Protokoll der Sitzung vom 25.01.2012

Zum dritten Punkt, in dem Sie die Vertraulichkeit der Beratungsstelle gegenüber anderen Behörden fordern, kann man sagen, dass die Anlaufstelle abgekoppelt ist vom behördlichen Handeln. Wir sehen dies also als nicht erforderlich.

Zu Ihrem vierten Punkt: In unserer Drucksache wird eine Evaluation angekündigt. Diese wollen wir auch, und wir wollen sie auch im Ausschuss beraten. Das ist bereits durch unseren Antrag abgedeckt, dementsprechend werden wir Ihren Antrag ablehnen.

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte noch einmal auf unserem Antrag zurückkommen. Wir reagieren auf Erfahrungen aus der Praxis. Es gibt unter Fachleuten einen breiten Konsens, dass die eben beschriebenen Schritte richtig sind. Darum gibt es keinen Grund, die Umsetzung zu verzögern. Auch das gehört zum guten Regieren: hinsehen, wo es Verbesserungsbedarf gibt, zuhören, welche Erfahrungen es gibt und dann konsequent handeln. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort bekommt Frau Prien.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Frau Bekeris, ich glaube, Sie führen eine Debatte, die dem Gesamttatbestand und dem Gesamtproblem nicht annähernd gerecht wird.

(Ksenija Bekeris SPD: Das sagen andere Leute anders!)

Wir sprechen über eine Stellungnahme des Senats, die schon im September vorgelegt werden sollte, und nun bekommen wir sie leider erst im Januar. Das ist auch nicht weiter schlimm, wir hätten uns nur gewünscht, dann vielleicht auch ein paar aktuelle Zahlen zu erhalten. Auf der Grundlage der

Zahlen von 2010 zu operieren, ist schwierig, zumal es die Zahlen schon gibt. Wir hätten uns da ein bisschen mehr Informationsgrundlagen gewünscht, und dann wäre vielleicht Ihr Vorschlag ein wenig sachdienlicher geworden.

Frau Bekeris, Sie sagten – aber das scheinen eher Lippenbekenntnisse zu sein –, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit einer der vier Grundpfeiler der Europäischen Union sei, und zwar einer der sehr wichtigen Grundpfeiler deshalb, weil es auch um das Europa der Bürger gehe, ein Europa der Bürger, in dem jeder Einzelne erleben könne, dass es möglich ist, in freier Entscheidung in jedem europäischem Land, das der Europäischen Union angehöre, zu leben und zu arbeiten.

Aber aus irgendwelchen Gründen, die ich nicht nachvollziehen kann, gibt es in der SPD eine Grundskepsis gegenüber diesem, aus unserer Sicht ausschließlich positiv zu beurteilenden Umstand. Und diese Grundskepsis führt seit Jahren und Jahrzehnten dazu, dass immer, wenn Sie über Freizügigkeit reden, Sie im gleichen Atemzug schon wieder das Wort Lohndumping oder Sozialdumping in den Mund nehmen.

(Ksenija Bekeris SPD: Dann machen Sie doch die Augen vor der Realität zu!)

Frau Bekeris, Sie haben doch gerade gesprochen.

Wir halten es für besonders falsch in einer Zeit, in der es so wichtig wäre, diesen positiven Aspekt der europäischen Einigung den Menschen gegenüber zu betonen, denn Europa braucht unsere Unterstützung, und Europa braucht auch gerade von uns Politikern ein positives Branding und nicht das, was Sie betreiben.

(Beifall bei der CDU)

Wenn Sie sich die neuen Zahlen des IAB anschauen, dann entbehren die Ängste, die Sie schüren, auch jeder Grundlage. Wir haben tatsächlich nur einen ganz moderaten Anstieg der Zuwanderung, und wir haben, was sehr erfreulich ist, wenn Sie sich die Netto-Zuwanderungszahlen und die Beschäftigungszahlen ansehen, vor allem einen deutlichen Anstieg der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse. Das heißt also, die Einführung der vollen Freizügigkeit für die EU-8-Länder hat geradezu dazu geführt, dass viele bisher illegale Beschäftigungsverhältnisse oder vermeintlich Selbstständige, die im Rahmen der Dienstleistungsrichtlinien hier sind, ihre Beschäftigungsverhältnisse legalisiert haben. Insofern kann man das aus unserer Sicht nur positiv bewerten. Die Einführung der vollen Freizügigkeit hat sich, so viel kann man schon heute sagen, positiv bewährt.

