Protokoll der Sitzung vom 08.02.2012

tun werden, und auch regelmäßig auditieren lassen. Da kann man keine Abstriche zulassen.

(Beifall bei der SPD)

Das werden neben einer kontinuierlichen gemeinsamen Falleinsicht, die nicht getrennt davon laufen darf, zunächst die Minimalanforderungen sein. Zusammengefasst arbeiten wir an folgenden Punkten: Aufklärung über die Innenrevision der Bezirksaufsicht in der Finanzbehörde, Organisationsuntersuchung im Jugendamt Wilhelmsburg, Überprüfung aller Akten bis zum 15. Februar, neue Fachanweisungen zur Auswahl und Begleitung von Pflegeeltern, Festlegung und Einführung eines QM-Systems mit Zertifizierung und Auditierung nach einem einheitlichen Standard in allen Jugendämtern, Einführung eines Risikomanagementsystems und Etablierung einer Jugendhilfeinspektion.

Wenn die laufenden Untersuchungen in den nächsten Wochen ergeben, dass es neue Themen gibt, die auf die Tagesordnung müssen, die ich heute nicht kenne, dann kommen sie auf die Tagesordnung, und wir bringen sie in die Beratung des Parlaments und seiner Ausschüsse ein. Es wird nichts unter den Teppich gekehrt, und ich sichere zu, dass wir die Zwischenberichte und die Erkenntnisse, die wir haben – genauso wie ich es im Familienausschuss in der vergangenen Woche gemacht habe, zum Beispiel die Frage der Richtlinie für Pflegeeltern –, in den Ausschuss einbringen und gemeinsam erörtern und mit einem Höchstmaß an Konsens hoffentlich auf einen guten und strukturierten Weg für die Jugendhilfe kommen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Lang anhaltender Beifall bei der SPD)

Das Wort bekommt nun Frau Blömeke.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Vier tote Kinder in sechs Jahren, Kinder, die gestorben sind, obwohl sie unter staatlicher Aufsicht waren, das macht uns alle betroffen. Fachlich wird es in der Tat deswegen erforderlich sein, das System der Jugendhilfe auf den Prüfstand zu stellen. Die von Ihnen genannten Maßnahmen, Herr Senator Scheele, werden wir auf ihre Eignung hin überprüfen. Aber alle Maßnahmen, von denen wir heute gehört haben, können uns dennoch nicht davor bewahren, auch über die Verantwortung zu sprechen.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der CDU und der LINKEN)

Der Schutz von Kindern braucht unsere vollste Aufmerksamkeit, eine intensive Begleitung im Senat und eine hohe Priorität in den Bezirksämtern. Bezirksamtsleiter wie Markus Schreiber, die mangelnde Führungsverantwortung zeigen, den Kin

(Senator Detlef Scheele)

derschutz nachrangig behandeln und Fehlentscheidungen in Serie treffen, sind hier fehl am Platz.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der CDU und der LINKEN)

Von der Fehlentscheidung Schreibers, die Jugendamtsleitung Frau Wolters nach dem Tod des Babys Lara Mia im Amt zu belassen, haben wir hier schon gehört und auch, dass keine engmaschige Kontrolle danach erfolgte. Aber das war nur eine Fehlentscheidung von vielen. Ausgangspunkt war doch die Tatsache, dass Frau Wolters 2004 als Jugendamtsleitung von Herrn Schreiber überhaupt eingestellt wurde, und zwar nachdem sie damals von dem Bezirksamtsleiter Krupp nach dem Tod des Mädchens Michelle ihres Amtes und ihrer Leitungsfunktion im Bergedorfer Jugendamt enthoben wurde. Kurz darauf entschied der Bezirksamtsleiter Schreiber dann auch noch, seine damalige, fachlich sehr kompetente Dezernentin wegzuloben – oder auch zu versetzen – und die Stelle neu zu besetzen, und zwar mit der Ärztin Dr. Ruf, die als Medizinerin sicherlich sehr kompetent ist, aber wenig Ahnung von Jugendhilfe hat. Eine fachliche Kontrolle von Frau Wolters durch ihre eigentliche Vorgesetzte war eben nicht gegeben. Fast könnte man meinen, dass diese Besetzung von Führungspositionen im Jugendamt Hamburg-Mitte System hat, nämlich das System Kahrs, denn hinter vorgehaltener Hand erzählen die Experten der Jugendhilfe in Hamburg, dass der Vorsitzende Johannes Kahrs die Entscheidung trifft, vorbei an der Dezernentin und vorbei an der ehemaligen Jugendamtsleitung, aber unter den Augen von Bezirksamtsleiter Schreiber.

