Protokoll der Sitzung vom 15.05.2013

Was auf der Strecke bleibt, ist die Zukunftsperspektive der Verwahrten einerseits und damit auch die Sicherheit der Allgemeinheit andererseits. Da besteht nämlich ein Zusammenhang. Für die Sicherungsverwahrten gilt: Diese Menschen sind keine Häftlinge mehr. Sie haben ihre Strafe nämlich lange verbüßt, und das bitte ich einmal zur Kenntnis zu nehmen.

(Beifall bei der FDP und der LINKEN)

Die Sicherungsverwahrung dient ausschließlich der weiteren Therapie und der Reduzierung der Gefährlichkeit der Untergebrachten,

(André Trepoll CDU: Nein, das stimmt nicht!)

die im Strafvollzug nämlich nicht erreicht wurde. Damit gilt für die Allgemeinheit, sie soll nach der Entlassung der Sicherungsverwahrten keine weiteren schweren Straftaten mehr befürchten müssen. Dafür muss aber mehr getan werden als begleiteter Ausgang viermal im Jahr und Wohngruppenvollzug,

(Urs Tabbert SPD: Mindestens, minde- stens!)

der übrigens, Herr Tabbert, schon vorher bestand und eigentlich unsere Idee war, nicht Ihre. Wir wollen doch ein wenig bei der Wahrheit bleiben.

(Beifall bei der FDP und bei Christiane Schneider DIE LINKE)

Hamburg soll nach dem Willen der jetzt neu gebildeten großen Koalition aus SPD und CDU ein ziemlich rigides Gesetz erhalten, viel rigider übrigens als in Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Genau das kann – und da waren sich übrigens auch Ihre Experten nicht uneinig – zum Problem werden. Mit der Kieler Landesregierung hat der Senat einen Staatsvertrag geschlossen, nach dem ab Juni Sicherungsverwahrte nach Hamburg verbracht werden. In Schleswig-Holstein aber gelten in einigen Punkten deutlich liberalere Regelungen für die Sicherungsverwahrten. Zum Beispiel gibt es eine ermessensreduzierte Vorschrift für die Verlegung in den offenen Vollzug bei Eignung, während die Vollzugsbehörde in Hamburg auch bei Eignung noch einen Ermessensspielraum hat. Die Mehrheit der Experten im Ausschuss ist sich deshalb einig, wie wir auch, dass es dagegen Klagen geben kann. Ob sie erfolgreich oder begründet sind, sei dahingestellt, es schafft in jedem Fall Unruhe.

Die SPD schafft mit diesem Gesetz in zeitgleicher Zusammenarbeit mit Schleswig-Holstein also auch schon eine Art von Rechtsunsicherheit. Für Rechtssicherheit dagegen bedarf es eines therapiegerichteten und freiheitsorientierten Gesamtkonzepts. Daher wollen wir nachhelfen und das Gesetz, wo nötig, ändern. Erstens bedarf es einer

(André Trepoll)

stärkeren Therapieorientierung und zweitens – darauf kommt es mir besonders an – sind Lockerungen nötig,

(Urs Tabbert SPD: Gibt's ja!)

was CDU und SPD gern reduzieren wollen. Diese Lockerungen dienen aber der Vorbereitung auf die Entlassung auf das Leben in Freiheit. Entlassen werden muss übrigens – und das ist jetzt wirklich wichtig für Sie zum Verständnis –, wenn nicht zu befürchten ist, dass der zu Entlassende erhebliche, nicht nur Straftaten, sondern erhebliche Straftaten begeht. Das heißt, Sie müssen entlassen, Sie dürfen ihn gar nicht in der Sicherungsverwahrung behalten, darüber sind wir uns hoffentlich einig. Lockerungen, was weniger ist als eine Entlassung, wollen Sie jedoch schon bei der Befürchtung kleinerer Vergehen verwehren. Das ist ein Widerspruch in sich, das können Sie auch nicht verhehlen.

(Beifall bei der FDP, der LIINKEN und bei Dr. Stefanie von Berg, Farid Müller und Dr. Till Steffen, alle GRÜNE)

Sie können lange darum herumreden, aber das kann jeder verstehen, der darüber nachdenkt. Und es verwehrt die Chance, sich später in der Welt außerhalb der Sicherungsverwahrung zurechtzufinden. Wo in diesem Konzept dann noch der Unterschied zum Strafvollzug bestehen soll, müssen Sie mir irgendwann einmal erklären. Aber ohne Wahrung des Abstandsgebots haben wir ein verfassungsrechtlich bedenkliches Gesetz, womit wir wieder beim Thema Rechtsunsicherheit sind.

