Protokoll der Sitzung vom 29.03.2012

Wer möchte den Antrag der Fraktion DIE LINKE aus Drucksache 20/3235 annehmen? – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit ist dieser Antrag abgelehnt.

Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 58, Drucksache 20/3529, Antrag der SPD-Fraktion: Gesetz zur Einführung des Rechtsanspruchs auf Kindertagesbetreuung ab dem vollendeten zweiten Lebensjahr.

[Antrag der SPD-Fraktion: Gesetz zur Einführung des Rechtsanspruchs auf Kindertagesbetreuung ab dem vollendeten zweiten Lebensjahr – Drs 20/3529 –]

Diese Drucksache möchte die SPD-Fraktion an den Familien-, Kinder- und Jugendausschuss überweisen. Wer wünscht das Wort? – Frau Dr. Leonhard hat das Wort.

(Dr. Kurt Duwe)

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Mit diesem Antrag bringen wir den Rechtsanspruch ab dem vollendeten zweiten Lebensjahr auf den Weg. Mit der Einführung dieses Rechtsanspruchs auf eine fünfstündige Betreuung ab dem 1. August 2012 ermöglicht Hamburg ein Jahr früher als vom Bund vorgesehen diesen Kindern aus allen Familien unabhängig von der Beschäftigung der Eltern Zugang zu früher Bildung und Betreuung.

(Beifall bei der SPD)

Darüber hinaus leistet der erweiterte Rechtsanspruch einen Beitrag zur Integration und sprachlichen Entwicklung von Kindern aus Familien mit Migrationshintergrund. Diese Punkte sind nicht allein individuell für die Lebenschancen der einzelnen Kinder von Bedeutung, diese Kinder sind zukunftsweisend und entscheidend für ein ganzes Land, insbesondere für eine Metropole wie Hamburg. Dank des Elternwahlrechts – Eltern können in Hamburg entscheiden, in welcher Weise sie ihren Rechtsanspruch einlösen möchten – wird von diesem Rechtsanspruch auch die Kindertagespflege profitieren. Gute Kinderbetreuung und frühe Bildung sind nicht nur unverzichtbar für Familien, sondern spielen auch bei der Standortbewertung von Unternehmen eine große Rolle, und diese wird immer bedeutender. Das sollte auch diejenigen überzeugen, die diesen Aspekt gern aus kameralistischer oder wirtschaftlicher Sicht betrachten. Bereits jetzt wird weit über die Stadtgrenzen von Hamburg hinaus bemerkt, dass Hamburg gute Voraussetzungen liefert, die mit Beginn der SPD-Regierung noch einmal deutlich verbessert wurden und weiter verbessert werden.

(Beifall bei der SPD)

Die bisherigen Schritte, die spürbare Entlastung von Familien durch die Rücknahme von Gebührenerhöhungen, die Erweiterung des Rechtsanspruchs auf die Betreuung bis zum 14. Lebensjahr und die Abschaffung von Mittagessenbeiträgen werden mit dem heute vorgelegten Antrag mit dem Ziel, Hamburg zur kinder- und familienfreundlichsten Stadt zu machen, fortgeschrieben.

(Beifall bei der SPD)

Das ist familien- und wirtschaftspolitisch ein wichtiges Ziel. Wir laden alle Fraktionen in der Bürgerschaft ein, hieran mitzuwirken.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat Herr de Vries.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Da kann man doch einfach zustimmen, oder? – Gegenruf von Juliane Timmermann SPD: Er nicht!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Leonhard, um an die Debatte von eben anzuknüpfen: Die Erweiterung des Rechtsanspruchs ab dem zweiten vollendeten Lebensjahr ist mit Sicherheit kein Sozialismus, sondern ein guter und richtiger Schritt auf dem langen Weg für ein kinder- und familienfreundliches Hamburg, so wie es Frau Leonhard eben richtig gesagt hat.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Rund 24 000 Kinder mehr in Kitas und Horten sowie mehrere Hundert neue Kitas seit 2001 haben Hamburg schon heute zum vorbildlichen Spitzenreiter der Kinderbetreuung aller westdeutschen Bundesländer gemacht. Diesen Weg beschreitet Hamburg seit zehn Jahren konsequent und kontinuierlich. Der Rechtsanspruch ab dem vollendeten zweiten Lebensjahr reiht sich in diese Kette wichtiger Fortschritte nahtlos ein.