Verantwortung trägt Herr Schreiber auch für seine Entscheidung, eine Stelle im Kinderschutz seines Jugendamtes zu streichen und mit dieser Stelle stattdessen Verwaltungsaufgaben zu stärken, eine Entscheidung übrigens, die im Jugendamt auf viel Unverständnis gestoßen ist. Spätestens als Bezirksamtsleiter Schreiber am 29. August 2011 im Jugendhilfeausschuss Hamburg-Mitte auch noch verkünden lässt, dass er Verantwortungsbereiche der Jugendhilfe von Frau Wolters abzieht und sie in ein anderes Fachamt überträgt, wird doch erneut deutlich, dass er von der fachlichen Arbeit seiner leitenden Mitarbeiterin wenig hält. Erstaunlicherweise, das können Sie im Protokoll dieses Ausschusses nachlesen, hinterfragt der Ausschussvorsitzende Kahrs diesen Schritt und auch die Hintergründe nicht weiter. Vielleicht weil er das selbst mit veranlasst hat? Am Ende sieht sich Bezirksamtsleiter Schreiber durch all diese Vorgänge nicht veranlasst, engmaschig seine Führungsverantwortung wahrzunehmen und ein Auge auf das Jugendamt zu haben. Traurig, aber wahr: Stattdessen beschäftigt er sich mit dem Aufstellen von Zäunen gegen Obdachlose oder mit dem Kampf gegen die Straßenprostitution.

(Beifall bei der GAL, vereinzelt bei der LIN- KEN und bei Robert Heinemann CDU)

Seine Schwerpunkte liegen im öffentlichen Auftritt und nicht in der Führung des Bezirksamts und nicht beim Kinderschutz.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der CDU und der LINKEN)

Das Führungsversagen, Herr Senator Scheele, liegt nicht allein in dem System Jugendhilfe, sondern es liegt beim Bezirksamtsleiter Schreiber.

Die SPD und auch der Bürgermeister Scholz können sich nach meiner Ansicht und der Ansicht meiner Fraktion nicht mehr länger hinter der fachlichen Aufklärung verstecken. Wir brauchen einen personellen Wechsel an der Spitze des Bezirksamts, denn das Vertrauen, die Jugendhilfe und den Kinderschutz kompetent zu steuern und vor allen Dingen die Systeme zu überprüfen, wie wir es wollen, möglicherweise mit all den Maßnahmen, die Sie gerade genannt haben, dieses Vertrauen hat Herr Schreiber gründlich vertan.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der CDU und der LINKEN)

Das Wort erhält Frau Dr. Leonhard.

Sehr geehrte Präsidentin, meine Damen und Herren! Auch ich möchte dies noch einmal zum Anlass nehmen, Ihnen für Ihre Worte zu danken. Sie haben ausgedrückt, was manche vor Wut und Empörung offensichtlich nicht mehr in Worte fassen können. Chantal ist tot. Besonders erschütternd für uns alle ist, dass es hier nicht um einen Fall geht, der sich hinter verschlossenen Türen und vor unser aller Augen verborgen abgespielt hat, sondern Chantal ist in staatlicher Obhut gestorben. Das Jugendamt selbst hat sie 2008 in eine Familie gegeben, die schon damals offensichtlich völlig ungeeignet war. Das allein ist nicht nachvollziehbar und hier beginnt in Wahrheit schon der Skandal, über den wir heute sprechen. Jetzt gilt es, Aufklärung zu leisten, Analysen vorzunehmen und Konsequenzen zu ziehen, und es reicht hier nicht, sich hinter einer Personaldebatte zu verstecken. Deshalb haben wir als SPD eine Selbstbefassung im Familienausschuss veranlasst, deswegen hat der Familienausschuss auch einstimmig eine Aktenvorlage auf den Weg gebracht, und es ist gut, dass die Fraktionen in dieser Frage einig sind. Die durch den Senator eingeleiteten Sofortmaßnahmen zur Überprüfung aller bestehenden Pflegeverhältnisse und die Einführung von verpflichtenden Drogentests für alle Familienmitglieder sind die ersten richtigen Schritte. Fassungslos macht uns, dass zwar aufmerksame Nachbarn, die Schule von Chantals Schwester, Einrichtungen im Stadtteil und in der Jugendhilfe

(Christiane Blömeke)

erfahrene Leute ihre Verantwortung hier wahrgenommen haben und dem Jugendamt über die offensichtlich unhaltbaren Zustände in der Familie, über die völlig unwürdige Lebenssituation von Chantal, über die Drogensucht ihrer Pflegeeltern und die Probleme der Geschwisterkinder berichtet haben, dass all diese Hinweise aber entweder gar nicht verfolgt oder als üble Nachrede abgetan wurden. Das ist eine Katastrophe.

