Protokoll der Sitzung vom 24.11.2011

Noch eins hat die Ausschussberatung deutlich gemacht. Die verschiedenen Träger weisen signifikante Unterschiede bei den Vermittlungserfolgen auf. Ohne Zweifel müssen wir die Träger fair behandeln. Die Vermittlungserfolge hängen mit den Projekten und Teilnehmern der Maßnahmen zusammen. Wir brauchen also eine sorgfältige Analyse der Ursachenzusammenhänge, aber wir brauchen genauso ein wirksames und transparentes Träger-Benchmarking, denn die Träger können immer nur Instrument für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen und Qualifikationen sein, niemals Selbstzweck.

(Beifall bei der FDP)

Herr Scheele, Sie haben in der Ausschusssitzung am 20. Oktober 2011 von Ihrem Besuch bei einem stadtteilbezogenen Projekt berichtet und dabei sehr anschaulich und persönlich dargestellt, was in der Praxis falsch läuft. Ich zitiere aus dem Protokoll der Ausschusssitzung:

"Die Träger dürften aber nicht den Eindruck erwecken, dass der Arbeitslose unverzichtbar sei und ohne ihn das Stadtteilprojekt nicht aufrechtzuerhalten sei. Für den Betroffenen habe es dann den Anschein, er befinde sich in einem echten, dauerhaften Beschäftigungsverhältnis. Dieses sei aber falsch."

Weiter Zitat Senator Scheele:

"Die Betroffenen – mit Mehrfach-AGH – würden auf diese Weise quasi eingesperrt. Ihnen werde suggeriert, dass das Projekt ohne sie zum Scheitern verurteilt sei und sie nicht aus ihrem Stadtteil heraus könnten. Die Betroffenen würden dadurch entmutigt. Schuld seien die AGH und der Träger. Das müsse zukünftig verhindert werden."

Ende des Zitats.

Herr Senator, gute Analyse und aus der Praxis gewonnen. Wir teilen diese Einschätzung.

(Beifall bei der FDP)

Nur leider, Herr Scheele, haben Sie bis jetzt nicht die erforderlichen Konsequenzen gezogen. Daher fordern wir Sie erneut auf: Stärken Sie das Controlling der Träger, schaffen Sie ein wirksames und transparentes Träger-Benchmarking, sorgen Sie für eine wirksame Evaluation der einzelnen arbeitsmarktpolitischen Programme, fahren Sie die Arbeitsgelegenheiten weiter zurück, beschleunigen Sie stattdessen die Vermittlungsbemühungen in den ersten Arbeitsmarkt, etwa durch mehr Tempo beim Abschluss von Eingliederungsvereinbarungen, stärken Sie den Aspekt der Qualifikation und heben Sie in Zeiten des Fachkräftemangels Beschäftigungsressourcen durch gezielte Maßnahmen für ältere und behinderte Arbeitslose, Langzeitarbeitslose in besonderen Problemlagen und Arbeitslose mit Migrationshintergrund. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Das Wort bekommt Herr Hackbusch.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Kluth, was Sie uns hier eben dargestellt haben, war ein kräftiges Zeichen von sozialer Kälte und Ignoranz.

(Dr. Thomas-Sönke Kluth)

(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der FDP: Oh!)

Es geht nicht darum, eine allgemeine Debatte über die Agenda 2010 wiederaufzunehmen, es geht nur um das, was Schwarz-Gelb gegenwärtig auf Bundesebene macht und was von der SPD häufig dargestellt worden ist.

(Vizepräsidentin Dr. Eva Gümbel übernimmt den Vorsitz.)

Ich will es noch einmal prägnant zusammenfassen. Schwarz-Gelb kürzt die Mittel für Hartz-IV-Empfänger und Langzeitarbeitslose um 24 Prozent mit dem Hinweis, die Zahl der Hartz-IV-Betroffenen nehme doch auch ab. Diese sinkt in der Zeit um 4 Prozent. Stellen Sie sich vor, was Sie für zusätzliche soziale Katastrophen auslösen.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der GAL – Zuruf von Dr. Thomas-Sönke Kluth FDP)

Das sind nicht irgendwelche Menschen am Rande dieser Gesellschaft. 25 Prozent der Kinder in unseren Schulen in Hamburg haben einen Bezug zu Hartz IV. Dort kürzen Sie noch einmal, das ist sozial unmöglich.

