Protokoll der Sitzung vom 27.02.2013

(Beifall bei den GRÜNEN)

Frau Schneider hat das Wort.

Meine Damen und Herren, Herr Präsident, Herr Bürgermeister! Sie kennen die Geschichte vom Ochsenfrosch, der imponieren will und sich aufbläst. Dass er platzt, ist die Tragik des Ochsenfrosches. Aber dass er sich aufbläst, ist Gift für die Stadt.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte mich auf Ihre Rede vor dem Übersee-Club beziehen, auf Ihre große Erzählung von der smarten Stadt. Hier will ich nur auf einen, für uns LINKE allerdings zentralen, Aspekt eingehen – ich zitiere –:

"[…] alle Bürgerinnen und Bürger der Stadt brauchen das Versprechen, dass sich ihre Anstrengung lohnt, dass sie ihr Leben verbessern können und dass wir niemanden am Wegesrand zurücklassen."

Alle Bürgerinnen und Bürger brauchen das Versprechen, dass sich ihre Anstrengung lohnt. Nun, es gibt die Erfahrung, und zwar nicht als Einzelerfahrung, sondern als massenhafte Erfahrung, dass man sich abrackern und abstrampeln kann, wie man will, und dass das bessere Leben, die auch nur halbwegs gesicherte Existenz, unerreichbar bleibt. 36 000 Hamburgerinnen und Hamburger, mehr als ein Viertel aller ALG-II-Bezieherinnen, müssen trotz Arbeit aufstocken, weil sie nur Minijobs finden, weil sie bei Vollzeit miserabel bezahlt werden. Wie viele stocken nicht auf, obwohl sie einen Anspruch hätten? Wie viele arbeiten sechs oder sieben Tage die Woche oder bis zu 260 Stunden im Monat, weil sie eben nicht aufstocken wollen? Wir kennen solche Menschen. Die SPD hat sie lange aus dem Blick verloren.

(Anja Hajduk)

(Beifall bei der LINKEN)

Und es sind keineswegs nur schlecht Qualifizierte oder Menschen mit besonderen Problemlagen, für die das Versprechen eines besseren Lebens durch eigene Anstrengungen höhnisch klingen muss – ich zitiere einen Blogger –:

"Heutzutage reichen nicht mal mehr Abitur, Studium, Auslandsaufenthalt und Praktika, um eine adäquate Beschäftigung zu finden, ohne ausgebeutet zu werden oder Scharlatanen aufzusitzen, die keine Löhne zahlen."

Die Deregulierung des Arbeitsmarktes, die Sie seinerzeit in der Bundesregierung maßgeblich vorangetrieben haben, hat für unzählige Menschen das bessere Leben durch eigene Anstrengung, das Sie jetzt versprechen, in unerreichbare Ferne gerückt.

(Jan Quast SPD: Oh, Frau Schneider!)

Und Sie haben als Bürgermeister, als Senat, wenig unternommen, um diese Situation in Hamburg zu ändern. Ihr Mindestlohngesetz ist unzureichend, eine eigene Arbeitsmarktpolitik ist nicht erkennbar.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Andreas Dres- sel SPD: Stimmt doch überhaupt nicht!)

Es gibt nicht nur Armut in der Stadt, sondern es gibt eine Verfestigung von Armut. Es gibt das Phänomen, dass Menschen und ganze Quartiere regelrecht abgehängt sind. Das scheinen Sie von der SPD nicht einmal mehr im Blick zu haben.

(Jan Quast SPD: Unverschämt!)

Und dann Ihr Versprechen, niemanden am Wegesrand zurückzulassen. Das stimmt zum Teil, leider auf eine böse Weise. Ich spreche vom Hauptbahnhof. Da dürfen sich die Obdachlosen nicht einmal mehr am Wegesrand aufhalten.

(Dirk Kienscherf SPD: Das ist doch Blöd- sinn!)

Sie schwärmen in Ihrer Rede vor dem Übersee-Club vom Hauptbahnhof als Nummer eins der Personenbahnhöfe in Deutschland. Es ist der Superlativ, der Sie interessiert, da stören unliebsame Personengruppen. Die Übertragung des Hausrechts für den überdachten Vorplatz auf die Deutsche Bahn ist ein Schandfleck für den SPD-Senat.

(Beifall bei der LINKEN – Dirk Kienscherf SPD: Überhaupt nicht!)

Es ist übrigens auch rechtswidrig. Diese Übertragung geschah aus keinem anderen Grund als dem, Obdachlose und Trinker zu vertreiben.

