Protokoll der Sitzung vom 10.05.2012

Wir nehmen die Hinweise ernst, die von gewerkschaftlicher Seite zu dieser Frage geäußert werden. Dazu gehört die Feststellung, dass eine Schuldenbremse, die nur die Ausgabenseite betrachtet, allein nicht reicht. Wir müssen auch die Einnahmeseite betrachten. Deshalb sind wir froh, dass in der Begründung auch die Frage der Einnahmesicherung berücksichtigt ist, sodass wir quasi per Verfassungsauftrag gehalten sind, darauf zu achten, dass die Einnahmen, die uns als Stadt zustehen, auch in unsere Kasse wandern, damit wir diesen Weg einhalten können. Auch das haben wir in den Entwurf geschrieben. Es war klar, dass wir Steuererhöhungen mit der FDP nicht hätten vereinbaren können, das ist nachvollziehbar. Aber dass wir gemeinsam darauf achten, die uns zustehenden Einnahmen auch tatsächlich zu erheben – da geht es natürlich um die Fragen der Steuergerechtigkeit und des Steuervollzugs –, sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Auch das gehört zur Schuldenbremse dazu.

(Beifall bei der SPD)

Abschließend ein Hinweis an Frau Suding. Sie haben vorhin eine Pressemitteilung herausgegeben, der SPD-Senat möge morgen im Bundesrat dem Gesetz zum Abbau der kalten Progression zustimmen. Da muss man natürlich fragen, wie es denn mit der Gegenfinanzierung aussieht. Wir haben heute nachgeschaut, was es für die Hamburger Kasse hieße, sollte dieses Gesetz morgen eine Mehrheit im Bundesrat finden.

(Anja Hajduk GAL: Findet es nicht!)

Genau, davon gehe ich auch aus.

Aber es ist unsere gemeinsame Pflicht, wenn irgendwo Steuersenkungen gefordert oder beantragt werden, zu fragen, was das für unsere Kasse bedeutet. Minus 20 Millionen Euro in 2013, minus 57 Millionen in 2014, minus 67 in 2015, minus 70 Millionen in 2016 und minus 72 Millionen Euro in 2017 – und das ohne Gegenfinanzierung. Da sagen wir ganz klar: Steuersenkung auf Pump in Zeiten der Schuldenbremse geht nicht mehr.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der GAL)

Trotzdem machen wir uns jetzt gemeinsam auf diesen steinigen Weg in Richtung 2020. Das Zeichen, das wir heute setzen, bedeutet nicht nur, dass wir ihn gehen müssen, weil das Grundgesetz es von uns verlangt, sondern dass wir ihn auch gehen wollen. Das ist die Botschaft der heutigen Entscheidung. Wir wollen in die Verfassung eine Schuldenbremse schreiben, die maßvoll ist und

trotzdem ambitioniert, aber den sozialen Frieden dieser Stadt nicht gefährdet. Deshalb bitten wir um Ihre Zustimmung. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort bekommt Herr Heintze.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch von mir ein Dankeschön oder ein Lob für die intensive Zusammenarbeit in den vergangenen Monaten. Wir haben den Antrag schon zu Beginn der Legislaturperiode eingebracht, weil wir ahnten, dass es länger dauert. In sehr, sehr vielen Sitzungen und Expertenanhörungen haben wir uns intensiv mit dem Thema beschäftigt, und eines kann man sicher nicht sagen, dass wir uns, und zwar über alle Fraktionen hinweg, nicht sehr viel Mühe gemacht hätten, unsere Positionen herauszuarbeiten und uns ganz klar anzuschauen, was die Schuldenbremse für Hamburg bedeutet, was geht und was nicht geht. In diesem Punkt hat Herr Dr. Dressel recht. Wir haben uns alle, insbesondere die Haushaltspolitiker, sehr angestrengt.

