Was bleibt, ist Folgendes: 2010 hat sich die Bürgerschaft den Studien gegenüber offen gezeigt, hat nicht auf Durchzug und auf taub gestellt, sondern gesagt, sie hätte verstanden, sie hätte die Studien richtig ausgewertet, sie ziehe die politische Konsequenz, dass das Sitzenbleiben weitestgehend abgeschafft werde.
Wir werden natürlich die Überweisung ablehnen und auch den Antrag, um nicht wieder zurück in die pädagogische Steinzeit zu kehren. – Danke.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Antrag der FDP ist überschrieben mit der Überschrift "Klassenwiederholung unbürokratisch zulassen". Liebe FDP, das ist Praxis an den Hamburger Schulen, das müssen Sie nicht neu erfinden, das machen wir jeden Tag.
Was Sie genau wollen, liest man zwischen den Zeilen. Sie wollen wieder einmal das Schulgesetz ändern. Dreimal haben Sie das schon gemacht: einmal mit dem Recht auf Halbtagsschule, was ein Zurück in die Steinzeit ist, dann die Abschaffung eines Lernentwicklungsgesprächs pro Schuljahr, was völlig kontraproduktiv ist zu dem Antrag, den Sie jetzt gestellt haben,
aus der Klasse 10 auf die Stadtteilschulklasse 11 gibt. Alles das, was Sie dort mit angerichtet haben, ist eine Schwächung der Stadtteilschule und eine Verschärfung der sozialen Auslese zwischen den beiden Säulen Stadtteilschule und Gymnasium im Hamburger Schulwesen.
Vizepräsident Dr. Wieland Schinnenburg (unter- brechend): Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Scheuerl?
Und nun soll das Sitzenbleiben wieder eingeführt werden. Ich sage ganz bewusst Sitzenbleiben, weil das, was die FDP vorschlägt, mit Klassenwiederholung gar nichts zu tun hat. Der Unterschied ist eindeutig. Im Schulgesetz steht, dass aus besonderem Grund eine Jahrgangsstufe wiederholt werden könne, um eine bessere Förderung der Leistungsentwicklung und die soziale Integration der Schüler zu fördern. Das Letztere haben Sie völlig ausgeklammert, und das ist der große Unterschied. Es ist etwas völlig anderes, als einen Beschluss in der Zeugniskonferenz herbeizuführen, wo man die Noten addiert, den Querschnitt nimmt und dann schaut, wie es in den Hauptfächern aussieht. Dann heißt es, die Noten seien so und so, und dann muss ein Schüler wiederholen. Das ist Sitzenbleiben. Das wollen wir nicht mehr, das ist Steinzeit.
Sie haben in Ihrem Antrag Vorschläge gemacht, wie man das anders machen kann. Mir fällt dabei auf, dass das Wort Zeugniskonferenz zweimal auftaucht, dagegen lediglich einmal die bessere Förderung der Leistungsentwicklung. Von sozialer Integration reden Sie überhaupt nicht mehr. Wenn ich mir das genau ansehe, reduzieren Sie alles auf die Zensuren. Und das ist auch zurück in die Steinzeit.
Die pädagogische Diskussion um Schulnoten scheint völlig an Ihnen vorbeigegangen zu sein. Erst vor Kurzem hat Horst Hippler, der Vorsitzende der Hochschulrektorenkonferenz, noch einmal deutlich gesagt, dass die Zensuren im deutschen Schulwesen im Vergleich zu anderen europäischen Ländern völlig überbewertet werden und dass sie weit davon entfernt sind, gerecht zu sein.
Viele sitzen im Plenarsaal, die auch selbst Lehrer sind. Viele sind auch selbst zur Schule gegangen und haben Kinder dort – die meisten sind selbst zur Schule gegangen. Die Erfahrungen, die man mit Klassenwiederholungen hat, sind doch ganz typisch. Die Schüler kommen zurück aus einer anderen Klasse, und nach einem Vierteljahr haben sie genau den gleichen Notendurchschnitt, sie haben genau die gleichen Schwierigkeiten, es ist genau das Gleiche, es wird damit überhaupt nichts gewonnen.
