Protokoll der Sitzung vom 15.08.2013

Das Wort wird gewünscht von Herrn Trepoll, und Sie haben es.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Was ist bloß los in Hamburgs Justizlandschaft? Diese Frage drängt sich nach den letzten turbulenten Wochen geradezu auf. Knastskandal, Justizkrise, viele Baustellen in der Justiz, Schaden für Hamburg, Brandbrief – das sind nur wenige Auszüge aus den Schlagzeilen der vergangenen Wochen. Jetzt rächt sich, dass der Senat und die Justizsenatorin Schiedek in den letzten zwei Jahren die Leistungsfähigkeit unserer Justiz sträflich vernachlässigt haben.

(Beifall bei der CDU, den GRÜNEN und der FDP)

Ein Gefangener wird mehrfach brutal von Mithäftlingen zusammengeschlagen und schwer verletzt, ein anderer flieht in Hollywood-Manier aus einer maroden Haftanstalt. Staatsanwälte beklagen sich in einem Brandbrief an die Senatorin über den Zustand und die Ausstattung der Staatsanwaltschaften. Der Hamburgische Richterverein sieht die rechtsstaatliche Sicherheit in Hamburg gefährdet.

Der Hamburgische Anwaltverein beklagt, dass das Rechtsschutzbedürfnis der Hamburger bereits schweren Schaden erlitten habe. Die Hanseatische Rechtsanwaltskammer erklärt genauso öffentlich ihre Besorgnis über die derzeitigen Zustände in der Hamburger Justizlandschaft und warnt, dass weitere Belastungen nicht mehr aufgefangen werden können. Die Gewerkschaft der Strafvollzugsbediensteten schlägt ebenfalls Alarm und sagt, dass der Schutz der Bevölkerung und eine Resozialisierung mit dem derzeitigen Personalbestand nur schwer, wenn nicht gar unmöglich zu leisten seien. Die nächste Hiobsbotschaft kommt aus der Vorführungsabteilung der Untersuchungshaftanstalt, die ebenfalls vollkommen überlastet ist. In den letzten Monaten mussten bereits Hauptverhandlungstermine gänzlich abgesagt werden. Von den erheblichen Verfahrensverzögerungen, insbesondere bei den einstweiligen Verfügungsverfahren, den sogenannten Eilverfahren am OLG, will ich gar nicht sprechen.

Jetzt stellt sich die Frage, was die zuständige Senatorin unternimmt. Leider gar nichts. Frau Schiedek ignoriert die Probleme, sie redet sie schön oder verharmlost sie. Aus ihrer Sicht ist scheinbar alles in Ordnung in Hamburgs Justiz. Frau Schiedek spielt die Ahnungslose.

(Beifall bei der CDU, den GRÜNEN und der FDP)

An zwei Beispielen will ich dies deutlich machen. Zu den Gewaltvorfällen in der Haftanstalt Billwerder: Ein Häftling wurde mehrfach angegriffen und schwer verletzt. Nach dem letzten Angriff, bei dem ihm das Jochbein, das Nasenbein und der Oberkiefer gebrochen wurden, musste die Polizei erst von der Mutter des Opfers informiert werden, und die Spuren der Tat in der JVA wurden beseitigt. Die Behördenleitung wurde nach eigener Darstellung weder bei der ersten noch bei der letzten Attacke informiert, verlautet es auf meine Fragen in der Schriftlichen Kleinen Anfrage mehrmals.

Ich frage Sie, Frau Schiedek: Wieso lassen Sie sich über solche derart rechtswidrigen und schlimmen Vorgänge in einer Justizvollzugsanstalt in Hamburg nicht rechtzeitig und umfassend informieren? Was soll denn noch passieren, damit Sie Interesse zeigen? Der Gipfel des Versagens ist die Tatsache, dass Sie jetzt angeordnet haben, das Melde- und Anzeigeverhalten der JVAs gegenüber Polizei und Staatsanwaltschaft zu ändern und bei Straftaten erheblichen Ausmaßes die Ermittlungsbehörden nun regelhaft zu informieren. Es ist doch ein Skandal, dass es schriftlicher Verfügungen bedarf, damit Polizei und Staatsanwaltschaft bei schweren Straftaten überhaupt erst informiert werden.