Ich will die Meilensteine der letzten zehn Jahre kurz nennen. 2003 wurde in Hamburg als erster deutscher Großstadt das nachfrageorientierte KitaGutscheinsystem eingeführt.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP)

Da freuen sich sogar die Kollegen der FDP, große Übereinstimmung im Saal.

2005 wurde die Hamburger Kinderbetreuung mit Inkrafttreten des Kinderbetreuungsgesetzes neu ausgerichtet. Wir haben den Rechtsanspruch auf eine fünfstündige Betreuung mit Mittagessen in den Kitas eingeführt. Das ging über das bundesweite Maß hinaus, dort gab es überall nur eine vierstündige Kita-Betreuung.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

2005 trat der Landesrahmenvertrag in Kraft, der die Leistungen und Standards in Hamburger Kitas geregelt und verbindlich vorgeschrieben hat. Auch die CDU, damit kommen wir zum Thema von heute, wollte 2008 den Rechtsanspruch auf das zweite vollendete Lebensjahr vorziehen, wir hatten es in den Koalitionsvertrag und zuvor ins Wahlprogramm geschrieben. Sie kennen die Geschichte, ich will es nicht wiederholen, es gab die Finanzund Wirtschaftskrise, sodass es damals zu einer Verschiebung dieser Maßnahme kam. Auch der Bund hat einiges getan und 2008 das Kinderförderungsgesetz mit dem Ausbau der Krippenbetreuung bundesweit verabschiedet. 2009, und damit schließe ich vorerst, entfielen die Elternbeiträge für die halbtägige Betreuung in Kita, Tagespflege und Vorschule im letzten Jahr vor der Einschulung. Mit der Verschiebung dieses Rechtsanspruchs, zu der wir uns 2009 und 2010 entschließen mussten, hat sich im Bereich Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Grunde nichts geändert. Schon damals war es so, dass Kinder berufstätiger Eltern in Hamburg

ab dem ersten Jahr für eine bis zu zwölfstündige Betreuung einen Kita-Gutschein bekommen haben.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

2013 wird ebenfalls das wirken, was der Bund 2008 beschlossen hat, nämlich der Rechtsanspruch für alle Kinder ab dem ersten vollendeten Lebensjahr ab dem 1. August 2013. Das gilt bundesweit. Auf unsere Frage, was das bedeutet, hat der Senat geantwortet, dass dies rund 5000 zusätzliche Betreuungsplätze für ein- bis dreijährige Kinder nach sich ziehen wird. Aber wir brauchen in Hamburg auch 750 weitere Erzieherinnen und Erzieher als Erst- und Zweitkräfte. Für uns bedeutet das, dass Hamburg sich anstrengen muss, um genügend qualifiziertes Personal zu finden, damit die Kinder, die diesen Rechtsanspruch haben, auch tatsächlich betreut werden können.

(Beifall bei der CDU)

Ein Aspekt von zentraler Bedeutung, den wir immer hochhalten, wird sein, dass unter dem Ausbau nicht die Qualität der Betreuung leidet. Wir müssen die Vorgaben des Landesrahmenvertrags einhalten, die Qualität und die Standards müssen auch in der Praxis gewährleistet sein, und deswegen fordern wir die SPD noch einmal auf, ihre Blockadehaltung gegen die Kita-Inspektion in Hamburg aufzugeben.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich komme zum Fazit: Der Rechtsanspruch für zweijährige Kinder setzt den Ausbau und die Verbesserung der Kinderbetreuung in Hamburg fort. Er ist richtig und er ist insofern auch eine Verbesserung, als dass der bundesweite Rechtsanspruch um ein Jahr vorgezogen wird. Allerdings müssen wir auch die Kirche im Dorf lassen, denn im nächsten Jahr haben wir einen bundesweiten Rechtsanspruch bereits für Kinder ab dem ersten Lebensjahr und nicht erst ab dem zweiten. Insofern geht das etwas weiter und – ich sagte es bereits – Kinder berufstätiger Eltern hatten auch in der Vergangenheit schon ab dem ersten Lebensjahr einen Rechtsanspruch. Es muss uns aber auch klar sein, dass der weitere Ausbau neue finanzielle Mehrbedarfe nach sich ziehen wird, die im Haushalt zu finanzieren sind. Wie viele Eltern dann tatsächlich die Plätze in Anspruch nehmen, werden wir sehen. Unsere Hoffnung als CDU-Fraktion ist, dass der vorgezogene Rechtsanspruch nicht von Senatsseite erneut zum Anlass genommen wird, um an anderer Stelle zu kürzen, nämlich, was auch die Kollegin Frau Blömeke vorhin angesprochen hat, bei den Einrichtungen der offenen Kinder- und Jugendhilfe. Dort darf es dann keine herben Kürzungen hierfür geben. Es darf in Hamburg nicht so sein, dass wir die Kinderbetreuung ausbauen, was richtig ist, aber Jugendliche am Ende die Zeche zahlen müssen, weil Bauspielplätze und Jugend

treffs geschlossen werden. Der eine Schritt ist richtig, aber Kürzungsarien an anderer Stelle werden wir als CDU nicht die Hand reichen.

