Protokoll der Sitzung vom 09.02.2012

(Ksenija Bekeris SPD: Ach, Herr Haufler, jetzt reden Sie doch nicht so einen Unsinn!)

Über welche Zielgruppe reden Sie eigentlich? Mir ist eine solche Häufung von Problemen, die Sie nach und nach aufgezählt haben, in der Gruppe der Migranten in dieser Intensität so nicht bekannt.

Wo ist in Ihrem Antrag eigentlich die Erwähnung der über 70 türkischsprachigen Ärzte in Hamburg

(Andy Grote SPD: Wir wollten Sie nicht per- sönlich angreifen, Herr Haufler!)

und deren Beitrag zu unserem Gesundheitssystem? Wo wird der Beitrag der über 50 polnischsprachigen Ärzte und über 40 russischsprachigen Ärzte erwähnt? Sie kümmern sich doch um die Bedürfnisse der Menschen mit Zuwanderungsgeschichte und um die Bedürfnisse derjenigen, die ihren Gesundheitszustand nicht unbedingt mit einem rein deutschsprachigen Arzt diskutieren können.

Wir sollten das Positive sehen. Nehmen Sie die inhaltlichen Anregungen an und lehnen Sie unsere konstruktiv gemeinten Zusatzanträge nicht ab.

(Beifall bei der CDU)

Frau Schmitt hat nun das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Eine Stärkung der interkulturellen Kompetenzen, um die es im SPD-Antrag geht, begrüßen wir als GAL-Fraktion ausdrücklich. Unter grüner Regierungsbeteiligung haben wir uns bereits für eine bessere Unterstützung von Migrantinnen und Migranten im Gesundheitssystem eingesetzt. So haben wir beispielsweise das Projekt "Mit Migranten für Migranten" finanziell ausgestattet, in dem engagierte Bürgerinnen und Bürger mit Migrationshintergrund als Gesundheitslotsen ausgebildet werden, um ihre Landsleute kompetent zu beraten im Hinblick auf das deutsche Gesundheitssystem und der allgemeinen gesundheitlichen Vorsorge.

Im Bereich der Versorgung von Menschen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus haben wir Grüne das Konzept der Clearingstelle auf den Weg gebracht. Allerdings müssen wir heute feststellen, dass unter dem SPD-Senat von der ursprünglichen Idee dieses Konzepts der Clearingstelle nur noch wenig übrig geblieben ist. Die BASFI ist offenbar mit der Umsetzung überfordert.

(Dirk Kienscherf SPD: Ach, ach!)

Zwar hat die Clearingstelle nun endlich im Februar ihre Arbeit aufgenommen – und dieser Fortschritt ist natürlich besser als gar keiner –, aber Grund zum Jubeln gibt es keinesfalls.

(Beifall bei der GAL – Dirk Kienscherf SPD: Aber nicht alles madig machen!)

So sollen nun die bereitgestellten Mittel des Notfallfonds nicht, wie ursprünglich vorgesehen, für zusätzliche Bedarfe im Einzelfall aufgewendet werden, sondern für medizinische Grundversorgung. Diese ist eigentlich durch das Asylbewerberleistungsgesetz abgedeckt. Ein Ansatz, der nicht weit tragen kann und die eingesetzten 500 000 Euro natürlich sehr schnell verbrauchen wird. Das kann man sich leicht vorstellen.

Auch die Kooperation mit den Flüchtlingsinitiativen ist offensichtlich gescheitert. Es ist der Behörde nicht gelungen, das gemeinsame Interesse der Akteure zu nutzen und zu bündeln. Eine Verbesserung der Versorgungssituation von Menschen ohne Papiere wird allerdings nur dann erfolgreich sein, wenn sie mit den Initiativen und den engagierten Bürgerinnen und Bürgern in diesem Bereich geschieht und abgestimmt ist.

(Beifall bei der GAL)

Angesichts dieser Entwicklungen bin ich tatsächlich gespannt auf den Berichtspunkt zur medizinischen Versorgung für Menschen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus, wie er im SPD-Antrag gefordert ist. Generell, wie schon erwähnt, findet das Anliegen, das hier formuliert ist, unsere Unterstützung. Dabei sollten wir auch den Blick verstärkt – da stimme ich in Teilen der CDU-Fraktion zu – auf die Potenziale lenken, die Bürgerinnen und Bürger mit Migrationshintergrund bereits heute in unser Gesundheitssystem einbringen. Daher erachten wir die Ergänzungen aus den Zusatzanträgen der LINKEN und der CDU für sinnvoll und werden diesen zustimmen. Es ist bedauerlich, dass die SPD-Fraktion sich mit diesen Vorschlägen noch nicht einmal auseinandersetzen möchte und keiner Überweisung zustimmt,

(Beifall bei der GAL)

zumal Sie einen so großzügigen Zeitplan angelegt haben.