(Beifall bei der LINKEN und der GAL und bei Dr. Martin Schäfer und Dr. Isabella Vértes- Schütter, beide SPD)

Die Kürzungen wirken sich in Hamburg auf die Art und Weise, wie wir Arbeitsmarktpolitik machen können, aus. Das ist oft genug von Herrn Scheele dargestellt worden. Mein Gesicht würde an Ihrer Stelle, Herr Scheele, immer gelber werden, wenn ich mir das Lob, das Sie von Herrn Kluth bekommen haben, noch einmal genauer durch den Kopf gehen lassen würde. Das zeigt, dass irgendetwas schiefgelaufen ist.

(Finn-Ole Ritter FDP: Sie hauen immer nur drauf! Keine Vorschläge!)

Was ist schiefgelaufen und was ist das Problem? Wir wollen uns das noch einmal genauer anschauen. Herr Kluth hat ja eine richtige Kritik angebracht, um das positiv aufzunehmen. Er hat völlig zu Recht dargestellt, dass die Ein-Euro-Jobs nicht nur politisch falsch und menschenunwürdig in ihren Zwangsmaßnahmen sind, sondern auch arbeitsmarktpolitisch nicht wirken. Das ist völlig richtig. Wir sind diejenigen, die sich schon lange dafür einsetzen, dass Ein-Euro-Jobs abgeschafft werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Warum aber gibt es plötzlich innerhalb der Stadtteile solch einen Streit darüber? Das liegt doch daran, dass Ein-Euro-Jobs nicht nur ein arbeitsmarktpolitisches Instrument zur Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt sind, sondern dass wir es hier mit einem sozialen Arbeitsmarkt zu tun haben, der keinen festen Boden unter den Füßen hat,

dass es Massen von Menschen gibt – immerhin haben 25 Prozent unserer Kinder einen Bezug zu Hartz IV –, die gegenwärtig in der normalen Arbeitswelt keinen Job bekommen. Darauf müssen wir doch als Erstes reagieren, wir müssen diesen Menschen doch soziale Sicherheit und eine Perspektive geben. Das verlangen wir, und das haben Sie, meine Damen und Herren von der SPD, vor den Wahlen versprochen.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber das ist nur die eine Seite. Auf der anderen Seite müssen wir nämlich feststellen, dass die sozialen Träger in den Stadtteilen den Wegfall dieser Art von Arbeit, auch wenn sie gar nicht zu ihnen passt, nicht verkraften und wir wichtige soziale Infrastruktur in dieser Stadt verlieren. Wir haben das Problem schon am Beispiel Wilhelmsburg dargestellt und an Steilshoop; man kann unheimlich viele Beispiele nennen. Sie wissen das doch auch, das ist doch zum Teil Ihr sozialdemokratisches Herz. Wie sollen denn die Bürgerhäuser in weiten Bereichen noch existieren, wenn sie diese Arbeitskräfte nicht haben? Für wichtige soziale Infrastruktur brauchen wir nicht nur ein Haus, wir brauchen auch Menschen, die dort arbeiten und die von der Stadt dafür tariflich bezahlt werden, statt arbeitslose Menschen dort unterzubringen, die gar nicht dahin passen.

(Finn-Ole Ritter FDP: Ich habe doch gesagt, das ist ineffektiv! Sie haben es aufrechter- halten!)

Dieses Problem muss man lösen, weil diejenigen, die gegenwärtig in Ein-Euro-Jobs dort tätig sind, nicht nur die Einrichtung aufrechterhalten – meinetwegen das Bürgerhaus Neu-Allermöhe –, sondern auch diejenigen sind, die eine Basis für ehrenamtliche Aktivitäten schaffen und den Leuten überhaupt erst eine Möglichkeit geben, sich dort zu organisieren. Selbstorganisation von Stadtteilen wird nicht mehr stattfinden in dem Augenblick, wo diese Stellen wegbrechen. Sie zerstören soziale Infrastruktur, wenn diese Bereiche verschwinden, und das darf nicht passieren.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der GAL)

