Protokoll der Sitzung vom 07.11.2012

Sie beschließen etwas, das Verbände, Gewerkschaften und Wirtschaft und vor allem die breite Mehrheit der Menschen in diesem Land schlicht nicht wollen. Sieben von zehn Bürgerinnen und Bürgern lehnen das Betreuungsgeld ab und das mit gutem Grund,

(Finn-Ole Ritter FDP: Damals haben Sie es mitgetragen!)

denn das Betreuungsgeld zementiert ein überholtes Frauen- und Familienbild, es hält Kinder aus bildungsfernen Familien von Bildungseinrichtungen fern, es konterkariert die intensiven Bemühungen, Frauen den Weg zurück in die Erwerbstätigkeit zu erleichtern – und das mit Kosten von bis zu 2 Milliarden Euro. Bezahlt werden diese Fehlanreize mit dem Geld, das beim Ausbau der Kindertagesbetreuung fehlt.

(Beifall bei der SPD)

Das Betreuungsgeld ist nicht wie das frühere Erziehungsgeld an Bedürftigkeit gebunden, das Betreuungsgeld ist nicht wie das heutige Elterngeld an Verdiensteinbußen gebunden, das Betreuungsgeld dient allen Behauptungen zum Trotz gerade nicht der Wahlfreiheit zwischen Kita und häuslicher Erziehung, im Gegenteil, es verstetigt den Mangel an Betreuungsplätzen und verfestigt so die unterschiedlichen Familien- und Erwerbsstrukturen in den Ländern. Wählen kann nur, wer tatsächlich Alternativen hat, und davon kann angesichts der veröffentlichten Zahlen von bundesweit 220 000 fehlenden Betreuungsplätzen vielerorts wirklich keine Rede sein.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben das schon einmal diskutiert. Wenn man die 1,2 Milliarden Euro, die Herr Schäuble einplant, nach dem Königsteiner Schlüssel umlegt, dann könnte man in Hamburg 3100 Krippenplätze schaffen. Das wäre wirklich sinnvoll.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren! Das Betreuungsgeld ist ein gleichstellungs- und familienpolitisches Debakel. Es würde die Länder in der Familien-, in der

(Katharina Fegebank)

Sozial- und auch in der Gleichstellungspolitik empfindlich beeinträchtigen. Das müssten wir hinnehmen, wenn der Bund uns das Betreuungsgeld vorschreiben dürfte. Das darf er aber nicht, denn der Bund hat für das Betreuungsgeld keine Gesetzgebungskompetenz. Im Bereich der sogenannten konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit von Bund und Ländern darf der Bund nur dann Gesetze machen, wenn und soweit sie entweder zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder zur Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse erforderlich sind. Das ist eindeutig nicht der Fall.

(Beifall bei der SPD)

Ganz im Gegenteil wird das Betreuungsgeld bestehende Unterschiede in der Kinderbetreuung noch verstärken.

(Glocke)

Erster Vizepräsident Frank Schira (unterbre- chend): Verzeihung, Herr Senator, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wersich?

Nein.

(Klaus-Peter Hesse CDU: Lieber nicht, wür- de ich auch nicht!)

Der Senat bereitet deshalb einen Normenkontrollantrag gegen das Betreuungsgeld vor, den wir beim Bundesverfassungsgericht einreichen wollen, sobald das Gesetz verkündet ist.

(Beifall bei der SPD)

Ich will gern einräumen, dass ich, als ich heute Morgen in der Zeitung gelesen habe, was der Geschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Herr Landsberg, gesagt hat, dachte, das geht nicht. Man kann es nicht verschieben, und man kann auch keine Rechnungen aufmachen der Art, wir nehmen das Betreuungsgeld und die durchschnittlichen Kosten für einen Krippenplatz, zählen das zusammen, legen 200 Euro drauf, und um den Rechtsanspruch zu vermeiden, bezahlen wir die häusliche Beschäftigung einer Kinderfrau. Das ist keine Politik, die der SPD-geführte Senat in Hamburg machen wird.

(Beifall bei der SPD)

Hamburg nimmt unter den alten Bundesländern eine vorbildliche Stellung bei der Kindertagesbetreuung ein.

(Finn-Ole Ritter FDP: Vom Bund finanziert!)

Die Krippenbetreuungsquote wurde von 21,1 Prozent im Jahr 2006 auf 36 Prozent im März 2012 gesteigert. Um allen Kindern frühzeitig den Zugang zur Kindertagesbetreuung zu ermöglichen, hat Hamburg den Rechtsanspruch auf eine fünfstündige Kindertagesbetreuung ab einem Alter von zwei

Jahren bereits im August dieses Jahres eingeführt und damit ein Jahr vor dem bundesweiten Rechtsanspruch.

(Beifall bei der SPD)

Im August 2013 wird der Rechtsanspruch für alle Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr gelten. Daran wird sich nichts ändern, und Hamburg wird auch keinen Kompromiss auf Gesetzgebungsebene an dieser Stelle machen. Hamburg wird diesen Rechtsanspruch sicherstellen, und wir gehen davon aus, dass wir nächstes Jahr eine Betreuungsquote bei Kindern im Krippenalter von 43 Prozent erreichen werden. Das ist eine entschiedene Politik für Chancengerechtigkeit und Chancengleichheit und für die Gerechtigkeit unter den Geschlechtern am Arbeitsmarkt. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Frau Suding hat das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Erst einmal vorweg: Bei der Themenfindung zu dieser Aktuellen Stunde scheint die SPD unter temporärer Amnesie gelitten zu haben, denn erstens hätten Sie das Betreuungsgeld doch besser in all seinen Farbfacetten, also auch das unter Schwarz-Rot gewollte Betreuungsgeld, betrachten müssen, und zweitens hätten Sie konsequenterweise auch die Ergebnisse des Koalitionsausschusses vom vergangenen Sonntag als Gesamtpaket thematisieren müssen.

(Beifall bei der FDP – Dr. Andreas Dressel SPD: Gesamt-Kuhhandel!)

Ich kann grundsätzlich verstehen, dass die SPD insbesondere nach der vergangenen Bürgerschaftssitzung und gerade auch nach der HSH-Debatte, die wir eben geführt haben, eigene Wunden lecken muss und nun verzweifelt versucht, mit dem Fingerzeig auf Berlin von der eigenen Misere abzulenken. Wir alle wissen, dass Koalitionsausschüsse nicht unbedingt heitere Familienfeste sind, bei denen man sich sagt, wie lieb man sich hat. Es sind harte Verhandlungsrunden, und beim Thema Betreuungsgeld prallten am vergangenen Sonntag sehr unterschiedliche Auffassungen aufeinander.

Meine Damen und Herren! Ich hatte Ihnen bereits im Mai klar und deutlich gesagt, was die FDP-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft vom geplanten Betreuungsgeld hält.

(Gabi Dobusch SPD: Gar nichts!)

Nämlich gar nichts, richtig.

(Beifall bei der FDP und der SPD)

Aber es ist auch so, dass die Hamburgische Bürgerschaft gar nicht über das Betreuungsgeld abzustimmen hat. Grundsätzlich – ich wiederhole es

(Senator Detlef Scheele)

noch einmal – sind wir der Meinung, dass in Städten wie Hamburg das Betreuungsgeld tatsächlich falsche Anreize setzen könnte. In Hamburg, wir wissen es, hat jedes zweite Kind einen Migrationshintergrund. Gerade diese Kinder, aber längst nicht nur die, brauchen alle frühkindlichen Bildungsangebote, die wir ihnen bieten können, vor allem, damit sie die deutsche Sprache lernen, was Grundlage erfolgreicher Integrationsbemühungen ist. Jeden Anreiz, der Kinder aus Kindertagesstätten fern hält, halte ich für falsch.

(Beifall bei der FDP)

Das Bildungssparen, das auf Initiative der FDP das Betreuungsgeld nun ergänzt, ist ein sinnvoller Vorschlag – es gibt nun diese bargeldlose Variante –, aber uns allen dürfte auch klar sein, dass man damit den falschen Anreizen kaum wird entgegenwirken können. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen und insbesondere sehr geehrter Herr Dr. Dressel, Sie müssten es eigentlich besser wissen, erfunden hat das Betreuungsgeld nicht Schwarz-Gelb, sondern Schwarz-Rot. Das Betreuungsgeld wurde 2008 vom damaligen SPD-Finanzminister Peer Steinbrück als – ich zitiere –:

"[…] deutliche Verbesserung der Infrastruktur zum Wohle der Kinder in unserem Land […]"

hochgepriesen. Das können Sie beispielsweise in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" nachlesen. Heute will derselbe Peer Steinbrück in seiner Rolle als SPD-Kanzlerkandidat nichts mehr davon wissen. Ich teile zwar seine Kritik am Betreuungsgeld, allerdings ist das, was er sagt, nach diesem ZickZack-Kurs alles andere als glaubwürdig.

(Beifall bei der FDP)

Wie die Sache mit den Kompromissen funktioniert, das wird die Hamburger SPD auch noch lernen dürfen. Dazu verweise ich einmal auf die Streitigkeiten zwischen Kiel und Berlin, da geht es eigentlich um einen innerparteilichen Streit. Was das Thema angeht, gibt es hoffentlich noch einen gewissen Lerneffekt.

Meine Damen und Herren! Das Betreuungsgeld wird kommen, auch ein kraftvoller Beschluss der Hamburgischen Bürgerschaft würde es leider nicht verhindern. Am vergangenen Sonntag gab es aber weitere Beschlüsse, die auch Teil der Einigung zwischen den Koalitionspartnern sind, und das Wichtigste für unser Land dabei ist, dass mit einem strukturell ausgeglichenen Haushalt schon im Jahr 2014 die Bundesregierung, und zwar im Gegensatz zu allen anderen Bundesregierungen davor, einen sehr klaren Kurs der haushaltspolitischen Verantwortung fährt. Davon werden vor allen Dingen die künftigen Generationen profitieren, sie werden finanzpolitische Spielräume zurückgewinnen, und sie werden nicht weiter durch die Schulden ihrer Elterngeneration belastet werden.

(Beifall bei der FDP)

Und dass die Praxisgebühr, die von Rot-Grün eingeführt wurde, keinerlei Steuerungswirkung entfaltet hat und Bürokratie pur ist, ab 2013 endlich der Vergangenheit angehören wird, das lässt Patienten und Ärzte aufatmen.

Ich hätte mir von den Kolleginnen und Kollegen der SPD im Sinne einer etwas zielführenderen Debatte tatsächlich etwas mehr Aufrichtigkeit und vor allen Dingen ein etwas besseres Erinnerungsvermögen gewünscht. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Nun hat Herr Golke das Wort.