Das Wort bekommt Herr Dr. Schinnenburg.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Dieser Gesetzentwurf hat mehr Fehler als ein Hund Flöhe. Er ist finanziell unseriös, er ist verfassungsrechtlich bedenklich und vor allem ist er politisch falsch.

(Beifall bei der FDP)

Er ist finanziell unseriös aus zwei Gründen. Zunächst hatte die SPD versprochen – und tut es heute noch –, dass es eine volle Kompensation der wegfallenden Studiengebühren gäbe.

(Vizepräsidentin Kersten Artus übernimmt den Vorsitz.)

(Dr. Eva Gümbel)

Das ist falsch. Eine volle Kompensation bedarf laut Ausführung des Senats, dass es 39 Millionen Euro pro Jahr für die Hochschulen gibt. Die Hochschulen erhalten aber nur 37,8 Millionen Euro, weil von den 39 Millionen Euro 1,2 Millionen Euro an das Studentenwerk gehen. Das ist keine volle Kompensation.

Es wird noch schlimmer. Auf intensives Nachfragen im Haushaltsausschuss mussten Senator Tschentscher und Senatorin Stapelfeldt eingestehen, dass es keine Dynamisierung mehr gibt. Mit anderen Worten, wenn die Studentenzahlen steigen, gibt es nicht mehr Geld.

Gäbe es noch Studiengebühren, hätten die Hochschulen mehr Geld. Dies ist nicht nur finanziell problematisch, es ist auch ein Negativanreiz für Hochschulen, um zusätzliche Studenten zu werben.

Zudem gibt es, das wurde schon angedeutet, keine Gegenfinanzierung für die versprochenen 39 Millionen Euro. Das dürfte auch schwer werden. 39 Millionen Euro pro Jahr sind fast 0,4 Prozent des Haushalts. Der Haushalt soll insgesamt nur um 0,88 Prozent steigen. Das heißt, dieser Gesetzesentwurf verbraucht fast die Hälfte des Verteilungspotenzials des Gesamthaushalts. Etwa die gleiche Summe oder minimal mehr bleibt für Tarifsteigerungen und sonstige Kostensteigerungen, und zwar in allen Bereichen. Ich bin mir ziemlich sicher, das werden Sie nicht zusammenbekommen.

Frau Dr. Gümbel erwähnte schon das Prinzip "pay as you go". Frau Senatorin Stapelfeldt, denken Sie sorgfältig an diesen Satz und sehen Sie sich Ihren Haushalt genau an, denn "pay as you go" bedeutet, eine Kompensation im jeweiligen Haushalt zu finden. Strengen Sie sich an, Mittel zur Kompensation zu finden, sonst heißt es für Sie: "If you can't pay, you have to go".

(Beifall bei der FDP)

Ich komme zum zweiten Punkt: Der Gesetzesentwurf ist verfassungsrechtlich bedenklich.

(Lachen bei Arno Münster SPD)

Hören Sie zu, Herr Münster.

Aus Artikel 66 der Hamburger Verfassung folgt das Gebot der Haushaltstransparenz und der Vollständigkeit. Bereits im vierten Quartal 2012 gibt es nach diesem Gesetzesentwurf keine Studiengebühren mehr. Dafür wäre an sich im Haushaltsplan 2011/2012 die Summe von knapp 9 Millionen Euro einzustellen. Das passiert nicht, stattdessen wird diese Summe in den Haushalt 2013 eingestellt. Mit anderen Worten: Ausgaben für 2012 werden erst im Haushaltsplan 2013 veranschlagt. Das hat weder etwas mit Transparenz noch mit Vollständigkeit und Wahrheit zu tun. Es ist nichts anderes als eine verdeckte Kreditaufnahme für die Hochschulen und das ist verfassungsrechtlich bedenklich.

(Vereinzelter Beifall bei der FDP)

Zum dritten und wichtigsten Punkt: Die Abschaffung der Studiengebühren ist politisch falsch.

Erstens: Die Hochschulen brauchen Studiengebühren. Die öffentlichen Haushalte in Hamburg und auch anderswo können künftig für die Hochschulen nicht ausreichend Geld bereitstellen. In Hamburg gibt es nicht einmal volle Kompensation, geschweige denn irgendeine Art von Ausweitung der Finanzierung. Es gibt keine Belohnung für die Werbung zusätzlicher Studenten.

Zweitens: Studiengebühren sind, anders als Sie uns glauben machen wollen, sozial gerecht. So wie Sie es jetzt regeln, finanzieren Arbeiter die Ausbildung von Akademikern, die damit später ein höheres Einkommen generieren. Der Handwerksmeister zahlt viel für seine Ausbildung und darüber hinaus auch noch für das Studium des Sohnes oder der Tochter seines Nachbarn. Das ist nichts anderes als eine Umverteilung von unten nach oben, verursacht durch die SPD.

(Beifall bei der FDP)

Drittens: Studiengebühren halten nicht vom Studium ab. Herr Kleibauer wies zu Recht darauf hin, dass die Studentenzahlen in Hamburg trotz Studiengebühren steigen. Eine neue Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung – Sie können das in der "Süddeutschen Zeitung" vom 13. Oktober nachlesen – stellt erneut fest, dass Studiengebühren nicht vom Studium abhalten.

Ich habe mir erlaubt, den Senat zu fragen, ob die Einführung von Studiengebühren Einfluss auf die Studienabbrecherquoten hatte. Die Antwort des Senats in der Drucksache 20/828 war – ich zitiere –:

"Es ist nicht erkennbar, dass Studiengebühren Einfluss auf die Abbrecherquoten haben."