(Dirk Kienscherf SPD: Aber wir haben im- merhin einen!)

Der Bericht an die Bürgerschaft soll erst Ende des Jahres vorliegen. Ich frage mich, warum so spät? Es wäre doch von großem Vorteil gewesen, diese Ergebnisse beispielsweise schon in die Haushaltsberatungen einbringen zu können, denn sicherlich werden wir viele interessante Daten erfahren, die auch eine Grundlage bieten können für Anträge in diesem Bereich.

Trotz dieser Kritik unterstützen wir in der Sache das Anliegen und werden dem Antrag der SPD-Fraktion zustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der GAL und vereinzelt bei der SPD)

Das Wort hat nun Herr Dr. Schinnenburg.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Bei der Lektüre des Antrags war ich noch relativ entspannt. Nach dem Vortrag von Herrn Abaci hat sich ein gewisser Verdacht bei mir bestätigt; Herr Haufler ging schon auf den Punkt ein. Offensichtlich hat Herr Abaci eine sehr kleine Minderheit von Migranten im Auge gehabt, als er diesen Antrag geschrieben hat.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Die Masse der Migranten in Hamburg, auch generell in Deutschland, ist weder besonders gefährlich, Herr van Vormizeele, noch ist er besonders schutzbedürftig, meine Damen und Herren von der GAL und der LINKEN. Sie brauchen auch keine teuren Integrationszentren. Die Masse der Migranten in Hamburg leistet eine tolle Arbeit für diese Stadt. Wir leben davon, die Stadt verdankt ihnen viel und sie sind nicht so, wie Sie es sich vorgestellt haben.

(Beifall bei der FDP)

Nehmen Sie nur einmal ein Beispiel wie meine Familie. Meine Familie besteht zu 80 Prozent, Herr Abaci, aus Personen mit Migrationshintergrund, nämlich alle außer mir. Ich kann Ihnen sagen, dass meine gesamte Familie a) gesund ist, b) nicht kriminell und c) leistungsbereit ist. Sie braucht weder Schutzräume noch Polizeiaufsicht. Wir sollten Migranten endlich einmal ernst nehmen und keine Klischees über sie verbreiten. Das ist ein falscher Ansatz.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Dass von den LINKEN und der GAL so etwas kommt, ist mir klar, aber eigentlich habe ich gedacht, die SPD mache es besser.

Der Antrag als solcher ist durchaus in Ordnung, wir werden ihm am Ende auch zustimmen. Mich hat gewundert, dass Sie unserem Zusatzantrag nicht zustimmen wollen, denn dort steht genau das, was Sie selbst beschrieben haben. Sie haben doch gesagt, es gäbe Fehlallokationen, weil die Minderheit der Migranten nicht das ambulante Hilfe- oder Prophylaxesystem benutzen, sondern gar nicht zum Arzt gehen oder in die Notfallstation von Krankenhäusern. Das ist in der Tat bei einer Minderheit der Migranten ein Problem.

(Heidrun Schmitt)

Deshalb war Punkt 10 unseres Antrags als Verbesserung gemeint. Denken Sie noch einmal darüber nach. Wir sind gern bereit, den anderen Punkten zuzustimmen. Aber denken Sie bitte künftig daran, dass Migranten keine Sonderlinge sind und auch nicht gefährlich, es sind Menschen wie du und ich. Wir freuen uns alle darüber, dass sie da sind und hier eine tolle Leistung erbringen. Sie dürfen keine Klischees über sie verbreiten, sondern nehmen Sie sie ernst, dann kommen wir auch weiter. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Frau Özdemir, Sie haben das Wort. Vielleicht kann bis auf die Abgeordneten mit akutem Rückenleiden der Rest wieder Platz nehmen oder sonst hinausgehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Leider geht es in Debatten um Integration und Migration viel zu oft um sogenannte Defizite. Demnach sind Migrantinnen und Migranten ärmer, ungebildeter, häufiger arbeitslos und eben auch kränker. Aber Migration als solche macht nicht krank, und insbesondere die Flüchtlinge wissen, dass Migration sogar Leben retten kann.