In dieser Gesellschaft, in der die Konkurrenz ein herrschendes Prinzip ist, wird es immer Gruppen von Menschen geben, die nicht mithalten können, die, aus welchen Gründen auch immer, scheitern, die vielleicht auch so leben wollen, wie sie leben,

weil sie im Hamsterrad nicht mitlaufen wollen. Wir LINKE sind mit vielen anderen Menschen in dieser Stadt der Auffassung, dass diese Menschen ihren Platz in der Gesellschaft und auch in der Öffentlichkeit haben wie jedes andere Gesellschaftsmitglied.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie brauchen solidarische Unterstützung, aber sie gehören so, wie sie sind, dazu. Ihr Senat jedoch zieht eine Grenze. Und damit enthüllen Sie den knallharten Kern Ihres Versprechens vom besseren Leben durch eigene Anstrengung. Wem die Anstrengung abgesprochen wird oder wessen Anstrengungen in Ihren Augen keine Gnade findet, der fällt durchs Raster, der wird ausgegrenzt.

Ihre Vision von der smarten Stadt ist, auf den ersten Blick, faszinierend, vielleicht auch, weil sie etwas größenwahnsinnig ist. Aber es ist kein Zufall, dass in der gesamten langen Rede des Bürgermeisters vor dem Übersee-Club und auch heute der Begriff der Solidarität in Bezug auf die Stadt und auf die Stadtgesellschaft nicht ein einziges Mal fällt. Ihre Zukunftsversion der smarten Stadt ist vom Verlust der Solidarität geprägt. Davon haben Sie in den ersten beiden Jahren Ihrer Amtszeit einen ersten Geschmack gegeben.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Wort hat Finanzsenator Dr. Tschentscher.

(Dietrich Wersich CDU: Jetzt wird wieder al- les schöngeredet!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Vielleicht darf ich in dieser Generaldebatte noch einmal einen Punkt herausgreifen, der eine besondere Bedeutung hat, nämlich die Haushaltskonsolidierung. Frau Hajduk hat die Diskussion gerade eben ein bisschen auf eine vernünftigere Basis gestellt. Aber die Qualität der Vorwürfe lässt sich doch schon daran ablesen, dass die größte Oppositionsfraktion Mitte Januar, vor gut einem Monat, dem Senat vorwarf, er habe 500 Millionen Euro mehr Geld ausgegeben als im letzten Jahr. Zwei Wochen später war es die gleiche Oppositionsfraktion und die gleiche Pressemitteilung, der Senat habe 300 Millionen Euro mehr ausgegeben als im vergangenen Jahr. Wieder zwei Wochen später haben Sie eine neue Zahl.

(Dietrich Wersich CDU: Aber das sind doch jetzt Ihre Abschlusszahlen gewesen!)

Frau Suding nennt auf einmal eine 2-Prozent-Steigerung. Auch dieser Wert ist falsch. Sie rechnen 5,8 Prozent über zwei Jahre,

(Dietrich Wersich CDU: Das ist die Realität!)

(Christiane Schneider)

das ist alles ein großes Durcheinander, und es ist keine finanzpolitische Oppositionsstrategie, sondern ein großes Durcheinander mit falschen Zahlen.

(Beifall bei der SPD)

Ich will Ihnen auch sagen, Herr Wersich, warum Sie dieses Durcheinander machen,

(Dietrich Wersich CDU: Aber das sind Ihre Zahlen!)

denn Sie betrachten Aus- und Einzahlung zu einem bestimmten Buchungsstand, und zwar vergleichen Sie unterschiedliche Stichtage und Sie vergleichen Aus- und Einzahlung,

(Jens Kerstan GRÜNE: Aber die Zahlen von Frau Hajduk stimmen!)

indem Sie verschiedene Effekte schlicht nicht beachten, nämlich den Effekt, dass ein Investitionsprojekt, das Sie beschlossen haben, das sich verzögert,

(Dietrich Wersich CDU: Ihr Jahresab- schluss!)

in späteren Jahren zur Auszahlung führen kann, die Sie nicht beeinflussen können.

(Dietrich Wersich CDU: Hat's doch immer gegeben!)

Und Sie beachten auch einen Effekt nicht, den wir Ihnen immer wieder erklären, nämlich dass wir bei dieser Betrachtung immer wieder Mittel haben, Hochschulpaktmittel des Bundes zum Beispiel, die wir erhalten und die wir nur weiter auszahlen und den Universitäten geben. Dies wollen Sie uns jetzt zur Last legen. Es ist ein großes Durcheinander, das Sie anstellen, und es ist keine besonders kluge Kritik an einer Finanzpolitik. Es hat vor allem nichts zu tun mit den Versprechen und dem Finanzkonzept, das der Senat Ihnen dargelegt hat.

(Beifall bei der SPD)

Frau Hajduk, dass wir weniger Zinsen haben als geplant, liegt im Übrigen auch daran, dass wir nicht in zwei Jahren 1,8 Milliarden Euro neue Schulden machen.