Protokoll der Sitzung vom 23.10.2013

Was folgt aus all dem für uns? "Recht hat wenig Sinn, wenn es die Freiheit nicht schützt", hat Thomas Dehler einmal gesagt. Die Umsetzung des Freiheitsrechts auf Asyl darf weder durch Extremisten verhindert werden, noch darf der Staat durch manchmal zögerliches, manchmal hektisches Agieren die Akzeptanz dieses Rechts infrage stellen.

(Beifall bei der FDP und bei Dietrich Wersich und Dr. Walter Scheuerl, beide CDU)

Das Wort hat Senator Scheele.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte noch einmal an den Beginn der Odyssee der Menschen aus Afrika erinnern, die über Libyen, über das Meer und über Italien, ein EU-Land, nach Deutschland gekommen sind. Wir haben zu Beginn dieses Jahres festgestellt, dass wir mehr Menschen aus Afrika im Winternotprogramm haben. Wir haben gezählt, wie viele Menschen in den Tagesaufenthaltsstätten essen, wie viele in die Kleiderkammern gehen. Das Flüchtlingszentrum hat begonnen zu beraten, genauso wie es Rumänen und Bulgaren zu ihrer Rückkehr in ihre Heimat berät, weil wir wissen, dass sie hier keine Chance haben. Wir haben das Flüchtlingszentrum gebeten, im vergangenen Februar und März im Pik As über die Situation aufzuklären. Alle, die damals dort waren, wussten zu Beginn dieses Jahres, welches ihr rechtlicher Status ist, wenn er denn so war, wie es in den Zeitungen stand. Das muss man doch einmal sagen, denn der Senat hat frühzeitig gesagt, was er zu tun gedenkt und wie er helfen kann, etwa auf dem Weg nach Italien. Wir hatten zu dem Zeitpunkt Kontakte zur italienischen Botschaft und zur italienischen Regierung und wussten, wer von wo kommt und hätten helfen können. Aber das ist schon damals nicht gewollt worden. Wir haben uns also sehr frühzeitig bemüht, aber wir haben keine Resonanz gefunden.

Ich war heute Morgen in der Unterkunft Lokstedter Höhe. Dort hat ein junger Familienvater mit uns geredet, der viele, viele Kinder hat, jedenfalls für unsere Verhältnisse, und dessen Frau krank ist.

(Christiane Schneider DIE LINKE: Was heißt denn "für unsere Verhältnisse"?)

Entschuldigung.

(Glocke)

(Carl-Edgar Jarchow)

Erster Vizepräsident Frank Schira (unterbre- chend): Herr Senator, Sie haben das Wort.

(fortfahrend) : Danke schön.

Ein Mann, der viele, viele Kinder hat und dessen Frau krank ist – darauf kommt es mir an, Frau Schneider. Unterstellen Sie mir nichts, was mir nicht zu unterstellen ist.

(Beifall bei der SPD, der CDU und der FDP)

Diesen Menschen können wir möglicherweise mit Unterkunft, mit ehrenamtlichem Engagement bei Unterbringung und Spielen mit den Kindern, mit einem Kita- und Krippen-Besuch, wenn es gewünscht ist, helfen. Aber diese Menschen – in diesem Fall stammen sie aus Serbien –, die zu viert in einem sehr kleinen Container in extrem beengten Verhältnissen leben, offenbaren alle ihre Namen und durchlaufen ein Verfahren. Dann wollen wir als Sozialbehörde, als Innenbehörde und als Senat gemeinschaftlich helfen. Darauf kommt es uns an. Ich bin der Bischöfin ausdrücklich dankbar, dass auch sie sagt, dass es ein individuelles Verfahren geben muss.

(Jens Kerstan GRÜNE: Das bestreitet doch niemand, aber Sie müssen davor etwas tun!)

Herr Kerstan, darf ich ausreden, oder wollen Sie reden? Kommen Sie.

(Norbert Hackbusch DIE LINKE: Also, wenn da jetzt nichts Neues kommt …! – Glocke)

Erster Vizepräsident Frank Schira (unterbre- chend): Der Senator hat das Wort.

Ich bin ausdrücklich dankbar dafür, dass für Vertrauen in den Rechtsstaat und dafür, dieses Verfahren einzugehen, geworben wird. Was vom Innensenator und vom Fraktionsvorsitzenden gesagt wurde, nämlich dass in Hamburg alle Verfahren zu Ende geführt und ausgeschöpft werden – und nicht durch Verteilung –, ist eine Zusage, auf die sich alle verlassen sollten, und bei dem man den Menschen, die gekommen sind, auch Mut zusprechen muss, sonst geht es nämlich nicht. Diese Verantwortung liegt bei denen, die Zugang haben.

(Beifall bei der SPD, vereinzelt bei der CDU und bei Carl-Edgar Jarchow FDP)

Ich glaube, dass sich dieser Senat hinsichtlich seiner Flüchtlingspolitik wirklich nicht verstecken muss. Wir haben als erster Senat in der Geschichte dieser Stadt Flüchtlinge zur Zielgruppe unseres Integrationskonzepts gemacht und nicht gesagt, die sind doch nur befristet hier, wir wollen uns nicht um sie kümmern. Wir wollen sie ausbilden und bilden und ihnen eine faire Perspektive geben. Des

halb sind sie Bestandteil der Zielgruppen im Integrationskonzept. Wir finanzieren die Integrationskurse von Anfang an, weil wir wissen, dass viele länger hier bleiben, als manch einer das zu Anfang denkt.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb haben wir uns frühzeitig – das war Konsens in diesem Haus – dafür entschieden, dass alle Kinder von Flüchtlingen einen Anspruch auf Bildungs- und Teilhabeleistungen haben, damit sie nicht derart unter dem Fluchtschicksal ihrer Eltern zu leiden haben, wie es sonst der Fall ist. Es gibt die Möglichkeit, in den Sportverein zu gehen. Wir haben es von Anfang an bezahlt, und wir bekennen uns auch dazu, uns den Flüchtlingen mit den Möglichkeiten, die der Rechtsstaat hat, zuzuwenden.

