Wir haben folgendes Problem: Das Arbeitsmarktprogramm des Senats ist nicht dafür geeignet, die vorhandenen Potenziale zu erschließen und dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Es ist kein Konzept, das langfristig stabile Strukturen auf dem Arbeitsmarkt und in der Wirtschaft schaffen kann. Hier müssen Sie, liebe SPD, noch einmal ran.
Wie Sie wissen, hat das Bundeskabinett ein Konzept zur Fachkräftesicherung beschlossen. Das Konzept hat fünf Sicherungspfade: Aktivierung von Beschäftigungssicherung, bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Bildungschancen für alle von Anfang an, Qualifizierung, Weiterbildung und Integration und qualifizierte Zuwanderung. Das sind die Punkte, die auch der Senator am Montag auf dieser berühmten Veranstaltung noch einmal angesprochen hat. Bei der Veranstaltung "ESF im Dialog" unter dem Motto "Fachkräfte für morgen" haben Sie, Herr Senator Scheele, angekündigt, dass die Behörde ein ähnliches Konzept vorlegen werde, das aus vier Säulen bestehe.
Wenn ich mir aber die Antworten auf die Große Anfrage anschaue, stelle ich fest, dass Sie gerade an diesen Säulen sägen, auf denen Ihr Konzept stehen soll. Zum Beispiel das Projekt Worklife: Das Projekt läuft seit 2006 und wird aus dem ESF und aus Behördenmitteln finanziert. Die Erfolge dieses Projekts beschreiben Sie seitenweise in der Großen Anfrage, aber gerade bei diesem Projekt, das zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf beitragen soll, kürzen Sie, Herr Senator Scheele. Das passt nicht zusammen und ist nicht nachvollziehbar an dieser Stelle.
Im Bereich Qualifizierung in der Aus- und Weiterbildung bieten Sie keine Perspektiven für die Gruppe der zwischen 25- und 35-Jährigen. Beschäftigungssicherung für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer findet in Ihrem Arbeitsmarktprogramm auch keine Aufmerksamkeit. Herr Senator, Sie haben am Montag auf der Veranstaltung angesprochen, dass eine zweite Ausbildung oder Umschulung für Menschen über 50 ermöglicht werden soll. Wir sind gespannt, was die Agentur dazu sagt, denn schließlich haben Sie, was die aktive Arbeitsmarktpolitik in Hamburg angeht, die Federführung an die Agentur abgegeben. Die zweite Ausbildung kann auch nicht die einzige Lösung sein. Darüber hinaus brauchen wir gerade für ältere Menschen flexible Arbeitszeitmodelle, die ihnen ein längeres Arbeitsleben ermöglichen.
Was die Beschäftigung von Frauen angeht, gibt es jede Menge Baustellen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist eine wesentliche Voraussetzung, um mehr Frauen für Führungspositionen zu gewinnen. 79 Prozent der Beschäftigten im Nied
riglohnsektor haben einen Berufsabschluss oder eine höhere Qualifikation, und nur 55 Prozent der Frauen in Deutschland üben eine Vollzeitbeschäftigung aus. Frauen sind daher das größte Potenzial, das wir gegen Fachkräftemangel aktivieren können.
Daher brauchen wir spezielle Angebote insbesondere für Alleinerziehende, um dieser Gruppe den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen und so dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Viele Alleinerziehende brauchen nicht nur einen Kita-Platz. Wir müssen uns Gedanken machen, wie wir die Bildungsmaßnahmen kreativ an die Erfordernisse der Menschen und der Wirtschaft anpassen können und nicht die Menschen an die Bildungsmaßnahmen. Eine zeitlich flexible Ausbildung besonders für alleinerziehende Frauen wäre hier der erste richtige Schritt.
Wenn wir junge Menschen für bestimmte Berufe begeistern möchten, müssen wir die Verdienstsituation und Wertschätzung der jeweiligen Berufe auch genau betrachten. Es gibt Berufe, wo Fachkräfte Mangelware sind, wie zum Beispiel im Gesundheitsbereich, insbesondere in Pflegeberufen, aber die Entlohnung und Wertschätzung dieser Berufe schreckt viele Nachwuchskräfte ab. Wer will schon für wenig Geld unter sehr hoher Belastung arbeiten?
Zum Thema Zuwanderung von qualifizierten Fachkräften brauchen wir viel mehr als Stammtischparolen und halbherzige Regelungen auf Bundesebene. Die Hochschulqualifizierten-Richtlinie wird uns nicht helfen, wenn wir die Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt nicht beenden. Daher kann ich Ihnen nur empfehlen, unseren Antrag zu einem anonymisierten Bewerbungsverfahren so schnell wie möglich umzusetzen und auch die Wirtschaft ins Boot zu nehmen, meine Damen und Herren von der SPD.