(Beifall bei der CDU, den GRÜNEN und der FDP)

Zum zweiten Beispiel: Da gelingt einem einer schweren Straftat Beschuldigten vor Kurzem ein spektakulärer Ausbruch aus dem Untersuchungsgefängnis am Holstenglacis. Dass die Bausubstanz beim Untersuchungsgefängnis teilweise löchrig ist wie ein Schweizer Käse war hinlänglich bekannt,

(Dr. Andreas Dressel SPD: Vor allem schon seit Ihrer Amtszeit!)

auch Ihnen, Frau Schiedek. Sie glaubten sogar, dass der Gefangene das Loch innerhalb weniger Stunden aufbrechen konnte, so in Ihrer Pressemitteilung nach dem Ausbruch zu lesen. Erst als man ihn nach der erneuten Festnahme befragen konnte, wurde Ihnen klar, dass dieser Ausbruch über Tage vorbereitet worden war.

Trotzdem wurden die Insassen vorher nicht in den intakten Teil der Anstalt verlegt, das geschah erst nach der Flucht. Die täglichen Gitterkontrollen haben Sie, Frau Schiedek, erst im Dezember 2012 abgeschafft. Die regelhaften Sicherungsund Überwachungsmaßnahmen wurden anscheinend nur noch eingeschränkt und lückenhaft durchgeführt, insbesondere in der Umbauphase, sodass Paletten locker verteilt im Innenhof für Ausbruchsversuche der Gefangenen quasi bereitlagen, und zur Sicherheit haben Sie den S-Draht auch an einigen Stellen gleich entfernen lassen. Über das Sicherheitskonzept haben Sie sich nach Ihrem Amtsantritt ebenfalls nicht informiert, so Ihre Aussage im Justizausschuss.

Der richtige Hammer ist aber, dass sich Mitarbeiter aus dem Vollzug an die Anstaltsleitung gewandt und Anfang Mai ihre Besorgnis über die Sicherheitslage in der U-Haft geäußert haben. Diese Mail liest sich wie eine Ausbruchsanleitung, und ich will einmal daraus zitieren.

(Dr. Andreas Dressel SPD: Das ist ja schön, dass Sie jetzt Ausbruchsanleitungen zitie- ren!)

Da schreibt der Mitarbeiter:

"Gefangene, die diese gravierenden Mängel aus ihren Haftraumfenstern beobachten, könnten zu Ausbrüchen animiert werden."

Zitatende.

Genauso ist es zwei Monate später auch gekommen. Wieso lassen Sie sich über solch wichtige Vorgänge innerhalb einer Haftanstalt nicht informieren? Wie wollen Sie in Zukunft sicherstellen, dass über solche Versäumnisse zeitnah informiert wird, oder soll die Methode der Nichtinformation der Behördenleitung etwa weiterhin gepflegt werden? Frau Schiedek, ist es Absicht, dass Sie sich einfach nicht informieren lassen, damit Sie hinterher sagen können, Sie hätten von nichts gewusst?

(Dr. Martin Schäfer SPD: Mittäterschaft!)

Ist das eine von Ihnen vorsätzlich organisierte Ahnungslosigkeit?

(Christiane Schneider DIE LINKE: Das ist doch peinlich!)

Meine Damen und Herren! Die Justiz ist ein wichtiger Baustein der Inneren Sicherheit, sie genießt bei Ihnen jedoch keine Priorität. Dies ist schon in den Haushaltsberatungen für den aktuellen Doppelhaushalt sehr deutlich geworden, wir haben darauf hingewiesen.

Frau Senatorin Schiedek ist justizpolitisch kein Fels in der Brandung, sondern gleicht mittlerweile vielmehr einer Kapitänin, die sich mit ihrem Schiff in schwerer See befindet und führungs- und orientierungslos quasi per Autopilot direkt auf die Klippen zusteuert,

(Dr. Andreas Dressel SPD: Und das Traum- schiff Kusch ist untergegangen!)

denn zusammenfassend muss man leider feststellen, dass Sie, Frau Justizsenatorin Schiedek, entweder nichts gewusst haben, nichts erfahren haben oder nichts unternommen haben – zu wenig, um Ihrem Amt als Justizsenatorin gerecht zu werden. Die Innere Sicherheit ist ein hohes Gut, und dafür brauchen wir eine funktionierende Justizlandschaft. Handeln Sie endlich.

