Protokoll der Sitzung vom 15.12.2011

Die GAL-Fraktion möchte beide Anträge an den Schulausschuss überweisen. – Herr Scheuerl, Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Kollegen, sehr geehrter Herr Rabe! Ich begrüße Sie zur letzten Debatte dieses Bürgerschaftsjahres zu einem Thema, das trotz des späten Abends spannend genug ist, einen würdigen Abschluss zu bieten und uns auch im nächsten Jahr noch beschäftigen wird. Es geht um die Gewährleistung der Freiwilligkeit von Ganztagsschulangeboten in Hamburg. Das ist ein Thema, das draußen in der Stadt sehr, sehr viele Menschen, alle Eltern und Lehrer beschäftigt.

Ich möchte, wie es so oft im letzten Jahr von anderen Rednern getan wurde, mit einem Zitat beginnen. Ich möchte Herrn Senator Rabe zitieren. Er hat im "Hamburger Abendblatt" vom 8. November gesagt:

"Wer Schulfrieden zweitens ernst nimmt, darf nicht jede reformpädagogische Sau durchs Dorf treiben."

Herr Rabe treibt das Borstenvieh so schnell durch die Stadt, dass er nicht hinterherkommt.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Alle, die die Diskussion nicht verfolgen, weil sie keine eigenen Kinder oder keinen Bezug zu Schulen haben, bitte ich, sich einmal folgendes Phänomen vor Augen zu führen: Herr Rabe steht jetzt allein auf dem Dorfplatz. Alle haben sich von ihm verabschiedet. Die zuständigen Elterngremien haben sich von seinen Ganztagsschulplänen verabschiedet. Der Landeselternausschuss im Kita-Bereich sagt: Herr Rabe, so nicht, dieses Projekt Ganztagsschule, so, wie Sie das umsetzen, ist chaotisch geplant, schlecht für die Kinder und führt zu Verschlechterungen; wir machen das nicht mit. Die Elternkammer für den Schulbereich sagt dasselbe. In einer Stellungnahme vom 13. Dezember sagt sie: Herr Rabe, so nicht, sie fahren dieses Projekt an die Wand und machen es zu schnell. Genauso die Träger. SOAL sagt: So nicht. Auch der Paritätische Wohlfahrtsverband hat schon gesagt, dass er den Rahmenvertrag in dieser Fassung nicht unterschreibe. Das heißt, Herr Rabe steht im Moment mit seiner Planung allein da.

Gegenstand unseres Antrags ist, sicherzustellen, dass die Eltern freiwillig entscheiden können, ob sie an solchen Ganztagsschulangeboten teilnehmen, und dass vor allem Ganztagsschulen nur dort genehmigt werden, wo sichergestellt ist, dass den Eltern in zumutbarer Entfernung für ihre Kinder auch ein Halbtagsangebot zur Verfügung steht, denn die Freiwilligkeit als oberstes Recht der Eltern, über die schulische Bildung ihrer Kinder zu entscheiden, muss gewährleistet sein.

(Kai Voet van Vormizeele)

Jetzt komme ich zu einem spannenden Punkt. Wie sieht die Freiwilligkeit aus, die Herr Rabe meint? Sie erinnern sich vielleicht an seine Rede, in der er vor einigen Wochen sagte: Herr Scheuerl, wir machen das freiwillig, wir machen das freiwillig, wir machen das freiwillig. Er sagte es dreimal, man dachte schon, die Platte hat einen Sprung. Er hat es bis ins Radio damit geschafft, Radio Hamburg hat es gesendet.

Was ist Freiwilligkeit? Ein Beispiel, das zeigt, wie es auch in anderen Schulen läuft, bietet die Schulkonferenz der Schule Rellinger Straße. Sie ist heute schon als Muster- und Modellschule genannt worden von Frau von Berg. Was ist in der Schule Rellinger Straße passiert mit Blick auf die Ganztagsschulangebote? Es hat eine Elternbefragung gegeben – so weit, so gut. Es wurde angeboten die gebundene Ganztagsschule oder GBS, Nachmittagsbetreuung Hort.

Eine Mehrheit von 114 Eltern hat gesagt, wir wollen GBS, 102 Eltern waren für Ganztagsschulen. Die Schulkonferenz hat getagt. Was ist passiert? 10 : 2 ist gegen die Mehrheit der Eltern entschieden worden, und 10 : 2 ist die Entscheidung für die Ganztagsschule ausgegangen. Jetzt schreibt die stellvertretende Schulleiterin, auf Facebook öffentlich nachzulesen, das müssen Sie sich wörtlich auf der Zunge zergehen lassen – ich zitiere –:

"Ihr vergesst, dass nicht nur Eltern, sondern auch Lehrkräfte, Leitung, Kinderkonferenzvertreterinnen und nichtpädagogisches Personal abstimmen. Im Übrigen wurde die knappe Elternmehrheit pro GBS im Abstimmungsverhalten der Elternvertreterinnen abgebildet."