(Beifall bei der CDU)

Frau Blömeke hat das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Verehrte Kollegen der SPDFraktion, für sich betrachtet findet Ihr Antrag heute unsere volle Zustimmung. Frau Leonhard hat schon alle Vorteile beschrieben, die ein vorgezogener Rechtsanspruch mit sich bringen würde, und für die GAL-Fraktion ist vor allen Dingen der Aspekt der verbesserten Bildungsgerechtigkeit ein ganz wesentlicher, denn in der Tat haben Studien belegt, dass wesentlich mehr Kinder aus benachteiligten Elternhäusern das Gymnasium besuchen, wenn sie vorher in der Krippe waren.

(Vereinzelter Beifall bei der GAL)

Auch der Punkt 2 Ihres Antrags ist durchaus positiv, denn es ist natürlich sinnvoll, dass der Rechtsanspruch, der vom dritten auf das zweite Lebensjahr vorgezogen wird, auch für Kinder mit Behinderung gilt. Wenn ich diesen Antrag isoliert betrachte, ist er durchweg positiv; es gibt da wenig zu meckern. Aber wenn ich ihn im Gesamtzusammenhang mit Ihrer Familienpolitik sehe, dann ist es vorbei mit den positiven Gedanken und dann graut es mir geradezu.

(Beifall bei der GAL – Dirk Kienscherf SPD: Das ist schön, aber hier geht es um diesen Antrag!)

Ich will Ihnen auch gerne erklären, warum. Die SPD verfolgt gemeinsam mit ihrem Sozialsenator Scheele ein Weltbild,

(Dirk Kienscherf SPD: Können Sie nicht zum Thema reden?)

das den Staat und die staatliche Kontrolle in den Vordergrund rückt und Selbstbestimmung und Hilfe zur Selbsthilfe in den Keller verfrachtet. Das Weltbild der SPD folgt dabei einer Familienpolitik, die eigentlich ganz einfach ist. Wenn wir erst einmal alle Kinder in der Kita und in der Schule haben, so denkt die SPD, dann brauchen wir weder die teuren individuellen Hilfen in den Familien noch die offene Kinder- und Jugendarbeit. Ich sage Ihnen auch, was Sie weiter denken: Hilfen zur Erziehung können in Gruppen in der Kita und in der Schule stattfinden. Ziel ist also, so auch die Äußerung von Senator Scheele, die Kinder wieder fit für die Schule zu machen.

(Beifall bei der SPD)

(Christoph de Vries)

Dass Sie genau zu dem Punkt klatschen, zeigt, dass Sie das Prinzip der Familienhilfe überhaupt nicht verstanden haben. Das ist Ihr Problem.

(Beifall bei der GAL)

Was passiert nämlich mit den Eltern? Die Empfehlung von Senator Scheele war, die Eltern könnten sich Hilfe in Beratungsstellen holen und wenn sie das nicht machten, dann sei es ihr Problem. Die Familie wird nicht mehr als Ganzes gesehen und die Gründe, warum Eltern nicht mehr in der Lage sind, sich so um ihre Kinder zu kümmern, wie sie es sollten, verschwinden im Nirwana. Ursachenforschung ist für das Weltbild der SPD anscheinend nicht relevant.

(Beifall bei der GAL)

Vor diesem Hintergrund ist es aus Sicht der SPD nur logisch, dass sie sich auf Rahmenbedingungen für Kita und Schule konzentriert. Wir unterstützen das Konzept der Ganztagsschulen genauso wie heute den vorgezogenen Rechtsanspruch.

(Ksenija Bekeris SPD: Na, da sind wir aber froh!)

Ich stelle aber die Frage, ob wir uns die Millionen für ein kostenloses Mittagessen in der Kita und für die Gebührenfreiheit aller Eltern, unabhängig vom Einkommen, jetzt schon leisten können, wenn dafür gleichzeitig bei der Jugendhilfe gekürzt wird. Das ist das, was Herr de Vries auch sagte.