(Beifall bei der CDU und bei Dr. Thomas- Sönke Kluth FDP)

(Ksenija Bekeris)

Vielmehr noch sind die positiven Effekte für die Sozialversicherungssysteme und ein Abbau der Schwarzarbeit offensichtlich die Effekte, die wir verzeichnen können.

Trotzdem, da gebe ich Ihnen recht, ist es richtig und wichtig, dass wir den Menschen, die aus den Ländern Mittel- und Osteuropas zu uns kommen, auch in ihrer Muttersprache genügend Beratung an die Seite stellen, damit sie sich möglichst schnell bei uns eingewöhnen, und ihnen vor allem das wichtige Signal geben, dass sie bei uns in Hamburg willkommen sind. Diese Willkommenskultur wird in Hamburg Gott sei Dank bereits seit geraumer Zeit von verschiedenen Institutionen, die Sie zum Teil genannt haben, geleistet. Nicht erwähnt haben Sie den Info-Point Europa und das Hamburg Welcome Center; auch denen ist natürlich für ihre Arbeit in diesem Bereich ganz besonders zu danken.

Ob daneben tatsächlich eine weitere städtische Beratungsstelle erforderlich ist, kann man zum heutigen Zeitpunkt noch gar nicht beurteilen. Leider – ich sagte es bereits – liegen uns die aktuellen Zahlen noch nicht vor. Ob hierfür wirklich pro Jahr mehrere Hunderttausend Euro – seien es auch Mittel aus dem ESF – verwendet werden müssen, ist jedenfalls sehr fraglich. Im Übrigen denke ich auch, dass die Reduzierung des Beratungsziels auf die reinen Fragen der sozialen Standards und der Arbeitsbedingungen zu kurz gegriffen ist. Insofern, meine Damen und Herren von der LINKEN, finde ich Ihren Ansatz, das Beratungsangebot zumindest zu erweitern, überlegenswert.

(Andy Grote SPD: Wir brauchen das gar nicht!)

Auch wir meinen, dass wir dies im Ausschuss noch einmal vernünftig miteinander beraten sollten.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der LINKEN)

Was mir übrigens in Ihrer Drucksache auffällt, ist die Frage, wie wir denn vor allem den kleineren und Kleinstbetrieben eine vernünftige Aufklärung darüber anbieten können, welche Beschäftigungseffekte und welche Chancen im Zusammenhang mit dem Fachkräftemangel in dieser Freizügigkeit liegen. Wenn Sie sich die Studie des IAB angeschaut hätten, wüssten Sie, dass es hier offensichtlich noch einen ganz erheblichen Aufklärungsbedarf gibt.

Meine Damen und Herren von der SPD, Sie sollten endlich aufhören, den Bereich der Freizügigkeit in der Europäischen Union zu reduzieren auf angebliche Probleme des Sozial- und Lohndumpings. Sie sollten auch den Menschen in unserer Stadt gegenüber einmal erklären, welche großen Chancen hier für uns alle liegen. Lassen Sie uns keine Debatten der Vergangenheit führen, sondern lassen Sie uns in der heutigen Zeit realistisch über Proble

me reden. Dann sind wir auch gern dabei, sie mit Ihnen zu lösen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort bekommt Frau Demirel.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die in der Drucksache veröffentlichten Zahlen von 2010 sind wenig hilfreich, um die heutige Situation genau zu beurteilen. Durch die wirtschaftliche Entwicklung in den südeuropäischen EU-Ländern dürften die Zuwanderungszahlen inzwischen etwas höher liegen als 2010. Die IAB-Studie von 2011 – wir haben schon einige Zahlen vorliegen, es ist nicht so, dass wir gar keine Zahlen hätten – bestätigt, dass die Ströme aus den EU-8-Ländern ausgeblieben sind. Die Zahl der Zuwanderungen steigt nach der IAB-Studie lediglich moderat. Überraschenderweise berechnen das Statistische Bundesamt und das IAB für 2011 unterschiedliche Zuwanderungszahlen aus den EU-8-Ländern. Auf welcher Grundlage diese Ergebnisse zustande gekommen sind, muss noch geklärt werden.