(Beifall bei der SPD – Vizepräsidentin Bar- bara Duden übernimmt den Vorsitz.)

Die wichtigste Aufgabe ist nun – viele meiner Vorredner haben es schon gesagt –, genau zu ermitteln, wann wir es mit persönlichem und wann wir es mit Organisationsversagen im Jugendamt zu tun hatten. Der Schutz des Kindeswohls ist die Aufgabe des Jugendamtes, hieran darf es keinen Zweifel geben. Diese Verantwortung gilt auch dann, wenn Träger in seinem Auftrag tätig werden. Dahinter können wir uns nicht verstecken. Bei der Arbeit mit Familien muss im Spannungsfeld zwischen vertrauensvoller Zusammenarbeit und notwendiger Kontrolle dieser Schutzauftrag immer im Vordergrund stehen. Das war bei der Betreuung von Chantal ganz offensichtlich nicht der Fall, und das ist tragisch und macht uns wütend.

Deshalb war es richtig, dass gemeinschaftlich entschieden wurde, dass die Innenrevision unter Federführung der Finanzbehörde die Ermittlungen übernimmt, schnell und mit klaren Rechten und Kompetenzen ausgestattet. Wir erwarten, dass hier ohne Ansehen von Personen und Strukturen zügig ermittelt wird. Keine Frage darf offen bleiben, wenn es darum geht herauszufinden, warum Hinweisen auf die katastrophale Lebenssituation von Chantal nicht nachgegangen wurde.

(Beifall bei der SPD)

Dazu zählt auch die Frage nach der Rollenverteilung zwischen dem freien Träger und dem Jugendamt, das die Familie betreut hat. Es ist nicht akzeptabel, dass vermeintlich vertrauensvolle Arbeitsverhältnisse dazu geführt haben sollen, dass – wohlgemerkt – bestehende und zwingende Voraussetzungen für eine Pflegschaft im Jahr 2008 weder durch den Träger abgefragt wurden, noch deren Kontrolle vom Jugendamt eingefordert wurde. Hamburger Pflegefamilien leisten einen wesentlichen Beitrag, um Kindern und Jugendlichen ein neues Zuhause zu geben, die schon ein schweres traumatisches Erlebnis gehabt haben. Die schlimmste Intervention, die einem Kind widerfahren kann, ist in Wahrheit die staatliche Inobhutnahme. Ihre Leistung für die Jugendhilfe, die Leistung dieser vielen Familien und die Gesellschaft darf nicht in Misskredit gebracht werden durch die eklatanten Fehler, die im Fall Chantal gemacht wurden.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb ist es richtig, dass das vorhandene Pflegeelternkonzept fortgeschrieben und weiterentwickelt wird. Hierzu gab es im Familienausschuss in der Vergangenheit Einigkeit und es ist gut, dass alle Fraktionen im jüngsten Ausschuss bekräftigt haben, zu diesem Konzept zu stehen. Das Vertrauen der Hamburger in die Fähigkeit der Jugendämter, ihr Wächteramt zum Wohle der Kinder wahrzunehmen, ist erschüttert. Die Etablierung einer von den bezirklichen Jugendämtern unabhängigen Stelle, also eines Inspektionswesens für die Jugendhilfe, ist unseres Erachtens das richtige Instrument, damit zukünftig sichergestellt werden kann, dass ein ASD oder ein Jugendamt nicht mehr allein darüber bestimmen, wann sein Handeln überprüft oder korrigiert werden muss. Wir als Regierungsfraktion werden auch diese Schritte begleiten. Ziel all dessen muss das Wohl der Kinder sein, ihnen sind wir verpflichtet und nur ihnen. Diese Pflicht werden wir auch erfüllen.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort bekommt Herr Gladiator.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir alle sind betroffen und erschüttert über den Tod der elfjährigen Chantal, über den Tod eines jungen Mädchens, das heute noch leben könnte, wenn das Bezirksamt in Hamburg-Mitte nicht so gravierende Fehler gemacht hätte. Gerade deshalb ist es so erschütternd, wie Markus Schreiber vermeintlich versucht, diese Krise aufzuklären.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Er klärt nicht auf, das machen die anderen!)