Die zentrale Anlaufstelle zur Anerkennung ausländischer Abschlüsse ist ein guter Weg, um vorhandenes Potenzial zu aktivieren. Aber hier gibt es noch offene Fragen wie beispielsweise die Finanzierung der Anpassungsqualifikation. Hier muss eine enge Kooperation mit dem Jobcenter team.arbeit.hamburg, aber auch mit den Unternehmen erzielt werden. Eine Willkommenskultur für Hamburg bedeutet nicht nur einen Kita-Platz, gute Schulen und eine Vielfalt an Freizeit- und Kulturangeboten, eine Willkommenskultur bedeutet auch eine offene Gesellschaft ohne Diskriminierung und Rassismus. Der Bereich Antidiskriminierung besteht aber hier aus dem symbolhaften Betrag von 20 000 Euro jährlich in Ihrem Haushalt, liebe SPD. Ich kann nur an Sie appellieren: Korrigieren Sie diesen Betrag
Am Ende möchte ich Sie noch einmal bitten, Ihr Arbeitsmarktprogramm zu überprüfen und entsprechende Änderungen vorzunehmen. Mit diesem Arbeitsmarktprogramm werden Sie weder dem Fachkräftemangel noch der Langzeitarbeitslosigkeit entgegenwirken können, und wir sind gespannt, was Ihr Fachkräftekonzept dann erzielen kann. Wir müssen jetzt drei Monate länger warten. Sie hatten angekündigt, Ende des Jahres ein Konzept vorzulegen, aber jetzt wollen Sie doch erst Ende März ein Konzept in die Bürgerschaft bringen; wir sind sehr gespannt.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir sprechen in der Tat heute nicht das erste Mal in der Bürgerschaft über das Thema Fachkräftemangel, aber wir sprechen das erste Mal über Stellenbesetzungsengpässe. Ob das so ein rechter Fortschritt ist, weiß ich nicht, aber jedenfalls hat dieser Begriff eine Anwartschaft auf das Unwort des Jahres. Und nicht zum ersten Mal stellen wir fest, dass das Thema Fachkräftemangel die offene Flanke in der Arbeitsmarktpolitik des Senats ist.
Aber – lassen Sie mich das als Vorbemerkung sagen, Frau Prien – die vorliegende Große Anfrage der CDU-Fraktion bringt uns auch nicht so recht weiter. Ausgesprochen freundlich werden da 25 Fragen so gestellt, dass sie dem Senat im Grunde willkommene Stichworte liefern, um noch einmal auszubreiten, was er angeblich alles gegen Fachkräftemangel getan hat. Man hat ein wenig den Eindruck, dass diese Große Anfrage noch zuzeiten des schwarz-grünen Senats formuliert wurde und jetzt in irgendeiner Schublade eines Referenten der CDU-Fraktion wieder aufgetaucht ist. Das finde ich schon etwas handzahm.
Aber nun zu den Antworten des Senats. Zunächst einmal scheint es innerhalb des Senats völlig unterschiedliche Auffassungen darüber zu geben, was überhaupt Fachkräftemangel ist, ob dieser derzeit besteht oder nur bald droht. So hat Senator Scheele noch im April bei einer Veranstaltung des "Demographie Netzwerks" prognostiziert, dass mittelfristig in Hamburg 100 000 Fachkräfte fehlen. Wesentlich entspannter sieht der Senat in seiner Antwort auf die vorliegende Anfrage die Situation und meint, es könne – ich zitiere –:
Es kommt also zu Stellenbesetzungsproblemen, aber es herrscht kein Fachkräftemangel. Das kommt mir so vor, als ob alle Keller unter Wasser ständen, man aber nicht von einer Überschwemmung reden dürfe. Hier kann uns der Senat vielleicht noch einmal genauer davon in Kenntnis setzen, Herr Senator Scheele, was denn seine Definition von Fachkräftemangel ist. Die Handelskammer jedenfalls findet die Tatsache, dass 40 Prozent der Hamburger Unternehmen ihre Stellen mittelfristig nicht besetzen können, durchaus problematisch, und ich kann diese Sorge nachvollziehen.
Auf den 29 vorliegenden Seiten der Großen Anfrage und der Antwort des Senats reiht der Senat dann zahlreiche Initiativen, Veranstaltungen, Cluster-Aktivitäten und so weiter auf, die das lebenslange Lernen verbessern und den Fachkräftemangel entschärfen sollen. Gegen diese Maßnahmen ist aus Sicht der FDP-Fraktion im Grunde nichts einzuwenden. Uns fehlt allerdings der rote Faden und vor allen Dingen der durchgreifende Erfolg, denn seitdem die Mehrheitsfraktion im Oktober 2011 den Senat aufgefordert hat, ein Konzept gegen den Fachkräftemangel vorzulegen, wurden zwar diverse Aktionen gestartet, die Situation hat sich jedoch nicht wesentlich verändert. Daher will Ihnen die FDP-Fraktion vier konkrete Vorschläge nennen, was gegen den Fachkräftemangel getan werden muss.