Aber die gute wirtschaftliche Entwicklung und die besseren Arbeitsbedingungen in Deutschland könnten dazu führen, dass künftig mehr Arbeitskräfte aus den EU-8-Ländern und aus Rumänien und Bulgarien nach Deutschland kommen werden.

Laut der Drucksache sind bereits vor der vollständigen Geltung der Freizügigkeit über 4000 Menschen aus den EU-8-Ländern nach Hamburg gezogen. Das sind 34 Prozent aller Zuzüge, und 26 Prozent kommen aus Rumänien und Bulgarien. Das sind beachtliche Zahlen, und sie dürften auch in 2011 höher liegen.

Andererseits zeigt die Tabelle 1, dass viele Zuwanderer Deutschland wieder verlassen haben. Zum Beispiel gibt es aus England oder Luxemburg mehr Fortzüge als Zuzüge. Hier wäre es interessant zu wissen, ob diese Menschen in ihre Heimatländer zurückgekehrt oder in andere Bundesländer oder EU-Länder ausgewandert sind. Natürlich stellt sich auch die Frage, warum sie nicht in Hamburg geblieben sind, beziehungsweise was wir dafür tun können, um diese Arbeitskräfte zu halten und wie wir besser für Zuwanderung werben, um unter anderem auch dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.

Vor der EU-Osterweiterung entfielen 60-70 Prozent der Migrationsströme aus den EU-8-Ländern auf Deutschland und Österreich. Nach der EU-Osterweiterung gehen 80 Prozent der Migranten nach Großbritannien und Irland. In England wurde zeitgleich mit der Öffnung des Arbeitsmarkts ein allgemeiner Mindestlohn eingeführt und damit zugewanderte und einheimische Beschäftigte von An

(Karin Prien)

fang an vor Lohndumping geschützt. Die etablierten Migrantennetzwerke, die englische Sprache und die flexible Arbeitsmarktsituation in England ziehen immer noch viele Menschen an. Der Zug ist für uns also fast abgefahren. Dennoch müssen wir uns Gedanken darüber machen, welche Chancen die Öffnung des Arbeitsmarkts für Hamburg bringt und wie wir den Arbeitsmarkt zugunsten der Wirtschaft und der Arbeitsmigranten, die gegebenenfalls schutzlos in Hamburg sind, gestalten können. Die Einrichtung einer Beratungsstelle halten wir in dieser Hinsicht für richtig und wichtig, ebenso wie die Vernetzung vorhandener Angebote wie das Hamburg Welcome Center als zentrale Anlaufstelle, die ZAV bei der Agentur für Arbeit und die Gewerkschaften.

Im internationalen Wettbewerb um Fachkräfte ist die Attraktivität des Wirtschafts- und Arbeitsstandorts Hamburg entscheidend. Hier gilt es, Regeln für einen fairen Arbeitsmarkt und fairen Wettbewerb vorzugeben und effektive Maßnahmen gegen Lohndumping zu schaffen, um damit die Ausweitung der Niedriglöhne und die Ausbeutung von Arbeitskräften zu verhindern. Nichtsdestotrotz brauchen wir dringend ein Konzept, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Wir brauchen bessere Rahmenbedingungen für Einwanderung in Hamburg und vor allem eine echte Willkommensstruktur für die Menschen.