Die hatten nämlich 2 : 2, weil sie ja zerstritten waren, abgestimmt. Und was verkündet die Schulleitung auf der Webseite der Schule neuerdings:

"Die Schulkonferenz hat nach eingehenden Beratungen und Umfragen unter Eltern, LehrerInnen und SchülerInnen abgestimmt. 10 Stimmen waren für die gebundene Ganztagsschule, 2 für ganztägige Bildung und Betreuung an Schulen. Damit ist der weitere Weg klar: Auf in die Ganztagsschule."

(Lars Holster SPD: Wollen Sie die Schulkon- ferenzen abschaffen?)

Herr Senator Rabe, wenn Sie lächelnd dabei zusehen, wie Schulleiter, Lehrkräfte, Hausmeister und minderjährige Kinder unter dem Druck ihrer Klassenlehrer die Mehrheit der Eltern bei der Wahl der Schulform für ihre Kinder überstimmen, dann ist das nicht freiwillig, wie Sie das nennen, sondern zynisch.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Lars Holster SPD: Kommen Sie mal zu Ihrem An- trag!)

Wer so etwas freiwillig nennt – und deswegen müssen wir die Freiwilligkeit garantieren – wie Herr Rabe, der missachtet vorsätzlich den Willen von Tausenden Eltern, der Lehrer- und Elternkammer als Vertretungsgremien, der verantwortlichen Gremien und zuständigen Träger.

Meine Damen und Herren! Stimmen Sie unserem Antrag zu, und stimmen Sie für echte Freiwilligkeit. Das bedeutet Freiwilligkeit im Sinne eines individuellen Rechtes der Eltern, auch ein Halbtagsangebot für ihre Kinder in der Nähe wählen zu können. So, wie Herr Rabe es im Moment plant – er möchte 2013 flächendeckend die Ganztagsschule eingeführt haben –, geht es nicht. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei Finn-Ole Ritter FDP)

Das Wort hat Herr Holster.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Scheuerl, Sie haben in Ihrem Antrag intensiv die Position der SPD studiert; hätten Sie mal auch die Position der CDU Hamburg studiert. In Ihrem Wahlprogramm steht, dass Sie die Schulstandorte entsprechend den Anforderungen einer längeren Lern- und Aufenthaltszeit ausbauen und parallel in allen Schulformen nachfrageorientierte weitere Ganztagsschulen schaffen wollen. Was wollen Sie denn nun eigentlich?

(Dietrich Wersich CDU: Vorlesen können Sie ja, aber können Sie auch verstehen?)

Sie fordern den Senat mit Ihrem Antrag auf, die Genehmigung von Ganztagsschulen einzuschränken. Das ist mit der SPD nicht zu machen.

(Beifall bei der SPD – Glocke)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Heinemann? Sie wird nicht auf die Redezeit angerechnet.

Natürlich.

Herr Holster, erklären Sie mir doch bitte den Unterschied zwischen nachfrageorientiert und freiwillig. Nachfrage ist doch gerade freiwillig.

Wenn die Eltern, die Schule und die Schulkonferenz entscheiden, dass eine Schule in Hamburg eine Ganztagsschule werden möchte, dann wird die Schule Ganztagsschule.

(Beifall bei der SPD und bei Dr. Stefanie von Berg GAL)

(Dr. Walter Scheuerl)

Diese demokratischen Prozesse in einer Schule werden wir als SPD nicht beschneiden.

(Beifall bei der SPD und bei Dr. Stefanie von Berg GAL)

Man muss das Ganze ein bisschen sortieren, Herr Scheuerl. Sie reden von GBS an den Grundschulen, und von Ganztagsschulen haben Sie nicht weiter gesprochen. Sie wollen nämlich die Ganztagsschulen der Stadtteilschulen beschneiden. Wie soll man sich das eigentlich vorstellen? Man nimmt eine große Hamburg-Karte, und in einigen Bezirken darf die und die Stadtteilschule Ganztagsschule werden und die andere eben nicht? Und wenn wir zu viele Grundschulen auf einem Haufen haben, die Ganztagsschule sind, dann drehen wir das Ganze zurück? Das kann es doch nicht sein, Herr Scheuerl. So wird das nicht funktionieren.

