Protokoll der Sitzung vom 22.11.2011

Meine Damen und Herren! Die Sitzung ist eröffnet. Ich darf Sie bitten, sich von Ihren Plätzen zu erheben.

(Die Anwesenden erheben sich von ihren Plätzen.)

Der November ist der Monat des Gedenkens: Volkstrauertag und Totensonntag, das Gedenken an die Progromnacht vom 9. November. Wir erinnern uns an grauenhafte und aus heutiger Sicht unvorstellbare und gänzlich unvergleichliche Vorgänge und Verbrechen. Unser einziger Trost bei diesen Erinnerungen ist, dass alles mehr als 60 Jahre zurückliegt, nicht vergessen, aber eben sehr lange her. So lange, dass es seither viel Zeit gab, um Verzeihung zu bitten, Wiedergutmachung zu leisten und sogar neue Freundschaften zu knüpfen.

Aber, nationalsozialistisches Gedankengut ist bis heute nicht aus allen Köpfen gewichen. Das ist uns in diesen Tagen schmerzhaft bewusst geworden.

Wir gedenken der wohl weit über hundert Menschen, die seit 1990 in Deutschland Opfer rechtsextremer Morde und Terrorakte wurden. Unsere ganze Anteilnahme gilt ihnen und ihren Angehörigen.

Wir haben erfahren müssen, dass es in Deutschland länger als zehn Jahre möglich war, eine Serie kaltblütiger, rassistisch motivierter Morde zu begehen. Wir, die Abgeordneten der Hamburgischen Bürgerschaft, sind entsetzt und es erfüllt uns mit Scham, dass in Deutschland wieder Menschen Opfer nationalsozialistischer Gesinnung geworden sind. Wir sind betroffen, denn wir, die wir hier und heute leben und Verantwortung tragen, müssen bekennen: Dies ist nicht ein schweres Erbe, sondern das ist jetzt passiert, und mitten unter uns sind wieder Menschen Opfer von Rassismus geworden.

Stellvertretend für alle Opfer nenne ich unseren Hamburger Mitbürger Süleyman Tasköprü, der mit seiner Frau und seinen Kindern hier mit uns lebte. Die Familie hatte sich eine kleine Existenz in Bahrenfeld aufgebaut, im Juni 2001 wurde der Vater erschossen, weil er türkischer Herkunft war.

Wir im Hamburger Parlament und fast alle Menschen in unserem Land sind uns einig darüber, dass derartige terroristische Gewalttaten verabscheuungswürdig und – wenn möglich – hart zu bestrafen sind. Wir möchten wissen, wie es möglich war, dass die Mordserie so viele Jahre unentdeckt bleiben konnte. Wir sagen: Die Sicherheitsbehörden müssen nicht nur diese Verbrechen, sondern auch ihre eigenen Versäumnisse schnell und lückenlos aufklären.

Aber wir würden es uns zu einfach machen, viel zu einfach, wenn wir nur mit den Fingern auf eine Handvoll verblendeter Gewalttäter zeigen würden, diese dann möglichst zügig wegschlössen, um danach zur Tagesordnung überzugehen. Rechtsextreme sind keine unerklärlichen Besonderheiten und keine Naturgewalt aus Zwickau. Es gibt seit Jahrzehnten Studien zum Thema Ausländerfeindlichkeit. In einer der neuesten aus dem vergangenen Herbst stimmte fast ein Drittel der Befragten der These zu, die Bundesrepublik sei durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet. Wäre das dann jeder dritte Nachbar, jede dritte Lehrerin, jeder dritte Hilfsarbeiter, jeder dritte Politiker, jede dritte Polizistin und jeder dritte Journalist?

Meine Damen und Herren! Die Hamburgerinnen und Hamburger haben uns nicht gewählt, damit wir in einer solchen Situation nur Gedenkreden halten und beschämt die Häupter senken. Wer, wenn nicht wir Politikerinnen und Politiker, wäre dazu bestimmt, zu handeln statt nur zu reden? Der Schweigemarsch vom vergangenen Sonnabend ist auch eine Aufforderung an uns.