(Beifall bei der CDU, den GRÜNEN und der FDP)

Nun bekommt Herr Tabbert das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich könnte es mir leicht machen. Wer heute die Zeitung gelesen hat, stieß auf die dicke Überschrift:

"Nach der Knastflucht sollte die Opposition mal lieber ruhig sein"

(Juliane Timmermann SPD: Wohl wahr!)

Aber ich probiere einmal, eines nach dem anderen aufzudröseln, und beginne mit einem anderen Zitat vom April dieses Jahres aus derselben Zeitung:

"Das ist doch mal eine gute Nachricht: Unter Justizsenatorin Jana Schiedek ([…] SPD) sind Hamburgs Knäste so sicher wie noch nie."

(Beifall bei der SPD)

"Im vergangenen Jahr hat es nur vier Gefängnisausbrüche aus Hamburger Justizvollzugsanstalten gegeben."

(Birgit Stöver CDU: Nur?)

Hören Sie gut zu.

(André Trepoll)

"Zum Vergleich: Zehn Jahre zuvor waren es noch 55."

(Dr. Walter Scheuerl CDU: In den Achtziger- jahren waren es 500!)

"Ähnlich sieht es bei Freigängern aus, die nicht in den Knast zurückkehrten. Davon gab es 2012 nur noch 20. Zehn Jahre zuvor waren das noch 223."

Das stand, wie gesagt, im April so in einer großen hamburgischen Tageszeitung, und wir erinnern uns doch alle, wer vor zehn Jahren in Hamburg Justizsenator war. Das war ein gewisser Roger Kusch, der, lieber Kollege Trepoll, Mitglied Ihrer Partei war.

(Beifall bei der SPD)

Sie sehen, wie nah Freud und Leid im Strafvollzug beieinanderliegen. Deswegen rate ich uns allen weder zu Hysterie, wenn es wie hier leider wieder einmal zu einem Ausbruch gekommen ist, noch rate ich dazu – und das hat auch keiner von uns gemacht –, zu jubeln oder sich selbst zu beweihräuchern, wenn – und so soll es auch sein – alles gut läuft.

Besonders ärgerlich bei dem zitierten Ausbruch ist, dass bereits Ende 2007 ein ähnlicher Ausbruch gelang. Allein deswegen sind Politik und auch die Anstalt besonders gefordert, kritisch aufzuarbeiten, wie es erneut zu einem Ausbruch aus der Untersuchungshaftanstalt kommen konnte, und möglichst rasche und nachhaltige Lösungen zu erarbeiten. Eines ist dabei aber jetzt schon klar geworden: Das Ganze geschah trotz des Sicherheitskonzepts, das der CDU-geführte beziehungsweise schwarzgrüne Vorgängersenat erarbeitet hatte und dessen Umsetzung mit dem zentralen Kernstück einer elektronischen Außensicherung kurz vor dem Abschluss stand. Das macht den Ausbruch besonders bitter.

Die SPD-Fraktion ist gerade deshalb besonders an der Aufklärung und Aufarbeitung der aktuellen Vorfälle im Justizvollzug interessiert. Das betrifft nicht nur den Ausbruch aus der Untersuchungshaftanstalt, sondern auch die von Ihnen genannten im Raum stehenden Gewaltvorwürfe, die derzeit von den Justizbehörden aufgeklärt werden. Dabei sollte im Vordergrund stehen, dass die Fehler gefunden und behoben werden. Daher haben wir als SPD-Fraktion auch umgehend einer Selbstbefassung im Justizausschuss direkt nach den Ferien zugestimmt.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben es auch sehr begrüßt, dass die Senatorin sich am Morgen nach dem Ausbruch des Gefangenen Thomas S. in der Untersuchungshaftanstalt umgehend selbst ein Bild vor Ort gemacht hat und Sofortmaßnahmen angeordnet hat.

(Nikolaus Haufler CDU: Wahnsinn!)

Die Vorfälle müssen nun richtig eingeordnet und bewertet werden. Im Justizausschuss hat die Senatorin inzwischen über die eingeleiteten Sofortmaßnahmen und die Pläne, wie verbliebene Schwachstellen in der UHA zu beheben sind, berichtet und weitere Aufklärung angekündigt. Diese Aufarbeitung werden wir auch im Justizausschuss weiter fortsetzen. Dieses Vorgehen der Justizsenatorin, die eben keine voreiligen Schlüsse zieht und keine Vorverurteilungen trifft, rechne ich ihr hoch an, denn – hören Sie gut zu, Herr Trepoll – ein Justizsenator zeigt,