(Beifall bei der SPD und bei Karl-Heinz Warnholz CDU)

Wir erleben zurzeit, dass an manchen Tagen acht minderjährige unbegleitete Flüchtlinge kommen, die der Kinder- und Jugendnotdienst in Obhut nimmt. Acht am Tag sind viel mehr als in den vergangenen Jahren. Trotzdem gelingt es uns, alle minderjährigen unbegleiteten Flüchtlinge sofort in Integrationsklassen zu beschulen

(Finn-Ole Ritter FDP: Sehr gut!)

und möglichst schnell in Regelklassen zu überführen, weil wir wissen, dass Kinder und Jugendliche, die aus Afghanistan kommen, sehr lange hier bleiben werden. Dann sollen sie auch hier zur Schule gehen und etwas lernen. Der Schulabschluss soll an ein Bleiberecht geknüpft werden, denn dann bekommt dieser junge Mensch, der eine elendige Fluchtgeschichte hinter sich hat, einen Aufenthaltstitel und kann für sich und seine Familie in Deutschland und Europa sorgen. Dafür setzt sich der Senat ein; aber auch diese Menschen nennen ihren Namen.

(Beifall bei der SPD)

Ich glaube, dass die Einbürgerungskampagne des Bürgermeisters – Herr Abaci hat darauf hingewiesen – wirklich Ausdruck einer großen Willkommenskultur ist und Ausdruck von Anerkennung gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund in Hamburg, die, auf welche Art und Weise auch immer, zugewandert sind. Wir schreiben alle Hamburgerinnen und Hamburger an, die förmlich die Möglichkeit haben, sich einbürgern zu lassen. Das funktioniert, die Zahl der Anträge auf Einbürgerung ist von 2010 bis 2012 um 40 Prozent gestiegen.

(Jens Kerstan GRÜNE: Das ist ganz schön, hilft uns in dieser Situation aber nicht wei- ter!)

Das ist, finde ich, Ausdruck der Hinwendung einer Stadtregierung zu Menschen mit Migrationshinter

grund, die teilweise unter schweren Fluchtschicksalen nach Hamburg gekommen sind. Sie sollen die vollen Bürgerrechte erhalten.

(Beifall bei der SPD)

Wunderbar wäre es, wenn es uns in den Koalitionsverhandlungen in Berlin gelingen würde, die Union davon zu überzeugen, dass die Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft, die Abschaffung des Optionsrechts, dazu führt, dass sich nicht mehr junge Menschen durch die Entscheidung

(Jens Kerstan GRÜNE: Was hat denn das damit zu tun? Sie reden über etwas ganz anderes!)

hören Sie doch einmal zu, Herr Kerstan, das hatten wir doch schön öfter –, das Herkunftsland oder die neue Heimat Hamburg zu wählen, zerrissen fühlen müssten.

(Beifall bei der SPD)

Als Letztes will ich auf zwei Punkte eingehen. Ein Punkt, den der Senat bedenkenswert findet, ist der Hinweis des Präsidenten des BAMF, Herr Schmidt. Er fragt, warum man eigentlich Menschen, die möglicherweise gut qualifiziert sind und andere Zugänge hätten, aber gar keinen anderen Weg kennen, nicht aus dem Asylverfahren ins Arbeitsmigrationsverfahren umsteigen lässt. Wir werden uns darum kümmern.

(Zuruf von Antje Möller GRÜNE)

Dazu braucht man seinen Namen, Frau Möller, sonst geht es nicht.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Wir können alles machen.

(Glocke)

Erster Vizepräsident Frank Schira (unterbre- chend): Herr Senator, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Möller?

Ja, Frau Möller.

Herr Senator, Sie wollen mir nicht ernsthaft weismachen, dass Sie nicht wissen, wie das Kontingentverfahren rechtlich gehandhabt wird und dass sehr wohl dabei auch alle Namen bekannt sind, und zwar dann, wenn sie sich auf das Kontingent beziehen.

Aber wir reden über etwas ganz anderes, Frau Möller.

(Antje Möller GRÜNE: Sie reden über was anderes!)

Lassen Sie mich zum letzten Punkt noch etwas sagen: Wir haben Menschen in dieser Stadt – ich

spreche das an, obwohl es nicht ganz unkritisch ist –, die in einer Grauzone leben. Der Senat verzichtet gemeinschaftlich darauf, diese Grauzone in jedem Punkt zu erhellen, und zwar immer dann, wenn es um Kinder und Gesundheit geht. Wir haben eine Clearingstelle eingerichtet, die Menschen, von denen wir nicht wissen, welchen Aufenthaltsstatus sie haben, gesundheitlich weiterhilft. Das ist ganz vernünftig. Und wir haben dafür gesorgt, dass Kinder von Flüchtlingen sowohl zur Schule gehen können als auch eine Krippe oder eine Kita besuchen können, ohne dass der Träger in jedem Einzelfall klären muss, wo derjenige herkommt und welchen Aufenthaltsstatus er hat. Es ist schon ein bisschen prekär, so etwas zu machen, aber zu diesen Grauzonen, bei denen es um Kinder und Gesundheit geht, bekennt sich der Senat, und so haben wir es in großem Konsens hier gemacht.