Es war ein erster und wichtiger Schritt, dass sich der Senat mit Vertreterinnen und Vertretern der Migrantenverbände zusammengesetzt hat, um über das weitere Vorgehen zu sprechen. Wir müssen bereit sein, unseren Beitrag zu leisten, wenn es darum geht, die Strukturen und die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden hier in Hamburg kritisch zu durchleuchten. Ebenso müssen wir gemeinsam hinterfragen, ob die bisherigen Anstrengungen ausgereicht haben, um den rechten Terror erfolgreich zu bekämpfen. Haben wir als Hamburgische Bürgerschaft in der Vergangenheit die richtigen Wege gefunden, rassistischem und nationalsozialistischem Gedankengut entgegenzutreten? Ich erinnere an die "Nacht der Jugend", die erst vor wenigen Tagen in unserem Rathaus stattfand und von rund 2500 Menschen besucht wurde. Dort haben Jugendliche sich auf künstlerische und praktische Weise mit der Bedeutung von Demokratie, Zivilcourage und unserer Erinnerungskultur auseinandergesetzt. Ich denke auch an die vielen Veranstaltungen, eindrucksvollen szenischen Lesungen und Ausstellungen zum Internationalen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, gegen das Vergessen, für das Erinnern. Aber wir müssen uns fragen, ob wir daneben noch ganz andere Wege gehen und finden müssen.

Und, meine Damen und Herren, gestatten Sie mir zu diesem besonderen Anlass auch einmal ein ansonsten ganz unübliches Wort in Richtung Pressetribüne. Schlagworte und reißerische Formulierungen sind manchmal einfach fehl am Platz und werden dem Geschehen nicht gerecht. Es hat in Deutschland keine "Döner-Morde" gegeben, keinen einzigen. Hier sind Menschen umgebracht

worden, voller Hass, grausam und aus rassistischen Motiven.

Meine Damen und Herren! Der Tod all dieser Menschen wird und muss uns eine Mahnung und dringende Aufforderung sein, weiterhin unnachgiebig gegen Intoleranz, Hass und Unrecht einzustehen und uns für mehr Zivilcourage und ein menschliches Miteinander einzusetzen, damit der rechte Terror aufhört. In unserem Land ohne Angst verschieden sein zu können, dieses Ziel, vom damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau so treffend formuliert, gilt mehr denn je. – Vielen Dank.

Meine Damen und Herren! Bevor wir nun in die heutige Tagesordnung eintreten, möchte ich Ihnen mitteilen, dass die Fraktionen abweichend von der Empfehlung des Ältestenrats vereinbart haben, die Tagesordnung um sechs weitere Punkte zu ergänzen. Es handelt sich dabei um die Anträge der FDP-Fraktion aus den Drucksachen 20/2330 bis 20/2334 sowie den Antrag der GAL-Fraktion aus Drucksache 20/2338, die nachträglich in die Tagesordnung aufgenommen worden sind.

Wir kommen nun zum Haushaltsplan-Entwurf 2011/2012 und damit zur

Generaldebatte

Mitbehandelt werden die Einzelpläne 1.0, 1.1, 1.2 bis 1.8, 9.1 und 9.2.

[Bericht des Haushaltsausschusses über die Drucksachen: 20/700: Haushaltsplan-Entwurf und Haushaltsbeschluss-Entwurf der Freien und Hansestadt Hamburg für die Haushaltsjahre 2011 und 2012

sowie über die Drucksachen

20/591: Ergänzung des Haushaltsplan-Entwurfs 2011/2012 nach § 32 Landeshaushaltsordnung

20/592: Ergänzung des Haushaltsplan-Entwurfs 2011/2012 nach § 32 Landeshaushaltsordnung (LHO) und Erweiterung der "Bepackung" der Vorläufigen Haushaltsführung für 2011 – insbesondere für das Kita-Sofortpaket – hier: Ziffer 2 des Petitums