Denn Markus Schreiber trägt nicht dazu bei, die Versäumnisse seiner Verwaltung aufzuklären, sondern er tut mit aller Kraft alles dafür, seine Verantwortung auf andere abzuwälzen und sich selbst einen Persilschein auszustellen.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP)

Dieses Verhalten ist unerträglich und muss ein Ende haben. Stück für Stück haben wir in den vergangenen Tagen von den unglaublichen Fehlern des Jugendamts erfahren. Besonders fassungslos macht uns, dass das Bezirksamt sehr umfassend über die Missstände in Chantals Pflegefamilie informiert war, aber nichts dagegen unternommen hat. Und, Herr Senator Scheele, so richtig und wichtig die Maßnahmen sind, die Sie heute in der Debatte angesprochen haben und die wir auch unterstützen werden, so zutreffend ist es doch auch, dass es nicht der Datenschutz war, der das Jugendamt daran hinderte, Chantal zu schützen. Es lag auch nicht in erster Linie an fehlenden Vorschriften oder einer zu geringen Personalausstat

(Dr. Melanie Leonhard)

tung. Nein, Chantal musste sterben, weil das Jugendamt alle Hinweise ignorierte und geradezu systematisch wegschaute.

(Beifall bei der CDU)

Darum müssen wir alle gemeinsam der Frage nachgehen, ob Bezirksamtsleiter Schreiber nach dem Tod der kleinen Lara Mia im Jahr 2009 alles getan hat, um ein solches Versagen seiner Verwaltung zu verhindern. Mittlerweile wissen wir, wir mussten es in den vergangenen Tagen immer wieder auf erschreckende Weise erfahren, dass Herr Schreiber diese Pflichten eines Bezirksamtsleiters nicht erfüllt hat, denn obwohl er seit drei Jahren wusste, dass seine Jugendamtsleiterin nicht geeignet ist oder er sie zumindest für nicht geeignet hielt, beließ er sie im Amt und sorgte nicht einmal dafür, dass ihre Arbeit stärker kontrolliert und überwacht wurde. Genau hier liegt Markus Schreibers persönliches Versagen, für das er endlich die Verantwortung übernehmen und als Bezirksamtsleiter zurücktreten muss.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der GAL)

Liebe Kollegen der SPD, es gibt kein Entwederoder zwischen einem Rücktritt und einer lückenlosen Aufklärung. Beides ist notwendig. Wir brauchen eine ehrliche und umfassende Aufklärung, aber Markus Schreiber hat bereits jetzt bewiesen, dass er Teil des Problems und nicht Teil der Lösung ist. Deshalb darf er dem notwendigen Neuanfang im Jugendamt Hamburg-Mitte nicht länger im Weg stehen.

(Beifall bei der CDU, vereinzelt bei der GAL und der LINKEN und bei Anna-Elisabeth von Treuenfels FDP)

Herr Senator Scheele, die besten Maßnahmen, die Sie treffen, helfen Ihnen nichts, wenn die verantwortlichen Personen nicht in der Lage sind, diese umzusetzen, und dieses Unvermögen hat Markus Schreiber bedauerlicherweise mehrfach bewiesen.

(Beifall bei der CDU)

Heute hat sich der Erste Bürgermeister in verschiedenen Tageszeitungen zu Wort gemeldet. Herr Bürgermeister, die Frage nach der politischen Verantwortung ist bereits beantwortet. Wir fordern Sie deshalb auf, handeln Sie im Interesse der Stadt, und belassen Sie es nicht bei bloßen Ankündigungen. Lassen Sie ihren Worten nun endlich auch Taten folgen. Ihr Senator hat eben eine Vielzahl von Maßnahmen angekündigt. Er hat diese Maßnahmen angekündigt, bevor wir alle das Untersuchungsergebnis kennen. Hier warten Sie nicht auf die Ergebnisse der Untersuchung, bei den personellen Konsequenzen verstecken Sie sich allerdings hinter den Ermittlungen und trauen sich nicht auszusprechen, was wir alle wissen. Markus Schreiber trägt die politische Verantwortung für

das Versagen seiner Verwaltung und muss zurücktreten.

(Beifall bei der CDU, der GAL und bei Nor- bert Hackbusch DIE LINKE)

Herr Bürgermeister Scholz, die Hamburger erwarten von Ihnen Führung. Werden Sie aktiv und zeigen Sie, dass sich der Erste Bürgermeister dieser Stadt nicht von einem SPD-Kreisvorsitzenden lähmen lässt. Zeigen Sie, dass es Ihnen nicht um den Frieden und die Machtverhältnisse innerhalb der SPD geht, sondern um den Schutz der Kinder in unserer Stadt. Herr Bürgermeister, es ist jetzt Ihre Pflicht, zum Wohle der Stadt für einen personellen und inhaltlichen Neuanfang im Bezirksamt Hamburg-Mitte zu sorgen.