Erstens: Bereits im vergangenen Jahr haben wir abgefragt, inwieweit die Werbung für Hamburg als Arbeits- und Lebensmittelpunkt für ausländische Fachkräfte in das Hamburg-Marketing einbezogen werden kann. Bislang ist wenig passiert.
Zweitens: Viele Tausend Jugendliche in unseren EU-Nachbarstaaten suchen zurzeit Jobs. Hamburg muss diese Chance nutzen, unbürokratische Einstiegsmöglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt schaffen und auch dafür werben, zum Beispiel an den Schulen und Hochschulen in anderen EU-Ländern oder durch den Ausbau der Austauschprogramme und Hochschulkooperationen.
Drittens: Hamburg braucht gut ausgestattete Hochschulen. Wir erfahren in der vorliegenden Antwort auf die Große Anfrage zwar, dass sich der Anteil ausländischer Studierender und berufstätiger Studierender erhöht hat, allerdings bringt dies in der Summe nichts, solange die Anzahl der Studienplätze gleich bleibt. Der Sparkurs von Senatorin Stapelfeldt trägt in diesem Zusammenhang nicht dazu bei, die Universitäten und Fachhochschulen attraktiver zu machen.
Viertens und letztens: Bislang haben wir mit einem Regeleintrittsalter in die Rente von 65 Jahren kalkuliert. Aus der vorliegenden Anfrage erfahren wir jedoch, dass in der Altersgruppe der 60- bis 65-Jährigen mehr als die Hälfte der Erwerbspersonen in Hamburg nicht mehr arbeitet. Der Senat muss also eine Strategie entwickeln, wie die Erfahrung und das Know-how der über 60-Jährigen besser ausgeschöpft und in den Arbeitsmarkt integriert werden, mit anderen Worten, wie diese Reserve gehoben und genutzt werden kann. – Vielen Dank.
Frau Präsidentin, sehr geehrte Herren und Damen! Gibt es den Fachkräftemangel denn nun oder gibt es ihn nicht? Das ist eine große Frage, bei der es wünschenswert wäre, wenn der Senat eine klare Haltung dazu hätte.
Auf Seite 3 schreibt er, dass es keinen gebe. 20 Seiten später berichtet er über den Fachkräftemangel als Schwerpunktthema in der Gesundheitswirtschaft, und auch ansonsten lassen die dargestellten Aktivitäten rund um die Qualifizierung und auch die Millionenbeträge, die in die Cluster und die Vernetzung fließen, wie auch die dahinterstehenden Strategien nicht den Rückschluss zu, dass es keinen gebe. Was mir an der Anfrage gut gefallen hat, ist die differenzierte Darstellung verschiedener Bereiche der Hamburger Wirtschaft und was jeweils unternommen wird, um zu qualifizieren. Einige der Antworten müssen dringendst vertieft werden. Den Einfluss der Wirtschaft auf Lehrstühle und Studiengänge finde ich zum Beispiel hinterfragenswert.
Inwieweit die Freiheit von Forschung und Lehre davon beeinträchtigt ist, ist aus Sicht der LinksFraktion ein wichtiges Thema.
Mir ist auch aufgefallen, dass die Hamburg Media School mit keiner Silbe erwähnt wird. Entweder hat der Senat sie bereits abgeschrieben oder aber sie ist unter den Tisch gefallen, weil sie keine Bedeutung für die Fachkräftegewinnung in Hamburg hat. Ich habe dazu jetzt eine Schriftliche Kleine Anfrage an den Senat gerichtet, denn immerhin geht es hier um 1,4 Millionen Euro an Steuergeldern, die jedes Jahr in dieses ÖPP-Projekt hineinfließen.
Ich möchte Ihnen nun darlegen, wo ich die Hauptursachen von Fachkräftemangel sehe. Es findet eine enorme Ressourcenvergeudung mit den Potenzialen der zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte statt. Das fängt damit an, dass oft sehr pauschal
Schulabgängerinnen und Schulabgänger als nicht ausbildungsfähig eingestuft werden. Es werden zu wenige Anstrengungen für Bildungsgerechtigkeit unternommen,
um Menschen in die Ausbildung zu bekommen, die eben nicht einen Zeugnisdurchschnitt von Zwei haben und damit glänzen können. Es gibt auch viel zu wenige Angebote für Menschen ohne Abitur.
Es geht damit weiter, dass immer noch zu wenige Anstrengungen unternommen werden, Mädchen und Jungen für eine breitere Wahl ihrer Ausbildungswünsche zu begeistern. Kampagnen dafür sind zwar sehr werbewirksam, aber wenig nachhaltig.
Und was ist mit jenen, die aufgrund gesundheitlicher Probleme weit vor Erreichen des Rentenalters aus ihrem Beruf ausscheiden müssen? Bundesweit sind das 2011 180 000 Menschen gewesen, und sie waren im Durchschnitt dabei 50 Jahre alt. Die Betriebe investieren viel zu wenig darin, dass ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gesund bleiben.