20/593: Ergänzung des Haushaltsplan-Entwurfs 2011/2012 nach § 32 Landeshaushaltsordnung und Erweiterung der "Bepackung" der Vorläufigen Haushaltsführung für 2011 hier: Ziffer 2 des Petitums

20/1063: Ergänzung des Haushaltsplan-Entwurfs 2011/2012 nach § 32 der Landeshaushaltsordnung (LHO) – Wirtschaftsplan des Landesbetriebes Erziehung und Berufsbildung – und Erweiterung der "Bepackung" der Vorläufigen Haushaltsführung für 2011

20/1315: Ergänzung des Haushaltsplan-Entwurfs 2011/2012 nach § 32 Landeshaushaltsordnung

20/1386: Unterrichtung der Bürgerschaft nach § 10 Absatz 2 Landeshaushaltsordnung hier: Einstellung der Beteiligung Hamburgs am Europäischen Fischereifonds (EFF) Förderperiode 2007–2013

20/1387: Ergänzung des Haushaltsplan-Entwurfs 2011/2012 nach § 32 Landeshaushaltsordnung und Erweiterung der "Bepackung" der Vorläufigen Haushaltsführung für 2011, Einzelplan 6 "Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt" 6800.720.01 "Neubau der NationalparkStation Neuwerk"

20/1542: Zusammenführung des Amtsgerichts Hamburg-Wandsbek am Standort des historischen Hauptgebäudes in der Schädlerstraße Ergänzung des Haushaltsplan-Entwurfs 2011/2012 nach § 32 der Landeshaushaltsordnung und Erweiterung der Vorläufigen Haushaltsführung für 2011

20/1633: Ergänzung des Haushaltsplan-Entwurfs 2011/2012 nach § 32 Landeshaushaltsordnung hier: Umsetzung der Neustrukturierung der Behörden

ferner über die Drucksachen

20/51: Bericht nach § 99 LHO zur Haushaltslage 2011 der Freien und Hansestadt Hamburg

20/594: Unterrichtung der Bürgerschaft über die Ergebnisse der Mai-Steuerschätzung 2011 – Drs 20/1400 –]

[Bericht des Haushaltsausschusses über die Drucksachen: 20/700: Haushaltsplan-Entwurf und Haushaltsbeschluss-Entwurf der Freien und Hansestadt Hamburg für die Haushaltsjahre 2011 und 2012

20/1634: Haushaltsplan-Entwurf 2011/2012 – Ergänzung für die Haushaltsjahre 2011 und 2012 Veranschlagung eines Haushaltsvermerks bei 9800.536.56 (Zentral veranschlagte Folgekosten für Investitionen der Informationstechnik) über eine einseitige Deckungsfähigkeit zugunsten

(Präsidentin Carola Veit)

9800.812.56 (Global veranschlagte Investitions- ausgaben für Informations- und Kommunikati- onstechnikmaßnahmen/IT-Globalfonds)

20/1863: Ergänzung des Haushaltsplan-Entwurfs 2011/2012 nach § 32 Landeshaushaltsordnung, Einzelplan 6 "Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt", Titel 6700.682.01 "Zuschuss zu den Betriebskosten Wasserkunst Kaltehofe" Ansatzänderung und Veranschlagung einer Verpflichtungsermächtigung – Drs 20/1800 –]

Das Wort zur Generaldebatte hat Herr Wersich.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst will auch ich für meine Fraktion ein Wort zu den schlimmen Anschlägen auf das friedliche Zusammenleben in unserem Land sagen, die auch unsere Stadt nicht unberührt gelassen haben.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Es hätte uns auch interessiert, was der Oppositionsführer dazu sagt!)