(Beifall bei der SPD)

Beim letzten Punkt muss ich Ihnen recht geben. Sie fordern die Flexibilität der Hortangebote an den Grundschulen – richtig, aber nicht zu Ende gedacht. Sie haben eben gesagt, dass Ihnen egal sei+, wie die Lehrer, das nichtpädagogische Personal und vor allen Dingen die Schülerinnen und Schüler in einer Schulkonferenz abstimmen. Aber es müssen auch diese Interessen berücksichtigt werden. Das haben wir in unserem Zusatzantrag eingebracht und so soll es umgesetzt werden. Nur wenn wir beide Seiten, die Bedürfnisse der Kinder, der Träger und der Schulen im Blick haben, kann Ganztagsschule und ganztägige Bildung an der Grundschule gelingen. – Vielen Dank.

Das Wort hat Frau Dr. von Berg.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es geht heute um ganztägige Bildung und Betreuung, um die sogenannte GBS, und explizit anscheinend nicht um die Ganztagsschule oder nur sehr marginal.

Ich möchte zum CDU-Antrag sagen, dass die Lyrik okay ist. Bezüglich der Flexibilität und Freiwilligkeit sind wir ganz bei Ihnen, wir wollen keinen Zwang. Aber ich muss Herrn Holster absolut recht geben. Natürlich können Schulen Ganztagsschulen werden, wenn sie das wollen, und nichts anderes passiert im Moment in Hamburg.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Der CDU-Antrag nimmt in seiner Lyrik die Begriffe Frauenförderung und Chancengleichheit auf, zumindest implizit. Da sind wir alle beieinander, auch insofern, als die Ganztagsschule die Schulform der Zukunft sein wird. Unsere Gesellschaft entwickelt sich dahin, dass Kinder ganztägig in der Schule

sein werden, zumindest die allermeisten. Aber es gibt die große Unterscheidung zwischen der offenen und der gebundenen Ganztagsschule, und genau in diesem Prozess befinden sich die Schulen.

Herr Scheuerl hat sich auf die Schule Rellinger Straße, weil es zufälligerweise meine Schule ist, eingeschossen. Ich weiß sehr genau, wie der Prozess an dieser Schule gelaufen ist, nämlich zutiefst basisdemokratisch. Es ist wirklich so gewesen, dass die Eltern gefragt wurden. Das war relativ ausgewogen mit einem leichten Gewicht gegen GTS, für GBS, und das hat sich im Elternvotum niedergeschlagen. Die beiden Kinder, die dabei waren, haben sich vor der Schulkonferenz viele Schulen angeschaut und dafür gestimmt, weil sie sich dafür entschieden haben. Wenn wir Demokratie ernst nehmen, sollten wir Kindervoten immer höher gewichten als die der Eltern.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Die Eltern sind vier Jahre an diesen Grundschulen, die Lehrerinnen und Lehrer sind dort 30 oder 40 Jahre. Man sollte den Lehrerinnen und Lehrern mehr Gewicht einräumen als den Eltern, die nur ein paar Jahre da sind. Diese müssen die Schule nicht anwählen.

Der SPD-Antrag ist ziel- und planlos. Tu niemandem weh und allen wohl, alle können machen, was sie wollen. Das politische Ziel habe ich nicht gesehen. Worüber wir uns wirklich unterhalten sollten, und deswegen auch die gewünschte Überweisung an den Schulausschuss: In den GBS-Schulen ist immer noch vieles nicht geklärt, zum Beispiel das Mittagessen, den Rahmenvertrag gibt es noch nicht. Im Rahmen der Inklusion fehlen Ressourcen, das ist wirklich bedeutsam und geht so nicht. Qualitätsstandards gibt es noch nicht, jede Schule kann das so einführen, wie sie will. Eine Betreuung in der 5. und 6. Klasse ist noch völlig ungeklärt. Die Vorschulkinder werden jetzt mit dem Schlüssel 1 : 23 betreut statt mit einem Schlüssel 1 : 11 wie in der Kita. Mit der prozessbegleitenden Evaluation, die wir immer gefordert haben, tut sich der Schulsenator generell etwas schwer. Daher werden wir die beiden Anträge gern an den Schulausschuss überweisen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL)

Nun hat Frau von Treuenfels das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Viele Argumente sind schon gefallen, daher werde ich mich etwas kürzer fassen. Wir alle wollen Ganztagsschulen, der Weg zurück ist verbaut, das geht in dieser Gesellschaft nicht mehr und das wollen wir auch nicht. Die Frage ist nur, wie umsetzen.

(Lars Holster)