Zweitens muss wegen des langfristigen, hoffentlich doch anzustrebenden Ziels der Entlassung von Beginn der Unterbringung an mit der Planung der Eingliederung begonnen werden. Wir wollen nämlich keine hoffnungslos Verwahrten produzieren, sondern den Menschen helfen, in die Gesellschaft zurückzufinden. Dazu gehören zum Beispiel häufigerer Besuch, die Unterbringung im offenen Vollzug bei Eignung und die Hilfe durch Übergangseinrichtungen speziell für Sicherungsverwahrte, damit keine Menschen in die Freiheit entlassen werden, in der sie sich nicht zurechtfinden. Von ihnen geht dann viel eher die Gefahr aus, die Allgemeinheit wieder durch ihre Straftaten zu belasten. Genau dieses Risiko wird damit eingegangen, wenn man ihnen die Freiheit verwehrt und ihnen nicht hilft, sich darin zurechtzufinden, wenn man sie einfach nur wegsperrt. Das ist einfach zu kurz gegriffen.

(Beifall bei der FDP und bei Dr. Stefanie von Berg und Farid Müller, beide GRÜNE)

Drittens muss der Vollzug der Sicherungsverwahrung freiheitsorientiert sein, das hat eben schon Herr Müller ausgeführt. Das Bundesverfassungsgericht hatte eine sehr klare Leitlinie vorgegeben – ich zitiere –:

"Das Leben im Maßregelvollzug ist den allgemeinen Lebensverhältnissen anzupassen, soweit Sicherheitsbelange dem nicht entgegenstehen."

Ordnung ist ganz genau nicht genannt worden. Diesen Satz darf man nämlich nicht außen vor lassen, wenn man nicht gleich wieder vor dem Bundesverfassungsgericht landen möchte, und das möchte keiner in diesem Hause.

(Urs Tabbert SPD: Es geht hier um Siche- rungsverwahrung und nicht um Maßregel- vollzug!)

Das aber, liebe Kollegen von SPD und CDU, riskieren Sie mit Ihrem Entwurf. Wir möchten ein Gesetz, das Rechtssicherheit bietet. Wir wollen deshalb die Streichung des vagen Ordnungsbegriffs. Wir wollen, dass Selbstverpflegung zum Regelfall wird und dass die freie Einrichtung des Zimmers möglich ist.

Wir wollen nicht, dass Sie den sehr weiten, unbestimmten Rechtsbegriff der Ordnung im Strafvollzug anwenden. Er öffnet eine rechtsstaatlich problematische Generalklausel, die im Widerspruch zum Urteil aus Karlsruhe steht, denn dort ist, wie zitiert, nur die Einschränkung der Sicherheit genannt.

Wir wollen im Sinne des Urteils eine erfolgreiche Resozialisierung der Sicherungsverwahrten und damit auch mehr Sicherheit für die Allgemeinheit, denn nur so kann es gehen. Deshalb appellieren wir noch einmal an Sie: Nehmen Sie Abstand, und zwar im rechtsuntechnischen Sinne, von dieser großen Koalition des Wegsperrens. Wählen Sie den liberalen Weg von Resozialisierung und Rechtsstaatlichkeit. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei Dr. Stefanie von Berg und Farid Müller, beide GRÜNE)

Das Wort bekommt Frau Schneider.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Beim Gesetz über den Vollzug der Sicherungsverwahrung geht es um Personen, die in der Regel schwere und schwerste Straftaten begangen haben. Die Taten jedoch, die sie begangen haben, sind aufgeklärt, ihre Schuld ist festgestellt worden. Sie haben ihre Schuld durch Verbüßen einer schuldangemessenen Haftstrafe ausgeglichen, ihre Taten sind gesühnt. In diesem Sinne sind die Personen, um die es geht, unschuldig.

Aber von ihnen wird ein Sonderopfer verlangt und erzwungen. Sie erlangen nicht oder noch nicht die Freiheit, weil sie möglicherweise eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen. Ihre mögliche Gefährlichkeit wird durch ein Gutachten festgestellt, das

(Anna-Elisabeth von Treuenfels)

künftiges Verhalten voraussagt, aber selbstverständlich nicht mit Sicherheit und nicht einmal mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, denn Menschen sind keine trivialen Maschinen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Sicherungsverwahrung ist einer der einschneidendsten Eingriffe in die Grundrechte von Bürgerinnen und Bürgern, in der Regel von Bürgern, die das deutsche Recht kennt. Aus diesen Gründen halte ich und hält DIE LINKE die Sicherungsverwahrung für eine rechtspolitisch und verfassungsrechtlich höchst problematische Maßregel. Das möchte ich vorwegstellen.

Das Bundesverfassungsgericht hat diese Maßregel zwar nicht grundsätzlich infrage gestellt, den bisherigen Vollzug jedoch für verfassungswidrig erklärt, nicht wegen einzelner Regelungen, sondern weil der bisherige Vollzug der angesprochenen Problematik in keiner Weise gerecht wird. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts macht also nicht einzelne Neuregelungen notwendig, sondern verlangt ein neues Gesamtkonzept, das sich grundlegend vom Konzept des Strafvollzugs unterscheiden soll. Sicherungsverwahrte sind nämlich keine Strafgefangenen, Sicherungsverwahrung ist keine Strafe. Es geht also auch nicht um Übelzufügung. Es geht nicht um einen verbesserten Strafvollzug, sondern um etwas anderes als Strafvollzug. Die Sicherungsverwahrung, der Freiheitsentzug aus Gründen der Prävention,

(Urs Tabbert SPD: Tun wir doch gar nicht!)

wird einzig und allein durch den Zweck legitimiert, das Leben und die Unversehrtheit von Bürgerinnen und Bürgern vor den als gefährlich Erachteten zu schützen.

(Urs Tabbert SPD: Das ist ja richtig genug!)

Deshalb dürfen das Leben und die Rechte der Untergebrachten über den Freiheitsentzug hinaus nicht eingeschränkt werden, es sei denn aus Sicherheitsgründen; Frau von Treuenfels hat es schon gesagt. So urteilte das Bundesverfassungsgericht – ich zitiere –:

"… dass über den unabdingbaren Entzug der 'äußeren' Freiheit hinaus weitere Belastungen vermieden werden [müssen]. Dem muss durch einen freiheitsorientierten und therapiegerichteten Vollzug Rechnung getragen werden […]."

Diesem Anspruch wird der Gesetzentwurf des Senats nicht gerecht, auch nicht mit den Änderungen durch den CDU/SPD-Antrag,

(Beifall bei Tim Golke DIE LINKE)

wobei ich einräume, dass einige Verbesserungen aufgenommen worden sind. GRÜNE, FDP und wir

haben in den Ausschussberatungen auch heftig gekämpft; dadurch haben Sie einiges aufgenommen. Anderes ist dagegen verschlechtert worden. Es sollen mit dem Gesetzentwurf zwar an etlichen Stellen Verbesserungen gegenüber dem Strafvollzug eingeführt werden, an zu vielen Punkten bestehen aber weiterhin Beschränkungen, die sich mit der Anforderung eines freiheits- und therapieorientierten Gesamtkonzepts nicht vereinbaren lassen. An zu vielen Punkten laufen Regelungen der Freiheitsorientierung zuwider, werden Rechte der Untergebrachten eingeschränkt und unterlaufen. Ich finde es bedauerlich, dass die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen in der SPD so wenig zu sagen hat. Ich glaube, Sie drehen sich im Grabe um.

(Beifall bei der LINKEN – Urs Tabbert SPD: Ich bin dort stellvertretender Vorsitzender! – Dr. Andreas Dressel SPD: Herr Tabbert ist doch ganz lebendig!)

Ich habe das mit Absicht gesagt, dass sie sich im Grabe umdreht. Die alte Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen, die gegen die Sicherungsverwahrung war, existiert in diesem Sinne nicht mehr.

(Jan Quast SPD: Was wissen Sie denn von Sozialdemokraten?)

Aus diesem Grunde haben die drei Fraktionen, die sich am Urteil des Bundesverfassungsgerichts orientieren und den Auftrag der Freiheitsorientierung uneingeschränkt ernst nehmen, einen gemeinsamen Antrag vorgelegt. Wir von der LINKEN hätten uns einige weitergehende Änderungen vorstellen können, vor allem den generellen Verzicht auf Disziplinarmaßnahmen, wie es etwa das Brandenburger Gesetz vorsieht. Doch unser gemeinsamer Antrag enthält die Mindestanforderungen, die an die Neugestaltung des Sicherungsverwahrungsvollzugs zu stellen sind. Vieles ist schon gesagt worden, ich werde es auch nicht wiederholen. Ich will nur zwei Anliegen hervorheben, die uns besonders wichtig sind.

Erstens: Die Einschränkung der Lebensqualität von Untergebrachten durch Kontaktentzug, Disziplinierungen, Sanktionen und bevormundender Reglementierung ihres Alltags in Anlehnung an den Strafvollzug sind unangemessen und nicht begründbar. Schon bei einfachen Ordnungsverstößen schränkt der Gesetzentwurf an vielen Punkten die Rechte der Untergebrachten ein. Zum Beispiel können Besuche untersagt, Schreiben angehalten, Paketversand verboten, der Rundfunk abgestellt und Freizeitgegenstände entzogen werden. Mit Freiheitsorientierung hat das wirklich nichts zu tun.

(Beifall bei der LINKEN und bei Dr. Stefanie von Berg, Phyliss Demirel und Christa Goetsch, alle GRÜNE)