Unser Mitgefühl gilt in besonderer Weise den Hinterbliebenen der von skrupellosem Hass und Rassismus getriebenen Morde. Wir brauchen jetzt die rückhaltlose Aufklärung aller Umstände und dann wirksame Konsequenzen. Für uns als CDU ist klar, dass unsere Sicherheitsbehörden und der Verfassungsschutz nicht geschwächt werden dürfen, sondern dass sie gestärkt werden müssen, damit wir derartigen Terror mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpfen können.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren! Vor uns liegt der Doppelhaushalt für die Jahre 2011 und 2012. Er ist vielleicht der ungewöhnlichste Haushaltsplan-Entwurf, den die Bürgerschaft je zu beschließen hatte. Der Entwurf stammt noch zu großen Teilen vom CDU- und GAL-Senat. Er wurde im Sommer 2010 unter dem Eindruck der schwersten Weltwirtschaftskrise seit mehr als 80 Jahren aufgestellt. Seitdem hat sich viel verändert, und Deutschland ist wieder stark. Der neue Senat hat in den vergangenen Monaten wesentliche Änderungen vorgenommen, und jetzt bei Beschlussfassung ist das erste Haushaltsjahr 2011 bereits fast abgelaufen. Manche Ihrer Änderungen sind gut, doch werden Sie das sicherlich selbst ausführlich loben, insofern bitte ich um Verständnis, wenn ich mich auf die kritischen Anmerkungen konzentriere.

Als Erstes fällt auf, dass Sie uns einen Haushalt vorlegen, der in 2011 und 2012 mehr Defizit vorsieht, als in den schlimmsten Krisenjahren 2009 und 2010 und das, obwohl wir Milliarden Euro Mehreinnahmen haben. Schon dies ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Armutszeugnis für die

SPD, für ihren Senat und für den Bürgermeister Olaf Scholz.

(Beifall bei der CDU)

Doch wenn wir genauer hinsehen, dann erkennt jeder, dass dieser Haushalt 2011 hinten und vorn nicht mit den Realitäten in Hamburg übereinstimmt. Die Ausgaben im laufenden Haushaltsjahr liegen bisher mit mehr als 200 Millionen Euro niedriger. Offenbar diszipliniert die Vorläufige Haushaltsführung, und offenbar wirken auch die Konsolidierungsbeschlüsse des alten Senats, soweit Sie sie nicht zurückgenommen haben. Vor allem aber sind die vielen ausgabenwirksamen Wohltaten, wie das millionenschwere Kita-Paket, bislang nur anteilig wirksam geworden oder anderes, wie die Abschaffung der Studiengebühren ist noch gar nicht in Kraft getreten. Gleichzeitig treibt die außerordentlich starke wirtschaftliche Erholung die Steuereinnahmen in die Höhe. Die November-Steuerschätzung für das laufende Jahr ergibt gut 1 Milliarde Euro mehr, als die Steuerschätzung vom Mai 2010, auf deren Basis wir den Haushalt im vorigen Herbst aufstellen mussten. Diese Entwicklung zeigt aber auch, dass es nicht Steuererhöhungen sind, die den Haushalt entlasten, sondern dass kluge Politik unsere Wirtschaftskraft stärkt. Das hilft dem Haushalt.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren! Alles in allem kann in diesem Jahr das Defizit mehr als 1 Milliarde Euro geringer ausfallen, als auf dem Höhepunkt der Krise befürchtet. Für uns ist klar, dass diese Mehreinnahmen nicht für neue Ausgaben verbraucht werden dürfen. Sie müssen in die Senkung der Neuverschuldung fließen, alles andere wäre unverantwortlich.

(Beifall bei der CDU)

Der Senat fordert trotzdem von der Bürgerschaft heute eine Ermächtigung für die Aufnahme von 650 Millionen Euro neue Schulden noch in diesem Jahr und das, obwohl dem Senat noch eine Ermächtigung von mehr als 1,2 Milliarden Euro aus dem vorigen Jahr vorliegt. Werte Kollegen von der SPD, zeigen Sie Rückgrat auch als Regierungsfraktion, sorgen Sie mit uns dafür, dass im Interesse Hamburgs dem Senat heute keine BlankoSchuldenschecks ausgestellt werden.