Trotzdem, Herr Dr. Dressel, kommen wir zu einem anderen Schluss. Sie bringen uns auch nicht ins Wanken, nur weil drei Parteien sagen, sie hätten das Jahr 2020 als richtigen Zeitpunkt zur verbindlichen Einführung der Schuldenbremse entdeckt. Es mag sein, dass das der Schluss dieser drei Parteien ist, aber man muss dazu bemerken, dass die Frist 2020 bereits Verpflichtung des Grundgesetzes ist. Selbst der Senat wird mir nicht widersprechen, wenn ich sage, dass dies das absolute Muss ist. Das gilt auch für Hamburg und muss überhaupt nicht in die Verfassung geschrieben werden, denn das Jahr 2020 ist Verpflichtung für diese Stadt, egal, was die Mehrheit dieses Hauses denkt. Diesbezüglich werfen Sie Nebelkerzen und tun es weiterhin. Das halte ich für einen schlechten Umgang mit diesem Thema.

(Beifall bei der CDU)

Von einem schlechten Umgang mit diesem Thema zeugt meiner Ansicht nach auch, gleich zu Anfang die gesellschaftliche Akzeptanz für das Sparen infrage zu stellen und dann noch einen Schritt weiter zu gehen – ich glaube, es war "SPIEGEL Online", der zu Griechenland titelte "Willkommen in Weimar" – und ein Protestszenario an die Wand zu malen und zu sagen, man solle bei den Gewerkschaften nicht überziehen, weil sonst das Land mit Protesten überzogen würde, wie wir sie aus Griechenland kennen. Herr Dr. Dressel, Ihre Analogien finde ich sehr gefährlich. An der Situation in Griechenland können wir genau erkennen, was passiert, wenn Politik ihre haushaltspolitische Verantwortung über Jahrzehnte nicht richtig ernst nimmt.

(Dr. Andreas Dressel)

(Beifall bei der CDU)

In Hamburg sind wir in einer ganz anderen Situation. Ich glaube, Sie unterschätzen sehr deutlich die gesellschaftliche Akzeptanz der Schuldenbremse, auch bei Ihrer eigenen Wählerklientel.

Ihre weitere Argumentation finde ich allerdings bemerkenswert. Sie sagen, die Opposition hätte gestern auf einmal ihr sozialpolitisches Herz entdeckt und würde ständig Ausgaben fordern und Einsparungen kritisieren. Herr Dr. Dressel, es war Ihre Fraktion, die das Angebot der CDU zu einer Haushaltsstrukturkommission abgelehnt und noch nicht einmal an den Ausschuss überwiesen hat. Wir haben aktive Mitarbeit beim Einhalten der Schuldenbremse angeboten, Sie haben es ignoriert, wollten es nicht einmal diskutieren und haben es sogar abgelehnt. Nun werfen Sie uns bitte nicht vor, uns würde es an Bereitschaft mangeln. Sie wollten an dieser Stelle nicht arbeiten.

(Beifall bei der CDU)

Ich muss Ihnen bei den Zahlen helfen. Sie nennen den Sozialhaushalt, der arme Sozialsenator müsste, wenn 2015 die Schuldenbremse der CDU kommt, weitere 120 bis 160 Millionen Euro einsparen. Herr Dr. Dressel, da ich mich mit dem Sozialhaushalt beschäftigt habe, finde ich die Zahl nicht so erschreckend, dass ich vom Sitz aufspringen würde.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Ist es noch mehr?)

Wenn Sie bei einer der letzten Haushaltsausschusssitzungen zur Einbringung des Haushalts nicht dabei waren, dann können Sie im Protokoll lesen, dass Ihr Sozialsenator allein in seinem Haushalt Steuerungspotenziale von 200 Millionen Euro im Jahr sieht. Damit sind 120 bis 160 Millionen Euro meiner Ansicht nach abgedeckt.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Eben nicht, die kommen oben drauf!)

Sie sollten sich mit den Haushalten beschäftigen, bevor Sie Lügen in die Welt setzen.

(Beifall bei der CDU – Glocke)

Herr Abgeordneter, auch Sie sollten unbedingt zum parlamentarischen Sprachgebrauch zurückkehren.

– Ich entschuldige mich.

Bleiben wir beim Sozialhaushalt, Herr Dr. Dressel. Da Sie von 120 bis 160 Millionen Euro sprechen – fahrlässigerweise, wie ich finde –, möchte ich darauf hinweisen, was Sie vergessen haben und was auch in allen Haushaltsplanungen überhaupt noch nicht auftaucht, nämlich die 150 Millionen

Euro Grundsicherung, die der Bund übernimmt. Sie kritisieren immer, der Bund würde nichts für Hamburg tun, natürlich tut der Bund etwas für Hamburg. Es kommen 150 Millionen Euro jährlich ab nächstem Haushaltsjahr, die haben Sie überhaupt noch nicht eingeplant. In diesem Sozialhaushalt, über den Sie vermeintlich fachkundig sprechen, ist noch eine Menge Luft. Bevor Sie den herbeizitieren, um die CDU anzugreifen, sollten Sie sich persönlich erst einmal schlau machen.

(Beifall bei der CDU und bei Finn-Ole Ritter FDP – Jan Quast SPD: Das ist Unsinn, was Sie erzählen! – Dr. Andreas Dressel SPD: Das merken wir uns, das Zitat mit der Luft!)

Das Ergebnis dieser Beratungen überrascht in der Tat. Hamburg schafft es als einziges Bundesland, eine Schuldenbremse, die nach der Landeshaushaltsordnung ab 2013 gilt, zu kippen und auf den letztmöglichen Zeitpunkt, den das Grundgesetz vorschreibt, zu verschieben. Was daran die haushaltspolitische Heldentat ist, zu der Sie das stilisieren, verstehe ich nicht, und die CDU-Fraktion hat während der gesamten Beratungen überhaupt nicht verstanden, wie Sie zu so einer Schlussfolgerung kommen. Sie kippen ein bestehendes Schuldenverbot ab dem Jahr 2013.

(Beifall bei der CDU – Dr. Andreas Dressel SPD: Was ist mit 2019?)

Wenn Sie einmal sehr genau hinschauen, und da müssen Sie nur den Beratungen im Bundestag folgen, dann sehen Sie, dass die Frist bis 2020 für die finanzschwachen Länder gedacht ist.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Wo steht das? Zeigen Sie mir mal die Fundstelle!)

Sie bringen Hamburg dadurch, dass Sie sich auf das Jahr 2020 festlegen, gemeinsam mit der GAL und der FDP ohne Not in die haushaltspolitische Abstiegszone, weil Sie am Ende des Tages den Konsolidierungsdruck nicht wollen. Sie sagen, der reicht uns ab dem Jahr 2020. Ich habe einmal nachgerechnet. Selbst mit den 0,88 Prozent Neuverschuldung bedeutet das 5 Milliarden Euro weitere Schulden bis 2020. Herzlichen Glückwunsch zu diesem Vorstoß.

(Beifall bei der CDU)

Ich sage Ihnen noch etwas. Diese Schuldenbremse zum letztmöglichen Zeitpunkt beweist nicht, dass Haushaltskonsolidierung groß geschrieben wird. Für mich beweist die Schuldenbremse zum letztmöglichen Zeitpunkt, dass Haushaltskonsolidierung in Ihrer Regierung – ich lasse die anderen beiden Fraktionen bewusst außen vor – derzeit keine Priorität mehr besitzt. Der Bürgermeister lässt keine Situation aus, Signale zu setzen, die für eine Aufweichung sprechen. Zum Beispiel der Soli, man könnte den Soli doch jetzt zur Schuldensteuer umwandeln. Was ist das denn anderes, als be

wusst zu signalisieren, es geht alles auch anders, liebe Behörden, liebe Freie und Hansestadt Hamburg, wir haben das mit möglichst breitem Konsens auf 2020 hinausgeschoben. Das ist das Signal, in dieser Stadt müsse erst einmal nicht mehr konsolidiert werden. Es wird im Sinne Ihrer Wahlversprechen weiterregiert, womit Sie den Haushalt übrigens jährlich mit 200 Millionen Euro belasten, worüber Sie sich auch Gedanken machen könnten. Sie lassen eine historische Chance ungenutzt.

(Zuruf von Dr. Andreas Dressel SPD)

Wenn wir auf die Einnahmen des ersten Quartals dieses Jahres schauen, dann haben wir hochgerechnet mit rund 12 Milliarden Euro Einnahmen in 2012 zu rechnen. Wir haben den besten Jahresabschluss seit Jahren in 2011 gehabt. Wenn Sie die Einmalzahlung abziehen, bleibt ein Defizit von 6 Millionen Euro.

Sie haben eine einmalige historische Chance, nämlich Einnahmen von 12 Milliarden Euro, mit denen Sie selbst erst 2020 rechnen. Das Ausgabenniveau ist auf einem historisch niedrigen Level. Da erzählen Sie uns, 2020 sei der früheste Zeitpunkt, das zu erreichen. Herr Dr. Dressel, das ist ambitionslos, Sie lassen eine historische Chance verstreichen. Die aktuellen Haushaltszahlen zeigen sehr deutlich, dass eine Schuldenbremse vor 2020 möglich ist, und wir sollten uns auch dazu verpflichten, das bereits 2015 zu machen.

(Beifall bei der CDU – Dirk Kienscherf SPD: Das können Sie ja alles in den Haushaltsbe- ratungen darstellen!)

Wenn Sie dann allerdings aus dem Steuerabkommen mit der Schweiz 364 Millionen Euro ablehnen, weil Ihnen das alles nicht passt, aber Großeinkäufe machen wollen – heute haben wir gehört, was das 1. Quartal gebracht hat, hier ist das Risiko, von dem wir sprachen, die Stromnetze, die keiner braucht, die aber auch noch einmal 500 Millionen Euro kosten, und Ihre Personalabbau- und Einsparmaßnahmen, die in der Realität ein Personalwachstumsprogramm sind –, dann reicht nicht einmal mehr 2020; da gebe ich Ihnen völlig recht.

Sie sollten die historische Chance nutzen, die die Haushaltslage gerade bietet, nutzen Sie die Hand, die wir reichen. Wir arbeiten gern mit Ihnen gemeinsam, auch in einer Haushaltsstrukturkommission. Aber lassen Sie uns bitte selbst die Fesseln anlegen – Sie beschreiben den Mechanismus richtig –, 2015 in dieser Stadt mit dem Schuldenmachen verbindlich Schluss zu machen. Die Chance ist da und die sollten wir nutzen.

(Beifall bei der CDU)

Ich möchte mit einem Zitat des Bürgermeisters schließen. Der Bürgermeister hat hier zu Recht gesagt, dass die Schuldenbremse ein Gebot der Vernunft sei. Die Zinslasten würden uns die Luft zum

Atmen nehmen und erdrückten kommende Generationen. Ist es dann nicht vernünftig, wenn man die Chance hat, die Zinslasten zu reduzieren und den kommenden Generationen nicht die Luft zum Atmen zu nehmen, es auch in einer Haushaltssituation, wie wir sie jetzt haben, zu tun? Ich habe das Gefühl, der Bürgermeister hat sich aktiv mit Unterstützung der Regierungsfraktion und von FDP und GAL von diesem Ziel verabschiedet, weil er sonst nämlich vernünftig in seinem Sinne handeln und verhindern würde, dass uns die Luft zum Atmen ausgeht, weil wir zu viele Zinsen zahlen und künftige Generationen dadurch erdrücken; das hat gar nichts mehr mit seiner Regierungserklärung zu tun.

(Beifall bei der CDU)

Die CDU steht – dies betonen wir noch einmal mit dem Antrag, den wir erneut eingebracht haben – immer noch zu dem Angebot eines Schuldenstopps 2015. Wir würden uns freuen, wenn das Haus mitgeht. Wir bieten an, bei der Umsetzung mitzuhelfen. Aber eines hilft nicht, nämlich den Schuldenstopp zu verschieben und damit die Zinslast für kommende Generationen zu vergrößern. Das wird mit uns nicht passieren. Deshalb werden wir Ihrem Vorhaben, 2013 zu kippen, nicht zustimmen. Das Grundgesetz einzuhalten ist für uns selbstverständlich, das brauchen Sie hier nicht zu beschließen.