Bevor wir in die heutige Tagesordnung einsteigen, möchte ich zunächst noch Glückwünsche aussprechen. Diese richten sich an unsere Kollegin Frau Kaesbach, die heute Geburtstag hat. Liebe Frau Kaesbach, im Namen des ganzen Hauses herzlichen Glückwunsch und alles Gute zum Geburtstag.
Bevor wir gleich zur Aktuellen Stunde kommen, möchte ich Ihnen mitteilen, dass abweichend von der Empfehlung des Ältestenrats die Fraktionen übereingekommen sind, die Tagesordnung um zwei weitere Punkte zu ergänzen. Das ist zum einen die Unterrichtung der Präsidentin, Drucksache 20/8301, und der Bericht des Haushaltsausschusses, Drucksache 20/8363. Sie werden als Tagesordnungspunkte 16a beziehungsweise 41a nachträglich in die Tagesordnung aufgenommen.
Außerdem haben die Fraktionen Einvernehmen darüber erzielt, den Bericht des Eingabenausschusses aus Drucksache 20/8133 zu vertagen.
tuellen Stunde vor 14 Tagen, in der wir über die katastrophale Situation der Flüchtlinge aus Libyen gesprochen und gestritten haben, hat sich etwas Grundlegendes getan. Es hat sich etwas getan, das uns alle herausfordert. Die Zivilgesellschaft hat das Drama nicht länger mit angesehen. Wo der Senat untätig blieb, hat sie gehandelt. Die Nordkirche hat für viele Flüchtlinge, die wochenlang auf der Straße lebten, eine Unterkunft bereitgestellt. Die Kirche St. Pauli hat sie aufgenommen. Auch in Moscheen kamen Flüchtlinge unter. Schulklassen besuchen die Flüchtlinge, sammeln Obst und Lebensmittel in den Geschäften, die gerne spenden. Menschen bringen Kleidung, backen Kuchen, kochen, tragen sich in Listen ein. Der FC St. Pauli schickt einen Lastwagen voll Kleidung und Getränken. Ärztinnen und Ärzte kümmern sich ehrenamtlich um die medizinische Versorgung. Ich könnte die Reihe noch lange fortsetzen. Das mache ich hier nicht, aber ich fasse zusammen: Die Welle der Unterstützung für die Flüchtlinge ist überwältigend.
Solidarität kommt aus den unterschiedlichsten Kreisen und aus einem breiten Spektrum der Hamburger Bevölkerung. Diese – von den meisten von uns nicht erwartete – Solidarität, die uns doch alle freuen muss, hat etwas in Bewegung gesetzt. Sie hat die gesellschaftliche Diskussion über das weitere Schicksal der Flüchtlinge aus Libyen in Gang gesetzt. Mit einem kategorischen Nein, es gebe für diese Flüchtlinge in Hamburg keine Perspektive, wird diese Diskussion nicht zu beenden sein, aber vielleicht könnte die CDU ihre Diskussion beenden.
Stellen wir uns also der Diskussion. Diese Aufforderung richten wir, die GRÜNEN und die LINKEN, mit unserer gemeinsamen und von vielen unterstützten Initiative für ein Abschiebemoratorium an die Bürgerschaft und vor allem an den Senat.
Es geht nicht darum, Frau Kaesbach, internationale Abkommen und nationales Recht auszusetzen, wie Sie in Ihrer Pressemitteilung schrieben. Es geht nicht um gewollte Rechtsbrüche, und es geht auch nicht um unsere in der Tat abweichenden Vorstellungen von einer an humanitären Grundsätzen ausgerichteten Flüchtlingspolitik. Es geht konkret vielmehr darum, den Raum zu öffnen für die Suche nach einer Lösung, die den Flüchtlingen und ihrem Anspruch auf die Wahrung der Menschenrechte gerecht wird und die nach der Rechtslage und nach der Rechtsprechung möglich ist.
Es gibt nämlich auch eine Reihe aktueller Urteile und Gerichtsbeschlüsse, die gegen eine Rückführung nach Italien sprechen, etwa von den Oberverwaltungsgerichten in Schleswig-Holstein oder Köln und von zahlreichen Verwaltungsgerichten. Beispielhaft sei hier das Stuttgarter angeführt, das im
Februar urteilte, dass aufgrund der völlig überlasteten Aufnahmekapazitäten für Flüchtlinge und eines ungesicherten Zugangs zu allem Lebensnotwendigen die Rückführung nach Italien auszusetzen sei. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verpflichtete die Bundesrepublik Deutschland im Februar, vorläufige Maßnahmen gegen die Zurückschiebung nach Italien einzuleiten. Es wird also rechtsstaatlich ohnehin nicht möglich sein, die Flüchtlinge mir nichts, dir nichts nach Italien zurückzuschicken. Auch eine jetzt eingeleitete Rückführung würde mit Sicherheit eine längere Zeit beanspruchen.
Darum sagen wir: Nehmen wir uns die Zeit, nach einer Lösung zu suchen. Der Grund, warum diese Zeit benötigt wird, liegt in der spezifischen Notsituation dieser Gruppe von Flüchtlingen, die durch alle Raster fallen, die aus Italien weggeschickt wurden, nachdem man ihre Unterkünfte geschlossen hat, und die dort, wer will das bestreiten, gegenwärtig keinerlei Perspektive haben, die das Recht haben, sich im Schengen-Raum aufzuhalten, zugleich aber keinen Anspruch auf irgendetwas haben, sodass sie hier auf der Straße landen, die unveräußerliche Menschenrechte haben, ohne dass irgendeine staatliche Gewalt es als ihre Sache ansieht, den Schutz ihrer Menschenrechte zu gewährleisten. Von der staatlichen Gewährleistung hängt es aber ab, was Menschenrechte wert sind, ob sie eine Idee ohne Realität bleiben oder ob sie eine Realität sind.
Wir sind uns im Klaren darüber, dass Hamburg das Problem nicht alleine lösen kann. Nehmen wir uns also die Zeit, alle Möglichkeiten auf Hamburg-Ebene, auf Bundesebene und auf EU-Ebene zu prüfen, wie den Flüchtlingen eine Perspektive eröffnet werden kann. Die Flüchtlinge haben Anspruch darauf, individuell und unabhängig beraten zu werden, um über ihre weitere Zukunft selbst mitentscheiden zu können. Sie haben Anspruch darauf, dies in Ruhe und ohne ständige Angst vor Polizeikontrollen zu tun.
Darum geht es, wir fordern nichts Unmögliches. Kein rechtliches Gebot hindert den Senat, einem solchen Moratorium zuzustimmen. Stellen wir uns der gesellschaftlichen Diskussion über die Perspektive der Flüchtlinge. Viele Menschen warten auf eine Antwort.