Und wenn Sie sagen, durch das Wiederholen einer Klassenstufe könnten Lernrückstände aufgeholt werden und eine Änderung der Lernbereitschaft bewirkt werden, so ist das völlig falsch.
Wenn jemand zwangsweise wiederholen muss, also sitzenbleibt, dann ist das demotivierend. Das ist eine Negativerfahrung. Die Schüler da wieder herauszuholen, da können Sie gern andere Lehrer fragen, ist sehr, sehr schwer. Dafür braucht man als Lehrkraft ein halbes Jahr.
Wenn Sie schon den Erziehungswissenschaftlern keinen Glauben schenken, dann kann ich mir vorstellen, dass Sie der Bertelsmann Stiftung eher zugetan sind. Sie hat eine Studie herausgegeben mit dem Titel "Klassenwiederholungen – teuer und unwirksam". Sie hat alle gängigen Mythen der Klassenwiederholungen zerpflückt.
Als Erstes kommt bei der Studie der Bertelsmann Stiftung heraus – das sollte Ihnen zu denken geben –,
Zweitens: Durch das Aussortieren der Wiederholer werde das Lernen der Übriggebliebenen nicht gefördert.
Jetzt zu Ihnen, Herr Scheuerl. Ich finde es schon ein Ding, dass Sie Legenden bilden und davon reden, dass wir in unseren sechs Sitzungen à vier Stunden, um das Schulgesetz gemeinsam zu ändern, zusammen mit Schülerkammer, Elternkammer, Lehrerkammer und "WWL", nicht darüber nachgedacht haben sollen, was wir getan haben. Das finde ich unverschämt.
Wenn Sie, Herr Scheuerl, von staatlicher Ersatznachhilfe sprechen, was ist das eigentlich für ein Begriff?
Wollen Sie lieber eine private Nachhilfe? Wäre es Ihnen lieber, wenn die 7,1 Millionen Schüler in die privaten Nachhilfeorganisationen gesteckt werden? Man kann über die SPD viel meckern, aber dieses Fördern statt Wiederholen in den Schulen ist wirklich großartig.
Wenn ich die FDP so höre, dann kann ich nur froh sein, dass ich auf die 70 zugehe und kein Kind und keine Jugendliche mehr bin. Heute wird man nämlich geboren und gefördert, und dann muss man Leistung bringen und dann muss man Kompetenzen zeigen. Mein Gott, das ist doch absolut schrecklich. Und wenn Sie davon sprechen, Herr Scheuerl, dass Klassenwiederholungen als Traumatisierung bezeichnet werden, dann stammt diese Aussage nur von Ihnen. Das ist im Schulgesetz mit traumatischen Erlebnissen nicht gemeint. Wenn Sie in die Schulwirklichkeit hineinsehen und sich anschauen, was mit jungen Menschen heute in dieser Stadt passiert, dann werden Sie bemerken, dass die aus völlig anderen Gründen traumatisiert sind, und das muss man sehr, sehr ernst nehmen. Wenn Kinder längere Zeit krank sind, dann ist es sinnvoll, dass sie wiederholen, dann wollen sie es auch meistens selbst, und das ist auch gut so.
Es war ein großer Fehler, ein Lernentwicklungsgespräch pro Jahr zu kürzen. Wir sollten die Herausforderung und die Chance, die das Schulgesetz bietet, umsetzen. In Paragraf 17 Absatz 2 Satz 2 steht zum Beispiel zu den Gymnasien:
Ich habe in einer Schriftlichen Kleinen Anfrage nachgefragt, wie das an den Gymnasien nun aussieht. Die Antworten waren: Die Fragen werden behandelt, das individuelle Lernen wird diskutiert, darüber werden Vorträge gehalten, es werden Beispiele präsentiert, in bezirklichen AGs gibt es einen Austausch zwischen den Gymnasien, und es gibt sogar zwei Gymnasien, die das Projekt "alles>>könner" haben. Außerdem hat der Senat noch geantwortet: