Protokoll der Sitzung vom 12.06.2013

Frau Möller, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr van Vormizeele, an einer Stelle haben Sie recht: Es ist tatsächlich Politik, die hier gefragt ist, und über Politik reden wir hier. Wenn Sie die Diakonie benennen und ihr Verhalten kritisieren und wenn Sie ein bisschen sybillinisch von Gruppen reden, die die Menschen instrumentalisieren, dann sollten Sie das an der Stelle tun, wo Sie auch die Menschen treffen, um mit den Gruppen, die Sie vielleicht auch genauer benennen können, direkt zu reden. Oder sprechen Sie mit der Diakonie, was sich tatsächlich hinter dem vorübergehenden Abbruch der Verhandlungen verbirgt. Aber hier und heute geht es um politisches Handeln, und da haben wir klare Forderungen an den Senat und die Regierungsfraktion und im Übrigen auch an die CDU.

(Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN)

Frau Bekeris hat viel zur Solidarität und Humanität gesagt, das habe ich bei Ihnen ein bisschen vermisst. Ich weiß aber, dass Sie sich als CDU im Prinzip durchaus auch dazu bekennen. Nur leider läuft das alles in Hamburg ein bisschen zögerlich an. Wenn die Gruppe nicht selbst an die Öffentlichkeit gegangen wäre, dann hätten wir heute noch keine politische Reaktion der SPD oder des Senats zu diesem Thema. Die Menschen sind über sechs Wochen obdachlos gewesen, und da hat niemand gesagt, man müsse sie aber jetzt registrieren,

dann bringe man sie unter und dann schiebe man sie ab. Dieser Dreiklang ist erst entstanden, nachdem Öffentlichkeit hergestellt worden ist. Und man darf schlicht und einfach nicht verkennen, dass die Zivilgesellschaft, um sie einmal so zu nennen, ganz genau zu trennen weiß zwischen dem, was bei der öffentlichen Unterbringung unter anderem von Flüchtlingen politisch notwendig ist, und dem, was an aktueller Nothilfe schnell und sofort stattfinden muss. Diesen Punkt vermischen Sie immer mit dem großen Thema der Unterbringung von Flüchtlingen insgesamt, und das halte ich einfach für unlauter an dieser Stelle.

(Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN)

Frau Bekeris, Sie haben all die Punkte aufgezählt, die auch in unserem Moratorium stehen. Es muss Zeit sein, Sie haben sogar die Zeit für eine individuelle Überprüfung zugestanden. Und dazu gehört selbstverständlich, dass sich die Menschen mit ihren Daten, Namen und Papieren in die Beratung geben, das ist doch gar nicht die Frage.

(Zurufe von der SPD und der CDU – Ger- hard Lein SPD: Die Nase wird immer spitzer! – Olaf Ohlsen CDU: Das ist ja ungeheuer- lich!)

Ich möchte noch einmal daran erinnern, dass Sie viele Fundstellen in verschiedenen Medien finden, wo es einen Dreiklang gab. Es war bisher niemals die Rede davon – Frau Bekeris hat das heute hier zum ersten Mal gesagt –, dass es möglicherweise auch eine Beratung ohne den Duktus "Und dann erfolgt die Abschiebung" geben könnte. Bisher war das kein Thema, und die Diakonie hat aus meiner Sicht zu Recht gesagt, für diesen Dreiklang lasse sie sich nicht einspannen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN)

Es ist auch mitnichten so, dass irgendjemand von den GRÜNEN oder der LINKEN Hamburg die Zuständigkeit zuschiebt. Wir alle wissen, was auch Frau Bekeris jetzt tatsächlich einmal öffentlich gesagt hat: Wir reden über europäisches Asylrecht, und wir reden darüber, dass das Asylrecht an dieser Stelle große Maschen hat und deswegen diese große Gruppe an Menschen hindurchgefallen ist. Das kommt nicht jeden Tag vor, das ist zum ersten Mal in Hamburg so aufgetreten, und deswegen braucht es gemeinsam mit dem Bund und den Bundesländern eine Entscheidung. Dafür brauchen wir Zeit, und auch dafür brauchen wir dieses Moratorium.

(Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN)

Um all diese Fragen zu klären, braucht es Zeit, und dafür muss man den Flüchtlingen auch vermitteln, dass sie so lange, bis die Fragen geklärt sind, hier in Hamburg untergebracht werden, denn sonst bewegen sich diese Gruppen nämlich weiter durch die Republik. Damit ist der hamburgischen Politik

(Kai Voet van Vormizeele)

nicht geholfen, damit ist vor allem den Flüchtlingen nicht geholfen, und damit ist auch keine Lösung in Sicht, denn dieser schlichte Schluss, die Ausländerbehörde könnte einfach verfügen und entscheiden und dann wäre diese Gruppe von Menschen aus der Stadt heraus, funktioniert nicht. Es gibt in Italien keine Unterkunft für sie. Die Unterkünfte sind, nachdem sie zwei Jahre durch die EU finanziert worden sind, geschlossen worden. Es gab keine Anschlussfinanzierung, weil sie niemand einfordert. Das ist die Aufgabe unter anderem von Hamburg, vom Bund und von der EU, und dafür braucht es Zeit.

(Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN)

Nun bekommt das Wort Frau Kaesbach.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Seit die Debatte um die Flüchtlinge aus Libyen in Hamburg begonnen hat, ist eines klar geworden: Dieser Senat vernachlässigt nicht nur seine Aufgabe gegenüber den Flüchtlingen und damit auch den Hamburger Bürgern, sondern er duckt sich jetzt sogar weg.

(Beifall bei Katja Suding FDP – Kazim Abaci SPD: Was ist die Alternative?)

Alles agiert – die Kirche, Vereine, Mitbürger, die Medien, die Politiker erklären sich, nur der Senat schweigt seit Tagen, als hätte er sich selbst einen Maulkorb verpasst.

(Beifall bei der FDP)

Man kann es auch Regierungsstarre nennen. Seitdem die Ghanaer, Nigerianer, Kongolesen und damit die Wanderarbeiter, die in Libyen eine sichere Existenz gesucht hatten und die auf Hamburgs Straßen für Wochen – wir haben es vor zwei Wochen gesagt, aber ich wiederhole es gern noch einmal – in Kälte und Regen ausharren mussten, sich durch den Verein "Karawane" und inzwischen durch die Gruppe "Lampedusa in Hamburg" eine hörbare Stimme gegeben haben, ist weiter klar geworden, dass der soziale Schein dieses Senats und der gern zelebrierte Ruf von Zuverlässigkeit um den Ersten Bürgermeister herum einen gewaltigen Riss bekommen hat.

(Beifall bei der FDP – Kazim Abaci SPD: Gerade die FDP sagt das! – Dirk Kienscherf SPD: Ach Gottchen!)

Auf einmal klappt es nicht mehr. Der Pragmatismus und die vorgeführte Seriosität des Bürgermeisters sind spätestens beim Flüchtlingsthema futsch. Pragmatismus, Seriosität und Verlässlichkeit müssten wieder das Handeln des Hamburger Senats bestimmen, so tönte Olaf Scholz auf einer Wahlkampfveranstaltung im Dezember 2010. Jetzt

wird offenkundig, dass der Senat die Lage nicht im Griff hat.

(Beifall bei der FDP)

Eines ist klar: Die Plätze der Wohnunterkünfte sind rar beziehungsweise im Moment nicht vorhanden. Frau Bekeris ging auf das Thema ein, die Zahlen sind bekannt, und die Problematik ist wirklich groß. Trotzdem dürfen diese Probleme, mit denen der Senat in puncto öffentliche Unterbringung zu kämpfen hat, ihm nicht als Alibi dafür dienen, einfach Hunderte von Menschen vom Winternotprogramm in ein menschenunwürdiges Dasein zu entlassen.

(Beifall bei Norbert Hackbusch DIE LINKE)

Auch wenn diese Flüchtlinge mit einer Art Touristenvisum nach Hamburg eingereist sind, so war doch klar, dass sie nach der Entlassung aus dem Winternotprogramm kein Dach über dem Kopf hatten und damit hilflos der schlechten Witterung ausgesetzt waren, und das über Wochen. Wie kann der Senat solche Zustände in Hamburg zulassen? Eine Notunterkunft für diese Flüchtlinge, in der ihre Personalien hätten aufgenommen werden können, wäre zeitnah einzurichten gewesen. Das hat der Senat verbockt. Nun sind die Kirche sowie inzwischen zahlreiche Vereine, St. Paulianer und engagierte Hamburger eingesprungen. Diesen kann man nun wirklich keinen Vorwurf machen, im Gegenteil, humanitäre Hilfe ist grundsätzlich immer zu begrüßen.

(Beifall bei der FDP und den GRÜNEN)

Allerdings ist das Agieren der Kirche schon zu hinterfragen. Die Signale sind höchst widersprüchlich. So hält sich die Bischöfin, nachdem sie zuerst vom Engagement der St.-Pauli-Kirche begeistert war, inzwischen auffällig zurück und erklärt sogar, die Flüchtlingsbeauftragte der Nordkirche, Fanny Dethloff, hätte bei der gestrigen Pressekonferenz mit den GRÜNEN und den LINKEN nicht als offizielle Beauftragte der Kirche, sondern im Rahmen ihrer pastoralen Freiheit gesprochen. Wie soll man das denn nun verstehen?

(Beifall bei der FDP)

Fakt ist, dass die afrikanischen Flüchtlinge nach EU-Recht nach Italien zurückkehren müssen. Frau Möller, Frau Fegebank und Frau Schneider, Sie gaukeln mit Ihrem Moratorium falsche Perspektiven vor. Ein Beschluss des EuGH zur Aussetzung der Rückführung wie für Griechenland gibt es für Italien nicht. Und der Aufruf von Ihnen, Herr Rose, ist so durchsichtig wie überflüssig. Da ist nun wirklich alles drin außer dem Thema der libyschen Flüchtlinge; dieses heiße Eisen wollten Sie nicht anfassen.

(Beifall bei der FDP und den GRÜNEN)

(Antje Möller)

Sie und Herr Abaci möchten offenkundig die Good Boys spielen, um die Bad Boys Senator Scheele und den Ersten Bürgermeister zu überspielen. Dies ist an Peinlichkeit nicht zu überbieten, das ist Wahlkampf pur.

(Beifall bei der FDP – Ksenija Bekeris SPD: Jetzt ist aber mal gut!)

Tatsache ist, dass Italien nach Auslaufen der EUFördermittel seine Flüchtlinge einfach weitergeleitet hat. Das ist aber nicht korrekt und sollte nicht noch durch das Agieren der Nachbarländer honoriert werden.

(Beifall bei Robert Bläsing FDP)

Die Genfer Konvention schreibt vor, dass jeder Staat die bei ihm auflaufenden Asylverfahren ordentlich zu Ende bringen muss. Wir halten es für richtig, wenn aus Hamburg ein eindringlicher Appell an Italien geht, seine humanitären Verpflichtungen vollumfänglich und nachhaltig zu erfüllen. Das Problem ist hier letztendlich ein EU-Problem. Die FDP setzt sich bereits seit Längerem für die Einführung eines europaweiten Verteilerschlüssels für Asylsuchende und anerkannte Flüchtlinge ein, ähnlich wie beim Königsteiner Schlüssel. Hier muss etwas passieren.

(Beifall bei der FDP – Ekkehard Wysocki SPD: Wer ist denn in der Bundesregierung? Sie doch!)

Das Wort bekommt nun Senator Neumann.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach Artikel 21 des Schengener Durchführungsübereinkommens dürfen sich Drittstaatsangehörige, die Inhaber eines gültigen Reisedokuments und eines nationalen Aufenthaltstitels eines Schengen-Staates sind, im Schengen-Gebiet bis zu drei Monaten frei bewegen, sofern sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Dazu gehört, dass sie über ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts und für die Rückreise in den Herkunftsstaat verfügen. Liegen diese Voraussetzungen nicht oder nicht mehr vor, verlieren diese Drittstaatsangehörigen ihre schengenweite Reisefreiheit. Diese auf Gemeinschaftsebene in Europa geregelte Reisefreiheit im Schengen-Raum berechtigt nur zu touristischen Aufenthalten beziehungsweise zu Besuchsaufenthalten und nicht zur Ausübung von Erwerbstätigkeit. Dafür ist nach geltendem Recht grundsätzlich ein entsprechender deutscher Aufenthaltstitel erforderlich. Mit Eintritt der Mittellosigkeit halten sich diese Menschen nicht mehr rechtmäßig hier auf. Dies führt zum unmittelbaren Eintritt der Ausreisepflicht, und diese Ausreisepflicht entsteht kraft Gesetzes ohne einen vorherigen hamburgischen Verwaltungsakt. Ein ausreise

pflichtiger Ausländer ist verpflichtet, das Bundesgebiet zu verlassen. Kommen die betreffenden Drittstaatsangehörigen dieser Verpflichtung nicht nach, so wird die Abschiebung angedroht und, wenn nicht freiwillig, auch staatlich vollzogen. Damit ist die Rechtslage völlig eindeutig, auf europäischer wie auch auf deutscher Rechtsgrundlage.

Schon zum Ende des Winternotprogramms wurde den Betroffenen Beratung und Unterstützung bei der Rückkehr nach Italien beziehungsweise in ihre Herkunftsländer durch die Flüchtlingshilfe angeboten. Nach meinem Kenntnisstand hat nur ein Betroffener dieses Angebot angenommen. In Kooperation mit der BASFI wurde zuletzt Ende Mai ein weiteres vorübergehendes Unterbringungsangebot unterbreitet. Eine vorübergehende Unterbringung und Versorgung der Betroffenen mit staatlicher Beteiligung waren an die notwendige Voraussetzung geknüpft, dass diese ausländerbehördlich erfasst werden, damit der aufenthaltsrechtliche Status überprüft und die rechtlich gebotenen ausländerbehördlichen Maßnahmen eingeleitet werden können. Hierzu wurde den Betreffenden ein Sammeltermin bei der Ausländerbehörde angeboten, und meine Behörde wäre dann in die ausländerrechtliche Einzelfallprüfung eingetreten. Auch für den Fall einer Asylantragstellung müssen die Betroffenen zunächst mit einer asylverfahrensrechtlichen Verteilung innerhalb der Bundesrepublik und, sollte das zutreffen, was ich oben beschrieben habe, einer Rücküberstellung nach Italien nach der sogenannten Dublin-Verordnung rechnen. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Rechtmäßigkeit von Rücküberstellungen nach Italien bestätigt. Also führt auch dieser Weg zwangsläufig nach Italien.

Damit ist völlig klar, dass die Zukunft dieser Männer nicht in Hamburg liegt, sondern in Italien. Man kann es drehen wie man will, wir kommen aus diesen rechtlichen Notwendigkeiten nicht heraus, und ich halte es politisch auch für richtig.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Ich will zu den gestern erhobenen Forderungen kurz Stellung nehmen. Erstens wurde gefordert, ein Bleiberecht im Rahmen eines Hamburger Moratoriums für mindestens sechs Monate in Gestalt eines bis zu sechsmonatigen Abschiebestopps nach Paragraf 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes auszusprechen. Hierfür gibt es jedoch keinerlei tragfähige Gründe. Es gibt keine hinreichenden Anhaltspunkte, dass Italien seinen EU-rechtlichen Verpflichtungen gegenüber den Betroffenen nicht nachkommt, und somit gibt es auch keine Gründe, die einer Rücküberstellung nach Italien entgegenstehen.

(Norbert Hackbusch DIE LINKE: Ach!)

Das kann man gern behaupten, aber es ist weder gerichtlich festgesetzt noch so entschieden wor