Das hat dieser Senat vor wenigen Monaten mitgeteilt.

In einer Schriftlichen Kleinen Anfrage hat der Kollege Kleibauer angefragt, ob es konkret zu den in Hamburg erhobenen Studiengebühren Erkenntnisse gibt. Der Senat antwortete in der Drucksache 20/374 – ich zitiere –:

"Zu den konkreten Auswirkungen der in Hamburg erhobenen Studiengebühren liegen dem Senat keine Untersuchungen und Daten vor."

Meine Damen und Herren! Dieser Senat entscheidet etwas ohne irgendeine Datengrundlage. Das ist nichts anderes als falsch und unseriös.

(Beifall bei der FDP)

Junge Leute werden nicht durch Studiengebühren, sondern durch ganz andere Dinge vom Studium abgehalten. Aufgrund der schlechten beruflichen Perspektive und unter anderem auch wegen des katastrophalen Systems der gesetzlichen Krankenversicherungen entscheiden sich beispielsweise immer weniger Abiturienten für ein Medizinstudium.

Viertens: Durch Ihren Gesetzesentwurf wird die Mitbestimmung der Studierenden an den Hochschulen stark eingeschränkt. Über die Verwendung der Studiengebühren konnten sie mitentscheiden, über das zusätzliche Budget nicht, zumindest werden Sie das nicht herbeiführen.

Ich komme zu folgendem Ergebnis: Die von Ihnen benannten vielen Fehler reichen für mehr als einen Hund, sie reichen für einen ganzen Flohzirkus. Unser Vorschlag wäre, die Studiengebühren beizubehalten und die angeblich vorhandenen 39 Millionen Euro zusätzlich den Hochschulen zu geben. Das wäre ein großer Sprung nach vorn für die Hamburger Hochschulen. Was Sie machen, ist ideologisch motivierter Unsinn. Die FDP-Fraktion lehnt diesen Gesetzesentwurf ab. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Das Wort hat Frau Heyenn.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Schinnenburg, Ihre Aussagen zu Studiengebühren hatten so viele Fehler, wie ein Hund Flöhe hat, um es einmal deutlich zu sagen.

(Beifall bei der LINKEN und bei Dr. Sven To- de SPD)

Das Thema Studiengebühren ist eng verbunden mit dem Thema Hochschulfinanzierung. Wir haben ausführlich in den Ausschüssen darüber diskutiert, dass sowohl die Universität als auch die Hochschulen unter einer jahrzehntelangen Unterfinanzierung leiden. Der Bürgermeister Ole von Beust hatte seinerzeit davon gesprochen, dass es einen Finanzierungsbedarf in Höhe eines erheblichen dreistelligen Millionenbetrags gebe. Daraus hatte die Senatorin Gundelach einen dreistelligen Millionenbetrag gemacht. Und die SPD-Regierung hat daraus gemacht: Die Hochschulen und die Universität bekommen mehr als vorher.

Es geht hier um den Unterschied zwischen brutto und netto. Brutto stimmt es, die Zahlen im Haushalt sind höher. Aber wenn man die Tarifsteigerungen, den Inflationsausgleich und die Mehrausgaben, die die Hochschulen und die Universität haben, abzieht, ist es netto einfach weniger. Daran ändert auch diese Vereinbarung nichts. Auch der Präsident bleibt dabei und sagt: Wir haben eine Unterfinanzierung. Dass die Studiengebühren ab

geschafft werden, ist richtig und gut. Es geht dabei aber nicht nur um Bildungsgerechtigkeit, sondern auch um einen emanzipatorischen Bildungsbegriff und darum, dass man die Ressourcen erweitert.

Dass wir diesem Entwurf nicht zustimmen, hat drei Gründe.

Erstens: Wenn man der Auffassung ist, die Studiengebühren müssten abgeschafft werden, dann hätte man schon früher damit beginnen müssen. Deshalb fordern wir die Abschaffung rückwirkend für dieses Semester.

(Beifall bei der LINKEN)

Einige werden jetzt sagen, eine rückwirkende Abschaffung sei nicht möglich, aber sie ist möglich. Wir haben in der letzten Sitzung beschlossen, das Fraktionsgesetz in der Weise zu ändern, dass die Zuschüsse an die Fraktionen rückwirkend erhöht werden. Also muss es auch hier gehen.

Zweitens: Wir sind der Auffassung, dass die Kompensation nicht vollständig ist. Das haben meine Vorrednerinnen und -redner auch deutlich gesagt. Wir wollen eine 100-prozentige Kompensierung der Studiengebühren.

Drittens: Angesichts der gesellschaftlichen Akzeptanz für das Ziel, dass jährlich mehr junge Leute ein Studium aufnehmen, wollen wir eine Dynamisierung der Zuschüsse an die Hochschulen. Die Finanzierung muss diesem Ziel gerecht werden und je mehr Studierende an den Hochschulen sind, desto höher muss auch Betrag ausfallen, den die Hochschulen bekommen.

(Beifall bei der LINKEN)

Aus diesen drei Gründen lehnen wir den Entwurf ab und haben einen eigenen Antrag gestellt. Ich sehe das mit Spannung und da hat Frau Gümbel recht: Die SPD wird ihrem Antrag selbst nicht zustimmen können, weil es keinen Finanzierungsvorschlag gibt.