Das Ärgerliche an sozialer Infrastruktur ist, dass man sie schwer messen kann. Schlaglöcher bemerken Sie alle unmittelbar und werden ganz unruhig, weil es dann im Auto rummst. Schlaglöcher spürt man, darüber kann die Bildzeitung lecker was schreiben, das ist etwas Normales. Wenn die soziale Infrastruktur wegbricht und die Leute nicht mehr aus ihren Häusern rauskommen, wenn soziale Aktivität nicht mehr stattfindet…

(Finn-Ole Ritter FDP: Und das wissen nur Sie, oder was? Sie sind die einzigen Gut- menschen dieser Welt!)

Wir sind diejenigen, die sich darum kümmern, Herr Ritter. Wir machen das gern mit Ihnen zusammen. Wir können sofort ein Programm aufstellen. Ich bin nicht jemand, der alles für diese Menschen machen will. Wir verlangen, dass es in dieser Stadt und besonders in sozialen Brennpunkten Möglichkeiten gibt, wo Menschen sich treffen können, wo sie sich organisieren können, wo sie ihre Forderungen stellen können. Wenn wir diese Räume nicht mehr schaffen, wenn wir die gegenwärtige Situation nicht verändern, dann werden wir hier Londoner beziehungsweise britische Verhältnisse bekommen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir werden uns in diesem Bereich gemeinsam anstrengen müssen. Weil diese Frage so wichtig ist und weil man Risse in der sozialen Infrastruktur zunächst nicht sieht, haben wir den Schwerpunkt unserer Forderungen für diesen Haushalt darauf gelegt.

(Finn-Ole Ritter FDP: 500 Millionen Mehr- ausgaben!)

Wir sind der Meinung, dass wir an diesem Punkt – es fiel heute schon einmal der Satz – von Bremen lernen sollten,

(Finn-Ole Ritter FDP: Bremen ist ein gutes Beispiel!)

wo genau diese Situation diskutiert wurde und man sich für die Aufrechterhaltung der sozialen Infrastruktur eingesetzt hat. Wir müssen richtige Arbeitsplätze schaffen, um eine soziale Infrastruktur aufrechtzuerhalten, und um Menschen, die im normalen Arbeitsmarkt gegenwärtig nicht unterkommen – und da gibt es etliche von – eine Perspektive zu geben. Sie sind deswegen so wichtig – und da appelliere ich auch an Sie, Herr Ritter, vielleicht merken Sie das einmal –, weil sie im Wesentlichen die Väter von den 25 Prozent Kindern mit Hartz-IVBezug sind;

(Finn-Ole Ritter FDP: Ich bin der Vater da- von! Alles klar!)

das ist viel. Wenn Sie sich darum nicht kümmern, wenn Sie diese Menschen abschreiben, dann verlieren wir die Zukunft unserer Gesellschaft. Sie werden es nicht lernen, glaube ich. – Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Senator Scheele hat das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir haben am 31. August, wie wir es zugesagt haben – die BASFI, die Agentur für Arbeit, die das meiste zwischenzeitlich finanziert, und Jobcenter team.arbeit.hamburg –, ein Arbeitsmarktprogramm vorgelegt, das zwei Ziele ver

folgt. Wir möchten den Fachkräftebedarf in dieser Stadt decken, denn wir werden bis 2020 Hunderttausend Menschen zu wenig haben, die den Wohlstand dieser Stadt mehren können,

(Katja Suding FDP: Gut erkannt!)

und wir möchten gleichzeitig niemanden zurücklassen. Wenn man nicht beide Ziele verfolgt, kommt es zu dem Furchtbarsten, was es am Arbeitsmarkt gibt. Man hat eine hohe Arbeitslosigkeit und gleichzeitig eine nicht gelöste Arbeitskräftenachfrage. Deshalb setzen wir gleichberechtigt auf beide Seiten, auf die Seite derjenigen, die weit vom Arbeitsmarkt entfernt sind sind, um keinen zurückzulassen, und auf die Seite derjenigen, die schnell in den Arbeitsmarkt hineinkommen, um den Fachkräftebedarf für die Hamburger Wirtschaft jetzt und in Zukunft zu decken.