(Vereinzelter Beifall bei der GAL)

Daher kann ich es nicht nachvollziehen, warum die SPD erst Ende 2012 ein Fachkräftekonzept vorlegen will. Die Zahlen für 2011 liegen vor und die Wirtschaft sucht händeringend nach Fachkräften. In einer Stadt, in der 180 Sprachen gesprochen werden, dürfte es doch nicht so schwer fallen, auch die sozialen Bedürfnisse möglicher Zuwanderer einzuschätzen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.

Jetzt zu den beiden Anträgen, die ziemlich spät eingegangen sind. Wir halten den Zusatzantrag der SPD für überflüssig. Es ist doch selbstverständlich, dass die geplante Beratungsstelle auch für EU-Bürger und -Bürgerinnen aus Bulgarien und Rumänien zur Verfügung steht und muttersprachliche Informationen angeboten werden. Wir können den Punkten 1 und 2 in Ihrem Zusatzantrag zustimmen, wenn es Ihnen hilft.

(Ksenija Bekeris SPD: Das finde ich toll!)

Die Aufgabe eines Runden Tisches ist nicht die Prüfung der Arbeitsweise von staatlichen Stellen, sondern die Beteiligung aller Betroffenen, um eine von allen getragene Lösung zu finden. Ein Runder Tisch ist dann sinnvoll, wenn alle Möglichkeiten ausgeschöpft wurden. Insofern könnte man sich überlegen, in einem Jahr, wenn wir mit der Evaluation zu einem Ergebnis gekommen sind, einen

Runden Tisch einzurichten; dann können wir uns das vorstellen.

(Ksenija Bekeris SPD: Das eine hat doch mit dem anderen nichts zu tun, Frau Demirel!)

Wir befürworten die Überweisung der beiden Anträge an den Sozialausschuss, ohne hier und heute einen Beschluss zu fassen, weil wir wirklich großen Beratungsbedarf in diesem Bereich haben und der Sozialausschuss der richtige Ort ist, um ausführlich darüber zu diskutieren und gegebenenfalls auch dort abzustimmen.

(Ksenija Bekeris SPD: Ich finde, es soll los- gehen!)

Insofern bitten wir die SPD, über die beiden Anträge jetzt nicht abzustimmen, sondern lediglich über die Überweisung, damit wir im Ausschuss noch einmal ausführlich über die Drucksachen diskutieren können. – Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der GAL und bei Karin Prien CDU)

Das Wort bekommt Herr Dr. Kluth.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wie lautet die zentrale Aussage der Senatsmitteilung zum Ersuchen der Bürgerschaft vom Mai des vergangenen Jahres? Die wichtigste Aussage ist, dass sich der Zuzug von Menschen im erwerbsfähigen Alter, also zwischen 18 und 65 Jahren, im Jahr 2010 in sehr überschaubaren Grenzen gehalten hat. Insgesamt gab es 12 063 Zuzüge, 8791 Fortzüge, im Saldo also 3272 Personen im erwerbsfähigen Alter, die zu uns gekommen sind. Davon stammen 68 Personen aus Estland, 32 Personen aus Slowenien, 56 Personen aus der Slowakei und nur aus Polen, Bulgarien und Rumänien gibt es größere Zuzugszahlen, aber auch aus diesen Ländern im Saldo jeweils deutlich unter 1000 Menschen. Auch diejenigen Zahlen, die uns für den Zeitraum nach der Einführung der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit vorliegen, lassen keine grundlegend andere Tendenz erkennen. Insbesondere aus Polen, aus Tschechien, Bulgarien und Rumänien sind deutlich weniger Arbeitkräfte zu uns gekommen, als die einen erwartet und wir angesichts zunehmenden Fachkräftemangels und eines sich drehenden Arbeitsmarkts erhofft hatten.

Wichtig ist aber nicht nur der quantitative Aspekt, sondern vor allen Dingen die Frage nach den Motiven und der sozialen Strukturen der Menschen, die zu uns gekommen sind. Nicht jeder Zuwanderer im erwerbsfähigen Alter wird als Arbeitnehmer tätig, denn die in der Drucksache genannten Zahlen erfassen auch Menschen, die etwa als Studenten, als Wissenschaftler, als Unternehmer oder als erwachsene Familienangehörige nach Hamburg ge