(Beifall bei der LINKEN)

Trotzdem sind Menschen mit Migrationshintergrund einem erhöhten Erkrankungsrisiko ausgesetzt. Zum Teil lässt sich das dadurch erklären, dass sie auch stärker von Armut betroffen sind. Sozial benachteiligte Menschen haben weniger die Möglichkeit, ihre Gesundheit zu fördern. Sie sterben früher, sind häufiger krank und erkranken auch leider schwerer. Es sind also die Gründe und Umstände von Migration, die krank machen. Es sind die Lebensbedingungen und die Arbeitsbedingungen von Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland, die zu einem schlechteren Gesundheitszustand führen können. Aber auch Rassismus und Diskriminierung können krank machen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein wichtiger Punkt, der dem Senat bekannt ist, ist das Drama um die medizinische Versorgung von Menschen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus. Es sind zum Beispiel Asylsuchende, Bürgerkriegsflüchtlinge, Opfer von Zwangsprostitution, aber vor allem auch Menschen mit einer Duldung. Diese Menschen erhalten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz Leistungen. Das bedeutet, dass sie 30 Prozent weniger bekommen als für das Existenzminimum notwendig ist. Sie sind also ärmer als arm, und sie sind nicht regulär krankenversichert.

Das bedeutet, dass ein Rechtsanspruch auf ärztliche Behandlung nur in akuten Fällen besteht, zum Beispiel bei Schmerzen, Schwangerschaft oder Geburt. Und so werden reihenweise sanierungsfähige Zähne gezogen und aus kranken Menschen werden chronisch Kranke ganz einfach aus dem Grund, weil sie nicht behandelt werden. Es besteht also ein Kreislauf aus Armut, Perspektivlosigkeit, fehlender Teilhabe und Gesundheitsrisiko.

Aber es geht auch noch schlechter, nämlich bei der medizinischen Versorgung von Menschen, die gar keinen Aufenthaltstitel haben. Sie, die eigentlich gar nicht hier sein sollten, aber mangels Alternativen trotzdem da sind, sind vermutlich zu Tausenden in Hamburg unter uns. Es hat vor zwei Wochen eine Fachtagung dazu stattgefunden, es gibt also schon jede Menge Erkenntnisse. Diese Menschen haben auch einen Anspruch auf ärztliche Behandlung bei akuten Erkrankungen, bei Schmerzzuständen, Schwangerschaft und Geburt. Ein Vertreter der Sozialbehörde hat es bei der Fachtagung noch einmal betont. Der Rechtsanspruch besteht, aber leider klappt es nicht in der Praxis. Diese Menschen müssen nämlich Angst haben, abgeschoben zu werden. Deshalb nehmen sie oftmals gar keine oder viel zu spät medizinische Hilfe in Anspruch. Frau Schmitt hat es erwähnt, dafür sollte eine Clearingstelle eingerichtet werden. 500 000 Euro wurden für drei Jahre zur Verfügung gestellt. Das ist natürlich lächerlich wenig und zeugt auch nicht gerade von interkultureller Kompetenz.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte kurz auf die weiteren Punkte aus unserem Zusatzantrag eingehen. Ein weiteres, drängendes Thema ist nämlich der Pflegebereich. Auch psychisch Kranke brauchen eine spezifische Versorgung. Außerdem muss geprüft werden, wie die Zusammenarbeit bei dem Thema Gesundheit mit Migranten-Selbstorganisationen vorangetrieben werden kann. Auch die Krankenkassen und Gesundheitsämter müssen an dieses Thema heran.

Letztendlich brauchen wir eine kontinuierliche Sozial- und Gesundheitsberichterstattung, um überhaupt handlungsfähig zu sein, die Problematik ist uns nicht neu. Insofern ist es schade, dass erst jetzt angefangen wird, Daten zu sammeln, anstatt konkrete Maßnahmen einzuleiten.

Meine Damen und Herren! Ich möchte noch kurz zu den Zusatzanträgen etwas sagen. Der FDP-Antrag geht leider völlig am Thema vorbei. Ich denke nicht, dass die FDP die Migrantinnen und Migranten aufklären sollte, sondern die Migrantinnen und Migranten sollten die FDP aufklären.

(Beifall bei der LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Der FDP fehlt nämlich meiner Auffassung nach jegliche interkulturelle Kompetenz.